Per aspera ad acta

Rotgrün und alternative Bewegungspolitik in Frankfurt am Main

Reiner Hartel

Am Beispiel Frankfurt am Main will unser Autor zeigen, dass das Scheitern rotgrüner Bündnisse, und zwar auf lokaler, auf föderaler wie auch auf Bundesebene, umso wahrscheinlicher wird, je mehr diese sich von einer reformerisch orientierten Politik weg- und zu dem als "Neue Mitte" oder wie auch immer etikettierten neoliberalen Mainstream hinbewegen.

Die Kuh ist vom Eis: SPD und Grüne setzen ihre Koalition in NRW zunächst einmal fort, selbst wenn sich die Begeisterung darüber allenthalben in engen Grenzen bewegt. Doch auch auf Bundesebene ist die Euphorie über das im Herbst 1998 vielfach als sozial-ökologisches Reformprojekt der Zukunft gepriesene Regierungsbündnis aus SPD und Grünen lange verflogen; stattdessen ist Ernüchterung eingekehrt (vgl. Dräger 2000). Die Zahl derer, die bereit ist, auf die Zukunft der rotgrünen Koalition in Berlin mehr als einen Pfifferling zu setzen, schwand beinahe ebenso rasant wie die Chancen des bundesdeutschen Teams während der Fußball-EM. Die Gelegenheit, aus der parlamentarischen eine auf Dauer gestellte gesellschaftliche Mehrheit für eine sozial-ökologische Reformpolitik zu schaffen, blieb so ungenutzt, und wenig deutet darauf hin, dass sich daran noch einmal etwas ändern wird. Vielmehr tat und tut sich insbesondere die grüne Parteiführung schwer, aus den Wahlniederlagen der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, und scheint sich vornehmlich darum zu mühen, den Vorstandschefs von RWE bis Krauss-Maffei den definitiven Nachweis ihrer Regierungsfähigkeit zu erbringen. Nicht verwundern kann es da, wenn sich als Assoziation zu links nicht einmal mehr Oskars schlagendes Herz, sondern bestenfalls das Internet einstellt. Doch Vorsicht: Ob die im vergangenen Sommer von einigen hessischen Jung-Grünen lancierte Aufforderung, sich von den "Lebenslügen" der Linken endlich zu verabschieden, deren "auf den Dachstühlen eingelagerten programmatischen Ballast" zügig zu entsorgen und sich damit in den intellektuellen Dunstkreis von Veronas Welt zu begeben, das geeignete Rezept ist, die verloren gegangene Stärke zurückzugewinnen, darf gründlich bezweifelt werden, könnte doch auf diese Weise die Partei vollends gespalten und die verbliebene bewegungsnahe Klientel komplett verprellt werden. Kritische Stimmen warnen aus diesem Grund vor einem offenen und allzu tief greifenden politischen Paradigmenwechsel. Im Übrigen spricht etwa das "Grün-alternative Jugendbündnis" jener "Putzfraktion" der ganz neuen Sorte das Recht ab, für eine ganze Generation sprechen zu können. Bezeichnend sei es, dass solche Vorschläge "ausgerechnet aus Hessen kommen, einem Landesverband, der wohl am wenigsten im Dachstübchen" habe (zitiert nach FR, 29.6.99).

Gelingt es, inmitten des gesamten Gerümpels die Orientierung zu behalten, so öffnet dies den Blick für ein grundlegendes Problem, dem rotgrüne Koalitionen unterworfen waren und sind, zumal wenn sie reklamieren, an einem wie immer gearteten reformerischen Anspruch festzuhalten: Gemeint ist das in demokratisch verfassten kapitalistischen Gesellschaftsformationen stets widersprüchliche Verhältnis zwischen praktizierter, nicht zuletzt an ökonomischen und staatlich-militärischen Hegemonialinteressen ausgerichteter Regierungspolitik und den Erwartungen "der Basis", die deren Zustandekommen erst ermöglicht hat: nicht einmal primär qua formalem Wahlakt, sondern zuallererst durch kontinuierliches politisches Engagement in einem spezifischen Bereich gesellschaftlicher Konfliktaustragung. Jene kollektiven Akteure aus den ehemals außerparlamentarischen, heute weitgehend institutionalisierten alternativen Bewegungsmilieus haben durch ihre vielfältigen Protestpraktiken zu dem gerade im letzten Drittel der Neunzigerjahre unübersehbar gewordenen öffentlichen Legitimationsverlust der Regierung Kohl entscheidend beigetragen – sei es als DemonstrantIn gegen den Abbau von Arbeitsplätzen in der gewerblichen Industrie, sei es als Mitglied einer Arbeitslosenselbsthilfegruppe, einer Anti-AKW-Initiative oder als UmweltaktivistIn in einer BI gegen den Bau des Transrapid.

