Verschärfung der Beschäftigungskrise durch steigende weibliche Erwerbsbeteiligung?

Der neue und der alte Blick auf die Dynamik der Frauenerwerbsarbeit

Mechthild Veil

Die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen in den Ländern der Europäischen Union und auch in Deutschland wird zu Recht als ein nicht mehr rückgängig zu machender Trend bezeichnet. Gegenläufig zu der Dynamik der Frauenerwerbstätigkeit entwickelt sich die Erwerbsbeteiligung von Männern. "Während von den Männern im erwerbsfähigen Alter Mitte der 70er-Jahre noch 86 v.H. in Beschäftigung standen, waren es zwanzig Jahre später nur noch 70 v.H." (Bogai 1998, 847). Diese gegenläufige geschlechtsspezifische Entwicklung spielt sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit in Europa ab, die trotz steigender Zahl der Arbeitsplätze weiterhin hoch bleiben wird, da der Anstieg der Erwerbstätigkeit mit der steigenden Erwerbspersonenzahl nicht Schritt halten kann (Bogai 1998, 846). Experten sprechen von einem europäischen "Persistenzphänomen". Dass sich die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit nicht in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs entfaltet, sondern in Krisenzeiten und in der Phase der Umstrukturierung der Marktkräfte, verschärft die Situation. Der Konkurrenzkampf der Geschlechter um Arbeitsplätze nimmt zu und der Legitimationsdruck auf berufsorientierte Mütter steigt. Denn die Zunahme der Erwerbsbevölkerung und damit der Arbeitslosigkeit wird neben der demographischen Entwicklung und den Migrationsbewegungen vor allem auch auf die zunehmende Erwerbsbeteiligung und die Erwerbsorientierungen von Frauen zurückgeführt.

Die Erosion der Industriegesellschaft wird vorrangig mit der Zerstörung und dem Verlust an männlichen Arbeitsplätzen in Verbindung gebracht. Arbeitsmarktstudien zeigen den teilweise dramatischen Abbau von normalen und die Zunahme von prekären, häufig nicht versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Diese Entwicklung bedroht die normativen Grundlagen und den gesellschaftlichen Konsens, die mit dem fordistischen Modell industrieller Arbeitsbeziehungen und dem keynesianischen Wohlfahrtsstaat verbunden waren. Eine dieser normativen Grundlagen ist das männliche Normalarbeitsverhältnis, das seit Mitte der 80er-Jahre erodiert und mit dem Modell des männlichen Familienernährers und mit "kulturellen Privilegien männlicher Vollzeitarbeit" (Fagan/O’Reilly/Rubery 1999, 67) im Zusammenhang steht. Dieser Trend sozialstrukturellen Wandels hat die Bedeutung eines männlichen Versorgermodells gegenüber dem Zweiverdiener-Modell zurücktreten lassen.

In welche Richtung sich die Arbeitsgesellschaft weiterentwickeln wird, ist offen. Es zeichnet sich lediglich ab, dass die verschiedenen Entwicklungsrichtungen unterschiedlich wahrgenommen und mit unterschiedlichen Erklärungsmustern theoretisch zu erfassen gesucht werden. Birgt etwa die zunehmende Frauenerwerbsarbeit nur Risiken, führt sie zu einem weiteren Anwachsen der Arbeitslosigkeit und einer Verdrängung der männlichen Familienernährer auf dem Arbeitsmarkt (Verdrängungsthese, wie sie die bayerisch-sächsische Zukunftskommission vertritt) oder eröffnet sie einen Bedeutungswandel von Arbeit und den Geschlechterrollen im emanzipatorischen Sinne? Welche weiter gehenden Perspektiven könnten daraus entwickelt werden?

Verschärfung der Beschäftigungskrise durch weibliche Erwerbsorientierung?

