Tod eines Imperiums

Ein Rückblick auf die Teilung Indiens und Gedanken zu deren Folgen

Ashis Nandy

Die Hungersnot in Bengalen Anfang der Vierzigerjahre, die oft als der "vergessene Holocaust" bezeichnet wird, forderte mehr als 4 Millionen Menschenleben in Ostindien und im heutigen Bangladesh. Die Hungersnot war nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen, vielmehr auf die britische Kriegspolitik. Heftige Gewalttätigkeiten zwischen den verschiedenen Volksgruppen waren in Kalkutta und anderswo in Bengalen die Folge. Während der Teilung Indiens im Jahre 1947 wurden zehn bis fünfzehn Millionen Menschen in einer der größten Völkerwanderungen der Geschichte zu Flüchtlingen, über eine Million Menschen kamen ums Leben. Der Autor, geboren 1937, erinnert sich an das Kalkutta seiner Kindheit, das Verhältnis zwischen Moslems und Hindus und denkt nach über die Auswirkungen, die die Gewalt jener Tage – und das Versagen der Südasiaten, sich mit ihr auseinander zu setzen – auf den Subkontinent heute hat.

Die Unabhängigkeit kam 1947 nicht als ein einzelnes, klar identifizierbares Ereignis nach Südasien, obwohl die meisten Menschen hier am liebsten auf diese Art und Weise daran zurückdenken. Der langsame, schmerzhafte Prozess des Niedergangs von Britisch Indien begann mit den großen Aufständen von Kalkutta und endete mit dem Völkermord im Punjab.

1946 war ich neun Jahre alt und ziemlich neu in Kalkutta. Sogar in diesem Alter konnte ich spüren, dass die Menschen um mich herum von "Schock" und Trauma genug hatten. Da war einmal die Angst vor den Bomben der Japaner während der letzten Tage des Krieges gewesen, die meine Mutter, meinen jüngeren Bruder und mich in eine ruhigere Stadt im nahen Staat Bihar geführt hatte, während mein Vater in Kalkutta zurückgeblieben war, um dort zu arbeiten. Über die Bombardierungen schrieb man nicht nach Hause, doch sie schufen eine schreckliche Panik rings umher, scharenweise flüchteten die Menschen aus Kalkutta. Nun waren wir wieder zurück in der Stadt, der Krieg war vorbei, die Freiheit wartete gleich um die Ecke. Abgesehen von einem leichten Pestausbruch schleppte sich Kalkutta 1946 zurück in Richtung Normalität.

Außerdem war da noch die von der britischen Kriegspolitik herbeigeführte Hungersnot von 1942. Die Erinnerung daran war noch frisch, Kalkutta trug ihre Narben. Zwar verhungerten die Menschen nicht mehr in aller Öffentlichkeit, doch es war nichts Ungewöhnliches, Menschen betteln und in der Nähe von Müllbehältern mit Straßenhunden um Nahrungsmittel kämpfen zu sehen. Die Bilder Tausender Verhungernder, die langsam und ohne sich zu wehren – ob friedlich oder mit Gewalt – dahinstarben, oft direkt vor gut bestückten Lebensmittelläden, standen den Einwohnern Kalkuttas noch immer lebendig vor Augen. Die meisten Opfer waren Bauern, viele von ihnen Moslems. Sie starben, ohne ein einziges Lebensmittelgeschäft, Restaurant oder einen Süßigkeitenladen zu plündern. Wer hätte je gedacht, dass sie wie die Tiger kämpfen würden, wenn es um religiösen Nationalismus ging? Ein Blutbad aus religiösen Gründen war das Letzte, mit dem wir gerechnet hätten.

Mein Vater war Sekretär des YMCA von Kalkutta, wir wohnten auf einem YMCA-Gelände mit riesigen Rasenflächen. Direkt vor dem Gebäude war ein Elendsviertel armer nicht-bengalischer Moslems aus Uttar Pradesh und Bihar, Teil eines großen Arbeitskräftepotenzials von Einwanderern, die die bengalische Stadt am Leben hielten. Alle nannten sie damals Land-Moslems. Von den Fenstern unserer Wohnung im dritten Stock konnten wir direkt in die Haushalte in dem Slum hineinschauen, sahen, wie die Frauen das Essen zubereiteten und wie Kinder spielten. Jenseits des Slums waren einige Wohnsiedlungen bengalischer Hindus der unteren und mittleren Mittelklasse, und dahinter kam wieder ein großes Elendsviertel von Land-Moslems, Raja Bazaar. Doch anders als der – unauffällige, namenlose – Slum nebenan war dieser Slum ein berüchtigter Unterschlupf für Verbrecher. Viele Bewohner unseres Slums kannten wir vom Sehen. Ein Teil der Sozialarbeit des YMCA bezog sich auf sie, und das machte sie unterwürfig und freundlich.

