Der Mythos Greenpeace und das Lob der privaten Helfer

Caroline Fetscher

Soweit ist es: Die Regenbogenpresse ehrt die Regenbogenkrieger. Mitte Februar 1996 wird "Greenpeace" auf einer Gala der Springer-Zeitschrift Hör zu in Berlin mit der "Goldenen Kamera" bedacht. Das ZDF dokumentiert, wie im Festsaal eine internationale Umweltorganisation die aktuelle Fernseh-Ernte ihrer Popularität und ihres Populismus einfährt, und Thomas Gottschalk moderiert.

Während sich Bühnenmitarbeiter der Gala vor der Kamera à la Greenpeace-in-action von der Decke der Festhalle abseilen, ist dafür gesorgt, daß das prominente Publikum vom Sessel aus den Thrill eines Rainbow-Scenarios live miterleben darf. Großleinwand-Szenen der bereits legendär werdenden Brent-Spar-Aktion untermalen diesen Teil der Zeremonie, die Greenpeace-Chefs bedanken sich, und wieder einmal nehmen Millionen Bundesbürger das Markenzeichen Greenpeace zur Kenntnis, im Kontext ganz genregemäß: mit der Kamera, wegen der Kamera, der Goldenen sogar, und durch die Kamera. "Solange es Euch gibt", schwärmt eine Gala-Dame, "ist die Welt noch nicht verloren!"

Greenpeace selbst hatte dieselben Filmszenen der Schlacht um die Brent-Spar anläßlich einer internen Feier in Hamburg zum Erfolg der Aktion im Sommer zuvor seinen Mitarbeitern auf Video gezeigt - begleitet allein von Wagnerklängen. Soweit geht das ZDF zwar nicht, doch deutlich wird, daß Greenpeace-Aktionen nun neben Anthony Quinn oder Jodie Foster, als Hollywood-Attraktionen, ebenbürtig rangieren.

Solche allgemeine Begeisterung sollte uns, in Deutschland zumal, stets einigermaßen skeptisch stimmen. Gleichwohl gab es hier im "Öko-Sommer" 1995 wenige differenzierende Kommentare zum Geschehen, und eine angegrünte Einheitsfront von taz bis Bild, von CDU- und sogar PDS-Parlamentariern bis hin zum Bundeskanzler persönlich, sang unisono das Lob der "mutigen Männer und Frauen von Greenpeace".

Auch wenn der nahezu kindliche Überschwang, mit dem die grünen Krieger gefeiert wurden, am Ende des Sommers ein wenig umschlug in Enttäuschung - die Brent-Spar war gar nicht so ölverseucht, wie man geglaubt hatte, und die grüne Friedens-Flotilla hatte Chiracs Marine dann doch nicht endgültig von ihren Plänen abhalten können -, offenbarte sich gerade in der Enttäuschung noch einmal die problematische Heilserwartung, mit der Greenpeace bei Massen und Massenmedien libidinös besetzt ist.

New Mushrooms

Im Kielwasser der ikonisierten Schlauchboote badet der öffentliche Diskurs in einem neuen, ellenlangen Kompositum: "Nichtregierungsorganisationen" (NRO) oder "Nongovernmental Organisations" (NGOs), wie Greenpeace und Amnesty International, avancieren in den bürgerlichen Politfeuilletons zu "Hoffnungsträgern", die evangelischen Akademien bieten für 1996 mehrere Tagungen zum Thema NGOs an, und die Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie fragt auf einem Kongreß mit dem Titel "Wohin geht die Hoffnung? Politische Utopie in der Krise" im Dezember 1995 in Mannheim unter anderem nach NGOs als Vorboten einer neuen Utopie.

Was will dieser Diskurs? Was weiß er von sich und seinem Sujet? Um die politische Frage, die sich hier stellt, auch politisch zu verstehen, sollte man sie der Übersicht halber zumindest in einige relevante Teilfragen auffalten:

-- Was ist eine NGO?

-- Was ist Greenpeace?

-- Ist Greenpeace ein Blueprint für andere NGOs?

-- Welche politische Rolle sollten NGOs bei der Demokratisierung oder in einer Demokratie spielen?

In den Lexika zur Terminologie der Politikwissenschaft sucht man meist noch vergeblich nach der Bezeichnung "NGO". Doch in der Öffentlichkeit hat sich inzwischen durchaus schon eine Vorstellung von "NGOs" formiert.

Im August 1995 ortet ein Zeit-Dossier bei den NGOs "private Helfer", die sich "angesichts der Last der Welt" gegen "die drohende Katastrophe stemmen": "Greenpeace gegen Shell und Frankreich. Amnesty für Menschenrechte. Terre des Hommes für die Armen - private Organisationen nehmen Einfluß auf die Weltpolitik", konstatieren die Autoren und folgern: "Zwischen Markt und Staat erstarkt eine dritte Kraft". Die große schwarzweiße Zeit-Graphik dazu zeigt eine umgestürzte Pyramide - das Themenspektrum jener "Internationale" illustrierend - mit den eingemeißelten Inschriften: "Menschenrechte, Elend, Frieden, Hunger, Umwelt, Armut". Überall auf der Erde, insbesondere in Diktaturen, so erklärt das Dossier, erschienen NGOs, die "lange Zeit nur geheimer Trampelpfad zu den Bedürftigen, vornehmlich in Diktaturen" waren, heute als "neuer Königsweg" der Politik.

"Last", "Elend", "Kraft","Katastrophe", "Königsweg": die Diktion ist schwer und klassisch, die Analyse des Themas scheint noch schwerer.

Im Wortschatten der großen NGO-Schilder, die sie zu Beginn aufstellen, porträtieren die Zeit-Autoren exemplarisch für ihre "Neue Internationale" eine Reihe tapferer, kleiner NGOs in Brasilien, und stellen deren "Projekte" und "Kampagnen" - Schlüsselbegriffe der NGO-Arbeit - für die Verdammten dieser Erde vor; Unternehmungen zur Rettung crackdealender Straßenkinder, Plädoyers für Kleinkredite und Kläranlagen in Slums der "Dritten Welt", Aktionen für entrechtete Frauen und zur Förderung der Menschenrechte in Diktaturen.

Beeindruckend sind die Statistiken, die das weltweit beobachtete, sprunghafte Anwachsen der NGOs, im UNO-Jargon als "mushrooming" bezeichnet, widerspiegeln. Von den Zeit-Autoren werden die Zahlen als Zeugen für eine Art Zeitenwende und die wachsende Macht jener "Neuen Internationale" zitiert. Zum Beispiel: 1,4 Milliarden Mark Spendengelder sammelten deutsche Entwicklungs-NGOs allein im Jahr 1993. Neun bis zehn Milliarden Dollar im Jahr, geerntet von rund 3.000 Nord-NGOs, fließen in die Länder der Südhemisphäre des Globus, alles Gelder, die der wohlhabende Norden freiwillig und zusätzlich zu seinen Steuern für die Armen im Süden abzweigt - und für die Verwaltungsapparate der NGOs beider Hemisphären.

Mit dem Mythos Greenpeace, der den Anstoß zu den Überlegungen der Medien gibt, und aus dem sich die Überschriften speisen, sind die meisten dieser Mushrooming Groups allerdings nur bedingt verwandt.

Wie in der Spiegel-Publikation vom November 1995, "Die Macht der Mutigen. Politik von unten", dienen auch der Zeit typischerweise die prominentesten Repräsentanten der großen, westlichen Flaggschiffe der NGO-Szene, Greenpeace und Amnesty International, als Vorwand und Vordergrund für das Zeichnen eines Politgemäldes, dessen Fonds ein Pattern aus kleiner Schrift mit dem seriell wiederholten, magischen Akronym "NGO" bildet.