Eine rein statische Betrachtung des Arbeitsmarktes führt häufig zu der Annahme, dass das Problem der Arbeitslosigkeit rein rechnerisch durch eine Reduzierung der Frauenerwerbstätigkeit behoben werden könnte. In diesem Sinne diskutiert unter anderen die "Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen" (1996 und 1997), die in ihrer dreibändigen Studie unter der Federführung des Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlers Meinhard Miegel das Konzept einer Gesellschaft vorlegt, die sich von der "arbeitnehmerzentrierten Industriegesellschaft" in eine "unternehmerische Wissensgesellschaft" entwickeln soll.

Die Autoren gehen von einem statischen Bild der Arbeitsgesellschaft aus, in der einer festen Anzahl von Arbeitsplätzen eine steigende Nachfrage nach Erwerbsarbeit gegenüberstehe. Die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen verschärfe die Krise, die jedoch rein rechnerisch durch den Rückgang der Erwerbsnachfrage (unausgesprochen von Frauen) behoben werden könne: "Wäre die Erwerbsbeteiligung heute in West und Ost gleich, wäre der ostdeutsche Arbeitslosenanteil mittlerweile geringer als der westdeutsche. Deutschland würde im internationalen Vergleich, vor allem im europäischen, einen verhältnismäßig geringen Arbeitslosenanteil aufweisen" (Teil I, 7). Die Krise einer Arbeitsgesellschaft im Umbruch soll entsprechend marktorientierter, volkswirtschaftlicher Angebots- und Nachfragetheorien gelöst werden, indem das als unnatürlich empfundene Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in ein anzustrebendes Gleichgewicht gebracht werde, das bisher durch den angenommenen engen Zusammenhang zwischen Beschäftigungskrise und wachsender weiblicher Erwerbsorientierung gestört sei.

Zunächst sei daran erinnert, dass die Krise der Industriegesellschaft in allen Ländern der Europäischen Union die steigende Arbeitslosigkeit ausgelöst hat. Viele der bisher überwiegend männlich besetzten Arbeitsplätze in den industriellen Zentren, aber auch – was häufig vergessen wird – viele Frauen-Arbeitsplätze etwa in der Textil- und Bekleidungsindustrie und in der Lederwarenindustrie werden zerstört. Männliche Arbeitnehmer werden also nicht von Frauen aus ihren angestammten Arbeitsplätzen verdrängt (Verdrängungsthese), sondern die Transformierung der Industriegesellschaft in eine nachindustrielle Dienstleistungsgesellschaft zerstört viele ihrer Arbeitsplätze. Davon profitieren dann allerdings überproportional Frauen, denn der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit erfolgt vor allem im Dienstleistungsbereich. Die auch von der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission vertretene (empirisch kaum haltbare) Verdrängungsthese ist wohl eher als politisch intendierte Absicht zu verstehen, den Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen zu bremsen. Anhänger der Verdrängungsthese ignorieren makroökonomische Faktoren wie etwa das Wegbrechen der Ostmärkte, was zu einem Zusammenbruch der ehemals kommunistischen Ökonomien und damit zu einem explosionsartigen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat (Holst 1997). Das Erklärungsmuster, die Diskrepanz zwischen Erwerbsangebot und -nachfrage sei entscheidend für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, greift in dieser verknappten Form nicht.

Eine irrtümliche, jedoch populäre Annahme besagt, dass eine hohe Erwerbsbeteiligung insgesamt – wozu die zunehmende Erwerbsneigung von Frauen beiträgt – die Arbeitslosigkeit vergrößere. Ein Blick in andere europäische Länder zeigt, dass hohe Erwerbsquoten von Frauen mit einer insgesamt hohen Erwerbsbeteiligung und geringen Arbeitslosenzahlen vereinbar sind (so in den skandinavischen Ländern), dass eine im europäischen Vergleich eher geringe Frauenerwerbsquote mit einer relativ hohen Arbeitslosenquote von Frauen und Männern einhergehen kann (etwa in Deutschland und in Italien), oder dass ein überproportionaler Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einem gleichzeitigen Abbau der Arbeitslosigkeit möglich ist (so in den Niederlanden). Entscheidend sind jeweils die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Geschlechterpolitiken, auf denen Sozialpolitik beruht, so wie die politischen Initiativen, die zum Abbau von Arbeitslosigkeit ergriffen werden. Das normativ stark auf das Familienernährer-Modell ausgerichtete deutsche Sozialstaatsmodell hat sich bisher als wenig geeignet erwiesen, über Ausweitung des Dienstleistungssektors und Umverteilung von Arbeit und Arbeitszeiten die zunehmenden Erwerbsarbeitsbestrebungen von Frauen zu integrieren.1 Diese Argumentation liegt auch dem von mir verfassten Beitrag "Geschlechterkonflikt in der Arbeit: Auseinandersetzung mit der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission" zu Grunde; in: Feministische Studien, Sonderheft 2000 (im Erscheinen).

