Brief aus Österreich:

Ein furchtbarer Dichter und ein Vizepräsident

Gerhard Fritz

In zahlreichen österreichischen Städten gibt es eine Kernstock-Straße. In fast allen wird derzeit - und daher auch in der überregionalen Presse - über eine Umbenennung dieser Straßen diskutiert.

Ottokar Kernstock, gestorben 1928, hat unter anderem den Text der Bundeshymne der 1. Republik (zu singen auf die Haydn-Hymne, die vormals die Kaiser-Hymne war und heute noch Einigkeitundrechtundfreiheit untermalt) verfaßt. "Sei gesegnet ohne Ende, Heimaterde wunderhold ... Deutsche Arbeit, ernst und herrlich, deutsche Liebe, zart und weich: Vaterland, wie bist du herrlich, Gott mit dir, mein Österreich!" Na ja. Es gibt Schlimmeres, Hymnen betreffend. Und daß die Republik mal Deutschösterreich hieß und in den Zwanziger Jahren von den Christlichsozialen bis zu den Sozialdemokraten alle mehr oder weniger deutschnational waren, ist nicht unbekannt und historisch erklärlich.

Hochwürden Kernstock war Pfarrer, und ansonsten ein Blut-und-Boden-Verherrlicher der unerträglicheren Art, Verfasser "patriotischer" Weltkriegslyrik, die alles andere als unsterbliche Poetik gegen Serben, Russen, Franzosen etc. hetzte und Juwelen teutscher Tichtkunst wie folgende absonderte: "Steirische Winzer, preßt mir fein/ aus welschen Trauben blutroten Wein!". Karl Krauss nannte ihn, treffend, den "blutigsten Dilettanten" der zahlreichen mörderisch-patriotischen Dichterlinge, und daher konnte die Vaterländische Front von Dollfuß gar nicht anders, als quer durchs Land zahlreiche Straßen und Gassen diesem hervorragenden Lyriker zu weihen. Schließlich haßte er zeitlebens nichts mehr als "Semiten und Sozialisten", wie er einem Freunde brieflich anvertraute. Also war er ein großer Österreicher.

1923 allerdings hatte er die Unachtsamkeit begangen, ein Hakenkreuzlied zu verfassen und es einer steirischen Ortsgruppe der NSDAP zu widmen. Als dann im Sudetenland bei Wahlen die Nazis ländlich-klerikale Stimmen mit dem Nazi-Priester und seinem per Flugblatt verbreiteten Lied einfangen wollten, und Kernstocks klerikale Obrigen und christlich-sozialen Freunde sich darob etwas pikiert zeigten, distanzierte er sich halbherzig und schrieb, er habe nur die "ursprünglichen idealen Werte" der Nazi-Bewegung preisen, nicht aber die (Konkurrenz-)Partei fördern wollen. Er war wirklich ein unübertrefflicher Österreicher.

Da nun eben Straßennamen auch symbolische Bedeutung haben und mithin auch zum Ausdruck bringen, wessen die "in der Gemeinde verkörperte örtliche Gemeinschaft" (so die Definition der Verfassung, Art. 118 Abs. 2) ehrend gedenken will, war es so unangebracht nicht, periodisch die Straßenverzeichnisse zu durchforsten und ehrenwertere Namenspatrone als die derzeitigen Namensgeber vorzuschlagen. (Emanzipatorische Gemeindemütter und sogar auch -Väter hatten auch immer mal wieder zur Diskussion gestellt, daß es außer ein paar unübergehbaren Kaiserinnen wie Maria Theresia noch mehr ehrenwerte Frauen gegeben hatte, nach denen die eine oder andere Straße benannt werden könnte, damit sich das Straßenverzeichnis nicht ganz so männlich liest.)

Grüne, rote und liberale KommunalpolitikerInnen rafften sich also auf und verlangen die Beseitigung der Kernstock-Straßen. Und stießen damit - in einer Zeit des hemmungslosen Individualismus und Hedonismus, des allgemeinen Werteverfalls und der postmodernen Beliebigkeit, jawohl, das mußte ja mal gesagt werden! - auf granitenen Widerstand: auf die heiligsten Werte der Österreichischen Volkspartei. (Nicht überall, das nicht, es gibt auch verhältnismäßig urbane Christdemokraten, etwa in Wien oder Graz, die den Kernstock nicht gerade für den Angelpunkt des christlichen Abendlandes halten.)

Hochwürden Kernstock habe sich bekanntlich von den Nazis distanziert, ja, könne gar kein Nazi sein, weil er schon 1928 gestorben sei (sic!), könne kein Nazi sein, weil er die Bundeshymne ... und überhaupt, war katholisch und Österreicher. Soviel zur Befriedigung der Logik.

Falls er doch irgendwas irgendwie Anrüchiges, zugegebenermaßen, von sich gegeben habe, müsse das jedenfalls aus der Zeit heraus, nicht wahr, verstanden werden. Fehler hätten schließlich alle gemacht, auch hervorragende Väter der Republik, wie Karl Renner, Gründervater der 1. und 2. Republik, der bei der Volksabstimmung 1938 über den Anschluß an Hitlerdeutschland ganz ungezwungen "mit Freuden" ja gesagt hatte. (Derselbe hat auch im April 1946 untertänig an den Genossen Stalin geschrieben und die unverbrüchliche Liebe und Treue der aufrechten Österreicher zur Roten Armee geschworen. Er war halt ein begnadeter Opportunist. Er hat nichtsdestoweniger Großes für die Republik geleistet. Was von Herrn Kernstock schwerlich zu behaupten ist.)

Mag das deutschnational-antisemitisch-katholisch-reaktionäre Gedöns des Herrn Kernstock auch gewissermaßen, aus der Zeit heraus, natürlich, schlimmstenfalls wegbereitend für die Hitlerei genannt werden, so würden sich doch die politischen Gegner schön bedanken, wenn man die, natürlich hochgeschätzte und ehrenwerte, Rosa Luxemburg oder den Karl Liebknecht Wegbereiter des stalinistischen Verbrecherregimes nennen würde. (So, ziemlich wörtlich, der Bürgermeister von Innsbruck, Vizepräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas und Fraktionsvorsitzender der EVP/CD im RGRE, Herwig van Staa. Auch der Rest ist nicht böse erfunden, sondern Erinnerung an eine dreistündige Gemeinderatsdebatte in Innsbruck am 19. Juni 1997.)

Das kommt heraus, wenn es ans Eingemachte geht, an die Parteitradition, wenn an der liberalkonservativen Tünche gekratzt wird.

Es geht nicht darum, in halbwegs gesicherten demokratischen Zuständen verspätet den antifaschistischen Helden zu spielen, wie mancheR unterschwellig kritisierte, oder Bilderstürmerei zu treiben, oder nachträglich die Vergangenheit politically correctly umzuschreiben. Es geht darum, "symbolisch" deutlich zu machen, wen und was wir heute für ehrenwert halten.

In Innsbruck lautete der Antrag, die Kernstock-Straße in Dr.-Richard-Krajnc-Straße umzubenennen. Krajnc war ein "vaterländischer", katholischer Widerstandskämpfer. Wir haben in Innsbruck noch immer eine Kernstock-Straße. Die längste Verteidigungsrede dafür hielt Dr. Herwig van Staa, Vizepräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas. Vielleicht fragt ihn in Straßburg mal eineR, was er sich dabei so gedacht hat.