NGOs - Tutti frutti

Was also sind NGOs? Nongovernmental Organisations heißen alle nichtstaatlichen, mithin privaten, Organisationsformen von Bürgerzusammenschlüssen. Es handelt sich also um Vereine, Interessensgruppen, Bürgerinitiativen, political pressure groups, karitative Einrichtungen oder Selbsthilfeclubs. Die politischen Charaktere solcher Gruppen sind weltweit so heterogen, daß die Rede von einer "Internationale" bereits irreführend ist. Auch der Grundtenor der NGO-Debatte, der, etwa in der Zeit, impliziert, es gehe den meisten Gruppen um altruistische, "helfende", "rettende" Ziele, ist ebenso problematisch wie unhaltbar. Er sagt womöglich mehr aus über die selektive Wahrnehmung und die Wünsche der Schreibenden als über den Stand der Dinge.

NGOs spielen derzeit in verschiedenen Gesellschaften weltweit ebenso unterschiedliche Rollen, wie die Bedingungen ihres Entstehens sich grundlegend unterscheiden. Wo etwa Demokratie ein Desideratum ist, wie in den meisten nachkolonialen Gesellschaften der südlichen Hemisphäre, repräsentieren NGOs oft die einzige legale Alternative zu einer nichtexistenten (parlamentarischen) Opposition, und werden in solchen Kontexten häufig auch außerhalb des betreffenden Landes, im Exil gegründet; so etwa die "Coalition of Nigerian Democrats in Germany" und ihre Partner-Organisationen in Großbritannien.

In Osteuropa übernehmen NGOs, dort, wo das Mißtrauen gegenüber Behörden und Funktionären noch zu groß ist, derzeit oft die Funktion von Hebammen der Demokratie und verstehen ihre Arbeit als Beitrag zum Brückenschlag zwischen zwei Systemen und Epochen. Häufig wird dabei von den NGOs als Mittlern in einer politischen "transition-period" gesprochen, die mit dem Aufbau demokratischer, öffentlicher Institutionen einhergeht oder ihn systematisch vorbereitet.

In südostasiatischen Ländern, wie auch in Südamerika und Afrika, ist das Gründen einer NGO oft die einzige verzweifelte Antwort auf die Konsequenzen der Rücksichtslosigkeit regierender Eliten, auf Korruption, Demokratiedefizit und den von brutaler Kapitalisierung verursachten Verlust gesellschaftlicher Solidarität und sozialer Empathie. Wie die offizielle Entwicklungshilfe kämpfen die NGO-Szenen ihrerseits oft mit tribalistischen Strukturen, während sie diese zugleich selbst ebensooft abbilden. So wird am eklatanten Beispiel der nigerianischen Ogoni, die sich gegen den Raubbau des Shell-Konzerns und gegen die Militärdiktur in ihrem Land einsetzen, deutlich, daß politische Forderungen häufig primär auf die eigene Ethnie bezogen bleiben.

Wo ein Aktivist, wie der im November 1995 ermordete Ken Saro Wiwa, die Tribalisierungen aufzubrechen sucht, wird er sofort ungleich gefährlicher für ein herrschendes Unrechtsystem.

Selten jedoch greift die Arbeit der NGOs unmittelbar das System an. Regional und lokal operierende NGOs, gern im Verein mit Nord-NGOs als Partnern und Sponsoren, oder auch unterstützt durch Weltbank, IMF und nördliche Entwicklungsministerien, fungieren viel eher als chronische, weitgehend rechtlose, inoffizielle Statthalter für fehlende, offizielle, demokratisch kontrollierte Institutionen. Sie springen in die Bresche, wo dysfunktionale Verwaltungsapparate existieren, und sie bieten Alibis oder stellen Lückenbüßer für fehlende Sozialsysteme.

Im Norden hingegen zeigt NGO-Arbeit in den meisten Fällen ein anderes Gesicht; wenn sie auch zunehmend (wieder) eine ähnliche gesellschaftliche Funktion bekommt wie die ihrer Süd-Pendants.

Während man sich im Süden oder Osten um Projekte in der eigenen Region bemüht, finden sich im Norden vor allem NGOs und NGO-Netzwerke, die sich um den Rest der Welt, mithin vor allem um den ärmeren Süden, kümmern. (Wie seltsam dies mitunter dem Süden erscheint, illustriert der Scherz eines kamerunischen Delegierten am Rande einer UNO-Konferenz zum Artenschutz, Ende 1994. Angesichts der zahlreich vertretenen, selbsternannten Nord-NGO-Anwälte für tropische Flora und Fauna, kündigte er seinen - absurd klingenden - Plan an, eine NGO "zum Schutz der europäischen Bieber oder der Rotkehlchen" zu gründen und dafür in Kamerun Spenden an Land zu ziehen.

Im Norden allein finden sich die Hauptquartiere der Öko-Globalisten wie Greenpeace, World Wide Fund for Nature oder Friends of the Earth sowie jene der internationalen Menschenrechts-Organisationen wie Human Rights Watch, Oxfam und Amnesty, die meisten von ihnen in Amsterdam, London oder nahe dem europäischen UNO-Sitz in Genf, einige aber auch in Washington und New York.

Zur Genese der NGOs

Zwar blickt die Menschenrechts-Bewegung auf eine ältere Tradition zurück, als die jüngere Öko-Bewegung, doch auch diese besitzt mehr Vorfahren, als im Allgemeinen vermutet wird.

In Großbritannien haben NGOs, dort heute insgesamt noch "Registered Charities" genannt, ihren Ursprung, wie der Name verrät, in karitativen Impulsen. Charities entstanden, als wohlhabende bürgerliche Damen oder spendable Adlige den Verelendeten des Dritten Standes gelegentlich und nach eigenem Gutdünken unter die Arme griffen, Charity-Dinners und Tombolas inszenierten, und die Erlöse stifteten, wie es uns Princess Dianas so wackere wie prestigeträchtige "activities" in Großbritannien noch heute vorführen.

Diese Sozialarbeit als Hobby der Upper class erfüllte damals im Norden, neben einem humanitären, einen weiteren Zweck, ähnlich dem, den ihr heutiges Pendant im Süden häufig, ob bewußt oder nicht, verfolgt: das Lindern unmittelbarer Not bei unbedingtem Erhalt des Status quo, also der Klassengrenzen und der Vermögensverteilung.

Ein wenig anders liegt, nicht allein in England, der Fall der Naturschutz-Charities. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben amerikanische und britische Charities ihr Betätigungsfeld ausgedehnt auf den Schutz von Fauna und Flora. So entstehen in England, Schottland und Wales unter anderem Vogelreservate als Birdwatcher's Paradise. Heute wird der Unterhalt und Neuerwerb dieser enormen Territorien zum Beispiel mitfinanziert von der größten und reichsten englischen NGO, der RSPB (Royal Society for the Protection of Birds), die in dem relativ wirtschaftsschwachen Großbritannien jährlich viele Millionen Pfund an Spenden in ihre Bücher schreibt.

In den USA reicht die Geschichte heutiger Naturschutz-"NGOs" (als Club, Foundation, Society etc.) oft bis ins 19. Jahrhundert zurück. Sie beruft sich auf naturromantische Individualisten und Schriftsteller ebenso wie auf landschaftsbewußte, wildhegende Hobbyjäger, wie man sie noch heute unter den Freunden der prestigereichen NGO Sierra Club finden mag. Hauptverdienst dieser Bewegung in den USA ist das Einrichten großräumiger Nationalparks und differenzierter Schutzbestimmungen für Arten und Landschaften ("Biotope").