Empirische Daten zur Dynamik weiblicher Erwerbsbeteiligung

Hinter der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit in den letzten 20 bis 30 Jahren stehen unterschiedliche Prozesse: ein steigendes Erwerbspersonenpotenzial, das die starke Erwerbsorientierung der so genannten stillen Reserve einbezieht, und ein sinkendes Erwerbsarbeitszeitvolumen. Während das Erwerbsarbeitsvolumen von Frauen, also die effektiv geleisteten und bezahlten Arbeitsstunden, von 1986 bis 1995 gerade um zwei Prozent angestiegen ist, sind die Erwerbsquoten von Frauen wesentlich stärker angestiegen, von 47 auf knapp 55 Prozent (von 1972 bis 1994, alte Bundesländer) (Althammer/Pfaff 1999, 34). Hinter den quantitativen Veränderungen verbergen sich qualitative Veränderungen: Frauen ohne Kinder2 haben ihr Erwerbsverhalten kaum verändert, demgegenüber sind (verheiratete) Frauen mit kleinen Kindern verstärkt ins Erwerbsleben eingestiegen.

Frauen üben nach wie vor Tätigkeiten mit geringerem Arbeitsvolumen als Männer aus. Das zeigen Längsschnittstudien der Beschäftigungsverhältnisse von 1993 und 1997 (Holst/Schupp 1999).3 In diesem Zeitraum ist sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung von Frauen überproportional zurückgegangen, um 0,9 Millionen gegenüber 0,6 Millionen bei den Männern, und sind Tätigkeiten in Teilzeit oder als versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung überproportional angestiegen. In Ostdeutschland ist diese Entwicklung noch dramatischer, dort ist die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungen von 72 Prozent (1993) auf 56 Prozent (1997) (Männer 72 Prozent) zurückgegangen (ebd., 291 f). Diese Zahlen widerlegen jedoch nicht den allgemeinen Trend einer zunehmenden Erwerbsorientierung von Frauen, sondern sind eher Ausdruck der nach wie vor ungünstigen Arbeitsmarktstrukturen und der Ausrichtung der Familien- und Sozialpolitik auf das Modell der Einernährer-Familie.

Interessant ist die Rolle der Teilzeitarbeit für das Erwerbsverhalten von Frauen und für das Geschlechterverhältnis. Eine Untersuchung von Infratest Burke Sozialforschung, "Altersvorsorge in Deutschland" (AVID 96) betont die Brückenfunktion, die Teilzeitarbeit in der Arbeitsmarktintegration von Frauen innehat. Ihr Ergebnis: Die Mehrzahl der berufstätigen Frauen war in ihrem Berufsleben sowohl teilzeit- als auch vollzeitbeschäftigt. Frauen mit Teilzeitanteil waren länger berufstätig als Frauen, die nur in Vollzeitarbeit gearbeitet haben (nur alte Bundesländer). Andere Forschungen (Fagan, O’Reilly und Rubery, 1999) haben aufgezeigt, dass Teilzeitarbeit von Frauen, die zu einer vollwertigen Integration in den Arbeitsmarkt führt, den geltenden Geschlechtervertrag (die private Arbeitsteilung) verändert. Teilzeitarbeit, die die Arbeitspotenziale von Frauen lediglich im Sinne einer Reservearmee mobilisiert, stellt die Dominanz des männlichen Familienernährers hingegen nicht nachhaltig in Frage.

