Die Krötenwanderung der Erinnerung

Lyrik-Sampler 98

Wilhelm Pauli

 

Natürlich hat es wieder keiner gemerkt. Ich selbst nur in zurückblätternder Pflichterfüllung zurückpflichtender Blattfülle: Dies ist eine Jubiläumsnummer. Die zehnte Hitparade. Zehn Jahre vergifte ich mein Herz im Dienste poetischer Volksbildung. Wälze, wimmere und wäge. Und dann plärrt die Redaktion aus ihrem kulturfernen SPD-Hessen irgend etwas von "fünf Seiten und Klappe!", statt hier ein handkoloriertes Sonderheft einzurichten. Und hat sich vielleicht mal einer von diesen verrammelten Verlagen gemeldet, deren Sprachspastis ich hier immer aufs neue durchnudel, um die einzige Lyrikbesprechung, die besser ist als die in ihr transportierte Lyrik, auf Bütten unter die Studienrätinnen zu schütten? Feigerl, Herrschaften! Alles verschwuchtelt und verschwägert unter den 1654 Lyrik-Beschäftigten der Nation, wie sie auch im neuen Jahrbuch der Lyrik (Verlag C. H. Beck) wieder hochgerechnet werden. 1654 inklusive Leser, Herrschaften! Da hat ein unabhängiger Kopf oder Knopf, der nicht gleich erigiert, nur weil einer schlecht liest, schlecht aussieht und viel raucht...

Was reg' ich mich auf? Um so rücksichtsloser wird ab jetzt die Rücksichtslosigkeit regieren! Eine kleine Träne der Rührung hat sich mir dann doch entperlt, als ich just im ersten Gedicht jenes Jahrbuchs von Meister Endler einiges zum Geschiebemergel lesen konnte, jenem Geschiebemergel, den ich in der ersten Rundschau, 1989, als verletzungsverhütenden Untergrund des Helga M. Novakschen Dauerhinsinkens popularisierte oder zu popularisieren trachtete. Übrigens haben Endler und die ruhmreiche Gattin das auch hier ("Ostlichterkette" in 1/94) vorgestellte Lyrik-Unternehmen, Orplid, im Café Clara aufgegeben. Grad gestern, siebenter April. Zum siebenten Geburtstag. Weg ist er, der Lyrikort und -hort. Der Regierungskrake beginnt, ausgreifend vom Reichstag her, unter seinen Fettarmen das Leben zu ersticken. Ansonsten im Lyrik-Jahrbuch die gähnende Langeweile. Eine Gleichförmigkeit und laue Gestimmtheit, daß man sich nur wundern kann, zumal als kooptierter Herausgeber des Jahres der noch vor kurzem als Vollberserker reüssierende Marcel Beyer fungiert. Lauter alte Bekannte, lauter bekannte Leiden, eine Handvoll Ausnahmen: Geschiebemergel Edi, Thill, Böhme, Papenfuß, Kling the King...

Supervision

Fünf Seiten und Klappe! Und noch kein bißchen weiter. Geht aber sofort los. Eine der häufigsten nicht gestellten Fragen ist: "Wie wählen Sie aus dem gleichraunend routinierten, zeilenverbrochenen Gesamtbrei denn bloß aus? Das muß ja gewissenszersetzend und harnabschnürend bis zum Aufbrechen Ihrer zarten Lendenstigmatisierung sein?" Überhaupt nicht: Erscheint beispielsweise so ein Henning Ziebritzki und schaut mich von der Umschlagklappe des ansprechend gestalteten Bändchens der Collection S. Fischer auf künstlich gealtertem Bild so gänzlich Generalsekretär-Hintze-haft an, hat er sofort Freiflug ins Eck mit der Aufschrift "Örscher-Tours". Darf noch einmal zurückkommen (zweiter Durchlauf), wird blind aufgeklappt (Stichproben-Verfahren) und bietet mir an - grad noch "stürmen von allen Seiten/ mit Granatwerfern Krieger zum Dschihad..."-: "Klischees, penetrant/ und dennoch kaum auszuloten:/ Wie die Ikone eines Erlösers/ erscheint Isabella Rossellinis Gesicht/ und changiert zwischen vielen Gesichtern,/ ein Bild des Flusses, wie er manchmal klar/ heraufschimmert und in dessen Wasser/ niemand zweimal steigt." Er nicht einmal, der Herr, evangelische Theologie, Exstudent. Das tät' er gern. Wenigstens einmal auf die Rossellini steigen. Nicht mit mir. Jener Herr nimmt an der Hauptauslosung schon nicht mehr teil. So verschafft man sich Luft.