Bis in den Wahlherbst 1998 hinein stießen diese politischen Aktivitäten und Kampagnen wie selbstverständlich auf die Unterstützung der damaligen Oppositionsparteien, sowohl der SPD als auch der Grünen. Dieser punktuelle Austausch mit dem alternativen Bewegungssektor kam jedoch zum Erliegen, nachdem sich beide zu Regierungsparteien verbessert hatten; das politische System schloss sich wieder, und die Grenzen zwischen "institutioneller" und "außerinstitutioneller" Politik wurden neu gezogen. Wurde es angesichts der Serie von Wahlniederlagen im vergangenen Jahr für die Regierungskoalition einmal unausweichlich, sich mit den Gründen dafür zu beschäftigen, warum die Basis plötzlich den Wahlurnen ferngeblieben ist, so wurde dies zum bloßen "Vermittlungsproblem" einer im Kern alternativlosen Politik gegenüber der ungeduldigen sowie schlecht informierten WählerInnenschaft kleingeredet – und auf diese Weise gründlich fehlinterpretiert. Unter den Tisch fiel insbesondere, dass sich ein nicht unbedeutender Teil der WählerInnen von Rotgrün nicht nur einen Regierungswechsel, sondern tatsächlich so etwas wie einen "Politikwechsel" erwartet hatte, der zumindest die am längsten überfälligen innenpolitischen Reformen auf den Weg bringen sollte: eine integrative und an menschenrechtlichen Mindeststandards orientierte Novelle des Staatsbürgerrechts, eine soziale und ökologische Belange reflektierende Umgestaltung des Steuersystems sowie den zügigen und definitiven Ausstieg aus der Atomenergie. Erst nachdem sich abzeichnete, dass ein Reformvorhaben nach dem nächsten entweder gleich im Sand verlaufen würde oder nach diversen "Nachbesserungen" als solches kaum mehr zu identifizieren war, nachdem klar wurde, dass Partizipationsangebote jenseits des selbst gewerkschaftsintern hoch umstrittenen Bündnisses für Arbeit nicht zu erwarten waren, setzte die große Absetzbewegung von der Koalition ein. Der Rücktritt Lafontaines und der von den "68ern" Scharping und Fischer zynischerweise als "Lehre aus Auschwitz" gerechtfertigte Luftkrieg der NATO gegen Jugoslawien taten ihr Übriges.

Meine These ist, dass das Scheitern rot-grüner Bündnisse, und zwar auf lokaler, auf föderaler wie auch auf Bundesebene, umso wahrscheinlicher wird, je mehr diese sich von einer reformerisch orientierten Politik weg- und zu dem als "Neue Mitte" oder wie auch immer etikettierten neoliberalen Mainstream hinbewegen. Erhärten lässt sich diese These, blickt man auf die Entwicklung in Frankfurt am Main, wo sich beide Parteien zwischen 1989 und 1995 zu einem Regierungsbündnis zusammengefunden hatten, dem häufig sogar bundesweiter Modellcharakter beigemessen wurde.1

Untersucht wurde, ob in Frankfurt ökologische Proteste und städtische soziale Bewegungen zur Krise des zwischen 1977 und 1989 im Römer amtierenden CDU-Magistrats in ähnlicher Weise beitrugen, wie sie auf nationalstaatlicher Ebene die Erosion des "Modells Deutschland" befördert haben.2 Lässt sich die auf der Ebene des "lokalen Staates" (Krätke/Schmoll 1987; Mayer 1991, 1995) geschlossene Koalition zwischen SPD und Grünen als Modell für einen sozial-ökologisch ausgerichteten politischen Regulationsmodus interpretieren, dessen Zustandekommen in erster Linie dem Umstand geschuldet war, den Komplex konfliktorischer gesellschaftlicher Naturverhältnisse in den Kanon des zu Regulierenden explizit aufgenommen zu haben? Welche reformerischen Momente waren dem rot-grünen "Projekt", wie es von Protagonisten aus den eigenen Reihen gerne genannt wurde, zu attestieren? Welches waren die Gründe für sein Scheitern?

