Brief aus Washington

Isolationisten und Interventionisten

Sascha Müller-Kraenner

Während der Kosovo-Krieg in Deutschland die tiefste Sinnkrise der Linken seit 1989 heraufbeschworen hat, sind in den USA auf einmal die Außenpolitik und die Rolle Amerikas in der Welt ins Zentrum des beginnenden Präsidentschaftswahlkampfes gerückt. Seit Gründung der Vereinigten Staaten streiten Isolationisten und Interventionisten darüber, welche Rolle Amerika in der Welt spielen soll. Seit die USA sich spät, aber letztendlich entscheidend, in den Zweiten Weltkrieg einschalteten und seitdem amerikanische Truppen rund um die Welt stationiert sind, schien die Debatte entschieden. Jetzt, nach dem Ende des Kalten Krieges, beginnt sie erneut.

Die außenpolitische Elite der USA ist international und vor allem transatlantisch orientiert. Amerika, so argumentiert beispielsweise der republikanische Außenpolitiker Richard Lugar, ein Senator aus Indiana, sei die einzig verbleibende Supermacht und hat Interessen auf der gesamten Welt. Zumindest in Regionen, in denen Amerikas politische und wirtschaftliche Interessen unmittelbar berührt werden, so wie in Europa und dem Nahen Osten, müßten die USA deshalb auch militärisch dafür einstehen.

Eine isolationistische Grundhaltung hat sich dagegen im Mainstream der Republikanischen Partei und bei der schrumpfenden Linken der Demokraten breitgemacht. Die heute 40- bis 50jährige Generation von Politikern hat nicht den siegreichen Zweiten Weltkrieg, sondern das PR-Desaster von Vietnam im Auge, wenn sie über das militärische Engagement der USA im Ausland nachdenkt. Amerika, so wird argumentiert, solle sich selbst durch ein modernes Raketenabwehrsystem vor Angriffen sogenannter "Rogue States" wie Nord-Korea schützen und durch gezielte Kommandoaktionen gegen den internationalen Terrorismus und die Proliferation von ABC-Waffen vorgehen, sich jedoch nicht in anderen Teilen der Welt einmischen, wenn amerikanische Interessen nicht unmittelbar bedroht seien.

Auch der ehemalige Außenminister Henry Kissinger ist der Meinung, daß die USA in der Außenpolitik Prioritäten setzen müßten und sich deswegen nicht ausschließlich von humanitären Motiven leiten lassen dürften. Kissinger erkennt die Bedeutung des Kosovo-Konfliktes für die Sicherheit Europas an - nur ist er der Meinung, daß sich die Europäer alleine darum kümmern müßten. US-Verteidigungsminister Cohen schlug neulich zur Aufgabenverteilung innerhalb der NATO vor, den Europäern die Sicherheit in Europa und den USA im Rest der Welt zu übertragen. Cohen muß als Regierungsmitglied im Falle Kosovo anderer Meinung sein.

Die Frage, ob der Kosovo-Einsatz ohne ausdrückliches UN-Mandat völkerrechtlich zulässig war, spielt in den USA dagegen eine eher akademische Rolle. Diskutiert werden die militärische und politische Sinnhaftigkeit des Einsatzes und weniger die Frage, ob ein unilaterales Eintreten der USA oder der NATO im Kosovo Konflikt legitim ist oder nicht.

Während Senator Lugar und der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bob Dole den Einsatz von Bodentruppen fordern, will Kissinger diese Aufgabe den Europäern überlassen. Die USA sollten, um guten Willen und Bündnistreue zu zeigen, lediglich logistische und geheimdienstliche Unterstützung leisten.

Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater von Jimmy Carter, weist den scheinbaren Ausweg aus dem Dilemma, ob die USA den Luftangriffen den Einsatz von Bodentruppen folgen lassen sollen. Er fordert die Bewaffnung der albanischen Untergrundarmee UCK.

Andere Stimmen zitieren die afghanische Erfahrung. In den 80er Jahren hatten die USA und ihr Verbündeter Pakistan die Mudjaheddin zu einer schlagkräftigen Guerillaarmee hochgerüstet. Auch die Taliban verdankten ihren Aufstieg aus der Obskurität dieser Unterstützung. Heute will es niemand mehr gewesen sein.