Genauer zuwenden müssen wir uns indes Albert Ostermaier und Steffen Jacobs. Beide stellte ich mit ihren Erstlingen 1996 vor. Beide haben grad' die Dreißig überschritten und legen nun nach. Das problematische zweite Werk. Damals schrieb ich: "Beide geben ein bisserl an, was einen Menschen mit Talent gelegentlich ja durchaus schmücken kann, beide stehen breitbeinig in unserer Welt und ihren Kult- und Kultursymbolen, umspielen also den Alltag, haben's mit der Medizin, insbesondere dem dummen kleinen Herz, beide trauen sich auch zu reimen und würden gern mehr koitieren. Jacobs tut ambitionierter, Ostermaier schielt mehr auf den Sack." Jetzt, zwei Jahre und den einen oder anderen Erfolg später, scheint mit dem Koitieren soweit alles easy zu sein. Beim ambitionierten Getue hat sich's grad' rumgedreht. Von Ostermaier (fremdkörper hautnah) bin ich enttäuscht. Ohne Punkt und Komma, mit kräftigen Kaufmanns-Unds (&) und heftig gebrochenen Zeilen, macht er, was man halt so macht. Kaut an den ältesten Dichterlatschen herum, als gäbe es da was zu retten: "immer noch nicht tot immer/ noch den griffel in der hand/ pardon die finger auf den/ tasten du weisst doch gute/ dichter sterben jung..." (aus: "letzte mahnung") - bäh, bäh! -, hat schöne, helle Augenblicke und Bilder: "als dichter musst du wie ein rockstar sein &/ wilde wege gehn ein mikro mit den lippen/ küssen die seiten mit der zunge blättern als/ wären sie aus stahl" ("zweiter ratschlag für einen jungen dichter"), aber dann ganz böse, klugscheißerische Ausfälle, leider nicht wenige, wo's ins Politische rumpelt und in den Bewältigungssektor:

wunschkind 1933
vergiss nicht deine eltern zu
ehren als dein alter seinen mann
stand & deine mutter aufs kreuz
legte wars ein höhepunkt in seinem
leben & auch die alte schrie vor
freuden auf als ihr die milch aus
den brüsten kam & sie den kleinen
volkskörper in ihren händen rieb
der wuchs & wuchs bis auch er
ein strammer junge war sie nährte
ihn redlich am busen der lügen
im land seines vaters für das sie
sagtens ihm schon früh zu sterben
eine ehre sei welch eine schande
als er mit dem leben davonkam

Billig, superbillig, spottbillig! Indes scheint mir der Herr Jacobs im Zweitling (Geschulte Monade) bemerkenswert entspannt, gereift und ganz so, als hätte er nicht vor, irgend etwas zu beweisen. Das tut gut. "Die beste aller Welten/ erreichen Menschen eher selten", reimt er im "Song von der Nähe" vor sich hin, spöttelt - der gegen höhere Besinnlichkeit weitgehend Gefeite: "Gegen höhere Besinnlichkeit ist keiner gefeit." (Ganz gewaltige Werteverwirrung.) Besingt die bücherausstechende Wirkung gebeugter Studentinnennacken in Staatsbibliotheken, schreibt ein "Lob der Feindschaft" (wie ich es - wo hat er es bloß her - fast wörtlich vor vielen Jahren in Prosa herauslobte): "Zusammen sind wir unwiderlegbar./ Gemeinsam werden wir siegen." Hat ein gutes Gedächtnis: "Kindheit ist nicht das Wahre, mein Kind./ Viel zu klein und viel zu wacklig läuft man/ zwischen hupenden Autos herum, beschwert/ von übergroßen Ahnungen und dieser/ lästigen Marotte mit den Bällen und Klötzen..." ("Glückwunsch für ein junges Murmeltier"). Schreibt ein wunderschönes Apfelzucht-Gedicht für den äpfelzüchtenden Dichter Michael Hamburger. Und schafft, wer Lyriker liest, weiß, was das für eine Rarität ist, ein nicht verstunken- und verlogenes Gedicht über das Fernsehen. Verpackt nie reißerisch, was nicht drin ist. Was - fünf Seiten und Klappe - stelle ich kurz & gut vor?

Na also
Noch mal von vorne beginnen,
noch mal die Lade leer;
aufs neue dem Alten nachsinnen -
es geht doch - bitte sehr.

Noch mal der frische Gram,
noch mal das vage Joch;
Epigonie ohne Scham -
na bitte: geht doch.