Festzuhalten bleibt, dass der Anstieg der Frauenerwerbsquote vor allem auf eine höhere Erwerbsneigung verheirateter Frauen mit Kindern zurückzuführen ist. "Während allein stehende Frauen mit ca. 60 v.H. eine durchgängig hohe und im Niveau den männlichen Erwerbspersonen vergleichbare Erwerbsbeteiligung aufweisen, hat sich die Erwerbsneigung der kinderlos verheirateten Frauen mit einem Zuwachs von ca. 4 v.H.-Punkten nur unterdurchschnittlich erhöht" (Althammer/Pfaff 1999, 33 f.). Dieser Trend ist nicht mehr umkehrbar, "und nichts weist darauf hin, dass diese Entwicklung bereits abgeschlossen ist" (Stolz-Willig/Wiethold 1999, 168). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) etwa hat für das Jahr 2010 eine Erwerbsquote von 73 bis 82 Prozent der verheirateten Frauen prognostiziert.

Dieser Trend macht deutlich, dass theoretische Anstrengungen, die gestiegene europaweite Arbeitslosigkeit mit der zunehmenden Erwerbsorientierung von Frauen zu begründen und durch Umlenkung der Berufsorientierungen von Frauen auf ehrenamtliche Tätigkeiten die Arbeitslosigkeit folglich wieder zu reduzieren, langfristig unwirksam sind. Denn die gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen ist sowohl Ergebnis ökonomischer Zwänge (die sich eher noch verstärken werden) als auch Ausdruck eines fundamentalen Wandels in den Wirtschaftsstrukturen und in den Wertevorstellungen.

Bedrohung des Normalarbeitsverhältnisses durch steigende Frauenerwerbstätigkeit?

Unter Normalarbeitsverhältnis wird nach Mückenberger (1985) ein Arbeitsverhältnis verstanden, das unbefristet und im Prinzip auf Dauer angelegt ist, in Vollzeit mit einem existenzsichernden Einkommen verrichtet wird und durch gesetzliche und tarifliche Normen stark reguliert und in der zeitlichen Organisation der Arbeit (Länge und Lage der Arbeitszeit) standardisiert ist. Biografisch gesehen ist solch ein Arbeitsverhältnis Bestandteil einer kontinuierlichen Erwerbsbiografie, mit Statusrechten und einem hohen Grad an sozialen Schutzrechten versehen (Dombois 1999, 14).

In der Geschichte der Bundesrepublik galt das Normalarbeitsverhältnis als sozialpolitisches Leitbild. Es wird als das vorherrschende dargestellt und häufig als ein ausschließliches diskutiert. Dabei waren es Frauen, die immer schon in Nicht-Normalarbeitsverhältnissen tätig waren, sei es als mithelfende Familienangehörige in den 50er-Jahren, als geringfügig Beschäftigte oder gegenwärtig vor allem als Teilzeitarbeitende. Diese Arbeitsformen waren immer problematisch, da sie zu geringeren sozialen Rechten führen und die Existenz nicht sichern konnten und können.

Die dem Familienernährer-Modell zu Grunde liegende Geschlechterordnung – männliches Normalarbeitsverhältnis und darum herum frei flottierende Frauenerwerbsarbeit – konnte nur deshalb gesellschaftlich so lange akzeptiert werden, weil sie sozial abgesichert war und weil die nicht existenzsichernde Frauenerwerbsarbeit keine normative Kraft für die Sozialversicherungen entfalten konnte. Diese Arbeitsverhältnisse belasteten nicht die Sozialversicherungen, da sie kaum zu sozialen Rechten führten.4

Mit der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses beeinflussen atypische Arbeitsverhältnisse nun auch den Kern der männlich geprägten Erwerbsarbeit. Diese Entwicklung führt zu einer starken Belastung der Sozialversicherung und erschüttert das Sozialpolitikverständnis des keynesianischen Wohlfahrtsstaates, das Lenhardt und Offe (1977, 101) als die "staatliche Bearbeitung des Problems der dauerhaften Transformation von Nichtlohnarbeitern in Lohnarbeiter" definiert haben.