Beerbt haben bestehende NGOs auch andere politische Bewegungen, darunter nicht nur die sogenannten Abolitionisten, die Gegner der Sklaverei in den USA, sondern auch die Suffragetten und die frühen Pazifisten. Ganz selten trifft man auf UNO-Konferenzen traditionelle Feministinnen, gern aus Schweden, der Schweiz oder den USA, die sich darauf berufen können, daß ihre Organisation Ende des vergangenen Jahrhunderts gegründet wurde. Meist jedoch sind die heutigen Menschenrechts-NGOs jüngeren Datums.

Mit Sicherheit verdanken die sogenannte Dritte-Welt-Bewegung und ihre zahllosen NGO-Satelliten ihr Entstehen nicht allein den intellektuellen, französischen Kolonialkritikern des Mutterlandes, den "Tiermondisten", zu denen auch Sartre zählte, sondern auch, unter anderem, der amerikanischen Bürgerbewegung gegen den Vietnam-Krieg. Solche außerparlamentarische Opposition würde man heute wahrscheinlich als "NGO-Netzwerk" bezeichnen. Ihrem Charakter nach war sie allerdings, ebenso wie die deutsche APO, stark verschieden vom Gros heutiger NGOs.

Wer damals als "außerparlamentarische Opposition" dem Staat einheizen wollte, indem er sich mit einem Megaphon neben diesen, außerhalb, stellte, war, im Gegensatz zu heutigen NGOs, explizit und kritisch auf den Staat bezogen.

Heutige NGOs hingegen argumentieren in erster Linie nicht zu Themen wie System und Staat. Ihre Priorität ist meist ihr partikulares Anliegen, das sie mitunter verbal mit weitreichenderen, etwa wirtschaftspolitischen oder legislativen Forderungen verknüpfen. Doch viel eher als Systemkritik impliziert die Negation "non-governmental", eine stille Akzeptanz des bestehenden staatlichen und vor allem wirtschaftlichen Systems mit seinen Mängeln oder Vorzügen, um in einem nichtstaatlichen, klar als "privat" zu definierenden Bereich zu agieren: jenseits, nicht außerhalb der Institutionen.

Beiden Hauptsektoren der NGO-Arbeit, dem humanitären wie dem ökologischen Sektor, geht es um Reparaturen am System oder um karitative und grüne Ziele, und implizit eher um Konformismus, als um Konfrontation. Die Londoner Gruppe "African Rights" kam in einer Studie von 1995 zu dem Schluß daß "aid", also humanitäre Hilfe, bestehende Konflikte sogar anheizen und fortpflanzen kann. Der Studie zufolge verlassen sich immer mehr Konfliktparteien und Regierungen darauf, "daß schon irgend jemand kommen wird", der Medikamente, Nahrung, Zelte und so fort bringen wird, und daß so in manchen Fällen die Notwendigkeit außer acht gelassen wird, zum Ende des Konflikts gelangen zu müssen. Sie kommt ferner zu dem Schluß, daß streitende Parteien die Aid-worker der privaten Hilfsorganisationen nicht nur in ihr Kalkül einbeziehen, sondern Aid-Posten lukrativ für sich zu verwenden wissen, sie weiterverkaufen, veruntreuen, nicht an die Adressaten gelangen lassen. Da Hilfsorganisationen sich, wie das halbstaatliche ICRC (Internationales Rotes Kreuz), per definitionem politisch neutral verhalten müssen, sehen sie sich oft gezwungen, Kompromisse mit der jeweils stärkeren Partei einzugehen - etwa bei Fragen von Transport, Infrastruktur, technischen Diensten, Wasser, Elektrizität, Telekommunikation -, um überhaupt vor Ort wirken zu können.

Inzwischen haben viele der betroffenen Aid-Empfänger längst gelernt, diese Agenten in ihr Spiel zu integrieren.

Auch in der Entwicklungshilfe wird seit einigen Jahren beobachtet, daß Antragsteller im Süden wissen, was im Norden Mode und gefragt ist. So werden Projekte mit den Etiketten "ökologisch" oder "frauenspezifisch" gern gefördert, und die südlichen Anträge werden, auf dem Papier, diesen Bedürfnissen des Nordens geschickt angeglichen.

Dabei entstehen erneut komplexe, ironische Abhängigkeitsstrukturen, die zu durchschauen ortsfremden Projekt-Gutachtern oft mißlingt.

Manch wildes Motiv

Mit der Popularisierung der Dritte-Welt-Diskussion in den siebziger Jahren hat sich ein Zug der NGOs im Norden verstärkt oder auch verzerrt, der dem privaten Helfer-Busineß wahrscheinlich stets schon als Beiwerk zugesellt war: der Genuß der selbsterwählten Anwaltschaft für Ärmere, Leidende, "Unterentwickelte" und Bedrohte.

Gruppen, die sich als Sponsoren und Retter betätigen und sich vielleicht als "Adoptions-NGOs" bezeichnen ließen, nehmen sich geographisch fernliegender Probleme als Paten, Ersatzeltern oder Vormünder an und gewinnen auf diese Weise ein besetzbares, im allgemeinen abhängiges "Liebesobjekt".

Unter Mithilfe von Spendern "adoptieren" sie etwa ein Stück Regenwald in Costa-Rica, ein Berggorilla-Projekt in Ruanda, eine Zahnarztpraxis in einem Elendsviertel oder einen Brunnen in der Sahelzone oder aber auch gleich ganz Nicaragua oder ganz Burma oder alle teppichknüpfenden Minderjährigen in Pakistan oder alle Mitglieder eines "bedrohten Stammes", wie die Yanomami oder die Kayapo im Amazonasbecken: "adopt-a-child", "adopt-a-tribe", "adopt-a-project", "adopt-a-prisoner", "adopt-a-country", "adopt-a-tree", "adopt-a-forest" und schließlich "adopt-the-globe".

Adoptions-Objekte können Glück oder Pech haben, je nachdem ob sich für sie und ihr Anliegen gerade ein Fan-Club zusammenfindet oder nicht. So hatten etwa die Anti-Shell-Campaigner in Nigeria kein Glück, als sie auf Solidarität von Nord-NGOs hofften, und diese, insbesondere Greenpeace, in ihrem Prostest gegen Shell mit einer Ölplattform in der Nordsee beschäftigt waren, während nigerianische Oppositionelle und Intellektuelle in den Gefängnissen der Militärdiktatur auf ihre Hinrichtung warteten.

Die "Coalition of Nigerian Democrats in Germany" wandte sich am 9. Februar 1996 mit einem Brief an Greenpeace, worin es wörtlich hieß: "Warum macht Ihre Shell-Kampagne vor Nigeria Halt? War denn die Brent-Spar-Aktion vor allem ein Reklame-Coup?"

Der Vorwurf ist sicherlich richtig. Doch eine Rechtsgrundlage gegenüber Greenpeace, einer NGO, für das Einklagen solcher Solidarität haben die nigerianischen Oppositionellen nun einmal nicht, und Greenpeace kann es sich leisten, auf den Brief nicht zu antworten. Greenpeace hat eben nicht Nigerias Demokraten adoptiert, sondern die Nordsee, und jede NGO darf ihre Prioritäten - anders als ein demokratischer Staat - setzen, ändern, oder sogar vernachlässigen, wo immer sie möchte. Eine Kontrolle findet nicht statt, allenfalls, durch die Behörden, die Kontrolle des Finanzgebarens.