Entwicklungshilfe

Neulich rief der mir bis dahin persönlich unbekannte Autor Balduin Winter (Fürth) an und barmte völlig unfränkisch in mein Schnitzelbrot hinein: Wüste! Literarsahara! Lyriklarumlöffelstiel! Und breitete das Bild einer um Nürnbergfürth vollständig entliteraturisierten Legasthenikerödnis aus, die nun dringend mit seiner wie meiner Hilfe aufzuforsten sei. Tags drauf bekam ich ein Baldurpäckchen mit erster Nürnbergfürther Oasenproduktion. Eine Oase, die der "Edition laufschrift" zu verdanken sei, die eine Literaturzeitschrift, eben laufschrift herausbringt und eine Edition. Und aus dieser zwei schmale Hefte, eines gewandet im Umschlag von einfachstem Heimatzeitungsrupfen, von allerdings merkwürdigerweise nun nicht Nürnbergfürther, sondern Berlinbabelsberger Autoren. Muß gestehen, daß mein Aus-Leseverfahren zumindest Tom Schulz (Jahrgang 70) beinahe postwendend das Aus gebracht und ihn in den von B. Winter präventiv mitgelieferten Nachttopf aus dem Nachttopfmuseum - "Bescheiden steh' ich unterm Bett/ bewahre Dich vor großem G'frett" - expediert hätte. Also das Verfahren: Schau dir die Freunde des Dichters an, schau ins Nachwort: "Die Büchnersche Verlusterfahrung, die Trakelsche Trauer, die Brechtsche Hoffnung auf Veränderung, die Celansche Atemwende, die Eichsche Aufsässigkeit: die Gedichte von Tom Schulz sind durch diese und andere Erfahrungen bestimmt, ohne sich je ihrem Schema fügen zu wollen." Und so fort. Alles im armen Tom Schulz. Mehr als in Afri Cola, falls sich jemand erinnert, während wir alle höchstens ein bißchen Bluna. Da mußte ich ihn einfach liebhaben und wenigstens einmal verstohlen umblättern. Und es hat fast nicht wehgetan. Städte, geräumt heißt das Bändchen, und Tom schnürt durch die geräumten und die adäquat vergrauten Herzen: "Ich bin eine geräuschlose Maschine/ Und werde gewartet mit dem Versprechen auf Zeit./ Ich warte eine metallische Stunde -/ Warte zwischen zwei Takten:/ Verbrennung und Stillstand./ Ich warte auf einen Wechsel..." Nein, das ist keine Trash-, Flash-, Smash-Lyrik aus der simmernden Pubertantenschwitze, wie sie solchen handabgezogenen Minieditionen allzuoft eigen:

AM SEE; WENN DER MOND SICH ERHELLT
die Weichbilder auflöst
Vors Gesicht fingerlose Hände hält
Im Wasser knirschen die Boote
Wie Schollen, die brechen am Grat
Jetzt, wo die Flüsse ihr Schamteil verbergen
In städtischer Kanalisation; über Zürich
Der Himmel, ein Schließfach / Die Ufer
Garagen, Gärten genannt
Mit Sprinklern; so daß es nicht regnet
Lieg ich still/Wie ein gleisloser Bahnhof
-:
Und nirgends erreichst du einen Steg
Und kannst nicht gehen übers Wasser
Aber sieh auf den Grund, dann erscheinen
Dir Fische, fingerdick von der Hand getrennt
Mit goldenen Ringen um den Rumpf

Der Babelsberger heißt Jörg Niebelschütz. Sein Heft Poet's Corner 17. Poet's Corner war eine Reihe der Verlagsbuchhandlung Ackerstraße (Berlin Ost). Im Frühjahr 1993 erschien Band 17, dann war's aus mit der Verlagsbuchhandlung. Dann sollten Niebelschützens Gedichte im Aufbau-Verlag erscheinen. Dann wurde der Aufbau-Verlag generalgelunkewitzt. Zwar war Niebelschütz bereits angekündigt. Erschienen ist er nimmer. Die "Zärtlichkeit eines Rasiermessers und die Brutalität eines aus den Rissen des Straßenpflasters brechenden Löwenzahns" haben Wohlmeinende Niebelschützens Versen zugesprochen. Wahr jedenfalls ist, daß Niebelschütz aus dem Alltag der Bier- und Wurstbuden berichtet. Vom Leiden und Lieben der Menschen am Rand. Nicht den bürgerlichen Flaneur, den proletarischen bis subproletarischen Rumtreiber oder -hänger gibt Niebelschütz. Da sich im Wesen solchen Personals nichts ändert, haben seine Gedichte seit ihrem ersten Erscheinen nichts an Gültigkeit verloren. "Heute Blasmusik Morgen Freibier und dann ab ins Irrenhaus" (ausgeliefert) ist gültiges Motto all jener, die aus dem Musikantenstadl zu fallen drohen.

der fünfzigste geburtstag
gekonnt köpft er das frühstücksei
mit der stumpfen seite des messers.
wenn es den hund nicht gäbe vera,
hätte ich mich schon längst erhangen.
nach einem blick aus dem fenster
wird er den bus sechsuhracht erreichen.

Ein feiner Beobachter, kein Haudrauf und Hupfauf:

love kills
die gabel steckte in der currywurst
und es spritzte nach allen seiten
und sie sagte, es käme ihr so vor,
als spritze es immer nach allen seiten,
sobald sie eine gabel wie diese
in so eine wurst steckt.

er nickte und als beide feststellten,
zu hause sei noch genügend gulasch,
lächelten sie in einer einzigartigen
aufwärtsbewegung der köpfe -
sie ass ein brötchen dazu und er salat.

Kontrastmittel

"Ein dunkler, melancholischer Gesell, mit eben solchem Humor", hatte ich vor drei Jahren den 1966 in Winsen an der Luhe geborenen und im Altennachtdienst sich verschleißenden Ulrich Koch beschrieben und seinen Erstling als Entdeckung gepriesen. Der Humor scheint ihm unterdessen abhanden gekommen zu sein. Seine Gedichte sprechen von zerfallenden Müttern, Knoten in den Brüsten, Brüsten wiederum, "schlaff wie Pudelmützen", von Blumenvergeblichkeit, schlechtem Schlaf und noch schlechterem Aufwachen. Ich entfalte sein neues Buch, Auf mir, auf dir, und lese ausgerechnet den einzigen ironiesatten Befreiungsschlag:

Baum
Oben Blätter.
Links Blätter.
Rechts Blätter.
Unten keine.