Als die schwierigen Verhandlungen über die Machtübergabe begannen, die politische Atmosphäre aufzuheizen und zu bestimmen, verwandelten sich die Slumbewohner vor unseren Augen in aktive Parteigänger der Moslemliga. Sie ließen die grüne Fahne der Liga im Winde flattern und veranstalteten ab und zu kleine, von rasendem Trommelgetöse begleitete Umzüge. Viele der begeisterten Anhänger waren mittleren Alters, in ihren zerlumpten Kleidern wirkten sie armselig und harmlos, sogar wenn sie angriffslustige, kriegerische Parolen brüllten. Ihre neu gewonnene politische Überzeugung änderte nichts an unseren zwar distanzierten, aber freundlichen Kontakten mit ihnen. Wir Kinder hatten keine Angst vor ihnen, wenn wir sie neckten, lächelten sie nur. Voller Inbrunst riefen sie ihre Slogans, und wir Kinder antworteten mit unseren dünnen Stimmchen: Kanme bidi, muhme pan, Ladke lenge Pakistan. Jedenfalls schienen ihre wilden Parolen überhaupt nicht zu ihrer lockeren, Betel kauenden Lebensweise zu passen.

Am 16. August erzählte unsere Haushaltshilfe meiner Mutter, dass sie auf dem Weg durch den Slum zu unserer Wohnung einige der Bewohner gesehen hatte, wie sie sich versammelten, Messer schliffen und Stöcke anspitzten. Da dies zur Zeit des Mohurram kein ungewöhnlicher Anblick war, dachte sie, die Leute bereiteten eine religiöse Prozession vor. Sie hatte noch nicht einmal davon gehört, dass die Moslemliga einen Tag der Direkten Aktion zur Unterstreichung ihrer Forderung nach Pakistan ausgerufen hatte. Niemand hatte die Erklärung ernst genommen, bis plötzlich, am späten Vormittag, Kalkutta vor unseren ungläubigen Augen explodierte. Pöbel hatte sich vor den Slums zusammengerottet und begonnen, Hindus zu verprügeln; in der Ferne konnten wir sehen, wie Häuser angezündet und geplündert wurden. Das war das erste Mal, dass ich der Politik der Slums und den Krawallen als ihrem entscheidenden Bestandteil gegenüberstand.

Das YMCA-Gebäude war von einer hohen Mauer umgeben, die es von den Wohngebieten der Mittelklasse-Hindus auf der rechten Seite abgrenzte. Die Arbeiter des YMCA – Gärtner, Wachen, Köche, sowohl Hindus als auch Moslems – stellten dort rasch Leitern auf und brachten die verängstigten Bewohner zu uns herein. Innerhalb kürzester Zeit befanden sich mehr als zweihundert Familien auf den Rasenflächen. Das Haupttor des Gebäudes wurde verschlossen. Gewalttaten in der unmittelbaren Nachbarschaft konnten so abgehalten werden. Doch in den Straßen regierte der Mob. In der Menschenmasse entdeckte ich vertraute Gesichter, die nun versuchten, sehr heldenhaft dreinzuschauen. Doch sie schienen auch eine Gelegenheit gefunden zu haben, kleiner, banaler Gier eine neue ideologische Verpackung und einen neuen, anspruchsvolleren Rahmen zu geben. Sie verprügelten hinduistische Passanten, stahlen deren Geld und Uhren, in ein oder zwei Fällen stachen sie sie sogar mit Messern nieder.

Die Sendungen im Radio verschlimmerten das Geschehen. Da der Rundfunk unter Regierungskontrolle stand, sendete er nur zensierte Nachrichten. Obwohl an sich schon Furcht erregend genug, glaubten nur wenige, was sie da hörten. Sie vertrauten noch schlimmeren Gerüchten, besonders da, in anderer Hinsicht, die Informationen aus dem Radio nicht mit dem übereinstimmten, was sie mit eigenen Augen sahen. Diese Gerüchte schüchterten die Bewohner gemischter Wohngebiete noch mehr ein, dort lebende Minderheiten zogen fort und die Stadt wurde immer mehr zu einem Ghetto. Auch die Polizei ergriff offen Partei.

