Starre Verhältnisse

Italien-Kommentar

Annemarie Nikolaus
 

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, gegen die wegen Bestechlichkeit oder Amtsmißbrauch ermittelt wird, sollen künftig für die Dauer des Verfahrens an einen anderen - gleichwertigen - Arbeitsplatz versetzt werden. Im Falle eines rechtskräftigen Urteils erfolgt automatisch die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst. Die Abgeordnetenkammer hat nun fast einstimmig ein Gesetz auf den Weg gebracht, das parallel zur Arbeit der Justiz disziplinarische Maßnahmen seitens der Verwaltung ermöglicht. Zwar sind in den italienischen Verwaltungen die einzelnen MitarbeiterInnen in weit geringerem Maße als in Deutschland bei schlichten Fehlentscheidungen vom öffentlichen Dienstrecht geschützt und können strafrechtlich belangt werden. Paradoxerweise brauchte bislang aber nicht einmal eine Verurteilung wegen Korruption den Schreibtisch zu kosten (siehe auch Kommune 9/97).

Franco Bassani, Minister für Öffentliche Angelegenheiten ist fürs erste zufrieden: Ein deutlicher Schritt gegen die Idee des sicheren Arbeitsplatzes "trotz allem". Seine Anstrengungen zur Reform des öffentlichen Dienstes sind in ihrer Umsetzung mehr als mühsam: "starrköpfiger Widerstand der Amtsleiter". So sind beispielsweise ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes für mehr Bürgernähe in vielen Verwaltungen die Formulare noch nicht aktualisiert, in anderen werden sie nicht verteilt. Sein Fazit: "Nur, wo die Funktionäre mit Sanktionen belegt werden, haben sich die Dinge geändert."

Eingedämmt werden sollte auch das Unwesen, für alles und jedes urkundliche oder beglaubigte Bescheinigungen anschleppen zu müssen. Doch immer noch werden eidesstattliche Erklärungen nur in den wenigsten Fällen akzeptiert. In einem besonderen Fall allerdings schon: die sogenannte "Anti-Mafia-Erklärung" bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Subunternehmer. Wenn nach vier Wochen von der Verwaltung nicht nachgefragt wird, behält der Subunternehmer auf jeden Fall seinen Auftrag, auch ohne offizielle Bescheinigung.

Die Bewältigung der Schlammlawinen in der Provinz Salerno von Anfang Mai hat das Thema in diesen Tagen erneut ins Rampenlicht gerückt, denn überall da, wo öffentliche Gelder in größerem Umfang fließen, liegt immer noch der Verdacht nahe, die Mafia sei nicht weit. Erst 1993 waren in vier Gemeinden der Provinz die Räte wegen Infiltrierung durch die Camorra aufgelöst worden, unter anderem auch in Sarno. Diesmal haben Gewerkschafter der Cgil vor einer drohenden Einflußnahme der Camorra auf die Bauarbeiten gewarnt. BürgermeisterInnen der vom Schlamm verwüsteten Ortschaften wird unterstellt, sie hätten entweder Angst oder würden kungeln, denn jeder kenne die Firmen der "Paten".

Außer als Subunternehmer gibt es noch eine Reihe anderer Wege, an öffentliche Gelder zu gelangen, wie die Anti-Mafia-Abteilung der Staatsanwaltschaft von Salorno in der Vergangenheit herausgefunden hat: zum Beispiel indem ein "sauberes" Unternehmen genötigt wird, Maschinen und Ausrüstung von einer Firma zu mieten, die keine Anti-Mafia-Bescheinigung kriegen würde. Oder über die Lieferung von Baumaterialien; denn es gibt für den Auftragnehmer keine Vorschriften hinsichtlich des Materialkaufs. Oder der Auftragnehmer stellt vorübergehend Personal einer "Camorra-Firma" ein. Häufig soll dabei der Boß selber zum Baustellenleiter ernannt werden.

Ein Kommentar aus der Justizverwaltung: "Hier ist die Camorra mächtiger als in Napoli. Dieses Land (gemeint ist Kampanien) ist vom Staat vollständig verlassen worden." Zwar laufen nun Untersuchungen zu den Ursachen der "Natur"katastrophe, aber Verantwortliche wird man keine finden, glaubt auch Cdr-Vorsitzender Clemente Mastella.

Ohrfeigen der Camorra für die Staatsmacht haben sich in den letzten Wochen gehäuft. Bandenkrieg in Neapel, trotz des verstärkten Einsatzes von Polizeikräften, inklusive eines Mordanschlags während einer Tagung der Innenminister der Mittelmeerländer. Und wenn es endlich gelingt, Mafia-Bosse nicht zur festzunehmen, sondern auch zu verurteilen, scheinen Pannen in der Verwaltung dazu zu führen, daß man sie nicht ins Gefängnis kriegt. Mitte Mai machte sich der einbeinige "Drogenkönig" Pasquale Cuntrera unbemerkt aus dem Staub. Es hatte so lange gedauert, bis seine Verurteilung rechtskräftig wurde, daß er zwischenzeitlich aus dem Gefängnis entlassen werden mußte. Die Polizei war nicht davon informiert, und folglich wurde er nicht überwacht, heißt es. Das Kassationsgericht verschickte seine Entscheidung zum Haftantritt zwar per Fax, das zuständige Gericht aber mit gewöhnlicher Post, und bis diese ankam, war er weg. Drei Wochen zuvor war P2-Führer Licio Gelli unter ähnlichen Umständen auf und davon. Zwei sardische Entführer nahmen sich daran ein Beispiel.

Natürlich feixt die Opposition: Justiz- und Innenminister sollten gefälligst zurücktreten, wenn es ihnen noch nicht einmal gelinge, einen Mann im Rollstuhl überwachen zu lassen.

Daß die Regierung nicht einfach die gewachsenen Strukturen ändern kann, vermag eigentlich nicht verwundern; zu vielen der Beteiligten nützen sie schließlich. Beunruhigender ist eher, daß auch unter dieser Regierung Justizia immer noch zu schielen scheint: Als Reaktion auf die Fluchten der Bosse ist der Exbrigadist Germano Maccari, angeklagt im Fall Moro, unter Hausarrest gestellt worden.

Annemarie Nikolaus