Die Ostlichterkette

62. Kerze

Wilhelm Pauli

"Bier ist unter den Getränken das nützlichste,
unter den Arzneien die schmackhafteste und
unter den Nahrungsmitteln das angenehmste."
Plutarch (ohne Gewähr)

Zwischen Eisenhüttenstadt und Guben liegt Neuzelle mit seinem ehemaligen Zisterzienzerkloster. Und da liegt es gut. Davor duckt sich, ein Türmchen in den Himmel gereckt, die alte Klosterbrauerei. Auf der Chefetage steht ungebeugt zwischen den Naturbohlen der Geschäftsführer. Besitzer, Manager, Innovatör in Personalunion. Ein Manager, wie er sein soll. Zwei Meter hoch, gestrafft im Nadelstreifen, dezente Kühnheit bei der Hemdenwahl verrät Individuation. Das Gesicht ist kunstvoll gefältelt. Er ist zurückgekehrt. In dieser Gegend hat er bis zum Abitur gelebt. Dann ist er in den Westen gegangen, wurde Aufräumer bei der AEG, spürte ein zunehmendes unternehmerisches Zucken in den Gliedern, gab ein Gastspiel bei der Treuhand und dann sah er Neuzelle und das Brauereichen. Vor seinem geistigen Auge erschien sofort ein Absatzmarkt, und er kaufte das Ding, das niemand haben wollte, obgleich Freunde und Brauer warnend die Tatzen hoben. "Himmlisch gut" wird hier spätestens seit 1589 Bier gebraut. Irgendwann, Genaues weiß man nicht, wurde dem nach dem Reinheitsgebot Gebrauten ein Tröpfchen Zucker zugesetzt, daß der Mensch des nahen Ostens die von ihm favorisierte Süße auch im Bier wiederfände. Damit hatte, als 1993 die Gesetze der BRD auch in den Neuen Ländern griffen, Herr Fritsche einerseits die Herausforderung, die er braucht, um zu Hochform aufzulaufen, und andererseits die kostenlose PR, die sein Getränk zum Renner zwischen Lausitz und Berlin machte: Die Bürokraten verweigern dem durch Invertzucker geschändeten Gebräu den Ehrennamen "Bier". Seitdem gibt es Krieg um das dunkle Klosterbräu. Mit den Einwendungen, Ablehnungen, Androhungen von Zwangsgeldern, Pressionsversuchen der Konkurrenz, Einsprüchen und erneuten Ablehnungen ließe sich dieses Heft füllen. Herr Fritsche hat viel über Bürokratie, Unternehmertum, "faire Marktwirtschaft", Mittelstand und Konzerne, Innovationsfreudigkeit und Innovationsverhinderung zu erzählen. Trutzig weht die Fahne der Rebellion auf dem Turm, und die nun wieder auf vierzig Menschen angewachsene Belegschaft steht wie ein Mann. Herr Fritsche hat sich lustige Dinge ausgedacht, das Wort "Bier" auf dem Etikett gegen vier Punkte getauscht: Abmahnung - der Kunde könne "Bier" imaginieren. Sein Begehren, Neuzelle, historisch durchaus plausibel, als Enklave dem mittelstandkompatibleren Bundesland Sachsen zuzuschlagen, machte erneut unbezahlbare Schlagzeilen. Er legt einmal im Jahr eine limitierte Sonderedition auf, bei der die Flaschenrückseite mit einer Brandenburger "Amtsposse" beklebt wird. Er muß um den Gebrauch bierevozierender Wörter wie "Bräu" ringen. Er nennt das Süßbier "Schwarzer Abt", verzichtet auf den umstrittenen Begriff, und wird neu belebt, als die Potsdamer Biersteuer von ihm wollen. Steuerrechtlich macht er nämlich Bier. Herr Fritsche kommt in Fahrt und sagt ein paar Worte zu Deutschland. Aber er wandert nicht aus. Statt dessen legt er sich fürs Fernsehen in eine Badewanne voller Nichtbier. Und entsteigt neu gestrafft, ungewöhnlich enthusiasmiert dem Zuber: Das Badebier ist geboren. Damals soll die Belegschaft unwürdig gekichert haben. Aber nur, bis sie selbst im Bier lag. Die Laborantin des Hauses etwa, eine in der DDR zu strenger Wissenschaftlichkeit erzogene und allem Obskurantismus abholde, leichtfertig Mitkichernde, haut sich zum Entspannen unterdessen drei Flaschen Badebier ins Wasser. Wobei anzumerken ist, daß das Badebier in formschöne Drei-Liter-Champagnerflaschen von Hand gefüllt und verplombt wird. Auch sie kann das Unbeschreibliche nicht anders beschreiben als eben "unbeschreiblich". Ein Ganzkörpererlebnis mit leicht erotischen Konnotationen. Ein Hotel am Ort hat unterdessen den Keller freigeräumt und läßt das Bier, das selbstverständlich auch getrunken werden kann, in den Pool whirlen. "Laß mich dein Badewasser trinken" bekommt hier einen neuen Sinn. Mit Aufpreis arbeitet eine blutjunge Masseuse die wertvollen Extrakte, Vitamine, Spurenelemente, Mineralien in den Genußkörper ein.