Hohe Beamte aus dem State Department äußern hinter vorgehaltener Hand, daß die UCK ihre Waffenkäufe durch den Drogenhandel finanziert und zu diesem Zwecke auch Flüchtlinge in die Gemeinschaft der Exilalbaner in Westeuropa einschleuse.

Die Opposition im Kongreß argumentiert inzwischen, daß US-Sondervermittler Holbrooke die UCK erst dadurch hoffähig gemacht hat, daß er mit ihren Führern pressewirksam zum Tee beisammensaß. Die UCK, so die weitverbreitete Meinung, sei keine Befreiungsorganisation, sondern eine terroristische Vereinigung mit teilweise mafiosen Strukturen.

Parallel zum Krieg im Kosovo liefen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum 50. NATO-Geburtstag. Doch niemand war zum Feiern zumute. Der Jubiläumsgipfel der NATO sollte ein neues strategisches Konzept und die Ausweitung des NATO-Einsatzgebiets über die Grenzen des Bündnisses hinaus beschließen. Doch wer nimmt die NATO als Militärbündnis noch ernst, so die Sorge der US-Administration, wenn der Krieg gegen Milosevic mit einer Niederlage oder einem schmählichen Rückzug endet? So meint Ivo Daalder, ein ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates: "Wir können uns ein zweites Bosnien nicht leisten. Wir müssen Kosovo zurückerobern, sonst ist das das Ende der NATO."

Präsident Clinton, der sonst wenig Scheu vor der öffentlichen Auseinandersetzung zeigt, hat sich erst relativ spät zu einer Unterstützung für die Luftschläge entschieden. Lange Zeit zeigten die Umfragen, daß die Mehrheit der Amerikaner gegen ein militärisches Abenteuer in einem Landstrich, den die meisten nicht einmal auf der Karte finden würden, eingestellt war. Clinton, der Umfragen liest, und wußte, daß auch der Kongreß einem Militäreinsatz kritisch gegenüberstand, zögerte. Seitdem ist es Vizepräsident Gore, der die Angriffe im Fernsehen verteidigt. Gore war selber in Vietnam und hat außenpolitisch in den vergangenen sechs Jahren Erfahrungen sammeln können. Clinton schickt Gore an die Medienfront, weil er selber - nicht unähnlich dem deutschen Bundeskanzler Schröder - nicht als "Kriegspräsident" erscheinen möchte und Gore sich damit profilieren kann.

Der große Verlierer des Balkankrieges könnte George W. Bush, Sohn des ehemaligen Präsidenten George Bush, heißen. Der Gouverneur von Texas hat keine außenpolitische Erfahrung und sich deshalb aus der Kommentierung des Kriegsverlaufes weitgehend herausgehalten. Das Wallstreet Journal, normalerweise auf der Seite von Bush zu finden, wirft ihm zur Kosovofrage schon "beinahe clintoneske Ausweichmanöver" vor. Bushs großer Vorteil im Rennen gegen Al Gore, seine natürliche Art, ernst und "präsidentiell" zu wirken, beginnt zu schwinden.

Sieger des Imagewettbewerbs: "Welchen Präsidenten wünschen wir uns in Krieg und Krisen?" ist Senator John McCain aus Arizona. McCain bringt eine hohe persönliche Glaubwürdigkeit mit. McCain war Gefangener in Vietnam und weigerte sich, das Gefängnis in Hanoi ohne seine Kameraden zu verlassen, als sein prominenter Vater, damals ebenfalls Senator, sich bei der vietnamesischen Regierung erfolgreich für ihn einsetzte. McCain befürwortet das Recht auf Abtreibung und strengere Kontrollen für Tabak und Schußwaffen. Gemäßigte Demokraten lieben ihn dafür. Die republikanische Rechte traut sich nicht, ihn zu kritisieren, denn das amerikanische Volk steht nun einmal auf Kriegshelden.

Patrick J. Buchanan, ehemaliger Redenschreiber von Richard Nixon und mehrfacher Präsidentschaftskandidat des rechten Randes, profiliert sich unterdessen als Frontmann der Isolationisten. In einem Kommentar für die Washington Post verstieg sich Buchanan sogar dazu, Fürst Bismarck mit der Aussage zu zitieren, der gesamte Balkan sei nicht die Knochen eines einzigen Pommeraner Grenadiers wert. Dieser Meinung ist auch Buchanan, der nach eigener Aussage aus dem Vietnam-Krieg gelernt hat, daß Amerika nie wieder einen Krieg ohne die Rückendeckung der Bevölkerung führen soll. Deren Meinung hat sich aber unter dem Eindruck der Flüchtlingsbilder im Fernsehen gewandelt.

