EDITORIAL

Balduin Winter

Gibt es einen gerechten Krieg? Sechzig US-amerikanische Persönlichkeiten, darunter Amitai Etzioni, Francis Fukuyama, Samuel Huntington, Robert D. Putnam, Michael Walzer und andere, unterzeichneten im Februar dieses Jahres ein Manifest mit dem Titel "Wofür wir kämpfen". Es beschreibt eingangs fünf universelle "Grundwahrheiten", daran schließen sich spezifische "amerikanische Werte" an. Breiten Raum nimmt die Ableitung des gerechten Krieges nach Augustinus ein, der Kernsatz lautet: "Wenn zwingende Beweise vorliegen, dass unschuldige Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen, schweren Schaden erleiden werden, falls eine Aggression nicht mit Gewalt gestoppt wird, dann ruft uns das Gebot der Nächstenliebe auf, Gewalt anzuwenden."

In den USA wurde das Manifest nahezu übergangen, in Deutschland erfuhr es geteilte Reaktionen. Die Linke hatte sich bereits an der "humanitären Intervention" in Jugoslawien abgearbeitet, die FAZ bezeichnete das Dokument nicht ganz zutreffend als "alttestamentarisch", die Süddeutsche sah die Zeit für gerechte Kriege als unzeitgemäß und die taz registrierte, etwas ungenau, den Schulterschluss der Intellektuellen mit der Regierungspolitik. Auch an Kritik mangelte es nicht, viele Kommentatoren nervte der pathetische Ton, tatsächlich trieft einem menschelnd die Würde entgegen. Zu fragen wäre freilich, wie es sich mit den unantastbaren und gleichen Grundrechten für alle in concreto verhält, ob etwa die sechzig sich auch für die 299 Gefangenen in Guantánamo einsetzen, die nach einem Beschluss des Außenministeriums weiterhin keinen Rechtsbeistand erhalten und so lange festgehalten werden können, wie der Krieg gegen den internationalen Terror andauert. Dabei geht es um Rechte für einzelne Personen, nicht um die Bewertung ihrer Taten und Organisationen, für die sie gekämpft haben (zur Kriegsgerichtsbarkeit: Alain Finkielkraut, S. 11).

Mag sein, dass die Bezeichnung "gerechter Krieg" unglücklich gewählt ist, doch es geht nicht um Bezeichnungen, es geht um konkrete Vorfälle und um die Frage des Eingreifens. Angesichts der massenhaften Gewaltopfer in Ruanda oder Bosnien sind ungeschickte Formulierungen Nebensache. Der Haken des Manifests liegt woanders. Die sechzig gehen von vornherein davon aus, nur die USA und deren Militärmaschinerie seien in der Lage, die Dinge in der Welt ins rechte Lot zu bringen. Es geht um die USA, um die betroffenen US-Bürger und um die Interessen der USA. Und es zählt zum A und O des amerikanischen außenpolitischen Denkens, reelle und ideelle Aspekte miteinander zu verknüpfen, materielles Interesse und Werte. Es ist kein Zufall, wenn in einer Fußnote des Manifests die UNO als nicht zweckmäßig erachtet wird – das entspricht dem derzeit vorherrschenden Unilateralismus des regierenden neokonservativen Flügels der Republikaner.

Wirklich interessant wäre das Manifest gewesen, hätte es versucht, Vorschläge über das offizielle Regierungsdenken hinaus zu unterbreiten. Im Schlusswort werden noch salbungsvolle Töne von einer "auf Gerechtigkeit gegründeten Weltgemeinschaft" jubiliert – ja, aber auf wessen Gerechtigkeit? Es müssen an ihr noch 193 andere Staaten mitbauen, die miteingeladen werden wollen zum globalen Diskurs. Aber nur, um ein bisschen zu palavern, damit dann doch passiert, was die Falken in Washington wollen? Wenn schon Bush und Co. die UNO nicht mögen, weshalb mögen diese Intellektuellen sie auch nicht? Da ist ein Colin Powell schon weiter, wenn er auf dem Weltwirtschaftsforum in New York sagt: "Wir müssen gegen die Terroristen vorgehen, aber wir müssen auch Armut und Hoffnungslosigkeit bekämpfen."

Auch wären Gedanken nicht nur über den Krieg, sondern darüber, wie man wieder zum Frieden gelangt, von Wichtigkeit. Gerade im Nahen Osten scheint man derzeit wieder eine sehr schlechte Friedensbedingung anzupeilen: Verhandlungen nach gegenseitiger Zermürbung (siehe die Artikel zu Israel ab S. 14). Bush hat einen zeitlich unbegrenzten Krieg gegen den Terror angekündigt ("... vielleicht zehn Jahre"). Seine Friedensidee ist die Erhöhung des US-Militärhaushalts um 13 Prozent, eine Pseudolösung. Denn der schwierigste Part bei den neuen Kriegen ist die Kunst des Friedenschließens. "Frieden kann nur sein, wo auch wechselseitig Vergeben und Vergessen ist", schreibt Michael Stürmer in der Welt. "Das fiel den alten Fürstenstaaten, die des öffentlichen Zuspruchs weniger bedurften, leichter als den modernen Demokratien." Der Rückgriff auf feudale Despoten mag uns erspart bleiben, von den Einstellungen können auch Demokraten lernen. Da bietet der Westfälische Frieden mehr als Potsdam.