Ökonomischer Anpassungsdruck in Asien

Mehr Markt und mehr Staat!

Otto Singer/Wolfgang Schmitt
 

Die Turbulenzen in Asien sind die schwerste Finanzkrise seit der Schuldenkrise am Anfang der achtziger Jahre. Dies betrifft nicht nur die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der Krisenregion, sondern auch die ökonomische Situation in den westlichen und in den europäischen Industrieländern.

Die von der Krise betroffenen asiatischen Länder durchlaufen jetzt einen schmerzhaften Anpassungsprozeß, der sich in beträchtlichen ökonomischen Wachstumsrückschlägen gegenüber dem bisherigen Entwicklungspfad niederschlägt. Damit verbunden ist auch - im Zusammenhang mit den dramatischen Abwertungen der ostasiatischen Währungen - eine Veränderung der regionalen Handelsstrukturen und auch Verschiebungen auf den weltweiten Gütermärkten. Die von vielen erwartete Exportoffensive der ostasiatischen Länder wird allerdings nicht in kurzer Frist stattfinden, die starke Verteuerung importierter Vorleistungen und die damit verbundenen Restriktionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird dazu führen, daß die gesteigerte Konkurrenzfähigkeit der Produkte aus dieser Region erst mit Verzögerung auf den internationalen Märkten durchschlagen wird. Zunächst werden sich die destruktiven Wirkungen der Krise in Ostasien offenbaren. Aber auch in den westlichen Industrieländern besteht die Gefahr stärkerer Wachstumsverluste, als es in "IMFs rosy scenario" (Financial Times) bisher veranschlagt wird.

Südostasien vor dem Niedergang? Die Wachstumsverluste werden 1998 sehr deutlich ausfallen, und es ist kaum abzusehen, wann in der nächsten Zukunft mit einer Erholung zu rechnen ist.1 Dies wird nicht zuletzt davon abhängig sein, inwieweit die jetzt geplanten Reform- und Stabilisierungsmaßnahmen greifen werden. Eine optimistischer Sicht ist die Annahme, daß die Krise - ähnlich der Mexiko-Krise - einen V-förmigen Verlauf nimmt, das heißt ein tiefer und rasanter Absturz, dem eine schnelle Erholung folgt. Jedoch gibt es deutliche Anzeichen für eine - falls sie überhaupt stattfindet - nur langsame Erholung (U- oder L-Form). Der drastische Wachstumsrückgang wird in Asien teilweise katastrophale soziale Folgen haben. Die Unternehmenszusammenbrüche und Produktionsrückgänge der letzten Monate haben bereits jetzt zu hoher Arbeitslosigkeit und sozialen Notlagen geführt. In Thailand liegt ein großer Teil der Bauindustrie lahm, und die Industrie hatte aufgrund des Rückgangs der Inlandsnachfrage bereits 1997 Produktionsrückgänge zwischen zehn und 20 Prozent zu verzeichnen. In Indonesien wird nach Schätzungen des Arbeitsministeriums die Zahl der Arbeitslosen von 4,4 Millionen 1997 auf sechs Millionen 1998 ansteigen. Insgesamt schätzt das internationale Arbeitsamt (ILO) in einer Studie, daß es in allen betroffenen Ländern zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird (vor allem in Bauunternehmen, Banken und der Industrie). In den drei am härtesten betroffenen Ländern, Indonesien, Thailand und Südkorea, wird mit einer Verdoppelung der Arbeitslosenquote gerechnet, und statt der beeindruckenden Eindämmung der Armut wird es nach dieser Einschätzung zu einer umgekehrten Entwicklung kommen.2 Die damit verbundenen politisch-ökonomischen Spannungen werden - dies gilt vor allem für Indonesien - enorm zunehmen.

Mögliche ökonomische Auswirkungen auf die Industrieländer  Das globale Finanzsystem hat nicht zuletzt auch Devisenhändler und Banken aus Europa und den USA an dem Wachstum der asiatischen Volkswirtschaften mitverdienen lassen. Nun besteht aber zunehmend die umgekehrte Gefahr. Nach den bisherigen Einschätzungen der großen internationalen Organisationen werden sich die kontraktiven Effekte der ostasiatischen Krise auf die europäischen, und damit auch die deutsche Wirtschaft in relativ engen Grenzen halten. Aber auch für den Fall moderater Auswirkungen der Asienkrise muß mit Wachstumsverlusten in der Bundesrepublik gerechnet werden. Für einzelne Branchen der deutschen Industrie können sich aus dieser Kombination von schwächerem Marktwachstum und verschärftem Wettbewerb erhebliche Probleme ergeben. Die Entwicklung in den asiatischen Krisenländern wird die OECD-Länder in anderen Regionen hauptsächlich durch die Handelsverbindungen beeinflussen, obwohl auch finanzielle Verbindungen eine Rolle spielen werden. Der Umfang dieser Wirkungen wird sehr stark davon abhängen, wie die Entwicklung in Asien selbst abläuft, das heißt wie sich Wechselkurse und das Wachstum in diesen Ländern entwickeln.