So ist es. Und schon liegt das Buch auf dem Stapel mit der Aufschrift: "Unbedingt reindrücken!" Und gleichzeitig fliegen wieder pfundweise Bände, in denen die Bäume nur so rauschen, die Heide nur so weint, alter Kalk aus alten griechisch/römischen Gemäuern nur so rieselt, oder die ganze antike Mythenwelt der Mutterficker und Kinderschlächter zum tausendsten Mal abgefieselt wird, ins nun schon bekannte Eck "Örscher-Tours". Als ob es nie die Erlanger Kinderschänder-Gang gegeben hätte, nie Monika Weimar. Man faßt es nicht! Aber zu Koch zurück. Lassen wir ihn selbst reden: "Wenn ich aufwache, ist es Tag, und diesen ganzen Tag muß ich mir Idioten anhören, Unverschämtheiten, Zumutungen, Abgründe in Rede. Ich kann nicht weghören. Den ganzen Tag habe ich es mit allem zu tun, womit man es nicht zu tun haben will. Ich stehe auf, um zu gehen. Ich gehe, um zu arbeiten. Ich arbeite, um zu essen... Das Gedichteschreiben ist keine anständige Arbeit. Man hat es mit sich selbst zu tun und bietet alle Liebe für sich auf. Man betet sich an und wird zurückgewiesen. Man zieht sich an sich selbst in die Höhe und bleibt zurück. Man tritt auf der Stelle. Wenn man nicht weiß, was für eine Arbeit anständig ist, ist es egal, welche man macht. Ich schreibe, um nicht daran zu denken." So viel bittere Wahrheit in so wenigen Zeilen. Und dann eins der schönsten Gedichte des Jahres. Es hat für mich geradezu etwas vom Gellu Naum-Glanz.

MAN GEHT DURCH EINE TÜR
Man geht durch eine Tür
in der Decke des Zimmers,
und die Tür hat den Umriß des Körpers,
als wäre man beleuchtet
von unten. Die Haut brennt,
wo sie auflag.

Dann schließt jemand die Tür
in der Decke des Zimmers
und läßt das Wasser
aus dem Spiegel ab.

Ach ja, die Überschrift zur Jubelparade ist dem Kochschen Gedicht "Fliegenleben" entnommen. Vergeltsgott!

Durchpusten, durchatmen. Der Spaßvogel des Jahres kommt diesmal aus der Schweiz, rennt auf die Vierzig zu und hat Philosophie, Komparatistik und Altgriechisch studiert. Jetzt kann er anscheinend nimmer und albert sinnlos herum. Christian Uetz heißt er, Nichte sein Buch, und er hat noch eine Möglichkeit gefunden, die Sprache derart zu mißbrauchen, daß dabei ein grienend Erkenntnisprozeß einsetzt, zumindest eine kindische Lackel- und Lall-Lust. Zwei Beispiele - mehr ist nicht zu sagen:

49.
Hölder; schönster Schwahn des Abelnlahn;
Könixkran Cselahn;
Allüriker aber Adeler;
Steinadel des Sternbs.

20.
Deiner schreihernden Ueberlegenheit
kömiglichte Pringzesse.
Du zirschende Schnöne
gierschst zsofftendes Verlangen.
(Es erwacht die geiste Lust.)
Höhenzohnte
im f lutschenden V liess.