Warum aber adoptiert wer wen oder was? Offenbar ist tätige Adoptions-Freude im NGO-Busineß fast immer mit mangelhaft bewußten Motiven verknüpft. Die Psychologie des NGO-Retters ist bisher nur in Ansätzen geschrieben worden, klar aber scheint, daß Projektionen eigener Sehnsüchte sich an die Identifikation mit "natürlicher Unschuld", etwa des guten Wilden oder des unberührten Waldes, wenden können, daß in ihnen aber auch weniger harmlos regressive Tendenzen, wie etwa Omnipotenz- und Grandiositätsphantasien, eine Rolle spielen.

Die Bühnen dieser Projektionsräume scheinen voll besetzt, und die Akteure spielen ihre Dramen nicht selten im Halbdunkel der eigenen Erkenntnisscheu. In diesem Dämmerlicht gedeihen wahrscheinlich auch die Manipulationsbereitschaft, der bisweilen beobachtbare trotzige Empörungsgenuß sowie die politische Unreife mancher NGOs im Norden.

Bereits zu Zeiten vor der Ausformung der Charities in ihrer heutigen Struktur waren kritische Geister darauf aufmerksam geworden, daß die Motivation zur Arbeit an karitativen Zwecken prekären Quellen entspringen kann. So mokierte sich Henry James Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Roman The Bostonians über die Psycho-Dialektik einer Aktivistin der philantropischen Abolitionist-Bewegung, nach der Abschaffung des Sklaven-Status ihrer einstigen Rettungsobjekte:

"Since the Civil War much of her occupation was gone, for before that her best hours had been spent in fancying that she was helping some Southern slave to escape. It would have been a nice question whether, in her heart of hearts, she did not sometimes wish the slaves back in bondage."

A nice question indeed. James schreibt dies, wie seinen ganzen Roman über die Charity-Mitarbeiter und privaten Berufsreformer, ein wenig amüsiert. Er weiß, daß es bei solchem helping to escape weniger um den respektvollen Schutz eines geliebten anderen Menschen oder einer Gruppe von anderen geht als um die Helferfreude per se, um die Grandiositäten, das Sichverlieren im Hilfsobjekt, das Überlegensein, kurz, die Verschiebung eines Impulses, einer eigenen Not. Als das Objekt - der befreite Sklave - schließlich das Kampagnenziel erreicht und einen Raum um sich gewinnt, ist dieser Raum für die Befreier bedrohlich, sie verlieren ihre "Berufung", und das nichtkongruente Verhältnis droht sich in unbekannte Kongruenz hineinzubalancieren, die gewohnte Schräglage fehlt.

Doch muß hier auch hinzugefügt werden, daß manche der professionellen NGO-Mitarbeiter ihre Disposition inzwischen zunehmend reflektieren, während Pragmatismus und Distanz sie ablösen. Im Charakter der helfenden NGO selbst sind diese Motivketten dennoch nicht abgeschafft, und kritische Mitarbeiter müssen sich nicht selten gegen die immer wieder neu gegen sie anbrandenden Schuld- oder Manipulationsschübe wehren, die die Arbeit in ihrer Organisation in ihnen hervorruft.

Ich erwähnte dieses psychische Dilemma unter anderem, weil es indirekt auch einige Rückschlüsse zuläßt auf das politische Dilemma, in der sich zahllose, nördliche NGOs befinden oder befinden können.

Das manifesteste Beispiel intrapsychischer sowie sozialer Macht- und Schuldmotivik wird man am ehesten dort erleben, wo NGOs nicht nur ein bescheidenes kleines Projekt sponsern, sondern mit dem Adoptieren und der Anwaltschaft für das Bedrohte Gute und Ganze am schärfsten ernst machen: bei den international operierenden "Adopt-the-Globe"-Organisationen, die per Programm "die ganze Welt retten" wollen. Bei Greenpeace etwa oder auch beim World Wide Fund for Nature, der intern gar für sich und seine Mitarbeiter die auf eine gewisse Regressionsbereitschaft und einen gewissen Sektencharakter deutende Selbstbezeichnung "The Family" eingeführt hat.

Man vernimmt in diesen Organisationen Fortissimo-Akkorde einer megalomanen Partitur, wie man sie aus der Psychiatrie kennt. Transponiert in die Form des organisierten Rettens klingen sie gleichwohl gezähmt und als unauffälligeres Mezzoforte. Die lautetste, einflußreichste unter den Adopt-the-Globe-Organisationen ist heutzutage sicherlich Greenpeace.

Greenpeace - Phänomen und Mythos

Wie kam das? Greenpeace formierte sich um 1971 aus der politischen Bewegung gegen den Vietnamkrieg im kanadischen Vancouver. Viele der frühen Mitstreiter waren damals, anders als heute, in hohem Maße politisiert und gleichermaßen am Beenden des Kalten Krieges und der Kritik US-amerikanischer Hegemonialbestrebungen interessiert wie am Verhindern von Atomtests in Amchitka - das erste Kampagnenziel, mit dem "Greenpeacer" antraten.

Da es hier um Greenpeace als NGO wie auch um den Mythos gehen soll, der Greenpeace für andere NGOs unkopierbar macht und dem die Medien aufsitzen, wann immer sie beide Phänomen parallel setzen, füge ich ein paar analytischen Notizen zu Greenpeace ein.

Zunächst: Was geschah im Sommer 1995? Zwar hatte man sich in den westlichen Industrienationen schon in fragloser Selbstverständlichkeit an die Existenz von Greenpeace gewöhnt, doch in diesem grünen deutschen Sommer schäumte die Gischt der Begeisterung so heftig um die Schiffe der Rainbow Warriors, daß die bürgerliche Öffentlichkeit, gleichermaßen fasziniert wie irritiert, endlich wissen wollte, in welche politische Kategorie Greenpeace eigentlich einzuordnen sei, und mit welchem Recht eine weder gewählte noch intern demokratisch strukturierte Organisation auf den Meeren der Weltpolitik so viele Wellen umpflügen darf.

Mit der bis dato relativ unbekannten Formel "NGO" war ein Anfang der Erklärung gemacht. Angewendet auf Greenpeace wirkt das Akronym erstmal erleichternd schlicht, vergleicht man es mit der gängigen Selbstbeschreibung der Organisation. Danach ist Greenpeace eine ökologische, regierungsunabhängige, nichtparteipolitische, gewaltfreie, international operierende, konkreten Kampagnenzielen und direkten Aktionen verpflichtete Umweltschutzorgansisation. Doch auch das besagt noch wenig, denn das Signifikante an der Organisation Greenpeace, besonders im Greenpeace gegenüber spendenfreudigsten Land Deutschland, ist inzwischen ihre nahezu mythische Qualität, eine populäre, systemkittende Ersatzreligion für alle Schichten der Bevölkerung anzubieten.

Blick zurück ins Grüne

Alles lag im argen, als sich ganz am Beginn der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland ein Ableger der US-kanadischen Öko-Organisation Greenpeace gründete. Die eindringlichste Erinnerung an die ersten Jahre bei Greenpeace in Hamburg ist das durchgängige Gefühl des Zorns auf "die Verantwortlichen".

Die Elbe war verseucht, die Fische starben, Schlote spien Gifte aus, die NATO wurde nachgerüstet, Bild druckte Lügen, die Universität schlief politisch ein, und niemand schien sich einen Dreck um den Dreck zu kümmern. Bald würde es also, das war irgendwie klar, nicht nur kein richtiges Leben im falschen mehr geben, sondern überhaupt kein "Leben" mehr - kein Grün, keine Fische, keine Flüsse.

Der Begriff "Leben" geriet in diesem Gefühl unter der Hand zu etwas gefährlich Transsozialem, Transpolitischem, er gerann zu einem ontologisierten Wert per se, doch das war wenigen auch nur ansatzweise klar.