Sinkendes Exportwachstum in die asiatischen Krisenländer (in vH)

1997

1998

1999

USA

11,2

6,4

7,3

Japan

11,5

6,4

7,6

Europäische Union

9,1

7,9

7,0

Prognose: OECD 1998

-- Rückgang der Exporte in die Krisenländer Die handelsbezogenen Effekte werden durch eine Reihe von Faktoren bestimmt werden. Dazu gehört vor allem der Zusammenbruch der einheimischen Nachfrage in Asien selbst. Die Einfuhren in den asiatischen Raum werden zum Teil drastisch zurückgehen, nach den Prognosen der OECD wird dies in den Vereinigten Staaten und Japan jedoch deutlicher ausfallen als in den Ländern der europäischen Union (vgl. Tabelle "Sinkendes Exportwachstum"). Hinzu kommen die Veränderungen der Wechselkurse, die die Wettbewerbssituation deutlich verändert haben.

-- Steigende Importe in die Industrieländer? Ein zusätzliches Problem ergibt sich durch den Druck auf die asiatischen Ökonomien, zusätzliche Anstrengungen auf eine Exportoffensive zu legen, um die Schuldenlasten abzubauen. Durch die massive Abwertung ihrer Währungen haben sie auf den ersten Blick an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Für Deutschland und andere Länder heißt das: Der Wettbewerbsdruck auf die heimischen Produzenten steigt. Weil asiatische Güter weltweit günstiger angeboten werden können, sinkt die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten, insbesondere in den USA. Dieser Effekt darf jedoch - zumindest kurzfristig - nicht überbewertet werden, denn zunächst bedeutet die drastische Abwertung in den asiatischen Ländern eine gravierende Umstrukturierung des ökonomischen Sektors. Die Importe, die vielfach für die Produktion notwendig sind, werden außerordentlich teuer, die Finanzierungsmodalitäten haben sich drastisch verändert und darüber hinaus bedeutet dies zuallererst eine Wettbewerbsverschiebung im asiatischen Raum. Hieraus wird besonders deutlich, daß die kurzfristigen Maßnahmen in den asiatischen Ländern vor allem auf eine Stabilisierung der Wechselkurse abzielen müssen, um die ruinösen Abwertungswettläufe zu beenden.

Auswirkungen der Asienkrise auf das Wachstum (Abweichungen von bisherigen Schätzungen in vH)

1998

1999

USA

-0,4

-0,4

Japan

-1,3

-0,7

EU

-0,4

-0,2

Canada

-0,2

-0,3

Australien/Neuseeland

-0,5

-0,1

OECD

-0,7

-0,4

Quelle: OECD 1998

-- Wachstumsrückgang Risiken für die Weltwirtschaft bestehen durch die gegenwärtig nicht abzuschätzenden Wirkungen auf andere Volkswirtschaften. Die Gefahr, daß sich die asiatische zu einer weltweiten Krise auswächst, ist besonders groß, wenn einzelne Länder oder Regionen Zuflucht in den Protektionismus suchen. Denn dadurch würden die Export- und Produktionsmöglichkeiten anderer Volkswirtschaften und die Chance auf eine rasche Überwindung der Asienkrise beeinträchtigt werden. Der Internationale Währungsfonds hatte schon im Dezember 1997 für die gesamte Weltwirtschaft einen Wachstumsrückgang von 0,8 Prozent prognostiziert: War im vergangenen Herbst das globale Wachstum noch mit 4,3 Prozent angesetzt worden, so mußte diese Prognose bereits vor Weihnachten auf 3,5 Prozent reduziert werden (IMF 1997). Der jüngste World Economic Outlook (IMF 1998) hat die Prognosen weiter nach unten korrigiert und geht inzwischen nur noch von einem Wachstum von 3 Prozent aus (Industrieländer 2,4 Prozent). Auch die OECD hat inzwischen eine etwas weniger optimistische Haltung eingenommen (Tabelle). Für Deutschland vermindert sich danach das Wachstum um 0,2 Prozent, das heißt, das Wachstum würde in diesem Jahr statt 2,9 Prozent nur 2,7 Prozent betragen (IMF: 2,8 Prozent für 1998).3