Heimat, deine Sterne

Vor ein paar Monaten ist im Berliner Prater die Deutsche Lyrikmeisterschaft ausgetragen worden. Dazu stiegen die Kandidaten für sechs Minuten in einen Boxring und führten sich auf und vor. Eine Jury hob Notentäfelchen, A- und B-Note, wie beim Eiskunstlauf, und die drei Besten durften in eine kurze Endausscheidung. (Da hat niemand mehr hingehört.) Bert Papenfuß wurde wieder Zweiter. Wie schon ein Jahr zuvor in Köln. Es war ein rechter Krampf: Die Lyriker posten, was das Zeug hielt. Das Publikum benahm sich angestrengt unbotmäßig, so wie es das gehört hatte, daß man sich in Weltstädten benimmt. Eine einsame Tomate flog hin und her. Papenfuß, ohne der Gaudi Rechnung zu tragen, versuchte allen Ernstes, den Dichter im Leder zu geben, rief sicherheitshalber gelegentlich: "Votze, Votze!", Sarha Marrs: "Fuck, Fuck!", und der Sieger, Harry Haß, aus dem Westen, ein schlimmer Finger im taillierten Raucheranzug: "Haß, Haß, Haß!" Die verzweifelte Tomate flog rein in den Ring, raus aus dem Ring. Hat, so fragte sich der tomatenferne Beobachter, hat Papenfuß das nötig, ist er am Ende, hat er den Überblick verloren? Die Befürchtungen waren unangebracht. Offenbar handelte es sich nur um einen schweren Fall von nagender Eitelkeit. Sein neuer Band SBZ Land und Leute hat - unabhängig davon, wie man zum Inhalt seiner Vertriebenenpoesie steht - erstaunliche Qualitäten. Er ist von einem neuen, frischen, rauhen und bedenkenlos berlinernden volksliedhaften Ton durchzogen, der manchmal an die ganz ollen Deutschen erinnert, so Schwank- und Schankdichtung, ausgehendes 16. Jahrhundert. Und folglich auch an Brecht. Ein zeitgemäßer Johann Fischart ("Entweder schreib, daß man versteh/ Oder des Schreibens müßig geh./ Willst schreiben, daß man nicht soll wissen/ So laß das Papier wol unbeschissen.") will er mir manchmal scheinen. "Gewidmet unseren Mittätern, Verrätern und Vätern", tritt er zu abermals letzten Gefechten zur Erhaltung der DDR-Kiez-Identität und gegen zersetzende westliche Einflüsse an. Er macht seinen Mitstreitern Mut und poliert an den alten Nischen herum, daß man fast von einer freiwilligen Sorbifizierung des überlebenden DDR-Undergrounds sprechen möchte: "wacker haben wir uns geschlagen/ als wir beieinander lagen/ auf den lippen einen schlager / aus dem kontemplationslager SBZ" (aus SBZ). Natürlich ausreichend großlippig: "wir sind in stirners haufen marschiert/ & waren die söhne der nacht/ wir sind in kronstadt & prenzlauer berg krepiert/ auf dem kollwitzplatz schliff uns die ohnmacht..." ("der kiezistische jihad"). Einige sind wirklich krepiert. "Matthias" BAADER Holst, beispielsweise, Anarchwasduauchimmerbist aus Halle, geriet 1990 unter die S-Bahn. Den wollte weiland auch Papenfuß nicht im Galrev-Programm, wegen "nicht-relevanter-Kiezliteratur". Das ist nicht ohne Witz. Jetzt eine kleine Wiedergutmachung und seliges Andenken an andere, die wir von da draußen leider nie mehr werden kennenlernen. Schön schreibt er über die Geschichte der Band "Ornament & Verbrechen". Eine wirklich gute Band, das heißt wirklich gut. Eben nicht Kollwitzplatz. Diese Separiersucht mit ihren selbsteingeweckten Mythen hat etwas traurig Gesamtdeutsches. Wer etwa die Ausstellung "boheme und diktatur in der ddr" gesehen hat, der sah direkt in die Wohzimmer, Ateliers und Übungskeller unserer 60er und 70er Jahre. Aber lassen wir sie träumen, die Jungs vom Prenzlauer Berg. Sonst wäre ja vielleicht nichts mehr da, wenn sie auch noch ihre kleinen Siege und großen Niederlagen mit dem intelligenteren Teil der Jugend der Welt teilen müßten. Und solange so hübsche Sachen dabei herauskommen!:

der neue mensch
nach einer legende
von brian "hard working" bosse

matze makakow, der entwickelte primat
latscht über't grundstück & quakt
daß er jedem format, dem er beilag
ob jetzt inne nacht, oder am tag
göttliche erquickung habe verpaßt
"sabber nich' so verquast
spotte nicht so ungalant"
entgegnete hotte, der staatselefant
der hier "das politische" vertritt
denn das mischt ja überall mit
"ich lade dich zum turnier
wie du mir - so ich dir
dann werden wir ja sehn
wer fickt am besten wen
du raschelst in mein' karton
& ich schenk dir mein bonbon"
von den tieren der stadt umringt
makakow sich auf hotte schwingt
& juckelt sich beflissen einen ab
verfehlt sein ziel mehr als knapp
muß jetzt die buxen runterlassen
& sich lassen einen verpassen
der prügel dringt in seinen arsch
bläst durch die kutteln den marsch
& ragt alsbald zum maul heraus
matze spuckt gekrösefetzen aus
& haut die beißer in den schwanz
panik durchrüttelt die monstranz
hotte, die memme, zieht raus sein glied
der umgekrempelte matze kommt gleich mit
im kodder der neue mensch sich windet
akzeptiert das politikum & verschwindet
auf immermalwiedersehn
denn es muß ja weitergehn