Giftig hing ein ultimativ bedrohendes Kriminalitätsszenario über dem Horizont der Zukunft (und speiste sich, in Deutschland zumal, aus einem Reflex auf die jüngere Vergangenheit - doch das wußten wir nicht mehr so genau, das wußte, zuletzt noch, die verzweifelt-verblendete Rote Armee Fraktion).

Unsere revoltenlose Generation zwischen Achtundsechzig und Punk, hatte mit den großen Schlachten um Brokdorf, Wyhl und Gorleben begonnen, einem diffusen Generalfeind-Amalgam aus Staat und Industrie diffuse, oft adoleszent hellsichtige, aber ebensooft auch adoleszent fundamentalistische, biologistische Ideen entgegenzusetzen. Die überwiegend kleinbürgerlich bis bürgerlich geprägte Alternativ- und Friedensbewegung gruppierte sich, unter anderem, aus Lehrern und Studenten, Anarchos, ehemaligen K-Gruppen-Anhängern, Sozialarbeitern und so weiter, worunter sich nicht wenige zu ethno-komparatistischen Laien ausbildeten, meist zu "Indianer"-Freunden, wie ein Teil der Hippie-Bewegung in den USA. Alle wollten etwas ändern, aber wenig änderte sich nachhaltig. So wurde etwa keines der Atomkraftwerke wirklich verhindert.

Einige der Ungeduldigsten oder Radikalsten unter all diesen stießen in Deutschland ab 1981 irgendwann zu Greenpeace, denn da wurde "nicht nur gequatscht", wie in Seminaren oder Bürgerinitiativen. "Radikal" zu sein, die Wurzel, radix, der Mißstände anzupacken, hieß hinzufahren, wenn Atommüll ins Meer verklappt wird, zu protestieren, und zwar direkt, naiv, unbeirrbar, statt nur Flugblätter zu verteilen, auf Massendemonstrationen mitzulaufen oder Eingaben bei Behörden zu machen.

Es herrschte ein binäres "Us-and-Them"-Szenario. "Us", das waren die gewaltlosen, kämpferischen Wissenden mit einer "Vision", "Them" waren die staubiggrauen Staubverursacher und Umweltverbrecher jeder Couleur und Nation. Die Us-Group griff grenzenverachtend in Problemfelder ein, die ihrerseits vor Nationalgrenzen keinen Halt machten - Kontaminierung der Weltozeane, Schwinden der Ozonschicht, atomarer Fallout - die Them-Group diente dumpf dummen, destruktiven Interessen.

Der Kampf gegen diese konnte also nicht in die Parlamente oder andere Institutionen führen, sondern mußte in autonomer Selbstorganisation "ablaufen". ("Ablaufen", an sich eine eher automatische, unreflektierte Sache, etablierte sich bezeichnenderweise als eines der Lieblingswörter der Szene.) Was waren denn schon die Institutionen, die Behörden der real existierenden Demokratie? Doch nichts als eine Kaste blinder Bürokraten, korrupter Abkassierer, empfindungslos die Konsequenzen ihrer eigenen Schreibtischtäterei ignorierend.

Das Gegenszenario war dafür bunt und überzeugend. Als ich 1982 oder 1983 im Hamburger Hafen das erste Mal ein Greenpeace-Schiff anlegen sah, erschien es mir als das materialisierte Auftrumpfen der Machtlosen, ein fliegender Holländer gesellschaftlicher Utopie. Und zugleich war es wirklich: antizipierte, aus der Zukunft in die Gegenwart transponierte Zeit. Solche Bilder wirkten stark, und ihr Gehalt erschloß sich weniger in der Reflexion, als vielmehr überflutend und emotional.

Die konkrete Arbeit aber am Projekt Greenpeace geschah durchaus technisch und konsequent, ohne zuviel Reden, im Namen eines beinahe vollständig unausgeschriebenen, verbal bruchstückhaften Programms. Die Organisation war alles andere als intellektuell, in Deutschland sogar eher (traditionell) explizit intellektuellenfeindlich, auf der Hut vor "klugen Sprüchen".

"Ihr tut wenigstens was", anerkannten mehr und mehr mitempörte Durchschnittsbürger, und den Aktionen folgten immer häufiger eskalierende Spenden-Booms. Mit dem Geld kam mehr Macht, und während das Gefühl zorniger Ohnmacht dem der erfolgreichen Missionare wich, strukturierte sich die internationale NGO Greenpeace, insbesondere in Holland, Dänemark und Deutschland, allmählich zu einer länderübergreifenden, alternativen Bürokratie mit klaren finanziellen Effizienzkriterien und cleveren Werbestrategien.

Extern und intern werbewirksam blieb und bleibt dabei die ganze Zeit über ein Programmpartikel, das auf Buttons, T-Shirts und Aufklebern gedruckt, in Umlauf gebracht wurde. Dieses programmatische Motto mit dem leicht elliptischen Satzbau eignet sich stellvertretend recht gut dazu, in nuce die impliziten Aussagen der Organisation zu lesen:

"Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluß vergiftet,
der letzte Fisch gefangen,
werdet ihr feststellen,
daß man Geld
nicht essen kann."
Weissagung der Cree

In der klassischen Greenpeace-Ikonographie ist dieses Epitheton, das von den Native-Americans Cree stammen soll, eingefaßt von einem der traditionellen Cree-Kunst nachempfundenen farbigen Ornamentring. "Greenpeacer" nennen das Zeichen-Ensemble von Spruch und Abbildung "Totem", und weisen damit auf den ersten Aspekt der Imagologie von Greenpeace hin, dem durchaus eine genauere Analyse gelten sollte, als sie hier angedeutet werden kann: die konstruierte Ethnizität der Organisation.

Tatsächlich gehört ja zum Gründungsmythos der Gruppe das historisch bezeugte Ritual einer symbolischen Aufnahme früher Mitglieder in den nordamerikanischen "Indianer-Stamm" der Kwakiutl. Wer bei Greenpeace mitarbeitet oder mit der Organisation sympathisiert, erhält so die Mitgliedschaft in einem nicht näher definitionsbedürftigen tribal context zugesprochen.

Der Text des "Totem" weist Residuen einer politisch gefärbten, kapitalismuskritischen Grundeinstellung auf, wo er - mit Bitterkeit - darauf aufmerksam macht, daß Geld, das allgemeine Äquivalent nicht identisch ist mit Nahrung und Ressourcen.

Diese aber sind als Zeichen der "Natur" eben jene Instanzen, auf die sich der anonyme, durch Anführungsstriche als Zitat markierte "Spruch der Cree", beruft. Als Synekdoche stehen die Zeichen für die "Natur" als ganze, in deren Namen der Spruch sich selbst als ewige, deterministische, selbstevidente "Erkenntnis" spricht.

Ebenfalls anonym sind die Adressaten "Ihr", und von ihnen erfahren wir nur so viel, daß sie das offenkundige Geheimnis, das dem Sprecher oder den Sprechern bewußt ist, ihrerseits nicht kennen: Es geht um Erweckung, um Bewußtseinserhellung, und das im schlichtesten Gewand.

Impliziert in diesem bei näherem Hinsehen gleichwohl recht raffiniert gebauten Textpartikel ist mithin ein typischer, politisch paranoider Antagonismus von "Ihr" und "Wir". Auf dem Hintergrund der negativen, oft auch als "Prophezeiung" bezeichneten Utopie, die ja indikativisch davon ausgehen läßt, daß das von ihr Entworfene eintreten wird, entsteht ein süßsaurer Triumphgeschmack des Es-immer-schon-gewußt-Habens. Dabei scheint auch der Antagonismus zunächst deterministisch festgelegt: die das Wissen nicht haben, werden "es alles", so kann man mit nahezu sadistischer Genugtuung anmerken, erst kapieren, wenn es zu spät ist, dann, wenn sie sich die Zähne an ihrem Fetisch, dem Silbertaler, ausbeißen.