-- Kredite der Banken und die Finanzmärkte Die direkten finanziellen Auswirkungen lassen sich relativ schwer abschätzen. Zu berücksichtigen ist hier vor allem die Situation der europäischen Banken, deren Kreditvolumen im asiatischen Raum relativ hoch ist (auch die japanischen Banken haben eine hohes Kreditvolumen). Ein Risiko ist eine Übertragung des asiatischen Kursverfalls auf die Industrieländer. Die meisten Banken in Nordamerika und den Europäischen Ländern sind jedoch in einer sehr viel stärkeren Position als jene in den asiatischen Krisenländern, um finanziellem Druck zu begegnen (die große Ausnahme ist dabei das japanische Bankensystem, das in einer äußerst prekären Situation ist). Dennoch sind auch die europäischen (und vor allem die deutschen) Banken einem gewissen finanziellen Risiko ausgesetzt (zum größten Teil jedoch stärker über die Offshore-Zentren in Singapur und Hongkong als über die unmittelbaren Krisenländer). Hinzu kommen Risiken mit den Engagements in Lateinamerika und Osteuropa, die bei einer weiteren Ausbreitung der Finanzkrise auf diese Länder dann auch das europäische Bankensystem unmittelbar treffen würden. Das größte Risiko besteht darin, daß sich die Bilanzverfassung der Finanz-Institute verschlechtert und so die Fähigkeit zur Kreditvergabe eingeschränkt wird. Auch die Gefahr eines deflationären Trends - aus sinkenden Devisenkursen, Aktien- und Immobilienpreisen, fallenden Zinsen und sinkenden Unternehmensgewinnen - ist nicht von der Hand zu weisen. Kritisch wird die Situation, falls sich die Kredite ostasiatischer, insbesondere japanischer Banken in fast dreistelliger Milliardenhöhe als nicht mehr realisierbar herausstellen sollten. Dies betrifft auch die deutschen Banken, deren Engagement mit über 200 Milliarden DM zu Buche schlägt (BIS 1998).4

Die möglichen Einbrüche für die deutsche Exportwirtschaft, Auftragsrückgänge aus der Region, reale Verluste oder Verlustvorsorge bei den Finanzdienstleistungen aufgrund der Asienkrise, werden sich auch bei den staatlichen Budgets auswirken. Bei einem Rückgang des Wachstums um 0,4 Prozent gegenüber den bisherigen Erwartungen würde das BIP-Wachstum in Deutschland um etwa 15 Milliarden geringer ausfallen als ursprünglich erwartet. Bei einer angenommen Steuerquote von 21 Prozent bedeutet dies einen Steuerausfall von etwa 3 Milliarden DM. Auch die Kosten der Arbeitslosigkeit würden dadurch etwas höher ausfallen, und auch dies wäre eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte. Hinzu kommen die Belastungen aus den möglichen Verlusten der Banken, die sich steuermindernd auswirken werden. Teuer wird es auch, wenn Kredite platzen, die durch Hermes-Bürgschaften des Staates gedeckt sind (insgesamt etwa 28 Milliarden DM, einschließlich Singapur und Taiwan). Die "Kosten" der asiatischen Krise für die öffentlichen Haushalte hängen aber nicht zuletzt davon ab, wie schnell eine Erholung in den Krisenländern einsetzt und wie stark sie sein wird. Dazu sind Sanierungsmaßnahmen und Reformen des Finanzsektors in den dortigen Ländern notwendig. Erforderlich sind aber auch weitere Reformschritte, die zu einer Verbesserung der internationalen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen beitragen.

Schlußfolgerungen und notwendige politische Maßnahmen: Regulierung des Finanzsektors und marktwirtschaftliche Reformen