Und weitergehend bleiben wir am Ort des Geschehens und auch beim GalrevverlaG, denn dort ist, herausgegeben von Andreas Koziol, ein Band mit Werken von Uwe Greßmann herausgekommen: Schilda Komplex. Greßmann ist schon seit dreißig Jahren tot, ich wußte nichts von ihm, den Endler angeblich "den seltsamsten und eigensinnigsten Dichter der DDR in den Jahren nach 1960" nannte. Alles, was ich weiß, weiß ich vom Herausgeber, und was ich begreife, und das ist bei diesem Tieftauchen in die Zustände der DDR jener Zeit gewiß nicht alles, ist, daß da einer hemmungslos das sozialistische Schilda samt seines sakrosankten Führungspersonals - das nennt er nur "Ochsen" - durch den satirischen Kakao zog. Greßmann, am 1. Mai 1933 geboren, litt früh an Lungen-Tbc, was ihn vom üblichen Werdegang eines hoffnungsvollen jungen Menschen ausschloß. Als "Einzelgänger, Bücherkauz und Stadtwanderer" einverleibte der Autodidakt sich seine Welt der Literatur und wurde zum Maniak, der offenbar an mehr als einem halben Dutzend Großwerken arbeitete, die niemals abgeschlossen wurden und Mappen und Ordner von Zentnerschwere füllen. All das lagert im Archiv der Akademie der Künste. "Ausgerechnet ,Schilda` wurde allerdings nicht lange nach jener Sicherstellung des Manuskriptbestandes von anonymer Hand entwendet. Bedenkt man ,Schilda` als das, was es unstreitig vorstellte, nämlich die sowohl subtilste als auch offensivste Beschimpfung der DDR durch einen Außenseiter ihrer ,eigenen` Literatur, so läßt sich annehmen, daß damals, zu Beginn der 70er Jahre, literarischer Sprengstoff aus dem Archiv gestohlen wurde. Bekanntlich war die DDR erstaunlich schnell zu beleidigen. Selbst für unbedachte Witze zog sich noch lange über die ,Ulbricht-Ära` hinaus das Register ihrer Freiheitsstrafen. Irgendwann kehrte ,Schilda` ebenso heimlich wie es verschwand wieder an seinen Archivplatz zurück." Koziol spekuliert, daß das Entwendete dem Entwender zum Gebrauch zu heiß erschienen sein mag. Fabelhaftes in jeder Hinsicht. Das für uns Ergiebigste ist leider alles zu lang (fünf/Klappe!):

SCHILDAS GEISTESLEBEN
Aber die Schulungsleiterin die alte Ziege mit dem Spitzbart
Und dem weichen Fell spricht zu den Hühnern Schildas
Kennt ihr Herrn Walther den großen Minnesänger nicht?
Da gackerten und blökten die Tiere
Des Arbeiter- und Bauernhofes vor dem Stall
Und machten ob des Kulturerbes und - bodens
Der Pilze große Augen
Denn solche gediehen ja dort auf der Heiden
Und erlaubten es Liebenden in zärtlichen Stunden
Des gesellschaftlichen Lebens
Die Welt fast hochgeschossen anzuschauen
Die Weisheit des Apis ja des ganz großen Ochsen fraß man so
Auf der Schul- ja der Regierungsbank mit Löffeln
Doch war es Gras und Korn und Heu
An der Krippe: Also wußte man wo man bleibt
Beleckte sich und sein Fell im Dorf unter den Linden
Wo des Weisen Ruhebette war
Stand nämlich eine Wache drauf und konnte nicht schlafen
Und schulterte gerade das Gewehr ihrer Brüste
Als die Schulungsleiterin die alte Ziege mit dem Spitzbart
Und dem weichen Fell
Die Tiere des Arbeiter- und Bauernhofes
Vor dem Stalle ansprach
Eine Abzweigdose war da angebracht
Ein Strom der euch im Geiste auch bewege
Vieles könnt ihr davon ableiten
Merkt es wohl (!)
Auch einer
Der da schläft und schnarcht
Stößt man ihn an

Um noch einmal auf die deutschen Lyrikmeisterschaften zurückzukommen: Daß sich Teilnehmer derartiger Kampflesungen nicht ständig in den lyrischen Schritt fassen müssen, beweist Wolfgang Schlenker (1964 in Nürnberg geboren, Herr Balduin Winter!), der Preisträger beim 1. Internationalen Open Mike (1994) der LiteraturWERKstatt Berlin war. In Herr Heute versammelt er eine ganze Reihe fragiler, durchscheinender zubereiteter Gespinste, die Bilder erzeugen - nicht vorsetzen, Gedanken anregen - nicht landläufig schlenkersche aufdrücken.