Gesellschaftliche Naturverhältnisse als Regulationsproblem

Im Falle Frankfurts erwiesen sich die Kontinuitäten und Brüche in der lokalen Bewegungspolitik als überaus folgenreich und trugen sowohl zur Ablösung des christdemokratischen Magistrats als auch zum Zustandekommen der rotgrünen Koalition im Frühjahr 1989 Entscheidendes bei. Zum einen sorgten die von den außerparlamentarischen Bewegungen der Stadt initiierten Kampagnen und Protestereignisse dafür, dass die lokalpolitische Brisanz ökologischer Problemstellungen während des Untersuchungszeitraums kontinuierlich anhielt. Im Spektrum der Umwelt- und Verkehrsinitiativen ließ sich im letzten Drittel der Achtzigerjahre sogar ein neuerlicher Mobilisierungsschub ausmachen, der sich in der Gründung neuer Gruppen, dem Ausbau der BI-internen Vernetzungen sowie der Zunahme außerparlamentarischer Protestaktionen in den Stadtteilen äußerte. Das vom christdemokratischen Magistrat vertretene politische Projekt einer "metropolitanen Urbanität" hatte dagegen in ökologischer Hinsicht erhebliche Defizite oder sah Regularien im Bereich der gesellschaftlichen Naturverhältnisse erst gar nicht vor. Zum anderen schufen die Transformationsprozesse im Politischen und im Ökologischen, die von Akteuren aus den alternativen Bewegungsmilieus eingeleitet und teilweise aktiv mitgestaltet wurden, die basalen Voraussetzungen dafür, dass gesellschaftliche Naturverhältnisse in der kommunalen Politik von einem regulationsbedürftigen zu einem regulierbaren Bereich werden konnten. Was meint dies?

Ad 1: Die Auflösung der linksradikalen Sponti-Szene zu Beginn der Achtzigerjahre bildete einen tief greifenden Einschnitt in der lokalen Protestgeschichte. Zugleich war sie Ausgangspunkt einer Transformation des Politischen, in dessen Verlauf sich in den alternativen Milieus der Stadt das Verhältnis zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Politik von Grund auf wandelte. Zum Resultat hatte dieser Prozess erstens, dass sich parlamentarische Politik und die grüne Partei in der städtischen Alternativszene politisch durchzusetzen und zu etablieren vermochten. Zum Zweiten trug der zeitgleich einsetzende Parteibeitritt zahlreicher Frankfurter Spontis in entscheidendem Maße zur späteren realpolitischen Wende des grünen Kreisverbands bei. Zum Dritten schließlich beschleunigte die Auflösung der Sponti-Szene die Erosion der links-alternativen Infrastruktur in Frankfurt und schwächte insofern dauerhaft die Basis für außerparlamentarische Bewegungspolitik.

Ad 2: Die damit einhergehende Transformation des Ökologischen hatte zum Ergebnis, dass die von der Umweltpartei vertretenen ökologischen Positionen ihrer radikal wachstums- bzw. kapitalismuskritischen Konnotationen entkleidet wurden. Zu dem in der Stadt hegemonialen Entwicklungsparadigma, welches ökonomisches Wachstum und räumliche Expansion geradezu zwingend voraussetzte, standen sie somit nicht länger in Widerspruch. Diese Konstellation erlaubte es der sozialdemokratischen Partei, ihren schwelenden Streit zwischen so genannten "Modernisierern" und "Traditionalisten" einstweilen auszusetzen und sich mit den koalitionswilligen Grünen zu einem "Bündnis der demokratischen, ökologischen und sozialen Erneuerung" zusammenzuschließen – so der gerade gewählte Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) in seiner Antrittsrede vor der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung (vgl. FR, 16.6.89).

Doch möchte ich noch auf einen zweiten Aspekt eingehen: Inwieweit kann die von 1989 bis 1995 amtierende Koalition als modellhaft für einen Modus lokaler politisch-institutioneller Regulation angesehen werden, der einen qualitativ neuen Komplex – nämlich den der gesellschaftlichen Naturverhältnisse – einschloss? Wie anhand der oben zitierten Antrittsrede von OB Hauff deutlich wird, trat das rotgrüne Bündnis gerade in seiner Anfangsphase mit einem explizit reformerischen Anspruch auf. Ökologie, soziale Gerechtigkeit und (Basis-)Demokratie sollten politisch miteinander verknüpft werden, ohne sie zu den ökonomischen Wachstumszielen, die mit dem Status der Stadt als internationale Metropole im Rhein-Main-Gebiet verbunden sind, in Widerspruch geraten zu lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, flankierte der Magistrat seine Politik der lokalen Standortförderung mit einem Maßnahmenmix aus demokratischen, ökologischen sowie sozialen Reformen, dem sowohl materiale, symbolisch-diskursive als auch politisch-integrative oder – im Sinne von Gramsci – kooptative Momente innewohnten. Diese waren in bisweilen nur schwer zu trennender Weise ineinander verschränkt.