Moderat aufgehoben wird dieser bedrohliche Fatalismus durch die quasireligiöse Grundstimmung, die der Spruch auslösen soll. Noch nämlich gibt es eine Chance für die anderen: "Ihr" könnt alles einsehen, abschwören, zu "Uns" überlaufen und euren Geld-Fetischismus gegen unsere Naturverbundenheit eintauschen. Ein bißchen Erpressung, ein bißchen Versprechen, aber keine diskursive Option.

Hier liegt der Witz der Sache, und sein Text könnte etwa so lauten: Die Apokalypse droht, ihr wollt es nicht merken und wissen, wir hingegen ja, und das Us-and-Them-Szenario ist nur Schein: In Wirklichkeit gibt es nur eine Wahrheit, nämlich unsere, und in dieser Aussage ist die künftige, zwingende, lebensnotwendige Vereinnahmung von Euch bereits vorausgesetzt.

Es ist also weniger notwendig, sich auf eine lange parlamenthafte Debatte einzulassen, als vielmehr darauf zu hoffen, daß die mystische Erleuchtung auch den anderen zuteil werden wird, womöglich durch diese Prophezeiung. Dann, das ist der teleologische Hintergrund, werden alle eins und einig sein. Wozu also sich mit den Fährnissen der Alltagspolitik, der Verfeinerung und Radikalisierung der Demokratie befassen? Die wahre Welt wird eines Tages ohnehin grün sein und friedlich.

Das utopische Programm von Greenpeace offenbart sich noch verdichteter als in der "Weissagung der Cree" in dem programmatischen Namen "Greenpeace" selbst. Auch er ist eine semantische Injektion, deren Einstich die Rezipienten kaum noch bemerken.

Ein Name als Mikroprogramm: "Green" verweist auf die Naturhaftigkeit als Utopie, "Peace" auf eine damit einhergehende Utopie der Konfliktfreiheit. "Green" qualifiziert die Art und Weise des erwünschten "Peace", der mithin keineswegs als "Social" Peace entworfen wird, sondern als "Green" Peace, Friede mit und in der "Natur".

So gilt das Interesse der Organisation ausdrücklich nicht den Menschenrechten in Demokratien - oder in Ländern, wo diese noch nicht verwirklicht ist - und die einst unbedacht aufgenommene Satzungsklausel der deutschen Sektion Greenpeace e.V., nach der der NGO-Schwester Amnesty International bei Auflösung des Vereins das Vereinsvermögen zufallen sollte, wurde inzwischen gestrichen.

Womöglich ist dies ein weiteres Geheimnis des Greenpeace-Erfolgs: der radikale Verzicht auf direkte politische Aussagen weitet die Leinwand, auf welche die vagen Projektionen geworfen werden können, die ein märchenhaftes ikonographisches Programm aus Indianern, Schiffen, Wasser, Walen und Robben suggeriert.

Aus alledem hat sich ein gutgehendes Geschäft mit dem Ablaß entwickelt, und während die fundamentalistische Attitüde, mit der frühe Warriors sich freiwillige Konsumbeschränkungen und ein sühnendes Arbeitspensum auferlegt hatten, heute weitgehend historisch ist, hat sich die Kasse gefüllt. Währenddessen sind auch Kampagnen-Aussagen weniger mystisch, dafür kapitalismuskongruenter geworden. Nicht gegen das Geld und um jeden Preis wird heute mit Autoherstellern oder FCKW-Produzenten verhandelt, sondern um den Preis des jeweils bemängelten Produkts selbst - den in Geld ausgedrückten Preis und den sogenannten "Preis für die Umwelt", die jeweils grünere Ware.

Geblieben ist dabei, wie in nahezu allen Öko-NGOs, das Sichberufen auf "Natur" als oberste Instanz und somit auch die religiös-deterministische Komponente der Greenpeace-Ideologie, denn der Begriff "Natur" hat, das stellt nicht nur Norbert Elias fest, "massive metaphysische Konnotationen".

Die Tür zu einer Repolitisierung der Organisation ist unter diesen Umständen verschlossen, das Tor zum Mythos Greenpeace hingegen sperrangelweit offen.

In seiner mythischen Qualität ist Greenpeace bislang wohl als NGO einzigartig. Strukturelle Merkmale verbinden die Organisation allerdings dennoch mit den von den Medien zu ihrer Verwandtschaft gezählten anderen regierungsunabhängigen Organisationen der sogenannten "Internationale".

Der kommerzielle und mythische Erfolg von Greenpeace jedoch findet konsequenterweise Nachahmer weniger bei anderen NGOs, sondern in der kommerziellen Populärkultur. In jüngster Zeit hat sich ein Konstrukt aus dem amerikanischen Mainstream-Pop des gesamten ikonographischen Fundus von Ethnizität, Ahistorizität und Naturliebe bedient, den globale Ökogruppen als Bilderwelt anbieten.

In Michael Jacksons aus sentimentalen Szenen zusammengesampeltem Erfolgshit "Earth-Song" (1995) erscheint neben klassischen Greenpeace-Szenen von Robbenschlächtern und weißbepelzten Robbenbabys, neben Regenwaldfällern, hungernden Dunkelhäutigen und gejagten Elefanten irgendwann in einem subliminal cut, soweit ich erinnere, das Bild eines Greenpeace-Aktionsschiffes. Jackson hat also begriffen, daß Greenpeace den Mainstream-Popstar-Status für sich reklamiert, und daß er von dieser Mega-NGO etwas lernen kann. Man kann sich vorstellen, daß Jacksons Producer solche Filmsequenzen bei Greenpeace kaufen, und die Werbeagentur Greenpeace im Tausch dafür ihr Logo als subliminal cut im "Earth Song"-Video zugestanden bekommt. Sehr instruktiv führt "Earth Song" die Manipulation mit sozial entleerten, beliebig aufladbaren - zynischen - Zeichen vor.

NGOs entlasten, verschleiern und verschieben Notstände

Seit den frühen Tagen der Genese von Greenpeace auf den Endmoränen der Hippiebewegung hat sich die weltpolitische Situation verändert. Die meisten westlichen Industrienationen würden sich womöglich eine Art Greenpeace erfinden, gäbe es Greenpeace nicht.

Ein neoliberaler Industriestaat, der organisierten Öko-Protest zuläßt und, wie vor einigen Monaten, sogar von offizieller Seite sanktioniert, ist nicht schlecht bedient. Denn während dieser Protest das diskursive Potential und die kreative Kraft der Dissidenz aus politischen Debatten abzieht, verhüllt er auch die Frage nach Klassen- und Einkommensunterschieden zugunsten des großen, globalen Ganzen unter einem grünen holistischen Schleier.

Fragen, denen vielleicht Vorrang einzuräumen wäre vor den vom Brent-Spar-Öl bedrohten Nordseefischen, nämlich jene nach Arbeits- und Obdachlosigkeit, Rassismen und Marginalisierungen, haben das Nachsehen, solange die Sympathien und Spenden auf die grünen Töpfe zurollen, der Staat das Ökotheater lobt, und bei den Sozialabgaben spart: Spar-Politik auf grünem Schild.

Dafür treten ja unter Umständen ein paar unspektakulärere lokale NGOs auf den Plan, die die Sozialarbeit mit den aus dem Netz Gefallenen leisten. Anstelle des Ausbaus einer öffentlichen politisierten Sphäre der Partizipation, einer Agora als Ort der Diskussion und des Verhandelns, beobachten wir Ansätze einer politischen Ästhetik der Partikularismen.