Dieser Transformationsprozess, der für den männlichen Bevölkerungsteil historisch als weitgehend abgeschlossen galt, erstreckt sich nun auch auf Frauen. Die Transformation von Nichtlohnarbeit in Lohnarbeit verläuft bei Frauen jedoch nach anderen Entwicklungspfaden: nicht geradlinig in kontinuierliche Vollzeitarbeit, sondern in kontinuierliche und weniger kontinuierliche Vollzeit- oder Teilzeitarbeit, in nichtversicherungspflichtige und randständige Tätigkeiten, die sehr häufig über Familienbindung abgesichert und durch Familienarbeit ergänzt werden.

Das veränderte Verhalten von Frauen, insbesondere der jüngeren und oft qualifizierten Frauen in und gegenüber der Erwerbsarbeit scheint für das männliche Verständnis von Normalarbeit bedrohlich zu werden. Bedrohlich auch in dem Sinne, dass dies zu sozio-kulturellen Umbrüchen führt, die Neuorientierungen notwendig machten. Ingrid Kurz-Scherf weist darauf hin, dass in der Politik die Entwicklung zurückgehender normaler Vollzeitstellen tabuisiert wird (in vielen gewerkschaftlichen und parteipolitischen Programmen wird noch immer an dem Ziel der Vollzeitbeschäftigung festgehalten), um keine grundsätzlichen gesellschaftlichen Korrekturen öffentlich diskutieren und einleiten zu müssen, die wiederum starke Auswirkungen auf die Lebens- und Erwerbsbiografien von Männern haben könnten (Kurz-Scherf 1997, 42). Die Geschlechterarrangements stellen nun auch Männer vor neue Anpassungsstrategien.

Perspektiven jenseits des Normalarbeitsverhältnisses und des alten Geschlechterkontraktes

Die Autoren der bayerisch-sächsischen Kommission sprechen von der Zukunft der Arbeitsgesellschaft als einer Wissensgesellschaft und von einem neuen Arbeitnehmerprofil: Es geht nicht mehr um Arbeiter, Angestellte, Beamte oder Selbstständige, sondern um den Arbeitnehmer als "Unternehmer seiner Arbeitskraft". Für dieses Ziel gelte es, "mentale Barrieren" zu überwinden. Beide Ansätze sind populär geworden. Beide Visionen, die der Gesellschaft als einer Wissensgesellschaft und die des Arbeitnehmers als eines Unternehmers seiner eigenen Arbeitskraft, sind seitdem bereitwillig in Politik und Wissenschaft aufgegriffen worden, da mit ihnen etwas Neues angesprochen wird, um das es sich zu streiten lohnt. Da diese Ansätze neoliberal überzogen sind und einen weitgehenden Abbau des Sozialstaats voraussetzen, führen sie eher zu einer "mentalen Zwangsmodernisierung" (Offe/Fuchs 1998, 297) und zu Anpassungsleistungen an ökonomische Marktkräfte (etwa im Sinne des Schröder/Blair-Positionspapiers) als zu einer Weiterentwicklung der Gesellschaft im emanzipatorischen Sinne. An anderer Stelle unterbreitet die gleiche Kommission sehr traditionelle Vorschläge zur Weiterentwicklung der Arbeit, und zwar dann, wenn sie den Geschlechteraspekt und die Familienbindung berücksichtigt, so wie die zwischen Wissenschaft und Politik schwankende Studie überhaupt sehr disparate Strategien unterbreitet.

Wohl wissend, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gegenwärtig der Ruf: Frauen zurück an den häuslichen Herd, verlorene Liebesmüh ist, greifen sie Ulrich Becks (einer der Mitautoren) Vorschlag zur Bürgerarbeit auf, in der Hoffnung, damit einen Beitrag zum Abbau "überschüssiger" Nachfrage nach bezahlter Arbeit leisten zu können. Entlohnung wird gegen den gesellschaftlichen Sinn von Arbeit oder von Tätigkeiten insgesamt ausgespielt. "Bürgerarbeit soll nicht entlohnt, aber gesellschaftlich belohnt werden" (Stolz-Willig/Wiethold 1999, 172).