Innerhalb von zwei oder drei Tagen hatten die Hindus sich organisiert und begannen den Gegenangriff. Früher waren sie die Mehrheit gewesen, doch nur theoretisch. Dank des Aufruhrs fingen sie an, sich als Teil einer größeren Bewegung zu betrachten, und zum ersten Mal kamen wir in den Genuss des Schauspiels, wie in Kalkutta eine Hindu-Nation entstand. Schläger aus den unteren Kasten und kriminelle Elemente – abgesehen von Kasten mit als niedrig angesehenen Berufen wie Metzger, Schmiede und Fischer – und sogar die Land-Hindus, Sikhs und nepalesischen Gurkhas, die früher als sozial ausgestoßen oder als gesellschaftliche Außenseiter galten, wurden zu heldenhaften Verteidigern der Mittelklasse, der sesshaften Oberkasten-Hindus aus Bengalen. Was den Hindu-Nationalisten während der letzten hundert Jahre nicht gelungen war, hatte der Tag der Direkten Aktion vollbracht. Viele Jahre später, als ich las, internationale Kriege brächten Nationen hervor, war dies für mich nicht irgendein Klischee. Ich wusste genau, was es bedeutete.

In der Nachbarschaft gab es einen Fußballclub, Badurbagan Sporting Club, der manchmal ins YMCA zu Freundschaftsspielen herüberkam. Meistens spielten wir Fußball, manchmal jedoch auch Kricket oder Basketball. Sie waren immer viel besser als wir und besiegten uns eigentlich jedes Mal, außer beim Basketball. Beim Basketball hatten wir einen natürlichen Vorsprung, denn sie spielten es nicht sehr oft. Aber sie waren ein außerordentlich netter Haufen und wir waren immer gern mit ihnen zusammen gewesen. Die meisten waren Teenager und gehörten alle zur Hindu-Siedlung schräg gegenüber unserer Wohnung, sie lebten also eingezwängt zwischen zwei nicht bengalisch sprechenden moslemischen Gemeinschaften. Die Unruhen verwandelten den Club in ein völlig neuartiges Gebilde. Sie wurden zu Beschützern ihrer Gemeinschaft, einige sogar offen und stolz zu Mördern. Auch ihre Volksgruppe begann, sie als aufopferungsvolle Helden zu betrachten.

Solche neuen Helden sprossen bald überall in Kalkutta. Die Vergeltungsschläge, mit denen sie die Moslems heimsuchten, waren grausam. Wir sahen, wie ein alter Moslem auf einem Pferdewagen buchstäblich zu Tode gesteinigt wurde. Es war eine entsetzliche Erfahrung. Selbst wenn solch blutige Ereignisse einmal nicht stattfanden, konnten wir die Krawalle nicht vergessen. Ich erinnere mich an eine alte Frau, die jeden Tag stundenlang auf dem Fußweg vor unserem Haus saß und um ihren Sohn weinte, der während der Gewalttätigkeiten ums Leben gekommen war. Im YMCA-Gebäude hatten auf einem anderen Stockwerk viele Moslem-Familien Zuflucht gefunden. Eigenartigerweise gab es zwischen den verschiedenen Volksgruppen im Haus keinerlei Feindschaft, weder unter den Opfern der Tumulte noch unter denen, die sie unterstützten.

Mein Vater zeigte während all dieser Tage ungewöhnlichen Mut. Ein paar Mal wäre er fast ums Leben gekommen. Zweimal wurde auf ihn geschossen, einmal, als er die Polizei energisch aufforderte, entschiedener gegen die Aufständischen vorzugehen. Die indischen Polizisten hatten noch keine besonders große Übung bei Zusammenstößen mit militanten Kämpfern verschiedenster Couleur, man konnte sich noch darauf verlassen, dass sie danebenschossen.

Die Familie jedoch war traumatisiert. Blutvergießen und Grausamkeiten verstörten alle, doch ganz besonders meinen Vater und meinen jüngeren Bruder, Manish. Tagelang konnten sie nichts essen und waren sichtlich deprimiert. Meine Mutter erwies sich als stabiler. Sie weinte zwar viel, sorgte aber auch dafür, dass das Leben weiterging. Als mein Vater dann einige Wochen später schwer erkrankte, diagnostizierten die Ärzte als Ursache für die Krankheit die vorangegangene Depression.

