Brief aus Österreich:

ÖPNV: Glanz und Elend des Wettbewerbs

Gerhard Fritz
 

Im Grünbuch Bürgernetz (1995) hat die EU-Kommission noch recht nüchtern festgestellt: "Im städtischen und regionalen Personenverkehr werden die öffentlichen Verkehrssysteme häufig von der öffentlichen Hand geplant und betrieben und befinden sich in ihrem Besitz. Auf diese Weise lassen sich Maßnahmen zur Erreichung verkehrspolitischer Ziele direkt durchsetzen. Kennzeichnend für eine derartige Struktur ist allerdings in vielen Fällen das Fehlen eines betriebswirtschaftlichen Anreizes, auf die Fahrgastbedürfnisse einzugehen sowie die Qualität und Rentabilität des Betriebes zu steigern..." (Ziff. 91). "Auf der anderen Seite hat die vollständige Deregulierung beim Zugang zum öffentlichen Personenverkehr zu verbesserten Kostenstrukturen geführt" (Ziff. 92). - Allerdings, wie in Großbritannien, mit der Folge des Verzichts auf einen flächendeckenden "service public", weswegen die Kommission selbst feststellt (Ziff. 99), daß "die Marktkräfte allein nicht ausreichen, um in allen Fällen die Bedarfsdeckung und eine ausreichende Qualität der Verkehrsdienste zu gewährleisten, die zur Erreichung grundlegender Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Regionalpolitik erforderlich sind". Trotzdem hat die Kommission schon 1995 angekündigt, wegen der Effizienzverluste durch Monopolstrukturen die generelle Freistellung des ÖPNV vom Wettbewerb (wie in den Verordnungen EG 1191/69 und 1893/91) zu beseitigen. Mit ihrer Mitteilung zum öffentlichen Auftragswesen vom 11.3.98 hat sie neue Rechtsakte für das zweite Halbjahr 1998 angekündigt. (Da wird allerdings Österreich den Rat präsidieren und ist, wie man hört, wild entschlossen, derart kontroverse Themen nicht zu behandeln.) Worum es gehen wird, ist die "Ausschreibung von Konzessionen" (Ziff. 93), unklar ist aber noch, wofür: Linien- oder Netzkonzessionen?

Im Lehrbuch ist natürlich alles klar: "Monopole haben nicht primär die Kostenminierung der Leistungserbringung im Sinne, denn niemand zwingt sie dazu. Sie haben auch nicht den Kundennutzen im Auge, denn der Kunde hat ohnehin keine Alternative. Die Monopole denken an sich selbst, an ihren Gewinn oder an das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter." Hier entspricht die Alltagserfahrung der Theorie.

Weniger klar liegen die Dinge bei der Einführung des Wettbewerbs und ihren theoretisch segensreichen Konsequenzen.

Wird es überhaupt den vom neoklassischen Lehrbuch idealtypisch vorgesehenen Wettbewerb geben? ÖV ist auch sehr kapitalintensiv (wenn nicht, wie in Südtirol, die gesamte Infrastruktur öffentlich bleibt und nur die Dienstleistung der Lohnkutscherei ausgeschrieben wird, was auch noch kleinen Unternehmen eine Chance bietet). Wenn sich in einer Ausschreibung einer Netzkonzession, etwa für den Umlandverkehr einer Mittelstadt - der heute in einer Verbundkonstruktion von mehreren kleineren und mittleren Unternehmen (KMUs) bedient wird -, ein Großunternehmen durchgesetzt hat, wird es dann bei der nächsten Ausschreibung in zehn Jahren noch Bewerber geben? Strategisch denkende große Private mit reichlicher Kriegskasse werden anfangs mit Kampfpreisen einsteigen, um Marktanteile zu ergattern - und sich das später doppelt und dreifach wieder hereinholen. Die Frage nach Wettbewerbstransparenz, etwa unter dem französischen Ausschreibungssystem, beantwortete ein Brüsseler Lobbyist vor kurzem mit dem lapidaren Hinweis, daß auch in Frankreich das Telefonnetz bestens funktioniere... In Skandinavien, wo schon seit längerem ausgeschrieben wird, sind anfänglich die Kosten des ÖV für die Kommunen deutlich gesunken, die Konzentration aber ist gestiegen, statt Hunderter kleiner Unternehmen gibt es noch etwa zehn große. Und wenn die französische CGA sich quer durch Europa einkauft, die immerhin auch ein Wassermonopolist und der drittgrößte europäische Baukonzern ist, sollte das den Wettbewerbshütern schon rechtzeitig Fragen nach Marktbeherrschung entlocken - was derzeit aber überhaupt nicht der Fall ist.

Ein benchmarking-Vergleich, den ein österreichisches kommunales Unternehmen anhand eigener Zahlen und Unterlagen des Branchenverbandes und des deutschen VDV angestellt hat, konstatiert brutal: Die kommunalen Unternehmen sind mit ganz wenigen Ausnahmen (etwa der "Wiener Linien") von den Fahrgastzahlen und der Kapitalausstattung her unfähig, in der Liga der European players mitzuspielen. Von den prozentuellen Relationen her (etwa Beschäftigte in der Verwaltung/Fahrpersonal) sind sie genauso produktiv wie die Privaten. Der durchschnittliche (Brutto-)Stundenlohn des Fahrpersonals liegt aber bei 49 DM - im Vergleich zu 17 DM bei den Privaten. "Kommunale" FahrerInnen fahren 1500 Stunden/Jahr, private 2400 und haben 7 % (statt 3 %) Krankenstände. Die Personalkosten pro Wagenkilometer liegen bei einem kommunalen Unternehmen bei 3,06 DM, bei den Privaten bei 1,25 DM - bei den Gesamtkosten (inkl. Instandhaltung, Verwaltung, Kapitalkosten) lautet das Verhältnis 6,56 zu 2,93 DM.

Der Gesetzgeber wird bei der Marktöffnung schon sagen müssen, ob es wünschenswert ist, daß Berufskraftfahrer, die Millionenwerte und Millionen von Fahrgästen durch den städtischen Verkehr bewegen, 2400 Stunden im Jahr um den Bettel von 17 DM pro Stunde fahren... Daß der Marketingassistent in der Verwaltung an jeder Erschwerniszulage des Fahrpersonals "mitverdient", weil es Betriebsvereinbarungen aus "fetten Jahren" so vorsehen, ist natürlich Monopolspeck, in den hineingeschnitten werden muß. Unter welchen sozialen und arbeitsrechtlichen Standards aber der service public erbracht werden muß, ist schon eine nicht unerhebliche Frage.

Die deutschen Grünen haben auf Vorschlag der Fachkommission Kommunalpolitik folgenden Passus in ihr Bundestagswahlprogramm aufgenommen: "Auch das EU-Wettbewerbsrecht darf die kommunale Handlungsfähigkeit nicht weiter einschränken." EU-Wettbewerbsrecht, das die Pleite kommunaler Verkehrsunternehmen ebenso zwingend nach sich zieht wie eine zwangsweise Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, ist einer der Auswüchse des neoliberalen Dogmatismus, dem eine grün-rote Reformstrategie entgegengesetzt werden muß. Konkret braucht es Rechts-, Planungs- und Finanzierungssicherheit, Sozialstandards, ausreichende Übergangsfristen, KMU-Förderung - und scharfe wettbewerbssichernde Regelungen. Die Zerschlagung der öffentlichen Monopole mit der Folge der Förderung privater Oligopole (wie auf dem Telekom-Markt zu besichtigen) kann ja nicht der Weisheit letzter Schluß sein.