Exemplarisch zeigte sich dies bei dem Beschluss, das städtische Umweltdezernat mit erweiterten Kompetenzen auszustatten: Die damit implizierte institutionelle Aufwertung ökologischer Politik besaß einen symbolisch-diskursiven Aspekt, in dem die politische Zuständigkeit des Magistrats für diesen Bereich demonstrativ herausgestellt wurde, enthielt aber qua verbesserter Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen zugleich materiale Momente. Da mit Tom Koenigs als Leiter des Dezernats überdies ein Politiker der Grünen gewählt wurde, der später sogar gleichzeitig als Stadtkämmerer fungierte, kam der Entscheidung schließlich auch eine politisch-integrative beziehungsweise kooptative Dimension zu, insofern Koenigs, ein ehemaliger Repräsentant der außerparlamentarischen Opposition der Stadt, in das politisch-administrative Establishment des lokalen Staates formell aufgenommen wurde.3 Diese Verschränkung von materialen und symbolisch-diskursiven Momenten der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse ließ sich auch bei anderen von der rotgrünen Koalition eingeleiteten regulativen Maßnahmen feststellen: bei der Einführung eines von der Kommune subventionierten Umwelttickets, welches die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs vorübergehend verbilligte, ebenso wie beim Grün-Gürtel-Projekt. Ferner versprach der Magistrat, den Verkehr in den Wohngebieten zu beruhigen und flächendeckend Tempo-30-Zonen einzurichten. Um den Individualverkehr in der Innenstadt zu reduzieren, wurde zudem damit begonnen, den öffentlichen Parkraum zu verknappen; sogar Parkhäuser wurden zu diesem Zweck geschlossen. Im Gegenzug verabredete die Koalition, den innerstädtischen Straßenbahnverkehr besonders zu fördern und einen Fahrradbeauftragten zu ernennen, der sich um den bislang vernachlässigten Aufbau eines innerstädtischen Radwegenetzes kümmern sollte. Auch in der Gesundheits- und Drogenpolitik befand man sich auf der Suche nach neuen Wegen: So wurde der bundesweit erste Druckraum für Junkies eingerichtet, ein Methadon-Programm aufgelegt und kurativ ausgerichtete Ansätze favorisiert; die asbestbelasteten Schulen wurden saniert.

Hinzu kommt, dass die kommunalpolitischen Entscheidungsprozesse durch die vom rotgrünen Magistrat in seiner Konstitutionsphase beschlossenen Beschlüsse vielfach dezentralisiert und/oder demokratisiert wurden. Gerade die im Bereich der Umwelt- und Verkehrspolitik entwickelten politisch-institutionellen Regularien trugen somit durchaus Züge eines offenen und integrativ ausgerichteten Entwicklungsmodells, welches die Partizipationsmöglichkeiten für Stadtteilinitiativen und lokale Bewegungsakteure bisweilen deutlich verbesserte. Dies galt namentlich für die Ebene der Ortsbeiräte. Naturschutzverbände, Verkehrsberuhigungs- und Tempo-30-Initiativen erhielten auf deren Sitzungen Rederecht und die Gelegenheit, alternative Vorschläge zu den städtischen Planungsmaßnahmen vorzulegen; zuweilen flossen ihre Vorschläge sogar direkt in die Magistratspolitik ein.

Per aspera ad acta

Die lange Passionsgeschichte der rotgrünen Koalition in allen Details darzustellen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Fest steht, dass ihr Scheitern nicht allein auf von außen vorgegebene oder "strukturelle" Vorgaben zurückzuführen ist, auch wenn die (reform-)politischen Spielräume für den lokalen Staat in den beginnenden Neunzigerjahren – verursacht etwa durch die Verschlechterung der globalen ökonomischen Rahmenbedingungen, den industriellen Strukturwandel, den fortgesetzten Wegfall gewerblicher Arbeitsplätze, steuerliche Einnahmeverluste der Kommunen, hohe Arbeitslosigkeit sowie wachsende Armut – zweifellos schmäler geworden sind. Doch sind darüber hinaus drei Bruchstellen zu diagnostizieren, die das rotgrüne Projekt auch von innen her erodieren ließen.