Nicht nur unsere Familie war auf diese Weise betroffen. Wir waren Christen und konnten vielleicht bis zu einem gewissen Grad eine etwas distanziertere, nicht Partei ergreifende, moralische Position einnehmen. Doch unsere Namen ließen keine Rückschlüsse auf unseren Glauben zu, und meine Eltern machten sich immer sehr große Sorgen, wenn wir Brüder zu unserer Schule gleich um die Ecke gingen. Als ich später die Berichte meiner Freunde über ihre Erlebnisse während der Ausschreitungen hörte, klangen diese alle ähnlich. Nur dass die meisten von ihnen wild entschlossen Partei ergriffen. Im Namen ihrer neu definierten Gemeinschaft beanspruchten sie – alle gleichzeitig und völlig widersprüchlich – sowohl die ärmsten Opfer als auch die eindeutigen Sieger im Glaubenskrieg zu sein.

Ohne Mohanda Karamchand Gandhi wären die Unruhen in Kalkutta nicht einfach zum Stillstand gekommen. In einem der am schlimmsten betroffenen Viertel der Stadt begann er einen Hungerstreik auf Leben oder Tod. Niemand konnte sich vorstellen, dass das Hungern Erfolg haben würde. Einige der Älteren in unserer Schule waren offen sarkastisch. Doch es hatte Erfolg und begeisterte die ganze Stadt. Die Kritiker, insbesondere wenn sie Hindus waren, behaupteten natürlich weiterhin, hätte Gandhi nicht gehungert, wäre den Moslems eine viel härtere Lektion erteilt worden. Doch sogar sie wurden durch den weiteren Verlauf der Dinge zum Schweigen gebracht.

Einer, der sich zu jener Zeit auf Gandhi zu bewegte, war H. S. Suhrawardy, Führer der Moslemliga und Ministerpräsident von Bengalen. In vieler Hinsicht hatte er die Unruhen mit forciert, vielleicht nicht, weil er ein Blutbad wollte, doch seine Wählerschaft rekrutierte sich hauptsächlich aus eingewanderten, nicht bengalischen Arbeitern, den unteren Mittelklassen und dem Lumpenproletariat. Eine solche Unterstützungsbasis war zwar eine mächtige politische Kraft, jedoch auch immer unbeständig und unkontrollierbar, sie wartete nur darauf, zu irgendwelchen Gewalttätigkeiten aufgerufen zu werden. Suhrawardy hatte keine Wahl, als sich auf sie und auf seine populistischen und demagogischen Fähigkeiten zu verlassen, er war ein adliger, Urdu sprechender bengalischer Führer aus einer berühmten, gebildeten Familie, die keine Ahnung vom Leben der vorwiegend bäuerlichen bengalischen Moslems hatte. Seine Befähigung als Führer der bengalischen Moslems war nie ganz unumstritten. Bengalen mögen dies zwar nicht gerne hören, doch er hatte einige seiner strategischen Fähigkeiten der Massenmobilisierung von dem militanten nationalistischen Führer und Bengalens mythischem Helden Subhash Chandra Bose gelernt. Ich vermute, er wollte ein kontrolliertes Chaos, um den britischen Behörden, dem Indischen Nationalkongress und der Führung der Moslemliga seine politische Macht zu demonstrieren. Es entwickelte sich jedoch zum totalen Massaker.

Doch Suhrawardy war auch ein wirklich mutiger Mann. Der Journalist Nikhil Chakravarty erzählte mir, wie sich Suhrawardy, nachdem er sich den Friedensbemühungen Gandhis angeschlossen hatte, den aufständischen Massen unbewaffnet und völlig allein auf seine ganz besondere patriarchale Weise entgegenstellte. Ich erinnere mich auch, dass er ein- oder zweimal bei uns zu Hause war, um mit meinem Vater zu sprechen, der ebenfalls an den Friedensbemühungen teilnahm.

Als die Unruhen sich gerade langsam wieder beruhigten, wurde aus dem Osten Bengalens über Gewalttätigkeiten zwischen den Volksgruppen berichtet. Wieder machten Gerüchte und Gerede die Dinge noch schlimmer. Was nach dem Massaker in Kalkutta noch an scheinbar gesundem Menschenverstand übrig geblieben war, verschwand mit dem Eintreffen der Nachrichten aus Noakhali und Sylhet in den anderen Gebieten Ostindiens endgültig. Kalkutta war zu erschöpft, um darauf zu reagieren, doch Teile von Bihar taten dies.