Erwerbsarbeit erscheint hier als in der marxistischen Tradition stehende entfremdete Lohnarbeit, im Gegensatz zur freien Entfaltung des Menschen in frei gewählten Tätigkeiten. Frauen stehen diesen Positionen sehr kritisch gegenüber, haben sie doch spätestens seit der Entstehung des Bürgertums die Erfahrung gemacht, dass das Loblied des gesellschaftlichen Wertes ehrenamtlicher Tätigkeiten hauptsächlich ihnen gilt, um sie von bezahlter Arbeit fern zu halten. Diskussionen über Bürgerarbeit geraten zu leicht in die Gefahr, nebulös und scheinheilig zu werden, wenn sie sinnüberfrachtet als Antwort auf ungelöste Probleme des Arbeitsmarktes produziert werden. Erst wenn sich Vorschläge zu "Tätigkeitsgesellschaften" nicht mehr nur an Arbeitslose und an Frauen richten, deren stärkere Erwerbsorientierung zudem noch mit dem Begriff der "stillen Reserve" diffamiert wird (als ob es sich bei ihnen um eine militärische Einsatztruppe zur Krisenbewältigung handelte), also erst, wenn unbezahlte Bürgerarbeit für die Gesellschaft insgesamt verbindlich wird und hauptsächlich auf die Durchlöcherung von Normalarbeitsverhältnissen im Sinne von Günther Schmids Übergangsmärkten ausgerichtet ist, macht dieses auf kommunitaristischen Ideen beruhende Konzept Sinn. Nur so könnte "freigewählte Eigenzeit" die Erwerbsarbeitsgesellschaft in eine Tätigkeitsgesellschaft transformieren.

Einen anderen Vorschlag, wie die Zukunft der Arbeit auf der Grundlage eines erneuerten Geschlechtervertrages aussehen könnte, hat Jill Rubery (1998) entwickelt. Sie untersucht die gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie geschlechtsspezifische Merkmale im deutschen Modell im Vergleich zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt in der Europäischen Union und wägt die Vor- und Nachteile ab. Unter emanzipatorischen Gesichtspunkten verbucht sie als nachteilig unter anderem: die Lohnstruktur mit einem hohen Anteil von Frauen im Niedriglohnbereich, die Erwerbsarbeitszentrierung der Sozialversicherungen, die Konzentration der Sozialpolitik auf Einkommensunterstützung statt auf die Bereitstellung von Dienstleistungen (etwa zur Kinderbetreuung) sowie eine strikte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Als Vorteile, die sich allerdings überwiegend für Männer auswirken, nennt sie die Kombination des Normalarbeitsverhältnisses mit dem männlichen Familienernährer-Modell. Dieser soziale Mix habe erst die Herausbildung eines Familienlohnes, gestützt auf unbezahlte Familienarbeit, ermöglicht, eine Entwicklung, die andererseits auch weitgehend vor Niedriglöhnen geschützt und Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse Frauen und Ausländern übertragen habe. Das männliche Normalarbeitsverhältnis, faktisch verbunden mit einem Familienlohn und der unbezahlten Hausarbeit, ist durch relativ hohe Unterhaltsleistungen abgefedert worden, wodurch das so bezeichnete deutsche Modell relativ armutssicher ist. Dieses Modell ist inzwischen jedoch weder legitim noch ökonomisch haltbar, noch dient es der Gleichberechtigung, die immer auch etwas mit der Verteilung der Haushaltseinkommen zu tun hat. Jill Rubery plädiert für Partnerschaften nach dem Modell: ein Haushalt – zwei Einkommen. Dafür sei ein neuer Gesellschaftsvertrag notwendig, der unter anderem zu klären habe, wer sich um die Kinder kümmert und wer für sie bezahlt. Bei ihren vorsichtigen Vorschlägen zur Umstrukturierung des Modells Deutschland – individuelle Besteuerung, stärkere Unterstützung von Kindern, Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze, Ausbau der (Schul-) Kinderbetreuung sowie der Individualisierung des Anspruchs auf Sozialleistungen – weist sie auch auf mögliche Reformwiderstände hin. Diese könnten bei einer völligen Deregulierung des Arbeitsmarktes, verbunden mit einem ausgebauten Niedriglohnsektor, entstehen. Das Beispiel USA zeigt, dass solch eine Politik zu Arbeitszeitverlängerungen und damit in die Falle einer völlig von der Erwerbsarbeit bestimmten Familie führt.