Die asiatische Krise hat die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft verstärkt und erhöht die Wahrscheinlichkeit von deflationären Prozessen. Die drohenden Handelsungleichgewichte und die Wachstumsrückgänge werden den Hang zum Protektionismus verstärken. Diese Gefahr droht auch durch die in der nächsten Zeit zunehmenden Überkapazitäten, vor allem in den USA. Eine Lösung für die asiatischen Probleme muß all diese Unsicherheiten und Gefahren berücksichtigen, vor allem aber müssen diese Probleme vor dem Hintergrund zunehmend integrierter internationaler Finanzmärkte angegangen werden. Die Krise läßt sich nicht mit einer einzigen Kur lösen. Sowohl für die Lösung der kurzfristigen Probleme als auch zur langfristigen Verbesserung der Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte sind eine Reihe von Maßnahmen notwendig. Dies bedeutet zum einen mehr Staat, das heißt, eine Reihe von Regulierungsmaßnahmen sind notwendig, um die Funktionsweise der Finanzmärkte und des güterwirtschaftlichen Bereichs zu verbessern, ebenso auch Regulierungen innerhalb der Volkswirtschaften und Koordination zwischen den Ländern, eine bessere Kontrolle des Kapitalverkehrs, bessere Informationssysteme und marktwirtschaftliche Reformen. Dies bedeutet gleichzeitig auch mehr Markt: In vielen Bereichen existieren keine vernünftigen marktwirtschaftlichen Bedingungen, so sind vielfach die ökonomischen Sphären durch Interessengruppen oder andere politische Einflußnahmen abgeschottet und vermachtet, ökonomische (wie auch politische) Freiheitsrechte sind nicht weit entwickelt. Die Marktwirtschaft und ihre Institutionen müssen sich vielfach erst noch entwickeln. Dies ist zugleich mit der Erkenntnis verbunden, daß der Glamour des "Asian managed capitalism" verflogen ist. Wie sich nun zeigt, benötigen die bisher schnell wachsenden Ökonomien in Ostasien neue politisch-ökonomische Verhältnisse, um eine längerfristig tragfähige Entwicklung zu meistern. Offen ist bislang allerdings, welches Referenzsystem als neuer "global standard" (Financial Times) gelten kann, dies wird auch davon abhängig sein, wie sich die Reformbemühungen der kommenden Jahre hinsichtlich eines neuen internationalen Finanzsystems entwickeln werden.

Kurzfristig besteht die Notwendigkeit von finanziellen Hilfsmaßnahmen, um den betroffenen Ländern bei der Überwindung der Finanzkrise zu helfen. Dazu haben IWF, Weltbank und andere Institutionen umfangreiche Kreditmittel vorgesehen, die vor allem an Indonesien und Südkorea gehen werden (Camdessus 1998). Diese Maßnahmen stehen inzwischen deutlich in der Kritik.5 Seinen Statuten entsprechend hat der Fonds die Aufgabe, seinen Mitgliedern bei akuten Zahlungsbilanzproblemen beizustehen. In Thailand, Indonesien, Südkorea und auf den Philippinen reichten die Devisenreserven der Zentralbanken nicht mehr aus, die kurzfristig fälligen (privaten und öffentlichen) Auslandsverbindlichkeiten zu bedienen. Das Problem ist dabei: Ein Aussetzen der Zahlungen wegen Zahlungsunfähigkeit (Zahlungs- bzw. Schuldenmoratorium) kann möglicherweise zu nicht kalkulierbaren Kettenreaktionen auf den internationalen Finanzmärkten führen. Um dies zu verhindern, soll der IWF den betroffenen Ländern mit seinem Feuerwehrfonds zur Seite springen. Eine weitere kurzfristige Aufgabe besteht darin, den durch Schulden und Wertverfall gefährdeten Unternehmenssektor in Asien nicht untergehen zu lassen. Auch hierzu sind schnelle Maßnahmen notwendig, die sich nicht darin erschöpfen dürfen, daß westliche Investoren sich aufgrund der jetzigen Marktverhältnisse auf einfachem Weg die Eigentumstitel aneignen. Hier müssen auch die politischen Risiken berücksichtigt werden, die damit verbunden sind. Zu beachten ist aber, daß jetzt ein Teil der weltwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse (gerade im Hinblick auf die multinationalen Unternehmen) der kommenden Jahre festgelegt wird (Litan 1998). Inzwischen sind bereits eine Reihe von Hilfsmaßnahmen in Gang gesetzt worden (obwohl erst ein kleiner Teil der vom IWF zugesagten Finanzmittel aktiviert worden ist), gleichzeitig werden in den internationalen Organisationen intensive Debatten über eine "new architecture of the international financial system" (Stanley Fischer) geführt.6

Eine neue Architektur des Weltfinanzsystems Die Krise in Ostasien hat auf schonungslose Weise die Schwachstellen des internationalen Finanzsystems offengelegt und die Forderungen nach grundlegenden Reformen laut werden lassen. Nur wenn es sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene zu durchgreifenden Veränderungen kommt, wird das Risiko künftiger Finanzkrisen geringer. Die Eckpunkte einer solchen Reform zeichnen sich ab, es geht um die Verbesserung der Informations- und Überwachsungssysteme und um institutionelle Reformen beim Bankensystem. Ein wesentliches Problem der bisherigen Entwicklung bestand darin, daß der Liberalisierung des internationalen Finanzsystems keine entsprechenden institutionellen Vorkehrungen auf der nationalen Ebene gegenüberstanden. In diesem Sinn ist die Globalisierung der Finanzmärkte zu weit gegangen, da keine ökonomisch funktionsfähigen Kontrollen für die Finanzströme existieren. Dies bedeutet nicht notwendigerweise die Einführung von administrativen Restriktionen für die Finanzmärkte, verlangt aber die Schaffung von ökonomischen Institutionen und Informationssystemen, die die Fehlallokation von finanziellen Ressourcen möglichst verhindern. Reformen des internationalen Finanzsystems bedürfen deshalb auch entsprechender Reformschritte in den einzelnen Ländern.