In der Glasbranche nennt man das Einlöten von Bleistegen zwischen Glasmosaikfragmente, die so eine durch diese Streben fraktionierte Darstellung ergeben, "Cloisonnismus" - eine mittelalterliche Technik. "Gesellschaftlicher Cloisonnismus" der sogenannten Civil society, das entspräche dem intendierten Fragmentierenlassen der öffentlichen Sphäre, deren Schwächung durch das Aufsplittern in von Partikularinteressen geleitete, apolitische "Sekten" wie die wohlmeinende Organisation Greenpeace, die "wäre sie eine Partei", laut Emnid-Umfrage vom September 1995, von über 60 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung "gewählt" werden würde (die größte Akzeptanz findet sich dabei unter Republikanern und Grünen).

Sehen wir in den Bleistreben solcher Glasfenster die staatlich sanktionierten Kapitalflüsse, als selbstreferentiell und ungehindert um die gesellschaftlichen Inseln verschiedener Subgruppen oder Pseudoreligionen zirkulieren, dann wird deutlich, wie vorteilhaft die entpolitisierenden Szenarien für jene sind, die ihr Tun, insbesondere ihr Profitstreben, nicht zu legitimieren und zu reflektieren trachten.

Solcher Cloisonnismus, wenn auch hier in ein etwas polemisches Bild gesetzt, stellt in jedem Fall alles andere dar als ein für die Demokratie begrüßenswertes Zukunftsszenario.

Demontage der öffentlichen Sphäre

Nicht die "Utopie" befindet sich in einer Krise, sondern die Praxis der Demokratie. Sozialabbau und Mafia-Wirtschaft, Arbeitslosigkeit und politische Konfusion sind Zeichen dieser Krise, die von einem vorübergehenden kollektiven High wie der Greenpeace-Manie nur überblendet werden kann.

Diese Situation ist bedauerlich, denn die Demokratie hat den pragmatischen Vorteil gegenüber der Utopie, daß sie in vielen Ländern der Erde durch eine Verfassung verankert ist, und ihre zur Fortentwicklung und Partizipation fähigen Institutionen auf Rechtsbegriffen basieren, die weder ontologisch noch deterministisch sind, sondern schlicht und einfach akzeptable Verhandlungs- und Handlungsbedingungen für eine Gesellschaft bieten können.

Bei der großen Hoffnung, die derzeit in Kommunitarismus-Modelle, in die Selbstverwaltung von Minderheiten, die Autonomie der Schulen wie in die Privatisierung staatlicher Betriebe(!) gesetzt wird, überschneiden sich manchmal auf merkwürdige Weise linke "Autonomie"-Konzepte mit einer rechten Apologetik der "free-market-forces".

Auf den gesellschaftlichen Inseln dieser "Freiheit" aber laufen die NGO-Mitarbeiter als lokale oder globale Streetworker umher und arbeiten oft vergebens gegen die sich vielerorts ausbreitende Desintegration.

Wo nämlich der Staat, seine Beamten und seine Angestellten sich der Verantwortung entziehen, entsteht ein Vakuum, das unter anderem die NGOs füllen sollen (und Michael Jackson vielleicht). Viele Schulkinder lernen und wissen heute mehr über Greenpeace, Wale und Robben als über die Vereinten Nationen und Parlamentarismus, über Bürgerrechte, Wirtschaftskonzepte und lokale oder globale öffentliche Strukturen und Rechtsverhältnisse.

Und wo der amerikanische Kongreß den drohenden Konkurs der UNO - Defizit im Januar 1996: 3,3 Milliarden Dollar - tatenlos hinnimmt oder Bundeskanzler Kohl den Jubiläumsfeiern zum 50. Jahrestag der UNO ostentativ fernbleibt, für die Nordsee-Aktion einer NGO aber große Gipfel-Worte (G7 Gipfel in Kanada) findet, zeichnen sich durchaus Umrisse wenig demokratischer Allianzen ab.

So sehen der Greenpeace-Kritiker Frieder Dittmar (Spex und Beute) ebenso wie der Konkret-Autor Jürgen Elsässer in Greenpeace nicht zu Unrecht eine politisch willkommene "schnelle Eingreiftruppe" von Kanzler Kohl oder gar des "Weltgewissens".

"Freiheit ohne Bedingungen, Freiheit statt Sozialismus, Freiheit der Presse, der Unternehmer, der Berufswahl. Freiheit war bis 1989 der Kampfbegriff westlicher Politik, nach innen wie nach außen. Jetzt ist diese Freiheit durchgesetzt worden: als Armut, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Bezugslosigkeit, Anomie", analysierte 1993 der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen.

Zu den von Diederichsen genannten, vom Kapital eroberten Freiheits-Räumen (Medien, Industrie, Ausbildung) gesellt sich jetzt komplementär die Große Freiheit der vielen NGOs, die auf den cloisonnistischen Inseln der Retribalisierung agieren, als Erste-Hilfe-Bringer in den vielen notständischen Situationen, die soviel Freiheit produziert.

"Constructed tribes and isolation"

Der Staat kann sich in diesem Zustand zurückziehen, und mehr und mehr können seine Beamten und Angestellten "die Leute" vergessen machen, daß er ihrer ist. Anstatt der kritischen Partizipation an ihrer Gesellschaft, wie sie die parlamentarische Demokratie verspricht, und die trotz eines Repräsentations-Parlaments auf dem Papier vorhanden ist, beteiligen sich "die Leute" am Treiben ihrer Tribes, an den Infoabenden und Aktivitäten der von ihnen auserkorenen Subgruppen.

Auf die Solidarität ihres Staates mit ihnen, brauchen sie nicht zu hoffen, und der Staat seinerseits, oder vielmehr seine derzeitigen Repräsentanten, wollen mit der kreativen Kritik "der Leute" gar nicht notwendig konfrontiert werden. Vielmehr heißt das zentrale Solidaritätszeichen, das ein Staat in diesem Zustand verlangen muß: "Stillhalten-und-Steuerzahlen".

Hierbei wird eins der vielleicht größten Defizite des gegenwärtigen Zustands vieler Demokratien deutlich: Wenig zugänglich und oft gänzlich unbekannt sind ja nicht nur den Schulkindern, sondern auch den erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern die Funktionen, Strukturen, Türen und Fenster des Staatshauses. Wer, wie laut Umfrage derzeit die meisten deutschen Bürger, als Staatsrepräsentanten in erster Linie Polizisten (an-)erkennt, stellt sich und seiner Gesellschaft ein decouvrierendes Zeugnis aus.

Die Kaste der Beamten aber kann ungestört die Häuser ihrer Privilegien bewohnen, dem härter werdenden kapitalistischen Markt noch skrupelloseren Spielraum einräumen, und die demokratischen Neuansätze oder Relikte im öffentlichen Bewußtsein verdämmern lassen.

Eine solche Politik ist nicht die Anwältin der Bürger in einem positiven, emanzipatorischen Sinne, sondern gewährt durch die Hintertür der Verantwortungslosigkeit (= zu Rede und Antwort nicht verpflichtet zu sein) jenen Formen von Partikularismus Zugang zur Gesellschaft, die arm an Mitgefühl, reich an Raubbau, das solidarische Grundkonzept, den Vertrag der Demokratie, aufkündigen.

Indem nationalstaatliche Regierungen wie die der Bundesrepublik oder offizielle internationale Körperschaften wie die Vereinten Nationen ausgerechnet NGOs zu Heilsbringern der Zukunft deklarieren, unterminieren sie die Möglichkeiten, den Bereich der solidarischen, öffentlichen Sphäre zu stärken.