Dem Eindruck, dass die Frankfurter SPD und ihre "Lust am Untergang" (vgl. FR, 15.3.95) zum Scheitern der Koalition ein gehöriges Scherflein beitrugen, kann man sich gewiss nur schwer entziehen. Bereits die aus Anlass des Rücktritts von OB Hauff im März 1991 aufs Neue ausgebrochenen parteiinternen Flügelkämpfe signalisierten, dass der Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisierern mit der Entscheidung für die Bildung einer rotgrünen Koalition keineswegs zugunsten letzterer entschieden war. Befürchtet wurde vor allem, dass die rotgrüne Annäherung lediglich den Grünen zugute kommen, die SPD hingegen von ihrer Stammklientel in den traditionellen Arbeitervierteln der Stadt entfremden würde. Die große mediale Aufmerksamkeit, die dem "geläuterten APO-Rebellen" Cohn-Bendit, dem als "Erster grüner Kämmerer der Bundesrepublik" gefeierten Koenigs sowie der als Protagonistin des "Frankfurter Modells" einer fortschrittlichen Drogenpolitik bundesweit beachteten Gesundheitsdezernentin Margarethe Nimsch entgegengebracht wurde, mag wenig dazu beigetragen haben, solche Bedenken zu zerstreuen. Hinzu kam, dass die Grünen tatsächlich bei allen Wahlen zwischen 1993 und 1995 Stimmenzuwächse verbuchen konnten, während ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner von einer Talsohle zur nächsten rutschte. Die SPD drohte mit ihrem sozial-ökologischen Modernisierungskurs in der Mitte zwischen Grünen, CDU und populistischen Vereinigungen politisch zerrieben zu werden und zugleich den Rückhalt in ihren traditionellen Milieus zu verlieren (vgl. Prigge u.a. 1995, vgl. auch Bartelheimer 1995, Klingelschmitt 1995). Die "vier Schweine" – so der OB von Schoeler zu den im Übrigen bis heute offiziell unerkannt gebliebenen Abweichlern aus den eigenen Reihen, welche die Neu- beziehungsweise Wiederwahl grüner Dezernentinnen zwei Mal scheitern ließen – lassen sich aus dieser Perspektive als klandestiner Ausdruck der programmatischen Inkonsistenzen und politisch nicht offen ausgetragenen Flügelkämpfe in der lokalen Sozialdemokratie deuten, deren Führungsspitze es offensichtlich nicht verstanden hatte, die gesamte Fraktion von der Konsistenz ihres sozial-ökologischen Modernisierungskurses zu überzeugen.

Doch wäre es sicher verkürzt, das Scheitern des Bündnisses aus SPD und Grünen im Frankfurter Römer allein auf parteiinterne Intrigen, Fragen der Wahlarithmetik oder die falsche Abstimmungstaktik zurückzuführen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass die Koalition als politisches Reformprojekt im Sommer 1995 schon längst abgedankt hatte. Der gesellschaftliche Rückhalt in der Stadt, über den das rotgrüne Bündnis zu Beginn noch verfügt hatte, war im gleichen Maße geschwunden, wie der Magistrat damit begonnen hatte, an den von ihm selbst sehr hoch gesteckten Reformvorhaben immer neue Abstriche vorzunehmen. Diese äußerten sich etwa im Bereich der Verkehrspolitik darin, dass der städtische Zuschuss zum Umweltticket der Frankfurter Verkehrsbetriebe wieder storniert wurde. Von angekündigten Projekten wie der autofreien Innenstadt und der Sperrung des Mainufers für den Individualverkehr sowie von dem Verzicht auf die Ostumgehung A 661 war bald überhaupt keine Rede mehr. Außerdem wuchs im BI-Spektrum die Skepsis gegenüber vielen vom Magistrat neu konzipierten regulativen Formen. Diese Einrichtungen waren geschaffen worden, um Verkehrs- und Umweltinitiativen in die Stadtentwicklung stärker einzubinden, wurden jedoch von den Beteiligten zunehmend als politisch bedeutungslos wahrgenommen. Die sympathisierende Klientel begann sich daraufhin von Rotgrün abzuwenden. Im Juni 1992 etwa sagten VertreterInnen des BUND sowie weiterer Naturschutzverbände ein Gespräch mit dem grünen Umweltdezernenten Koenigs über ein städtisches Abfallwirtschaftskonzept ab und warfen ihm vor, "schwierige Themen aus dem Kommunalwahlkampf heraushalten zu wollen" (vgl. FR, 13.6.92). Nur wenige Tage später erklärte der erst im Jahr zuvor ernannte Fahrradbeauftragte, dass es ihm an Ressourcen sowie Kompetenzen fehle und unklar sei, ob es für ihn nach den Kommunalwahlen noch eine Zukunft geben werde (vgl. FR, 19.6.92). Ein BI-Vertreter trat aus der von der Koalition eingesetzten städtischen Verkehrskommission zurück und protestierte mit diesem Schritt gegen ein öffentliches Votum des Planungsdezernenten Wentz (SPD) für den umstrittenen Riederwaldtunnel und gegen den mangelnden Einfluss, der dem Beratungsgremium im Hinblick auf den Entscheidungsprozess des Magistrats eingeräumt wurde (vgl. FR, 29.9.92). Erschwerend kam hinzu, dass sich im Zuge der Diskussion um die Verlagerung des städtischen Schlachthofs nach Nieder-Eschbach neue BIs formiert hatten, die zu der von Rotgrün vertretenen Politik der Stärkung des urbanen Zentrums in offenen Gegensatz traten. Möglich wurde dieser spezifische Ausdruck einer Verallgemeinerung von Bewegungspolitik zum einen dadurch, dass die prinzipielle Akzeptanz von organisiertem Bürgerprotest inzwischen stark gewachsen und auch in die eher bürgerlich-konservativen Milieus diffundiert war. Zum anderen war sie der beschriebenen Transformation des Ökologischen geschuldet, welche zum Ergebnis hatte, dass ökologischer Protest nicht mehr zwingend an den politischen Kampf um Emanzipation und die Zugänglichkeit von öffentlichem Raum gekoppelt war.