-- Frühwarnsysteme und Finanzmarktüberwachung Als Frühwarnsystem haben die Maßnahmen des IWF nicht ausreichend gewirkt. Deshalb müssen zusätzliche Maßnahmen auf internationaler Ebene stattfinden. Zu prüfen ist, auf welcher Ebene und durch welche Organisationseinheiten umfassende Informationen über das Weltfinanzsystem besser und verbindlicher bereitgestellt werden können. Unsolide Finanzierungspraktiken müssen frühzeitig aufgedeckt werden. Dazu muß die Transparenz der verfügbaren Daten erhöht werden. Dies bedeutet auch, daß künftig in stärkerem Umfang sensitive Daten von betroffenen Ländern in einer geeigneten Form publik gemacht werden müssen (IWF, BIS und Weltbank). Dies umfaßt auch die Schaffung neuer Publizitätsstandards in den einzelnen Ländern. Insgesamt müssen hierzu die institutionellen Grundlagen überprüft werden. Dies betrifft etwa die Zusammenarbeit zwischen Weltbank und IWF, die Schaffung neuer Gremien zur Krisenprävention und -bewältigung, auch die OECD muß in diesem Zusammenhang eine größere Rolle einnehmen.

-- Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs Ohne Zweifel hat die weitgehende Öffnung der südostasiatischen Finanzmärkte zu einem immensen Anstieg des Kapitalimports in den betreffenden Ländern geführt. Doch nicht allein die Öffnung als vielmehr die trügerische Hoffnung der Kapitalgeber, die strikte Bindung der südostasiatischen Währungen an den US-Dollar würde sie aller Währungsrisiken entheben, diente als Anreiz für die Marktteilnehmer. Bei der Jagd nach höheren Zinsen und Renditen übersahen die Investoren die strukturellen Defizite, insbesondere in den Finanzsektoren der Schuldnerstaaten. Die durchaus wünschbare Kapitalmarktöffnung - sie dient nicht zuletzt zur Erschließung neuer Finanzquellen für entwicklungsnotwendige Investitionen - ist an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden. Offene Kapitalmärkte führen nur dann zu positiven Effekten wenn:

- der einheimische Finanzsektor liberalisiert ist. In den asiatischen Ländern war die Situation durch Zinsregulierungen, Regierungseinfluß auf die Kreditgewährung und unklare Gläubiger-Schuldner-Beziehungen gekennzeichnet. Alle drei Faktoren führten zu ökonomisch leichtfertiger Kreditgewährung;

- ein effektives System der Bankenaufsicht und -regulierung besteht;

- ein auf Transparenz ausgerichtetes Konkurs- und Bilanzierungsrecht besteht, sobald rechtsstaatliche Institutionen (Zivilrecht, Wirtschaftsverfassung, Vollstreckungssystem) mehr Verläßlichkeit in der Geschäftssphäre sichern;

- ein flexibleres Wechselkursregime herrscht. Fixe Wechselkurse schränken die Souveränität der Staatsbanken im Hinblick auf die Leitzinsgestaltung ein und ermuntern ausländische Investoren zu leichtfertiger Kreditvergabe.

Zusätzliche Maßnahmen zur Kontrolle kurzfristiger Kapitalströme sind erforderlich. Dies zeigt etwa der chilenische Weg, wo zur Verlangsamung ausländischer kurzfristiger Kapitalzuflüsse die Verpflichtung eingeführt wurde, 30 Prozent eines ausländischen Kredites in Form eines unverzinslichen Depots bei der Staatsbank für ein Jahr zu hinterlegen. Eine weitere Maßnahme zur Eingrenzung unerwünschter Finanzmarkttransaktionen besteht in der Besteuerung von Devisentransaktionen oder anderen steuerlichen Maßnahmen. Sie dürfen jedoch nicht als Ersatz für eine umfassende Reform der institutionellen Voraussetzungen der nationalen und internationalen Finanzmärkte angesehen werden.

-- Schuldenmoratorium mit fairer Lastenteilung Da das für die Restrukturierung der asiatischen Wirtschaften dringend benötigte neue Kapital in dieser Situation nicht zufließt und da die politische Lage unsicher ist, sind Schuldenmoratorien - wie jetzt im Fall Koreas - zur Stabilisierung der Krise notwendig. Die Moratorien sollen jedoch mit Auflagen verbunden werden und sollen gleichzeitig die Kreditgeber zu einem fairen burden sharing veranlassen. Dies dient auch einer Verminderung von moral hazard bei den Finanzinstitutionen durch Risikoübertragung auf die Gläubigerbanken. Die Lasten dürfen nicht allein auf die Steuerzahler der kreditgebenden und der kreditnehmenden Länder abgewälzt werden. Sicherzustellen ist deshalb, daß sich auch die internationalen Banken, die durch ihre leichtfertige Kreditvergabe entscheidend zur Südostasienkrise beigetragen haben, einen Beitrag in Form von Umschuldungen und Wertberichtigungen leisten.

-- Prüfung und Neuordnung der Informationssysteme Die führenden Rating-Agenturen - Moodys und Standard & Poors - und auch kleinere Agenturen haben sich in der asiatischen Finanzkrise gründlich blamiert. Sie haben asiatische Schuldtitel zur Anlage empfohlen, als die prekäre Situation sich bereits offen abzeichnete und mußten diese dann kurzfristig auf das Niveau von hochspekulativen "Junk-Bonds" herabstufen. Damit ist nicht nur das Problem der angemessenen und verläßlichen Informationen über die Entwicklung der Finanzmärkte verbunden, hier zeigt sich auch die mit der Politik der Rating-Agenturen verbundene Machtposition, vor allem der amerikanischen Finanzinstitutionen. Dies deutet nicht nur auf eine Schwäche des Finanzplatzes Deutschland hin, sondern betrifft im weiteren auch die Stärke und Bonität des künftigen europäischen Finanzplatzes im Rahmen der Europäischen Währungsunion. Das bisher nicht zustande gekommene Projekt einer europäischen Rating-Agentur muß deshalb umgehend in Angriff genommen werden. Darüber hinaus sind auf internationaler Ebene neue Informationssysteme zur Überwachung der mächtigen Rating-Agenturen zu entwickeln.

Reform des politisch-ökonomischen Systems Für die asiatischen Staaten kommt nun eine weitere Transitionsetappe nach der Phase des schnellen Wachstums, die mit tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Strukturreformen verbunden sein muß.8 Auf der wirtschaftlichen Seite gilt es vordringlich, Transparenz in die Rechnungsführung von Unternehmen zu bringen, Klientelwirtschaft und Korruption zu beseitigen und die Arbeitsmärkte zu reformieren. Demokratisierung, ökologisch orientierte Reformen und der Aufbau sozialer Systeme, die einen Schutz für die ärmsten Teile der Bevölkerung sicherstellen, werden zu einer zentralen Herausforderung der kommenden Jahre. Die Auswirkungen der Krise werden die Ärmsten am stärksten treffen. Wenn diese Umbruchprozesse ohne große gesellschaftliche Verwerfungen bis hin zu Bürgerkrieg und Hungersnot verlaufen sollen, ist neben den innenpolitischen Reformen eine internationale Hilfsstrategie nötig. Dabei kommt der sozialen Flankierung der Anpassungsprogramme von IWF und Weltbank eine entscheidende Bedeutung zu.

Notwendige politische Reformen Gerade die fehlenden strukturellen und rechtlichen Vorkehrungen in der Wirtschafts- und Finanzsphäre (Aufsicht, Kontrolle, Transparenz und Vertragssicherheit) der asiatischen Krisenstaaten verweist auf die politische Dimension der Krise. Dies betrifft vor allem die Bevölkerung der asiatischen Länder, die unter Behördenwillkühr und mangelnder Rechtssicherheit zu leiden hat. Die Behauptung, daß es einen anderen, asiatischen Weg zu Wohlstand und Entwicklung gäbe (asiatische Werte), ist endgültig widerlegt. Einmal mehr hat sich gezeigt, daß unter den Bedingungen autoritärer, gar diktatorischer Regimes eine langfristige wohlfahrtsstaatliche Entwicklung nicht möglich ist. Die Unterstützung insbesondere Indonesiens sollte deshalb von der Bereitschaft zu tiefgreifenden Reformen durch die dortige Regierung abhängig gemacht werden. Dort allerdings, wo sich, wie in Thailand, Reformbereitschaft feststellen läßt, sollte mit allen politisch zu Gebote stehenden Mitteln der Reformprozeß unterstützt werden. Dazu zählen neben dem Politikdialog die Arbeit der politischen Stiftungen in bezug auf die Zivilgesellschaft (Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, Umweltinitiativen), technische Unterstützung beim Aufbau einer unabhängigen Justiz und eines rechtsstaatlichen Polizeiapparates und die Unterstützung unabhängiger Medien.

Wohlfahrtsstaatliche Reformen überfällig Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen reichen weit über das unmittelbar Ökonomische hinaus. Die Krise in den asiatischen Ländern offenbart zusätzlich das fehlende sozialstaatliche Fundament. Die Mindestanforderungen an soziale Standards werden in vielen Fällen nicht erfüllt. An den sozialen Fragen wird sich entscheiden, ob der Durchbruch zu einer wohlfahrtsstaatlichen Marktwirtschaft gelingt. Der von den südkoreanischen Chaebols bis zu den gouvernemental-familiären Prestige-Projekten in Indonesien und Malysia gepflegte crony capitalism mit staatlicher Deckung verletzte die elementarsten Regeln der Marktwirtschaft. Die Krise hat gezeigt, daß dieses System nicht langfristig tragfähig ist und auch keine soziale Gerechtigkeit ermöglicht. Die sozialen Sicherungssysteme sind unterentwickelt oder nichtexistent, und ebensowenig kann von funktionsfähigen industriellen Beziehungen gesprochen werden (Arbeitsrecht, Arbeitsmarktregelungen; Gewerkschaftsrechte). Reformen auf diesen Gebieten sind überfällig, um die notwendigen Strukturanpassungen mit möglichst geringen sozialen Kosten durchzusetzen (ILO 1998).

Umweltorientierte Reformen Die Wichtigkeit von ökologischer Nachhaltigkeit ist ebenfalls eine zentrale Lektion der Asienkrise. Ein Jahrzehnt des fast-track capitalism hat riesige Umweltschäden hinterlassen und die natürlichen Ressourcen vielfach im Raubbau-Verfahren abgebaut. Die ökonomischen und sozialen Reformen müssen sich deshalb mit einer klaren Umweltorientierung verbinden, um in den ostasiatischen Ländern eine Entwicklung zu ermöglichen, die ökonomische Prosperität mit politischer Stabilität und ökologischer Nachhaltigkeit verbindet. Dies setzt demokratische Reformen voraus. Die Wertschätzung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat in den betroffenen Ländern erheblich zugenommen, nachdem bis vor kurzen noch unter Beifall betont werden konnte, daß Demokratie ein Wachstumshindernis sei. Hinzu kommt, daß diejenigen politischen Systeme, die - wie etwa Thailand oder Südkorea - über demokratische Legitimation verfügen, besser in der Lage sind, die notwendigen schmerzhaften Reformmaßnahmen durchzusetzen.

Zwar sind vor allem internationale Maßnahmen zu einer Verbesserung der Funktionsweise des Weltwirtschaftssystems notwendig, doch sind auch die europäischen Länder und die Bundesrepublik Deutschland zu Verbesserungen der Handelsbeziehungen mit den asiatischen Ländern veranlaßt. Mehr als ein Viertel des "Außenhandels" der EU geht in die ostasiatischen Länder, und gleichzeitig stammt ein Großteil der Kredite in diese Länder von europäischen Banken (etwa 40 %). Die EU hat jedoch bisher kaum zur Krisenlösung in den asiatischen Ländern beigetragen. Dies hat nicht zuletzt die Londoner Konferenz der EU und der asiatischen Länder (ASEM 2) gezeigt, wo die Politiker zwar stabilitätsfördernde Reformen und den Verzicht auf protektionistische Maßnahmen gefordert, in den Communiqués das Problem der EU-Abschottung gegenüber den asiatischen Ländern aber nicht angesprochen wurde. Die EU ist als regionaler Handelsblock nur nach innen liberalisiert, während nach außen eine diskriminierende Politik verfolgt wird. Dies trifft gerade auch die asiatischen Krisenländer. Deshalb ist es notwendig, daß die EU ihre Märkte von Restriktionen befreit, damit die asiatischen Länder die für ihre Gesundung notwendigen Exporte in einem freien internationalen Handelssystem absetzen können.

Für Infos und Korrespondenz: otto.singer@gruene-fraktion.de

Literatur:

Bank for International Settlements (1998): International Banking and Financial Developments, (Februar 1998), Basel: BIS

Bello, W. (1998): The End of the Asian Miracle (March 1998)
http://www.stern.nyu.edu/~nroubini/asia/miracle.pdf

Camdessus, M. (1998): The IMF and its programs in Asia, New York, Feb. 6, 1998
http://www.imf.org/external/np/speeches/1998/020698.htm

Economist (1998): Frozen Miracle. A Survey of East Asian Economies. Economist, Beilage der Ausgabe vom 7.3.98.

Feldstein, M. (1998): Refocusing the IMF: Overdoing it in East Asia, in Foreign Affairs, March/April1998.