Statt Staat? Das Beispiel Bildung

Bei einer Recherche zum Thema UNO und NGOs für das oben erwähnte Spiegel-Special (11/95), erzählte mir die im UNO-Hauptsitz in New York zuständige NGO-Referentin begeistert von "5.000 NGOs in Bangladesh", die quasi das gesamte Alphabetisierungsprogramm des Landes, insbesondere der Frauen, in ihre Hände genommen haben.

Mit andern Worten: In diesem beklagenswerten Land haben Menschen eine größere Chance, durch - teils von der UNO und Hilfsorganisationen gesponserte - Bürgerinitiativen alphabetisiert zu werden, als durch die Institutionen eines Staates, die ihnen doch eigentlich ein Recht auf Bildung zubilligen müßten. Ist das ein Grund zum Feiern? Vorübergehend wahrscheinlich, leider ja, denn anders als durch Privatinitiative wird man vielerorts eben nicht lesekundig. Doch ist dies in der Tat alles andere als eine "Utopie".

Erziehung als Sache einzelner Bürgergruppen und nicht als Aufgabe des Staates wird auch in Deutschland derzeit diskutiert. In der sogenannten "Autonomie"-Debatte um die bundesdeutschen Schulen fand sich vor kurzem eine erhellende Einlassung. Ludwig von Friedeburg beschrieb Ende Januar 1996 in der FR seine Position in der Debatte um die Autonomisierung der Schulen: "Gepriesen wird als Paradigmenwechsel der Abschied von der verwalteten, lehrerzentrierten Schule und das Aufblühen des Konzepts von der Schule als schülerzentriertem, selbstgestaltetem Lebensraum." Friedeburg konstatiert, daß dabei sicher so manchem ein "alter Traum" einfiele, etwa der Traum von alternativen, stadtteilbezogenen Oasen einer, laut Bremens aktuellem Schulgesetzblatt, "sozialen, kulturellen und ethnischen Integration", in der der "Lebensraum" an erster, Bildung an zweiter Stelle rangiert.

Eine solche Schule, fern vom Staat, nah am Schüler, mitgestaltet von Schülern, Eltern und Lehrern, käme in ihrem Typus regierungsunabhängigen Organisationen gleich, und ihren Fürsprechern schweben offenbar ähnliche Autonomie-Konstrukte vor, wie jenen der NGO-Anwaltschaft: Organisationsformen "jenseits von Staat und Markt".

Exzellent. Endlich geht die Saat der siebziger Jahre auf, und das Selbstorganisieren beginnt. Doch die verborgene Naivität oder Perfidie, die in solcher Apologetik von "Bürger-Selbstverwaltung" liegen, müssen, bei der Linken jedenfalls, offenbar erst aus dem Schlamm der Siebziger-Jahre-Wirrnis herausgezogen werden.

Gut kann so ein "autonomisiertes System" eventuell funktionieren, wo sich in mittelständischen Wohngegenden genug Freizeit, Motivation und Finanzkraft finden, um die lokale Schulszene mitzugestalten.

Aber was hieße denn gut? Im Hamburger Nobelvorort Blankenese könnte man, im Verein mit Öko-Projekten, Sprachkursen, Wirtschaftspraktika und Segelschulen sicherlich attraktive, "lokal eingebundene" Schulen gestalten. In armen Suburbs wie Hamburg-Veddel, Billbrook, Steilshoop oder Hamm, in Stadtteilen mit sogenanntem "hohem Ausländeranteil" und "hohen Arbeitslosenquoten" könnten Fundamentalisten oder Sektierer ebenso die Macht über die Schulgestaltung erobern, wie sich zynisches, chaotisches Laisserfaire und staatlich gebilligte Verwahrlosung entwickeln dürften.

Der Staat, der viel zu zahlen hat an seine Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, kann heute froh sein über den Mittelstands-Enthusiasmus, mit dem Bürger ihr Los in die eigene Hand nehmen, und zusätzlich zu ihren Steuern noch Zeit und Geld in "Autonomisierungs-Projekte" stecken.

Friedeburg folgert: "Daß der Rückzug des Staates das Versiegen verfügbarer Mittel verschleiert, indem die Mangelverwaltung den Betroffenen selbst aufgebürdet wird, ist kaum als paranoide Befürchtung zu diskreditieren."

In seinem Plädoyer für den Erhalt der "Bildung als Bürgerrecht" fordert Friedeburg, der Staat könne sich "trotz vermehrter Selbstverwaltung in den einzelnen Schulen weder inhaltlich noch organisatorisch aus der Bildungspolitik verabschieden, sondern bleibt dafür verantwortlich, daß Profilbildung und Individualisierung nicht reaktionären Tendenzen ständischer Selektion und vermehrter sozialer Ungleichheit Einlaßpforten öffnen."

Ebensowenig wie aus der Bildungspolitik kann der Staat von den sozialen und den umweltpolitischen Podien einfach herabsteigen, und die Debatten selbsternannten Experten überlassen, auch wenn das billiger wird. Und die Staatengemeinschaften können sich nicht aus der Verantwortung verabschieden, wenn es um Demokratie und Menschenrechte, Vermögensverteilung und Ressourcenschutz geht, selbst wenn noch so gut funktionierende NGOs den Job vorübergehend zu machen scheinen.

NGOs sind rechtlich zu keinerlei Kontinuität ihrer Arbeit verpflichtet, ebensowenig zu Säkularität, zu interner Demokratie oder politischer Prioritätensuche. Sie bleiben ihrem Charakter nach immer freiwillige Organisationen, auf deren Hilfe, Beistand, Aufmerksamkeit kein Bürger und keine Bürgerin einen einklagbaren Rechtsanspruch hat. At best haben sie eine gewisse ethische und demokratische Tradition, at worst graben sie sentimentalen, "natur-totalitären" oder esoterischen oder apolitisch, ahistorisch geprägten, "humanitären" Strömungen das Flußbett.

Stumme Allianz selbstreferentieller Zonen

Doch noch einmal zurück zum Paradigma Greenpeace. In Greenpeace ist, und das verbindet die Organisation mit anderen NGOs, die Idee des "Wir-gegen-Euch" oder "Ihr-ohne-Mich" politisch so sicher aufgehoben, daß ein fatales Konstrukt von "Staat hier, Bevölkerung dort" zu einer den Staat von den Bürgern abkoppelnden, ihn in seiner Tendenz zur Selbstreferentialität stärkenden Pseudo-Opposition gerät. Diese, ihrerseits selbstreferentiell, bindet sich allein an sich selbst, wobei sie herrschende antidemokratischen Tendenzen weder gefährdet noch in ihr Gegenteil wenden will.

Solche stumme Allianz selbstreferentieller Zonen schafft keinen lebendigeren, zur Suche nach sozialer Konfliktlösung bereiteren öffentlichen Diskurs. Vielmehr wirkt sie verhandlungshemmend.

Läßt der Staat, lassen die Eliten, "die Leute" in ihren Sekten, Gruppen und Selbsthilfeprojekte sich um sich selbst kümmern, und sich von ihnen allenfalls gelegentlich Schlüsselwörter für Wahlpropaganda soufflieren - und lassen "die Leute" das zu -, verarmt der öffentliche Diskurs.

Die technokratischen, kapitalorientierten Fachdiskurse kolonisieren dann seinen Raum. Werden sie erst einmal als seine Substitute akzeptiert, ist der Weg zurück schwierig, denn die Dekonstruktion der bis dahin wirksam gewordenen Mythen und politischen Verzerrungen wird vielen nicht mehr gelingen.