Startbahn West + 15 Jahre + Mediation = "Win-win-Paket"?

Etappen und Diskursformationen im Konflikt um die Flughafenerweiterung Frankfurt/Main

Detlef Sack

Während der Nutzen des "glokalen" Projekts Flughafenausbau translokal verteilt ist, konzentrieren sich die Belastungen lokal. Kann die umstrittene Mediation als politisches Beteiligungsverfahren ein Positivsummenspiel für alle eröffnen?

Die Formel des Titels umfasst zweierlei. Zum einen sind in ihr wesentliche Etappen des Konfliktes um die Erweiterung des Flughafens Frankfurt/Main genannt: Die Konfrontationen um den Bau der Startbahn-West zu Beginn der Achtzigerjahre, der Versuch, Mitte der Neunzigerjahre die Erfahrungen aus dem damaligen Konflikt zu bilanzieren und Lernprozesse festzuhalten, und schließlich die "Mediation" als ein politisches Beteiligungsverfahren, in dem die erneute Erweiterung des Frankfurter Flughafens zwischen August 1998 und Januar 2000 verhandelt wurde. Zum Zweiten bezeichnet die Formel die Kalkulation des "Positivsummenspiels", die der Einführung des Beteiligungsverfahrens zugrunde lag. Durch die Einbeziehung aller wesentlichen Konfliktparteien sollte ein Verhandlungsergebnis erzielt werden, bei dem alle Akteure gewinnen, eine "win-win-Situation". Das Fragezeichen hinter der Formel verweist schließlich darauf, dass es durchaus offen ist, inwieweit es in dem Verfahren gelungen ist, diesem selbst formulierten Anspruch gerecht zu werden. Die Diskussion dieser Frage beinhaltet immer auch eine Perspektive, in der der Ausbau des Frankfurter Flughafens als "glokales" Großprojekt erscheint: Mit der Kapazitätssteigerung des Zugangs zu den globalen "space of flows" (Castells) des internationalen Luftverkehrs geht immer auch die "örtliche Umgestaltung" (Giddens) einher. Entlang dieser Global-local-Verbindung wäre die oben genannte Formel zu erörtern. Sicherlich befindet sich der aktuelle Konflikt um den Ausbau des Frankfurter Flughafens trotz der bereits zweijährigen öffentlichen Diskussion immer noch in seiner Anfangsphase. So stehen derzeit die Entscheidungen der Landesregierung und der Flughafenbetreibergesellschaft (FAG) über eine Ausbauvariante noch aus. Dennoch sind mit der Paketlösung der Mediationsgruppe (s.u.) erste wichtige Weichenstellungen vorgenommen worden. Diese Zäsur erlaubt es, eine erste Zwischenbilanz der Erfolge und Grenzen des "Mediationsverfahrens" zu ziehen.

Der Konflikt um die Startbahn West

Jede Diskussion um eine Erweiterung des Frankfurter Flughafens findet im Rhein-Main-Gebiet auf der Folie des Konfliktes um die Startbahn West statt: 1965 hatte die FAG auf Grund von Kapazitätsproblemen eine Verlängerung des vorhandenen Bahnsystems und den Neubau einer im Westen gelegenen Startbahn beantragt. Die juristischen Auseinandersetzungen um die entsprechenden Planfeststellungsverfahren zogen sich bis zu Beginn der Achtzigerjahre hin. Im Oktober 1980 urteilte der Hessische Verwaltungsgerichtshof letztinstanzlich zu Gunsten des umgehenden Baus der neuen Piste. Bereits gegen Ende der Siebzigerjahre hatte sich der Konflikt allerdings mehr und mehr aus den Gerichtssälen in die Öffentlichkeit verlagert. Mit den Gründungen der "Parteienaktionsgemeinschaft" in Mörfelden-Walldorf, in der sich die Stadträte aller (!) Fraktionen der Gemeinde zusammenschlossen, und der "Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung Rhein-Main" im Jahr 1978 intensivierten und politisierten sich die Proteste gegen den Bau der Startbahn West. Als Symbol des Widerstandes wurde auf dem vorgesehenen Baugelände ein Hüttendorf errichtet. Im November 1981 beteiligten sich über 100000 Menschen an einer Kundgebung gegen das geplante Großprojekt. Mittlerweile war der Konflikt neben den Auseinandersetzungen in Gorleben, Wackersdorf, Brokdorf und Whyl zu einem der zentralen Kristallisationspunkte der bundesdeutschen Ökologiebewegung geworden (Rucht 1984: 195 ff.). Die Startbahn West stand, wie Dieter Rucht formulierte, "als prominentes Beispiel für das Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie, von Wachstumsorientierung und Umweltbewusstsein, von Planungsmentalität und Selbstorganisation der Betroffenen, von Legalität und Legitimität von Entscheidungsprozeduren, für die Reichweite des Mehrheitsprinzips und des Minderheitenschutzes" (Rucht 1984: 195).

Der Konflikt um die Startbahn West hatte sich zu Beginn der Achtzigerjahre also von einer umstrittenen Einzelfallentscheidung zu einer grundsätzlichen, teilweise gewaltförmig ausgetragenen Konfrontation ausgewachsen. Eine Koalition aus Flughafenbetreibergesellschaft, Airlines sowie der Bundes- und Landesspolitik, in der sich die Vertreter der Landesregierung, allen voran der damalige Ministerpräsident Börner und sein Wirtschaftsminister Karry, als Projektbefürworter exponierten, stand den betroffenen Gemeinden, Bürgerinitiativen, großen Teilen der Kirchen und den Umweltschutzverbänden unvermittelt gegenüber. Letztlich wurde der Konflikt zugunsten der Ausbaubefürworter/-innen entschieden. Mit der Räumung des Hüttendorfes begann der Bau der Startbahn West, die 1984 in Betrieb genommen wurde. Angesichts der offenkundigen Niederlage und interner Konflikte um Aktionsformen bröckelte der Protest gegen die Startbahn West in den Folgejahren immer weiter ab. Zum Teil gerann er aber auch zu Ritualen wie etwa den Sonntagsspaziergängen und Bauzaundemontagen, bei denen im November 1987 von einem Startbahngegner zwei Polizisten erschossen wurden. Die Ausbaubefürworter/-innen ihrerseits sahen sich infolge des Konfliktes einem offenkundigen Legitimationsdefizit ausgesetzt. Dieses drückte sich nicht nur in öffentlicher Kritik, sondern in Stimmenverlusten für die Sozialdemokratie und den Aufstieg der hessischen Grünen aus. Aus der grundsätzlichen Konfrontation um die Startbahn West ging auch die hessische Landesregierung nicht als Siegerin hervor, da sie mit erheblichen politischen Folgekosten umzugehen hatte.

Erinnerung und "win-win"-Diskurs

Die Erinnerung an den Startbahn-West-Konflikt hat sich in das "kollektive Gedächtnis" der Rhein-Main-Region eingeschrieben, über biografische Brüche, Fotoalben, Archive, Heimatmuseen und Filme. Politische Relevanz entfaltete sie in den Neunzigerjahren als eine Erweiterung des Frankfurter Flughafens erneut auf der politischen Agenda der Rhein-Main-Region stand. Der Plan der FAG, außerhalb des Airportgeländes ein neues Frachtzentrum zu errichten, wurde 1991 von der damaligen rotgrünen Landesregierung noch zurückgewiesen; der Flughafen sollte nur innerhalb des Geländes ausgebaut werden (Ronneberger/Keil: 1995: 343). