Wechsel-Stimmung

Kommentar aus Bonn

Andrea Fischer
 

Berti Vogts ist ein Freund von Helmut Kohl. Vielleicht hat dieser Umstand mitgespielt bei der Entscheidung für die Aufstellung von "Lodda" Matthäus für das WM-Team. 37 ist für einen Fußballer ein vergleichbar biblisches Alter wie 67 für einen Bundeskanzler. Und wenn so ein alter Mann das deutsche Team noch mal zum Sieg führen kann - was spricht dann noch gegen einen weiteren Wahlkampf mit Helmut Kohl?

Nun hat man in früheren Wahlkämpfen schon erstaunliche Wendungen erlebt, aber diesmal sieht es überhaupt nicht danach aus, als könnte das Kohl-Team seinen Rückstand aufholen und in der 90. Minute noch das erlösende Tor schießen. Vor nur einem Jahr war das noch ganz anders.

Die SPD machte einen vermufften und vermieften Eindruck, lebendiger Nachweis dafür, daß Opposition kein Jungbrunnen ist. Mit dem blassen Scharping war im Bundestag keine Elefantenrunde zu gewinnen. Konzeptionell erschöpfte sich SPD-Politik in der verbissenen Verteidigung des Bestehenden gegen jedwede Anmutung einer Veränderung. Mit der Obstruktionspolitik im Bundesrat wurde sie von der Regierungskoalition als der Bremser vorgeführt, der eine allgemeine Steuerentlastung verhinderte.

Seit dem Wahlsieg von Gehard Schröder ist das alles mit einem Schlag anders geworden. Die Medien sind der Erotik des Sieges in atemberaubender Geschwindigkeit erlegen, und plötzlich ist alles vergessen, was vorher Anlaß zu Mäkelei und Kritik war. Eine professionelle Wahlkampfführung tut das Ihre dazu, daß plötzlich die SPD das Modernisierer-Image hat und alle anderen dagegen blaß aussehen.Wenn schon der Prototyp des konventionellen Ruhrgebiets-Sozialdemokraten, Franz Müntefering, zur Kultfigur werden und Harald Schmidt Paroli bieten kann, dann sind doch wirklich erstaunliche Wendungen zu registrieren.

Die CDU versucht geradezu verzweifelt, gegen dieses Gewinner-Image anzukämpfen, indem sie immer wieder darauf verweist, daß hier ja nur eine alte Rostbeule neuen Lack bekommen habe. Nichts, rein gar nichts habe die SPD programmatisch zu bieten. Die Verwirrungen über die SPD-Rentenpolitik erschienen vor diesem Hintergrund geradezu wie ein Geschenk des Himmels. In der Tat hat die SPD hier eine offene Flanke. Aber es sieht danach aus, als könnte sie durch den Wahlkampf mit einer perfiden Doppelstrategie kommen: Gerhard Schröder erzählt in Wirtschaftskreisen und vor jungen Leuten etwas von einer umfassenden Modernisierung des Rentensystems, und Oskar Lafontaine singt vor Rentner-Versammlungen das Dreßler-Lied, niemandem werde es schlechter, aber allen besser gehen.

Das ist unaufrichtig, das ist wider besseres Wissen die Leut betuppt - aber ist mit dem Fingerzeig auf solches Fehlverhalten ein Blumentopf zu gewinnen? Die Wahl wird nicht auf fachpolitischem Terrain gewonnen, sondern mit einfachen Botschaften vom Wechsel. Das Tief der CDU ist doch nicht an erster Stelle dadurch zu erklären, daß sie im Lauf der Jahre die eine Gruppe mit Kürzungen im Kurwesen, die andere Gruppe mit der Abschaffung der Lohnfortzahlung und die dritte Gruppe mit der Absenkung des Rentenniveaus geärgert hat. Die Distanz zur Regierung Kohl erwächst aus einem grundlegenden Verdruß an der gegenwärtigen Lage und einem Bedürfnis nach Wandel um des Wandels willen. Helmut Kohl ist an die Regierung gekommen, als er dasselbe Bedürfnis nach Wandel befriedigte, das ihm jetzt zum Verhängnis werden könnte.

Allerdings dauert der Wahlkampf noch lange, und auch das sorgfältigst gebügelte Hemd knittert irgendwann. Es ist noch nicht ausgemacht, ob die SPD-Strategie aufgeht, die Wechselstimmung permanent durch Bilder vom Sieger zu begünstigen. Ein Gerhard Schröder, der selbstgewiß die Baustelle des Kanzleramts besichtigt, geht hart an die Grenzen des guten Geschmacks und provoziert geradezu den Gedanken, daß Hochmut vor dem Fall kommt.

Auch Wechsel-Stimmungen brauchen Futter. Eines Tages werden die Medien die rosaroten Brillen der frischen Verliebtheit in den neuen Politstar absetzen und doch mal nachfragen. Und es könnte auch sein, daß sich im Laufe eines auf schlichte Botschaften und glänzende Bilder ausgerichteten Wahlkampfes hinter dem Rücken der Strategen doch ein Unbehagen bei den so Umworbenen einstellt. Ein Unbehagen ob des Mangels an Ernsthaftigkeit, mit dem die großen Probleme im Lande angegangen werden. Doch der CDU wird das nicht nützen. Denn immer, wenn sie argumentieren will, geriert sie sich als ihre eigene Opposition. Sie hat Großes vor und kann doch die Frage nicht beantworten, warum sie es dann nicht schon längst geleistet hat. Der Hinweis auf die im Bundesrat blockierenden Rot-Grünen ist schaler Politikbetrieb und vermittelt darüber hinaus die unschöne Botschaft, daß die CDU keine Macht hat.

Derzeit sieht es sogar so aus, als könnte die Regierung kein Kapital aus dem sachsen-anhaltinischen Sündenfall schlagen. Vielmehr erfährt die PDS eine überraschend schnelle Enttabuisierung, eine resignierte Anerkenntnis der Unterschiede zwischen der Gemütslage in Ost und West. Die Drohung mit der PDS-Beteiligung an der Bundesregierung verfängt nicht, weil sie von allen Seiten ernsthaft für unwahrscheinlich gehalten wird. Mag der Osten auch seine politischen Spezialitäten haben, in Bonn ist das ohne Bedeutung.

Bekanntermaßen dauert aber das Spiel 90 Minuten