Resümee

Modernisierungsstrategien ohne Einbeziehung und ohne positive Wertung der veränderten beruflichen Orientierungen von Frauen sind auf halbem Wege stehen geblieben. Ein Festhalten am Bestehenden oder ein Umlenken weiblicher Berufsorientierungen auf zweite und dritte Arbeitsmärkte oder auf das unbegrenzte Feld ehrenamtlicher Tätigkeiten bietet sich langfristig nicht an. Denn hinter quantitativen Veränderungen stehen qualitative Veränderungen, die, von Frauen initiiert, einen tief greifenden kulturellen Wandel zum Ausdruck bringen und sich stärker in veränderten Orientierungen als bereits in statistisch relevanten Fakten niederschlagen. Gerade weil die steigenden Erwerbsorientierungen von Frauen auf kulturellen Einstellungsänderungen (und verbessertem Bildungs- und Ausbildungsniveau) beruhen, sind sie nicht so leicht umzulenken. Erwerbstätige Frauen heute sind nicht mehr Teil einer Reservearmee, die je nach wirtschaftlicher Konjunktur den Arbeitsmarkt betritt und auch wieder verlässt. Sie sind vielmehr Ausdruck eines "widerständigen Verhaltens", da sie gut ausgebildet gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession (Mitte der 70er-Jahre) vermehrt auf den Arbeitsmarkt drängten oder nach der Phase der Kindererziehung stärker als die vorherigen Geburtsjahrgänge in die Erwerbsarbeit zurückkehrten. "Den Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in den 70er-Jahren haben sie also durch ihr Wiedereinstiegsverhalten mitgetragen" (Prinz 1992, 192).

Während Frauen sich in den 60er-Jahren sowohl in Zeiten des Wirtschaftsbooms als auch in Zeiten der Krise noch vom Arbeitsmarkt zurückzogen, galt dies Verhalten für die 70er-Jahre nicht mehr: trotz wirtschaftlicher Rezession stieg die Erwerbsquote von Frauen an (Prinz 1992, 193). Angelika Tölke hat auf das komplexe Zusammenspiel von weiblicher Erwerbstätigkeit, wirtschaftlicher Entwicklung und dem vorherrschenden Leitbild für Frauen hingewiesen: "Solange ein traditionelles Frauenbild vorherrschte, zogen sich Frauen sowohl in wirtschaftlich günstigen Zeiten als auch in Krisensituationen vom Arbeitsmarkt zurück." (Tölke 1989, 152)

Die in der deutschen Diskussion vorherrschende Annahme, das Zurückdrängen des Familienernährer-Modells durch steigende Frauenerwerbsarbeit zerstöre (männliche) Arbeitsplätze, beruht also auf einem nicht haltbaren Automatismus. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen eine gegenteilige Entwicklung: In den USA etwa ist das so genannte Jobwunder unter anderem auf eine auch aus ökonomischen Zwängen heraus ansteigende Erwerbsbeteiligung von Frauen zurückzuführen, die zusammen mit einer Politik der Niedriglöhne zu längeren Arbeitszeiten und zu einer Übernahme von Familienarbeiten durch billige Dienstleistungsjobs geführt hat – die von Jill Rubery beschriebene Falle einer völlig von der Erwerbsarbeit bestimmten Familie. Die skandinavischen Länder hingegen haben einen anderen Weg eingeschlagen. Die weibliche Erwerbstätigkeit, die sich in den wirtschaftlich günstigen Zeiten der 60er-Jahre entfalten konnte, wurde durch Schaffung neuer Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor mit relativ hohen sozialen Standards beantwortet.