Im Rückblick gesehen, bestätigten die Unruhen von Kalkutta wieder einmal, dass sich die Armen als Klasse nicht anfällig für Fanatismus zeigen, die Slums der Großstädte jedoch oft die ersten sind, die bereitwillig die kompensatorische oder beschützerische Vorstellung von einer Obergruppe, wie sie ihnen von Fanatikern und Demagogen angeboten werden, aufnehmen. Slums sind die natürlichen Bastionen von Menschen mit zerbrochenen Gemeinschaftsbindungen und nostalgischen Erinnerungen an einen Glauben, der in solchen Bindungen gründete. Wenn sie in den Städten neue Loyalitäten entwickeln, enthalten diese immer einen Schuss Verzweiflung, und eine neue Form von Inbrunst ist eng mit ihnen verbunden. Diese neuen Loyalitäten werden dann systematisch gefördert von ängstlichen wohlhabenden Mitgliedern derselben Gemeinschaft, die ihr eigenes Leben nicht riskieren möchten, doch gewillt sind, auch noch den letzten Slumbewohner für ihren Kampf um den wahren Glauben zu opfern.

Die großen Unruhen von Kalkutta konnten es, alles in allem, nicht mit dem Massaker im Punjab aufnehmen. Die Ostinder waren nicht blutrünstig genug, um die Dinge bis zu ihrem logischen Schluss voranzutreiben. Nach den ersten hektischen Tagen nahm der Glaubenskrieg in Kalkutta Formen an, wie man sie heutzutage in den südasiatischen Ländern bei Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen sieht. Es wurde ein schmutziger Zermürbungskrieg, in dessen Verlauf die Slums und Verbrecherbanden eine immer größere Rolle spielten. Bevorzugte Art der Kriegsführung wurde es, ein argloses Mitglied einer anderen Volksgruppe hinterrücks zu erstechen. Ich erinnere mich noch an eine verwitwete Mutter, deren zwei kleine Kinder erstochen worden waren, sie weinte und flehte die Soldaten an, sie zu erschießen. Doch Kalkutta war, anders als Punjab, eine unpersönliche, vielfältige Großstadt und gab weniger Raum für den Kampf Nachbar gegen Nachbar. (Obwohl wir jetzt gerade in einer Studie herausgefunden haben, dass auch im Punjab der Zusammenbruch der Nachbarschaften und Gemeinschaften nicht so vollständig war, wie man ursprünglich vermutet hatte.)

Im Punjab erreichten die Gewalttätigkeiten zwischen den Volksgruppen die Zwischenräume der dörflichen Gesellschaft, etwas, was in Bengalen nur vereinzelt geschehen war, an Orten wie Noakhali. Es gibt jetzt ausreichend Beweismaterial dafür, dass sowohl in Bengalen als auch im Punjab die Basis der Gewalt durch religiösen Fanatismus zustande kam, doch es blieb genügend Spielraum für verschiedene Formen gesetzlosen und psychopathischen Verhaltens. In vielen Fällen wurden alte Feindschaften ausgetragen, habgierige Menschen plünderten ihre eigenen Verwandten aus.

Vor dem Hintergrund der Gewalttätigkeiten im Punjab verblassten alle anderen Unruhen bis zur Bedeutungslosigkeit. Die Gewalt in Bengalen und Bihar war brutal, doch sie hatte sich teilweise außerhalb der Medien und des Bewusstseins der Mittelklasse abgespielt. Den Aufruhr im Punjab – mit seinen vierzig Meilen langen Menschenkarawanen, Tausenden gewaltsam entführten Frauen, spektakulärer Selbst-Vernichtung und groß angelegter ethnischer Säuberung – konnte die ganze Welt mit verfolgen. Urvashi Butalia, eine feministische Verlegerin, selbst aus einer betroffenen Familie, hat kürzlich in schmerzhaften Einzelheiten den Vorgang einer Selbst-Vernichtung beschrieben, der jedem abgehärteten Samurai zur Ehre gereicht hätte.

Gandhis Indien hatte während des indischen Freiheitskampfes die Nachrichtensender mehr als zwei Jahrzehnte lang beherrscht. Jetzt, da die Freiheit in einem Blutbad geboren war, rechtfertigte dies im Nachhinein die imperiale Theorie von Leuten wie Winston Churchill, die meinten, dass Indien, sobald man es sich selbst überlasse, in Anarchie und Gewalt versinken werde.

