Untaten & Orte

Hartgesottenheit

Michael Schweizer

Hardboiled" (hartgesotten) meint "Eigenschaften wie unsentimental, illusionslos, gewalttätig und einsam". Gabriele Dietzes Dissertation gilt der Hardboiled Woman im amerikanischen Kriminalroman. Als von Autorinnen wie Sara Paretsky, Linda Barnes und Sue Grafton erfundene Detektivin gibt es die erst seit den achtziger Jahren, so daß sich Dietze in sieben von neun Hauptteilen ihrer Arbeit mit Schriftstellern von Dashiell Hammett bis Andrew Vachss und Privatschnüfflern von Philipp Marlowe bis Travis McGee befassen muß. Dabei geht sie von drei Grundthesen aus: Die Detektive und mehr oder weniger bewußt auch ihre Schöpfer sind Kombattanten und Verhandlungsführer in einem Geschlechterkrieg; dabei werden auch Konflikte über das Geschlechterverhältnis ausgetragen, die eigentlich nur indirekt mit ihm zu tun haben (engendering); die Wahrnehmung des anderen Geschlechts folgt nicht selten den Regeln der Paranoia.

Dietze hat viel herausgefunden. Frappierend der Nachweis, wie ideologisch einige berühmte Krimiautoren geschrieben und wie gußeisern sie das übersehen haben. Man faßt es kaum, wie sich das raffende, keine Arbeitsplätze schaffende Kapital der Great Depression bei Raymond Chandler in verführerischen Frauen verkörpert, die von Phil Marlowe dann gerecht bestraft werden; wie Mickey Spillane und sein Mike Hammer sich von einem kindischen Haß auf berufstätige Frauen treiben lassen, der, was die Sache nicht einfacher macht, durchaus Züge einer Rebellion gegen das Establishment hat; wie Ross Macdonald seine Morde mit schon unheimlicher Regelmäßigkeit von frustrierten, familienmächtigen Hausfrauen begehen läßt.

Was sollen Autorinnen, die nicht bloß unideologisch-realistisch scheinen, sondern tatsächlich so schreiben wollen, ihren Detektivinnen angesichts dieser befremdlichen Vorgänger mit auf den Weg geben? Den Zynismus und die Bindungslosigkeit der männlichen Großstadtwölfe einfach zu übernehmen wäre unerquicklich; die weiblichen private eye andererseits mit zu vielen feministischen Wunscheigenschaften auszustatten führt zu Kitsch und Pädagogik. Die "Archillesferse Heterosexualität" ist dauergereizt: Die Detektivinnen müssen sich irgendwie dazu verhalten, und der Grat zwischen Affirmation und deprimierender Selbstausgrenzung ist schmal.

Die von Dietze analysierten Hardboiled-Konzepte beziehen sich auf amerikanische Verhältnisse. Das wird bei der Lektüre von Die Bullen haben immer recht (1949) deutlich, einem jetzt erstmals auf Deutsch erschienenen Roman von André Héléna (1919-1972), wie sein bekannterer Freund Léo Malet ein Vertreter des Roman Noir. Diese Literatur der Illusionslosigkeit ist der von Chandler et al. sicher verwandt. Héléna entfaltet aber eine Idee, für die Dietze aus ihrem Material kein einziges Beispiel nennt: Liebe als Gegenwelt. Der vor kurzem entlassene Strafgefangene Théophraste Renard lernt in Paris die junge Geneviève Foulé kennen. Mit ihr möchte er unter sehr bescheidenen materiellen Bedingungen anständig und normal sein. Dieses große Glück im Kleinen, das die beiden erleben dürfen, ist rührend - und schnell zu Ende: Staat, Justiz und Markt lassen keine Insel zu. Sie sind so böse, wie es Renard hartgesotten pessimistisch annimmt.

Seine bitteren Räsonnements wirken durch die streckenweise staubige Sprache etwas pseudo-abgebrüht, und die Handlung ist psychologisch nicht immer plausibel. Als Renard unschuldig wieder eingesperrt wird, bricht sie ganz zusammen, indem der Roman in eine anklagende, für sich genommen sicher verdienstvolle Gefängnis- und Polizeireportage übergeht. Ein Buch mit gravierenden sprachlichen und kompositorischen Schwächen, aber auch mit einigen großen Wahrheiten.

Die 1959 geborene Angelika Koch hat sich für ihren ersten Krimi Der Retter ebenfalls eine Hauptfigur ausgedacht, die sich danach sehnt, weniger hardboiled zu sein, als es sich aus ihrem bisherigen Leben ergeben hat. Ulrike Marx hat jahrelang in einer Landkommune mit angeschlossenem Tagungshaus in der Eifel gelebt. Als der präsidierende Guru Christian Wortmann ermordet wird, hält sich die allgemeine Bestürzung in Grenzen, denn es gibt fast niemanden, den er nicht sexuell oder finanziell ausgenutzt hätte. Die Geschichte lappt nach Berlin, und auf Wortmann fällt der postume Verdacht, die Stasi habe ihn nach Scheinhaft in den Westen geschickt, damit er mit seiner spirituell verwirrten Radikalität die bürgerrechtlich orientierten Grünen spalte. Das Buch ist ganz anders geschrieben als das von Héléna, provoziert aber einen ähnlichen Kommentar: Die Sprache ist nicht so frech und witzig, wie sie gemeint ist, dafür aber manchmal klischeebeladen. Schön sind die Passagen, in denen Ulrike und ihr neuer Freund Michael anfangen, sich gegenseitig zu reparieren.

Der beste Roman, der zweite der Autorin, kommt diesmal aus Stuttgart, von der dort als Nachrichtenredakteurin arbeitenden Christine Lehmann (geb. 1958). Lisa Nerz, Redakteurin bei der feministischen Amazone, wehrt im Frauencafé Sara die Anmache der jungen Gabi ab. Wenig später wird auf der Straße ein junger Mann erschlagen, Gabi gesteht die Tat, Lisa glaubt ihr nicht und beginnt zu recherchieren. In Verdacht kommen mehrere Frauen aus dem Amazone-Umfeld, aber auch Der Masochist, ein Kollege Lisas vom Stuttgarter Anzeiger, für und gegen den nicht nur bei den Ermittlungen vieles spricht.

Die auf Serie angelegte Lisa Nerz ist im erfreulichsten Sinne hardboiled. Ihr Menschenbild ist materialistisch und psychologisch gleichermaßen fundiert. Sie traut allen alles zu, verhärmt aber nicht, sondern bleibt warm und genußfähig. Ihre Sprache macht froh: strahlt Lebenserfahrung aus, Witz auf Basis respektvollen Ernstes, und das alles leicht und souverän. Nach Thea Dorns Ringkampf gibt es somit an dieser Stelle schon wieder ein starkes Zweitwerk zu preisen. Hardboiled Women!

Michael Schweizer

Gabriele Dietze, Hardboiled Woman. Geschlechterkrieg im amerikanischen Kriminalroman, Hamburg (Europäische Verlagsanstalt) 1997 (389 S., 48,00 DM)
André Héléna, Die Bullen haben immer recht. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Cornelia Wend, Hamburg (Edition Nautilus) 1997 (192 S., 29,80 DM)

Angelika Koch, Der Retter, Elsdorf (Klein & Blechinger Verlag) 1997 (189 S., 16,90 DM)
Christine Lehmann, Der Masochist, Reinbek bei Hamburg (rororo) 1997 (190 S., 9,90 DM)