Südwest-Boulevard:

Das andere Feindbild: Die Reichen

Gerd Held
 

36/98

Vergessen wir einmal (nur für einen Moment) die Vergangenheit der PDS, und fragen wir nur, für was die Partei des demokratischen Sozialismus denn im Jahr 1998 eintritt. Sie schlägt vor, in diesem Land gegen die Reichen zu kämpfen. Herr Gysi erzählt landauf, landab die Story von den Billionen DM Privatvermögen in Deutschland. Dort liege der Grund des Übels und die Lösung. Dort müsse der Zugriff erfolgen. Und Herr Gysi kann dies durchaus im Plauderton vorbringen, menschelnd, talkshowgerecht. Der Mammon dagegen ist immer kalt und fremd. Da mag man nicht gern widersprechen. Das tut auch Rita Süssmuth nicht - am Abend der Sachsen-Anhalt-Wahl von Sabine Christiansen instinktsicher mit Gysi zur neuen Antifa-Runde vereinigt.

37/98

Privates Vermögen steht - wie alles Handeln einer modernen Gesellschaft - unter Legitimationsdruck. Kein Reicher kann heute auf Gottesgnadentum, auf höhere Abstammung oder auf das pure Recht des Stärkeren pochen. Kein größeres Bauvorhaben kann sich auf die Innerlichkeit eines "My home is my castle" zurückziehen. Aber das heißt noch lange nicht, daß sich privates Vermögen nur legitimieren kann, indem es sich produktiv verausgabt und "Arbeitsplätze schafft". Die Arbeitsplatzentwicklung in einem großen Stahlkonzern wie Krupp-Thyssen steht in keinem Verhältnis zum Kapitalaufwand. Daß dies in der Werklogik der Stahlherstellung liegt, akzeptiert inzwischen auch jeder IGM-Betriebsrat. Bei anderen großen Werken ist dies Verhältnis noch krasser: Viele Kunstwerke oder Landschaften können nur als Kulturerbe der Menschheit gegen den Zahn der Zeit behauptet werden, wenn sie von großen Privatvermögen immer wieder von neuem in Wert gesetzt werden. Solche Vermögen müssen sich in Raum und Zeit bewähren und legitimieren - nicht bloß gegenüber der "lebendigen Arbeit". Das Kapital trennt sich an solchen Stellen von der Lohnarbeit. In der Geschichte der europäischen Moderne war es auch immer mehr als ihr bloßer Widerpart.

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Iris Origo zitiert einen Bericht über den mediterranen Textilhandel im 14. Jahrhundert, der den Weg eines Postens Wolle von der Bestellung bis zum Verkauf des fertigen Tuchs verfolgt. Die Transaktionen ziehen sich über dreieinhalb Jahre hin und umfassen die Stationen Mallorca, Menorca, Barcelona, Pisa, Prato, Nordafrika, Valencia, Venedig. Das Vermögen des Kaufmanns durchläuft nicht nur die Metamorphosen von Ware und Geld, es trägt auch - gerade bei seinen abenteuerlichen Umwegen und unproduktiven Wartezeiten - zur Festigung von Städten und Routen bei (vgl. Iris Origo, Im Namen Gottes und des Geschäfts. Lebensbild eines toskanischen Kaufmanns der Frührenaissance, München 1985, S. 64 f.).

39/98

Im vorletzten Sommerloch, als Herr Voscherau in Hamburg seine "1000 Millionäre" als Feind entdeckte, machte das ZDF ein Interview mit Joschka Fischer - in Siena, in der Nähe seines toskanischen Feriendomizils. Der Wein- und Stadtkenner beeindruckte die Journalisten mit gönnerhaftem Lob für die Türme und den berühmten Platz der Stadt. Daß diese ausgeprägte Urbanität auf einer ebenso ausgeprägten Auftürmung von privaten Vermögen beruhte, die mit drakonischen Eigentumsrechten und Erbschaftssicherungen durchgehalten wurde, war nicht Thema der Unterhaltung.

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Nehmen wir also eine heutige Metropole, die in Standortkonkurrenz mit allen möglichen regionalen Streulagen steht. Wenn sich Privatvermögen räumlich zentralisieren, wenn sie in der und für die Stadt bauen (statt "auf der grünen Wiese"), dann ist das bereits eine soziale Leistung. Aber diese Leistung wirkt viel zu indirekt, latent und langsam, um vom Ökonomismus der Beschäftigungs- und Industriepolitik gemessen werden zu können. Und doch hat ein großes Privatvermögen bereits in Gestalt eines repräsentativ-urbanen Baus eine Legitimität - ganz ohne weitere "Sozialpflichtigkeit". Aus Hamburg hört man nun, daß die dortige Stadtregierung darüber nachdenkt, eine "projektbezogene Planwertabschöpfung" zu erproben. Wer im Gebiet des Stadtstaates in größere Bauprojekte investiert, soll einen Teil der damit verbundenen Bodenwertsteigerungen an die Stadt abführen. Um die Bezahlung von öffentlichen Infrastrukturleistungen geht es dabei nicht - sie wird schon durch Abgaben und Steuern bestritten oder durch städtebauliche Verträge von Privaten übernommen. Geht es also um Ökologie? Mitnichten. Die Planwertabschöpfung trifft nicht den größten Flächenverbrauch, sondern den höchsten Immobilienwertgewinn. Der Teufel will es aber, daß in einer Metropole dieser Gewinn meistens mit besonderen Verdichtungsleistungen einhergeht. Der Markt honoriert eben auch ökologische Flächenintensität. Eine Planwertabschöpfung - insbesondere in einem Stadtstaat - prämiert daher indirekt die Zersiedlung. Der tiefere Grund, der sie plausibel erscheinen läßt, ist das Feindbild der großen Immobilienvermögen. Die Wertabschöpfung unterstellt dort Verschwendung, aber sie trifft gerade das urbane Engagement dieser Vermögen. Sie spricht vom "Planwert" wie von einer eigenen Leistung, aber sie setzt das staatliche Planungsprivileg nur als Quasibodenmonopol ein. In den heutigen Metropolen konvergieren große Privatvermögen Urbanität und Ökologie (und könnten es noch stärker tun). Aber das Ressentiment gegen die Reichen läßt hier lieber die Ökologie über die Klinge springen. Es schlägt in Stadtfeindlichkeit um.

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Zwei Feindbilder gehen in Deutschland um, und beide haben mit Fremdheit zu tun: die Ausländer und die Reichen. Sie waren in der jüngeren deutschen Geschichte oft miteinander verwoben. Ist es nun eine Vertiefung, wenn man das eine Bild auf das andere zurückführt? Nein, ich glaube, es ist erhellender, die Unabhängigkeit der beiden Feindbilder zu betonen. Die Fremdheit des Privatvermögens ist gesichtsloser und weiter verzweigt. Seine Zerstörung ist ein langsames Ziehen, das um so nachhaltiger wirkt. Der linke Totalitarismus ist in einem tiefen Sinn eigenständig.