Auch grüne Partei und lokales Bewegungsmilieu entfernten sich weiter voneinander. Die Beziehungen der Umweltpartei zu den Bürgerinitiativen hatten sich bereits nach dem Rückzug der RadikalökologInnen aus dem Frankfurter Kreisverband der Grünen merklich abgekühlt. Die verbliebenen radikaleren Fraktionen der außerparlamentarischen Bewegungsmilieus zeigten sich erst recht nicht bereit, die Distanz zu der Partei aufzugeben. Im Gegenteil: Wie anlässlich der Aktionen gegen den Golfkrieg 1991, vor allem aber während der Proteste gegen die rassistisch motivierten Brandanschläge 1992/93 und im Verlauf der Asylrechtskampagne 1993 sichtbar wurde, verortete ein gewichtiger Teil der DemonstrationsteilnehmerInnen die Grünen inzwischen auf der anderen Seite der Barrikade. Bei öffentlichen Veranstaltungen wurden nicht nur die RednerInnen der SPD, sondern auch die der Grünen ausgepfiffen. Als Resultat dieser vielfältigen Entmischungsprozesse begann sich die gesellschaftliche Mehrheit in der Stadt sukzessive von dem rotgrünen Bündnis zu entfernen. Bei den Kommunalwahlen vom März 1993 gelang es der Koalition zwar noch einmal, sich knapp zu behaupten, doch wirkte sie bereits deutlich angezählt, während sie im Frühjahr 1995 nach Ansicht von Beobachtern der Szene "stehend k.o." war (vgl. Prigge u.a. 1995). Das Scheitern von Schoelers bei der OB-Direktwahl im Sommer 1995 bestätigte diesen Eindruck und dokumentierte, dass SPD und Grüne es nicht mehr vermochten, ihre WählerInnenbasis für das rotgrüne Projekt zu mobilisieren.

Ein mit den beschriebenen Transformationen in der lokalen Politik eng verknüpfter Effekt war, dass sich die außerparlamentarische Opposition der Stadt im Verlauf der Achtzigerjahre kontinuierlich auseinander entwickelt hatte. Diese Segmentierungsprozesse hielten in den Neunzigerjahren an, sodass Bewegungspolitik auch in Frankfurt spürbar an Gewicht einbüßte. Neue "zentrale Gruppen" – wie bis in die Achtzigerjahre hinein die Spontis – bildeten sich nicht mehr heraus. Artikulierte sich gelegentlich außerparlamentarischer Protest, so verhinderten die tiefen Risse zwischen dem reformistischen und dem linksradikalen Lager der städtischen Alternativszene, dass es zu spektrenübergreifenden Formen politischer Zusammenarbeit kam. Auch die Universität, bis dahin immer mal wieder als Ausgangspunkt lokaler Bewegungspolitik in Erscheinung getreten, verlor zunehmend an Gewicht, auch wenn dies weitere Mobilisierungen nicht ausschloss. Doch dominierten bei den studentischen Protesten in den Jahren 1993 und 1997 hochschulbezogene Themen. Neue politische Milieus, alternative Infrastrukturen oder stabile Netzwerke bildeten sich nicht heraus, und auf Dauer konnte sich lokale Bewegungspolitik nirgendwo konsolidieren, sei es in Konfrontation zu oder in Kooperation mit den RepräsentantInnen des lokalen Staates. Dies galt, trotz eigentlich günstiger politisch-administrativer "Chancenstrukturen" (vgl. Kriesi 1991, Tarrow 1991), auch für jene Gruppen und Initiativen, die sich mit ökologischen oder verkehrspolitischen Problemlagen befassten und in der rotgrünen Stadtregierung quasi über einen "natürlichen" Reibungs- oder Bezugspunkt hätten verfügen müssen. Damit fehlte für sozial-ökologische Reformpolitik eine ganz entscheidende Voraussetzung.