Es ist davon auszugehen, dass zukünftig, unter den gegebenen wirtschaftlichen Entwicklungen, steigende Erwerbsquoten von Frauen in den europäischen Sozialmodellen eher zu mehr Arbeitsplätzen vor allem im öffentlichen Sektor und in den Dienstleistungen führen, als dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Die Zerstörung und Vernichtung von männlichen Arbeitsplätzen ist vielmehr Ausdruck der Transformation einer Industriegesellschaft in eine Dienstleistungsgesellschaft, von der allerdings qualifizierte berufsorientierte Frauen profitieren können.

1 Diese Argumentation liegt auch meinem Beitrag "Geschlechterkonflikt in der Arbeit: Auseinandersetzung mit der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission" zugrunde; in: Feministische Studien, Sonderheft 2000 (im Erscheinen).

2 In der Statistik gelten Frauen mit Kindern über 18 Jahren ebenfalls als kinderlos.

3 Die empirischen Ergebnisse basieren auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), das ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 13000 erwachsenen Personen in Privathaushalten, die jährlich seit 1984 (Westdeutschland) und seit 1990 (Ostdeutschland) durchgeführt wird.

4 Die Reform der geringfügigen Beschäftigung im April 1999 hat zu einer teilweisen Versicherungspflicht und damit zu einer Ausweitung sozialer Rechte geführt. (vgl. Veil 1999).
 
 

Literatur:

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Dombois, Rainer (1999): Der schwierige Abschied vom Normalarbeitsverhältnis; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B. 37/99, S. 13-20

Fagan, Colette/O’Reilley, Jacqueline/Rubery, Jill (1999): Teilzeitarbeit in den Niederlanden, Deutschland und dem Vereinigten Königreich: Eine Herausforderung für den Geschlechtervertrag?; in: WSI Mitteilungen, H. 1, S. 58-69

Holst, Elke (1997): Kritische Anfragen aus Frauensicht – Perspektiven für Frauen – Zukunft der Erwerbsarbeit für Frauen, Trends, Wünsche und Widersprüche. Stellungnahme zum Teil I des Berichts der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen:  Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland – Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen, Berlin, unveröffentlichtes MS

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Lenhardt, G./Offe, C. (1977): Staatstheorie und Sozialpolitik. Politisch-soziologische Erklärungsansätze für die Funktionen und Innovationsprozesse der Sozialpolitik; in: Ferber, Chr. v./ Kaufmann, F.-X. (Hrsg.): Soziologie und Sozialpolitik, Sonderheft 19 der KZfSS, S. 101

Mückenberger, Ulrich (1985): Die Krise des Normalarbeitsverhältnisses; in: Mitteilungsblatt der Zentralen wissenschaftlichen Einrichtung "Arbeit und Betrieb", 11/12, Bremen, S. 4.

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Schmid, Günther (1999): Übergangsmärkte im kooperativen Sozialstaat: Entwicklungstendenzen der Arbeitsmarktpolitik in Europa; in: W. Schmähl/H. Rische (Hrsg.): Wandel der Arbeitswelt – Folgerungen für die Sozialpolitik, Baden-Baden, S. 123-150

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Tölke, Angelika (1989): Lebensläufe von Frauen. Familiäre Ereignisse, Ausbildungs- und Erwerbsverhalten, München

Veil, Mechthild (1999): Reformwirrwarr um das 630-Mark-Gesetz; in: Kommune, H. 6, S. 35-37

Veil, Mechthild (2000): Geschlechterkonflikt in der Arbeit: Auseinandersetzung mit der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission; in: Feministische Studien, Sonderheft: Fürsorge, Anerkennung, Arbeit (im Erscheinen)