ghetto de luxe

etwas das zu boden fiel
unser bestehen war nur geworden

tauben füttern
mit dem kopf nicken

im sparsamen flutlicht
irgendeiner sehenswürdigkeit

herumzuhocken wie einer
von kubricks schimpansen

mit leise klappernden zähnen
aneinandergepreßt

in der zwickmühle
mit dem rücken zur wand

dem ruf des jägers lauschend
oder dem pfiff des letzten zuges

der davonfährt immer wieder
draußen in der nacht

ob wir die augen öffnen oder
schließen ist ungefähr dasselbe

und durch die ohren
scheint der mond

Sieg mit Fettrand

Nun sei es aber an der Zeit, endlich die Asse aus dem Ärmel zu lassen, bzw. die Lyriksau des Jahres durchs Dorf zu treiben? Bitte: Zwei habe ich zu bieten, die beide streng am hier schon einmal vorabgeprobten Motto: "Heute Blasmusik, morgen Freibier, und dann ab ins Irrenhaus" arbeiten. Wenn auch in gänzlich unterschiedlicher Weise. Hansjörg Zauner (Mein Mund Das Saegeloch Handtuch) heißt der erste, lebt in Wien und Obertraun und hat eine natürliche Glatze. Auf dem Klappenbildl bereitet er sich, wohl in einer Metzgerei, einen delikaten Wurst-Imbiß, und fast möcht' ich wetten, daß er im Teller ein zartes Hirn liegen hat. Zweiter wichtiger Hinweis ist uns, daß Zauner 1996 den Reinhard-Priessnitz-Preis bekommen hat. Priessnitz gilt manchen als einer der größten Dichter deutschquallender Zunge. Er ist schon hin und hat nicht grad' viel hinterlassen. Er hat aber einen Bewunderer, der heißt Franz Josef Czernin und ist bekannt geworden, weil er Durs Grünbein einen Preis nicht gegönnt und jenen - ich fasse zusammen - einen Afterdichter geheißen hat. Jener Czernin hat vor kurzem ein 150-seitiges Büchl über ein Gedicht von Priessnitz geschrieben, heldin, das es seinerseits auf eigentlich nicht so schwer verständliche 14 Zeilen bringt. Priessnitz, verschärft Czernin, gilt als schwieriger Dichter. Bei Czernin kommt erschwerend hinzu, daß er in seinen herumgestreuten Poetologien ein so miserables Deutsch schreibt bzw. denkt, daß, wenn man kein Masochist ist, es nie zu Ende bringt. Ich jedenfalls habe mir das Zeug an einen Extraplatz gelegt, um es in einigen Jahren, wenn die Künstlersozialkasse brunst, damit einmal aufzunehmen. Um anzudeuten, worum es inhaltlich geht: "...Czernins fortlaufendes und offenbar auf keinen Abschluß hin ausgerichtetes Projekt einer ,kunst des dichtens`, das Projekt einer systematischen und enzyklopädischen Erforschung der Dichtkunst (ist) nicht so zu verstehen, daß von vornherein klar ist, was ,Dichtung`, ,Systematik` und ,Enzyklopädie` bedeuten, sondern daß verschiedene Stadien der Realisierung dieses Projekts auch verschiedene Bedeutungen für diese Wörter nahelegen. Im ersten Teil der ,kunst des sonetts`, einem variierten Sonettenkranz, der aus 196 Sonetten besteht und so die Zahl der 14 Sonette eines üblichen Sonettenkranzes potenziert, wird das Begriffsfeld des Pflanzlichen und seiner Bearbeitungs- und Verwertungsmöglichkeiten verwendet, ausgehend vom ausgesparten Stammsonett" (Thomas Eder über Czernin im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur). Und Priessnitz rief: "welche müh bleibt dann? wohl die, in den leerläufen der kommunikation zu verschwinden; die spiegel zu umgehen; den festgefahrenen formen, zu welchen wahrnehmung und erkenntnis stets zu werden drohen, auszuweichen. keine statik! nicht die spur verwischen, sondern die spur des unkenntlichen setzen: weg mit der identität! mit anderen worten: gegen die eigene institution angehen, zum material werden, ohne bestimmung." In diesem Umfeld bewegen wir uns. Nur: Hansjörg Zauner, der in Berlin auch schon ein Stipendium abdichtete - "für berlin ist wien ein hansjoerg" -, ist, bei aller Verpflichtung zur systematischen Erforschung seines Materials bis zum letzten Zuckerer, extrem lustig. Eine Tiefenlustigkeit, die aus den immer wieder herausbrechenden gelungenen Gustostückerln im Fortwälzen und -drehen seiner eher wenigen Bausteine befeuert wird. Haltlosigkeit im strengstens formatierten Dahinwursteln. "Übersät von efferenzsystemen" (Priessnitz, heldin), zittert die Zaunersche Schreibhand raus, was dem Handbesitzer oben durch den Nischl huscht, und hinterher muß der dann die "regelung auf dumpfer stellen" ("heldin"), damit alles in seine hundertfünf Seiten à fünf Verseln à vier Zeilen paßt und so sinnlos sinnvoll angeordnet ist, daß wir, kurz bevor wir uns verabschieden würden, uns immer wieder einklinken und reinhängen können in einen kauzigen Restsinn oder Unsinnsrest, der uns weiterreicht. So schnaderhüpfelt sich's von Vers eins:

mein handtuch das liegt

im gelingen der sicht
und speert sich ein zungen
auf falten hier frei auf das ohr

über:

mein durchgang der fettrand im klumpfusz
bezieht auf ein loeschen im gehen
es saegt das glas aus der oeffnung
und wirft ein bedeuten aus sinn

zur Aufwallung:

es zieht die sprache wachteln aus faeden
es zieht das kleid koerper aus raendern
es zieht die tube hoehen aus stimmen
es zieht der schalter rascheln aus hut

zu:

die hupe ist lieber ein keks im sackerl
in und aus der oeffnung ein flusz
ueber die breite da verlaeszt sich ein reifen
und schneidet die leiter aufs brot

endend:

die lupe im felsen ist eine lunge aus spur
die haeuser in brillen sind ein gemisch in der sicht
das handtuch in tuben ist ein loeschen aus inhalt
der schlucker von teilen ist ganz im gewicht

Warum es hier plötzlich aufhört, ist nicht erkennbar. Die Gedichtmaschine des Zauner, Hansjörg müßte eigentlich ins Unendliche surren, holpern und stolpern. Nehmen wir Erschöpfung an, trotz einer stets begleitenden bodenständigen Nahrhaftigkeit, basierend auf Wachteln wie Fetträndern.