Die kontinuierliche Manifestation außerparlamentarischer Bewegungspolitik signalisierte einen spezifischen politischen Regulationsbedarf. Je dauerhafter sich ökologischer Protest in der Stadt öffentlich artikulierte, umso günstiger wurden die Bedingungen für ein alternatives politisches Projekt, welches postulierte, entsprechende Regularien in die Magistratspolitik zu implementieren. Am reformfreudigsten war die rotgrüne Koalition zu Beginn ihrer Amtszeit, als sie durch eine sozial-ökologisch ausgerichtete Politik zugleich ihre Fähigkeit, lokale Konflikte zu regulieren, unter Beweis stellen konnte und sich darüber politisch zu legitimieren vermochte. Ein vergleichbarer außerparlamentarischer Reformdruck bestand nach den ersten Regierungsjahren der Koalition nicht mehr.

Kurzer Ausblick

Wie lässt sich nun in Frankfurt unter den veränderten Bedingungen an sozial-ökologische Reformpolitik aufs Neue anknüpfen? Gewiss lässt sich die rotgrüne Koalition als politisches Projekt, welches auf lokaler Ebene im Sinne von Alain Lipietz (1991a,b) "alternative" Entwicklungspfade in Gang zu setzen suchte, nur schwerlich begreifen. Doch ist derzeit ohnehin weit und breit kein politisches Projekt in Sicht, welchem zuzutrauen wäre, sich in der Stadt auf Dauer behaupten zu können. Vielmehr hat die vermeintliche Notwendigkeit, sich an die Zwänge des globalen Marktes und supranational-technokratischen Politikmanagements anpassen zu müssen, sogar bewirkt, dass sozial-ökologische Akzentuierungen völlig in den Hintergrund getreten sind, bei den Parteien insgesamt wie auch bei den Grünen. Zwar sind die damit thematisierten Krisen und Problemlagen keineswegs verschwunden, wohl aber ihre vormalige gesellschaftspolitische Brisanz und Politizität. Zentrale Voraussetzungen für das Wiederanknüpfen an ein sozial-ökologisches Reformprojekt sind zunächst einmal die Rückgewinnung der politischen Spielräume des lokalen Staates und die Verbesserung der ökonomischen und fiskalischen Rahmenbedingungen dafür. Ob sich in diesem Zusammenhang durch die Debatten über regionale Nachhaltigkeit oder die Lokale Agenda 21 neue Optionen ergeben, ist noch nicht abzusehen. Die zweite wichtige Bedingung ist, dass sich in der Stadt ein breites soziales Bündnis findet, auf welches sich ein solches Projekt politisch stützen könnte. Ob es zustande kommen und über eine größere Attraktivität verfügen wird als sein gescheitertes Vorgängermodell, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Ob es gelingt,

a) die gegenwärtig weitgehend paralysierten und segmentierten städtischen Alternativmilieus zu reanimieren und neue kollektive Akteure dazu zu bewegen, sich für ein solches Projekt öffentlich zu engagieren; und

b) auf politisch-institutioneller Ebene neue Formen der Kooperation und der Partizipation zu entwickeln, die geeignet sind, die städtische Politik zur Gesellschaft hin wieder stärker zu öffnen.

Nicht auszuschließen ist, dass im Verlauf eines solchen Prozesses Parteien und Parlamente weiter an Bedeutung verlieren werden, sich die bekannten Formen lokaler Staatlichkeit transformieren sowie neue regulative Formen und politische Institutionen entstehen. Ob dies letztlich einer Demokratisierung der städtischen Gesellschaft förderlich ist, ist freilich alles andere als ausgemacht. Bewegungspolitik könnte deshalb auch für ein reformpolitisches Projekt der Zukunft von zentraler Bedeutung sein.