Fischer, S. (1998): The IMF and the Asian Crisis, Los Angeles, Mar. 20, 1998
http://www.imf.org/external/np/speeches/1998/032098.htm

G-7-Finanzminister (1998): Statement by the G7 Finance Ministers and Central Bank Governors (London 21. 2. 98), Deutsche Bundesbank: Auszüge aus Presseartikeln Nr. 14, 1-2

ILO (1998): The social impact of the Asian financial crisis. Technical report on Social Responses to the Financial Crisis in East and South-East Asian Countries, Bangkok, 22--24- April 1998
http://www.ilo.org/public/english/60empfor/cdart/bangkok98/index.htm

IMF (1997): World Economic Outlook (Interim Assessment) (Dec. 22, 1997), Washington D.C.: IMF

IMF (1998): World Economic Outlook (April 1998), Washington D.C.: IMF

Interim Committee (1998): Communiqué of the Interim Committee of the Board of Governors of the International Monetary Fund (Washington D.C., 16.4.98), Deutsche Bundesbank: Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 25, 5-9

OECD (1997): International Direct Investment Yearbook, Paris: OECD

OECD (1998): Economic Outlook 63, April 1998 (Preliminary edition), Paris: OECD http://www.oecd.org/publications/outlk_63/eo/

Kissinger, H. (1998): Die Schuld des Westens an der Asien-Krise, Welt am Sonntag, Febr. 8, 9

Litan, R. (1998): A three-step Remedy for Asia's Financial Flu, in Brookings Policy Brief Series, No. 30, Febr., 1998
http://www.brook.edu/es/policy/policy.htm

World Bank (1997): World Development Report: The State in a Changing World, New York: Oxford University Press

1 Vgl. die Übersichten in IMF (1998), eine Gesamtübersicht der Wachstumsprognosen für die asiatischen Länder findet sich in ILO (1998: 9).

2 Die negativen gesellschaftlichen Folgen werden auch dadurch vergrößert, daß es kaum ein entwickeltes soziales Sicherungssystem gibt; besonders prekär ist die Situation von Wanderarbeitskräften, die in den letzten Jahren in die "Tigerstaaten" kamen, und die sich nun gegen die Ausweisung wehren; vgl. zur sozialen und arbeitsmarktlichen Situation in den asiatischen Ländern die umfassende Darstellung der ILO (1998).

3 Zu beachten ist auch, daß die OECD in ihrem keineswegs pessimistischen Referenz-Szenario für die kommenden Jahre für die Bundesrepublik ein durchschnittliches reales Wachstum von 2,7 % ausgibt. Die Arbeitslosigkeit würde dabei bis 2002 auf den Wert von 9,7 % absinken (OECD 1998: 22).

4 Demgegenüber sind die Auswirkungen durch die Veränderungen bei den direkten Investitionen kurzfristig eher von untergeordneter Bedeutung (OECD 1997).

5 International kritisiert wird vor allem die kurzfristig ausgerichtete IWF-Austeritätspolitik, weil sie in vielen Fällen der Situation der Staaten in Asien nicht gerecht wird, das heißt zu neuen ökonomischen und politischen Problemen führen könnte (Bello 1998; Kissinger 1998; Feldstein 1998; Litan 1998). Demgegenüber werden die vorgeschlagenen längerfristigen Strukturreformen zumeist als richtig und notwendig angesehen (vgl. aber zur Kritik Bello 1998).

6 Hinzu kommt immer dringlicher eine Krisenlösungsstrategie für Japan, die vor allem die makroönomischen Bedingungen für die Weltwirtschaft verbessern, aber auch die internen Finanzinstitutionen grundlegend reformieren soll (OECD 1998: 26ff.; IWF 1998: 59ff.).

7 Das Treffen der G-7-Finanzminister und Notenbank-Präsidenten in London am 21. Februar war ein erster Schritt dazu ("Londoner Konsens"). Im abschließenden Statement wurde betont, daß das internationale Finanzsystem verbessert werden muß, ohne allerdings konkrete Reformen zu umreißen (G-7-Finanzminister 1998). Weitere Reformschritte wurden auf dem G-8-Gipfel Mitte Mai in Birmingham diskutiert. - Eine Reihe von Verbesserungen des internationalen Finanzsystemss schlägt der Interimsausschuß des IMF vor (Interim Committee 1998).

8 Historisch läßt sich die Entwicklung in den asiatischen Ländern ohne weiteres mit den schnellen Wachstumsphasen in den europäischen Ländern des letzten Jahrhunderts vergleichen. Auch dort gab es Gründerzeit-Exzesse, die mit finanz- und gütermarktlichen Verwerfungen ähnlicher Art verbunden waren. Ebenso deutlich ist, daß die weiteren Fortschritte aber vor allem dort stattfanden, wo sie mit politisch-gesellschaftlichen Reformen verbunden waren. Eine grundlegende Darstellung der notwendigen Reformbereiche findet sich in World Bank (1997).