Das Beste in diesem Jahr aber ist Ein alter Dichter von Gerald Bisinger. Bisinger wurde vor über sechzig Jahren in Wien geboren, hat Psychologie und Italianistik studiert, war unter anderem Redakteur von Literatur im technischen Zeitalter, lebte 64 bis 86 in Berlin (Mitarbeiter des Literarischen Colloquiums). Und er fährt gern herum, vor allem mit der Eisenbahn. Und sonst sitzt er in Wirtschaften. Meistens schwitzt er. Und wenn er fährt und schwitzt und sitzt, schreibt er Gedichte, in denen er uns mitteilt, wo er sitzt, wieviel er schwitzt und was er grad' trinkt oder ißt. In einer Schwitzenssitzenstrinkens-Intensität, daß dem Leser ganz schwitzig, sitzhinfällig und - je nach Temperament und Eigenbrauch - durstig oder schlecht wird. Nur mal reinschmecken (fünf/Klappe!), ich hätt' ja gern lückenlos alles aufgeklärt: 3. März 91, Wien - Rotwein im Schloßcafé auf dem Wilhelminenberg. 3. April, Znaim - samtiger Rotwein, später raucht er ein Packerl SPARTA. Kurz darauf in Lana - Eigenbauwein, beste Käsesorten, Bauchspeck mit ausreichend breitem Fettrand (!), später Bier. 16. Mai - Bier im Zug auf der Westbahnstrecke. 17 Mai. - Schweinsgulasch mit Nockerln in Sopron. Dann Marillenbrand, dann Rotwein. 20. Mai -

Intermezzo: In Mikulov
Wuchtige Gemäuer
auf hellgraue Felsen
gepreßt
in Mikulov
trink ich
jetzt Rotwein.

Dann Gnocchi al pesto in Passau, durch Südtirol Rotwein, Bier, Kaffee, dann Gulaschsuppe und tschechische Zigaretten (22. Mai), darauf Obstbrände. Dann 4. Juli in Berlin:

An vertrautem Ort
Im Gastgarten sitzend vom WIRTSHAUS
ZUM LÖWEN noch an der Hardenbergstraße
denk daran ich in praller Sonnenbestrah-
lung daß in dieser Lebenszeit (meiner)
hier in Berlin ( damals West) sie währte
bis knapp vor fünf Jahren die allzu oft-
mals verzehrte berühmte Currywurst mit
Mayonnaisekartoffelsalat zutiefst schon
zuwider mir war heut kann mit Appetit
sowas ich wieder essen und die von mir
manchesmal seinerzeit geradezu schmerz-
haft ersehnte Burenwurst mit Senf Salz-
stangerl oder Hausbrot in Wien längst
verleidet mir jetzt ist im Gastgarten
hier noch an der Hardenbergstraße sitz
ich an einem Holzplattentisch bei bayri-
schem Bier sinnier an vertrautem Ort in
dem mir recht ungewohnt nunmehr ver-
einten Berlin

Und wir sind erst auf Seite 21 und haben uns ein ständiges sakrisches Schwitzen dazu vorzustellen: "Nun sitze ich also in Bratislava und/ schwitze wie gestern etwa in Wien in/ Berlin im Juli..." ("Donauabwärts") -

Phantastisch: Trinken, schreiben, schwitzen. Was sonst. Ich jedenfalls genehmige mir nach fristgerechter Abarbeit zur Jubelfeier Bier, Wein, Grappa. In der Reihenfolge.

Albert Ostermaier, fremdkörper hautnah, Frankfurt/M. (edition suhrkamp) 1997 (98 S., 14,80 DM)
Steffen Jacobs, Geschulte Monade, Frankfurt/M. (Collection S. Fischer) 1997 (103 S., 16,00 DM)
Tom Schulz, Städte, geräumt, Fürth (Laufschrift Edition) 1997 (40 S., 8,00 DM)
Jörg Niebelschütz, Poet's Corner 17, Fürth (Laufschrift Edition) 42 S., 8,00 DM)
Ulrich Koch, Auf mir, auf dir, Salzburg/Wien (Residenz Verlag) 1998 (95 S., 38,00 DM)
Christian Uetz, Nichte, Graz/Wien (Literaturverlag Droschl) 1998 (98 S., 30,00 DM)
Bert Papenfuß, SBZ Land und Leute, Berlin (Edition Galrev) 1998 (100 S., 20,00 DM)
Uwe Greßmann, Schilda Komplex. Mit ausnahmsweise ansehbaren Zeichnungen von Christine Schlegel, Berlin (Edition qwert zui opü/Galrev) 1998 (180 S., 30,00 DM)
Wolfgang Schlenker, Herr Heute, Klagenfurt/Wien (Ritter Literaturverlag) 1998 (93 S., 25,00 DM)
Hansjörg Zauner, Mein Mund Das Saegeloch Handtuch, Klagenfurt/Wien (Ritter Literaturverlag) 1997 (106 S., 25,00 DM)
Gerald Bisinger, Ein alter Dichter, Graz/Wien (Literaturverlag Droschl) 1998 (100 S., 30,00 DM)