"Brauereien sind die vornehmsten Apotheken", hat der Leipziger Dr. J. F. Heckel 1725 gewußt, ein Wissen, das unterdessen verschüttet war. Nur manche Großmütter badeten an frostigen Tagen ihre Beulen in böhmischem Magerbier, manche, vor allem blonde, mischten es mit Ei ins Haar und gaben dem das gewisse Etwas. Herrn Fritsche ließ jenes verdämmerte Wissen nicht ruhen und nun ist er mit dem "Schwarzen Elixier" auf dem Markt, das nur in Apotheken erhältlich ist: "Das ,Schwarze Elixier` ist eine tiefschwarze, mundige und nachhaltig aromatische Spezialität: zur inneren Anwendung als Getränk für den Liebhaber, der maßvoll genießt, Freude am Geschmack hat sowie Körper und Geist beleben möchte, und zur äußeren Anwendung als kosmetisches Mittel zur natürlichen Körperpflege, u. a. zum Haarewaschen und -spülen, als Haarfestiger, ein Produkt zur schonenden Hautpflege für den gesundheitsbewußten Verbraucher." Es genügt, wenn ich hier verstärkend anfüge, daß der amerikanische Ernährungsexperte Gaylord Hauser die Bierhefe als "größte je gemachte Entdeckung auf dem Gebiet der Ernährung" bezeichnet. Ich schweige von den Wohltaten der natürlichen Kohlensäure, ich schweige vom Hopfen.

Während sich im "Bierstreit" mit dem Wechsel im brandenburgischen Landwirtschaftsministerium Entspannung andeutet, stehen neue Herausforderungen bevor: Das Hildebrandt-Ministerium verweigert dem wissenschaftlich gesicherten "Schwarzen Elexier" die für Apothekenwaren wichtige Registriernummer. Der Kunde könnte ja unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das Bier als Kosmetikum kaufen und als Lebensmittel wegschlucken. Doppelcharakter ist nicht vorgesehen. Und auch Eichämter legen sich quer. Von Hand läßt Herr Fritsche ein schönes Glas für sein naturtrübes Bier, mit dem Namen des selbsterfundenen Mönchs "Bibulibus" fertigen. Da ergeben sich minimale Abweichungen der Volumina. Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit eines kundenfreundlichen Eichstriches. Wie es auch, unsereins hat ja überhaupt keine Ahnung von der rastlos segensreichen Sorge der Ämter um unser Wohl, unstatthaft ist, daß die Schrift auf den Etiketten um 0,2 mm von der vorgeschriebenen Größe abweicht, was Zwangsgelder unabweisbar macht. Mit anderen Worten: Um die Neuzeller Klosterbrauerei braucht uns nicht bange zu sein.