In der Ablehnung des Kriegseinsatzes im Kosovo tut sich, ähnlich wie in Deutschland, eine Zweckkoalition aus Rechten und Linken zusammen. Julienne Smith, Chefanalytikerin des friedenspolitischen "Thinktanks" BASIC, argumentiert ähnlich wie viele deutsche Linke, daß der Kosovo-Konflikt nicht wichtiger sei als ähnliche Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan oder Tschetschenien. Ein Eingreifen sei deswegen nicht gerechtfertigt.

Viele amerikanische Linke glauben, daß die NATO auf der Suche nach einer neuen Mission in den Zeiten nach dem Kalten Krieg den Kosovo-Konflikt bewußt angeheizt hat, um anschließend modellhaft ihre neue globale Rolle, auch außerhalb der NATO-Grenzen, zu demonstrieren.

Ähnlich wie in Deutschland unterstützt die Mehrzahl der Menschenrechtsorganisationen, unter der Führung des "Balkan Action Centers", den NATO-Einsatz im Kosovo. Insgesamt findet die Debatte zwischen Pazifisten und Menschenrechtsadvokaten innerhalb der amerikanischen Linken jedoch ein vergleichsweise geringes Echo in der breiteren Öffentlichkeit, worin sich die zunehmende Marginalisierung der Linken in der Clinton Ära, sowohl außerhalb als auch innerhalb der Demokratischen Partei spiegelt.

Waren nach CNN-Angaben anfangs nur 44 Prozent aller Amerikaner für einen Lufteinsatz im Kosovo, unterstützten nach einer neuen Umfrage des Fernsehsenders ABC Mitte April schon 68 Prozent den Waffengang. Über die Hälfte befürwortet den Einsatz von Bodentruppen.

Der Kosovo hat die Amerikaner daran erinnert, daß Krieg ein ernsthaftes Geschäft ist. Während der Luftschläge gegen den Irak im vergangenen Jahr stand die CNN-Berichterstatterin Christiane Amanpour auf dem Dach ihres Hotels in Bagdad und kommentierte das fröhliche Feuerwerk im Hintergrund. Amanpour hat Einreiseverbot nach Serbien bekommen und führt Flüchtlingsinterviews an der mazedonischen Grenze. In Belgrad selbst darf ihr Kollege Brent Sadler per Telefon die Bilder des serbischen Fernsehens kommentieren.

Aus CNN-Perspektive ist der Krieg in Serbien kein irreales Videospiel wie die letzten Angriffe auf den Irak. In den Bildern des serbischen Fernsehens weinen serbische Mütter, brennen Häuser und liegen die Trümmer des angeblich unsichtbaren Wunderbombers Stealth auf der Erde. Außerdem sind da die Flüchtlinge. Die Fernsehbilder von der mazedonischen Grenze berühren viele Amerikaner persönlich. Die USA sind das Land der Flüchtlinge und Immigranten. Viele Menschen haben in ihrer Lebensgeschichte Vertreibung und Genozid miterlebt. Vor allem die einflußreichen jüdischen Organisationen stützen in ganzseitigen Zeitungsanzeigen die Argumentation des Präsidenten, daß es im Kosovo darum geht, Milosevic an einem erneuten Völkermord in der Mitte Europas zu hindern. Die Familie von Außenministerin Albright ist im Holocaust umgekommen.

Eine kleine Arabeske am Rande, die verdeutlicht, wie sehr der Krieg in den USA inzwischen ein Medienereignis mit teilweise absurden Zügen ist. Die tägliche Live-Übertragung des Brüsseler NATO-briefings erzielt inzwischen die höchsten Einschaltquoten im für die Werbewirtschaft so wichtigen Frühstücksfernsehen. Einen möglichen Grund dafür verriet mir vor einigen Tagen eine amerikanische Journalistin: Die sexy Ausstrahlung und der wunderbar britische Akzent von NATO-Sprecher James Shea.