Literatur

Bartelheimer, P. (1995), Rot-Grün in Frankfurt: Versuch einer Lagebestimmung; in: Andere Zeiten, Heft 1, S. 18-26

Dräger, K. (2000), Wie stabil ist das neue Konsensmodell? Gesellschaftliche Potenziale für eine Alternative zur "Neuen Mitte"; in: Kommune, Heft 6, S. 31-34

Hartel, R. (2000), Rot-grüne Politik und die Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse in Frankfurt am Main, Münster

Klingelschmitt, K.-P. (1995), Das Profil ist runter bis auf die Felgen; in: taz, 19.5.95, S. 12

Krätke, S./Schmoll, F. (1987), Der lokale Staat: "Ausführungsorgan" oder "Gegenmacht"?; in: Prokla, Heft 68, Berlin, S. 30-72

Kriesi, H. (1991), The Political Opportunity Structure of New Social Movements: Its Impact on Their Development, WZB-Mitteilungen, Discussion Paper FS III 91-103, Berlin

Lipietz, A. (1991a), Demokratie nach dem Fordismus; in: Das Argument, Heft 189, Berlin, S. 677-694

Lipietz, A. (1991b), Zur Zukunft der städtischen Ökologie: Ein regulationstheoretischer Beitrag; in: Wentz, M. (Hg.), Stadt-Räume: Die Zukunft des Städtischen. Frankfurter Beiträge. Band 2, Frankfurt/M., S. 129-136

Mayer, M. (1991), "Postfordismus" und "lokaler Staat"; in: Heinelt, H./Wollmann, H. (Hg.), Brennpunkt Stadt: Stadtpolitik und lokale Politikforschung in den 80er und 90er Jahren, Basel/Boston/Berlin, S. 31-51

Mayer, M. (1995), Stadtpolitik im Umbruch; in: Hitz, H./Keil, R. u. a. (Hg.), Capitales Fatales: Urbanisierung und Politik in den Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich, Zürich, S. 123-136

Prigge, W./Ronneberger, K./Keil, R. (1995), Im Palast des Tigers: Raus aus der Parteitaktik, zurück zur Stadtgesellschaft; in: FR, 20.4.95, S. 10

Roth, R. (1994), Urban Villagers: Zur Transformation eines städtischen Bewegungsmilieus; in: Noller, P./Prigge, W./Ronneberger, K. (Hg.) (1994), Stadt – Welt: Über die Globalisierung städtischer Milieus. Die Zukunft des Städtischen. Frankfurter Beiträge. Band 6, Frankfurt/M. / New York, S. 228-239

Tarrow, S. 1991, Kollektives Handeln und Politische Gelegenheitsstruktur in Mobilisierungswellen: Theoretische Perspektiven; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43, Heft 4, Köln/Opladen, S. 647-670

Fussnoten

1 Doch ist auch im Falle Hessen zu vermuten, dass die rotgrüne Niederlage bei den Landtagswahlen vom Februar 1999 darin gründete, dass es vor allem den Grünen nicht gelungen ist, ihr WählerInnenreservoir voll auszuschöpfen (vgl. FR, 8.2.99). Gerade unter den im links-alternativen Milieu engagierten Gruppen und Initiativen war die Bereitschaft, sich für eine Fortsetzung der Koalition aus SPD und Grünen einzusetzen, nur gering ausgeprägt. Die im Vorfeld der Wahlen erfolgte Ankündigung des Ministerpräsidenten Eichel (SPD), sich in der bevorstehenden Legislaturperiode vor allem für eine verbesserte Förderung der umstrittenen Bio-Technologien sowie die Erweiterung des Frankfurter Flughafens einsetzen zu wollen, war gewiss nicht geeignet, die Reserviertheiten gegenüber Rotgrün abzubauen. Stellt man ferner in Rechnung, dass sich die Unterschriftenkampagne der CDU gegen die Reform des Staatsbürgerrechts in dem beschriebenen Spektrum tendenziell mobilisierend und somit quasi kontrazyklisch ausgewirkt haben dürfte, so deutet dies sogar darauf hin, dass die Wahlniederlage vergleichsweise glimpflich verlaufen ist.

2 Reiner Hartel, Rot-grüne Politik und die Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse in Frankfurt am Main. Verlag Westfälisches Dampfboot Münster, im Erscheinen.

  1. Ähnliches gilt selbstredend für den zum ehrenamtlichen Stadtrat und zum Leiter des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten ernannten ehemaligen Herausgeber des Pflasterstrands, Daniel Cohn-Bendit.

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe August 2000