Konservativen Schätzungen zufolge kamen bei den Unruhen im Punjab eine halbe Million Menschen ums Leben, in Bengalen noch einmal eine halbe Million; zehn Millionen Menschen verloren ihre Heimat. Doch nicht einmal bei den empfindsamsten Schriftstellern ihrer Volksgruppe fand sich auch nur eine Stimme für diese Opfer. In Bengalen, einem der beiden Hauptschlachtfelder, ist lediglich eine defensive, nostalgische Rückkehr zu der Vorstellung eines weniger gewalttätigen, ökumenischen Ost-Bengalen zu bemerken. Außer einigen Filmen von Ritwik Ghatak – in denen die Tragödie benannt, aber auf eine ziemlich pathetische Vorkriegsversion von Marxismus zurechtgestutzt wird – hat es keine Versuche gegeben, sich mit der Tragödie in all ihrer Tiefe auseinanderzusetzen. In Pakistan wird die Teilung offiziell als Sieg betrachtet, die Entwurzelten gelten als Mohajirs, Menschen, die ihr Heimatland um ihres Glaubens willen verlassen haben. Doch sogar dort war nur wenig von den Opfern die Rede; sie gelten als "natürliches" Nebenprodukt der Aufteilung der Beute nach dem Niedergang Britisch-Indiens.

Der einzige, der diese massive Mauer des Schweigens durchbrochen und etwas von der Kultur der Gewalt eingefangen hat, insbesondere das Element der Nekrophilie, das sich dabei eingeschlichen hatte, war Saadat Hassan Manto, ein Schriftsteller, der jahrelang Drehbücher für populäre kommerzielle Filme in Bombay geschrieben hatte. In seinen bitteren, selbstironischen Kurzgeschichten spürt man die wahre Dynamik der Tragödie – den fast vollständigen Zusammenbruch der Gemeinschaften und benachbarten Gesellschaften, die psychopathischen und sadomasochistischen Komponenten der Gewalt, und den Preis der Gewalt, den nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter zahlen müssen.

Nach den Massakern gelang es den Millionen ganz gewöhnlicher Menschen, die sich in den Fußangeln der Geschichte verfangen hatten und in neue und in vieler Hinsicht seltsame Länder hinausgestoßen worden waren, eine neue Identität aufzubauen. In den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts betrat in Südasien ein neuer Protagonist die Bühne des öffentlichen Lebens – der Flüchtling, ein aus seiner Umgebung gerissenes, entwurzeltes, verbittertes Opfer, das viel erlitten und die Vergänglichkeit sozialer Bindungen erfahren hatte, den Verrat von Freunden und das Schlimmste an menschlicher Schlechtigkeit kennen gelernt hatte, seine eigene und die der anderen. Politik in Südasien konnte nie wieder sein, was sie einmal gewesen war.

Der Flüchtling in Südasien bewahrte, wie Flüchtlinge auf der ganzen Welt, auch im Exil einiges von Persönlichkeit und Lebensweise in seinem Inneren auf und gab es an die nächste Generation weiter. Diese Art von Persönlichkeit und Lebensweise hat Formen der Kreativität hervorgebracht, zu denen nur die psychisch Heimatlosen imstande sind. Gleichzeitig haben sie jedoch das schlaue, erbarmungslose Unternehmertum von Raubrittern und eine Politik der Gesetzlosigkeit in das öffentliche Leben der Region gebracht.

Es gibt fast keine systematische psychologische Studie darüber, wie die Menschen mit Überleben und Heimatlosigkeit, verursacht durch die Teilung Südasiens, fertig wurden. Eine der sehr wenigen erhältlichen ist eine bescheidene, in ein Buch gefasste philosophische Dissertation, Uprooting and Social Change<D> von Stephen Keller, einem amerikanischen Soziologen. In dem Buch wird die Vermutung angestellt, dass die durch die Unruhen Entwurzelten nicht nur im öffentlichen und beruflichen Leben aggressiver sind, sondern auch innerhalb ihrer Familien. Sie sind argwöhnischer und, da sie sich unverwundbarer als andere fühlen, leichter bereit, Handlungen am Rande des Gesetzes auszuführen.

Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zu dem offensichtlichen Erfolg, mit dem Flüchtlinge aus dem Punjab, verglichen mit denen aus Bengalen und Bihar, die Fragmente ihres zersplitterten Lebens aufgesammelt und neu zusammengefügt haben, sowohl in Indien als auch in Pakistan. Sie scheinen alle psychologischen Voraussetzungen einer Unternehmer-Persönlichkeit zu erfüllen, wie David C. McClelland in den Sechzigerjahren diesen Persönlichkeits-Typus definiert hat. Die Bengalen hatten in den meisten Fällen das Schlimmste nicht gesehen; die Mehrheit von ihnen kannte Noakhali nur vom Hörensagen. Der Bevölkerungsaustausch im östlichen Indien war eine langsam blutende Wunde; es war keine einmalige ethnische Säuberung, die alle und jede Familie betraf. Die Hälfte der Hindubevölkerung von vor der Teilung lebt noch in Bangladesh, und in West-Bengalen liegt der Bevölkerungsanteil der Moslems höher als vor der Teilung. Andererseits geht der Anteil von Hindus und Sikhs im pakistanischen Punjab und von Moslems im indischen Punjab heute fast gegen Null.

Fünfundfünfzig Jahre nach seiner Dekolonisierung gibt es für Südasien eine Menge zu feiern. Seltsamerweise gehört auch die einsichtige Freundschaft dazu, in der verschiedene Glaubensgemeinschaften in einer Region zusammenleben. Pakistan kann sich dies kaum als Verdienst anrechnen, denn dort ist nach 1947 praktisch keine religiöse Minderheit im Land übrig geblieben. Doch Bangladesh und Indien sind trotz aller Höhen und Tiefen recht gut damit umgegangen, trotz der gewalttätigen Vergangenheit während der Teilung. In Indien, wo mehr Daten zur Verfügung stehen, ist es leichter, dies zu zeigen. Die Gesamtzahl der Menschen, die seit der Unabhängigkeit im Lande getötet wurden, beträgt weniger als ein Siebtel der bei Autounfällen ums Leben Gekommenen und nur ein Zwanzigstel derer, die im vergleichbaren Zeitraum in den USA bei Verbrechen in den Städten getötet wurden, einem Land, das nur ein Drittel der Bevölkerung Indiens hat. Fünf Monate nach der Aufsehen erregenden Zerstörung der Babri-Moschee im Jahr 1992, zu der sich eine Partei mit dem Anspruch, im Namen aller Hindus zu sprechen, bekannte, verlor diese Partei acht von neun der Bundesstaat-Parlamentssitze des Distrikts, in dem die Moschee gestanden hatte. In allen Wahlbezirken waren die Hindus in der Mehrheit. Ein kürzlich erstellter Bericht über ganz Indien bezeugt, dass die meisten Hindus diesen Vandalismus verurteilten.

Doch Südasien scheint noch immer nicht bereit zu sein, dem Völkermord ins Auge zu sehen, der die Geburt unabhängiger Staaten in dieser Region begleitete. Verleugnet und sorgfältig verbannt kehren diese Erinnerungen immer wieder zurück und suchen die politische Kultur der südasiatischen Gesellschaften heim. Die Vergangenheit kann historisiert und auf diese Weise betäubt werden. Aber es gibt keine Garantie, dass sie nicht doch zurückkehrt, wie das Unbewusste bei Sigmund Freud, wenn die neuen Generationen in Südasien nicht willens sind, sich unter Schmerzen durch sie hindurchzuarbeiten. Die Gewalt während der Teilung kann nicht nur als Bericht darüber gelesen werden, was ein paar Leute anderen angetan haben, denn es ist der unterdrückte Bericht darüber, was die Menschen in Südasien sich selbst angetan haben. Die Region wird lernen müssen, dem Gedenken dieser Gewalt Vorrang sogar über das Moment der Freiheit einzuräumen, denn nur beim "Aufarbeiten" der Erinnerungen an diese Gewalt kann sie das Recht erlangen, die Dekolonisierung zu feiern.

Wir drucken den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Persimmon. Asian Literature, Arts and Culture (Volume III, Number 1, New York, Spring 2002) – Übersetzt von Gisela Schneckmann und Helmut Forster-Latsch

Ashis Nandy, Mitglied und ehemaliger Direktor des Centre for the Study of Developing Societies, Vorsitzender des Committee for Cultural Choices and Global Futures, beide in New Delhi. Forschungs- und Lehrtätigkeit in den USA und Großbritannien.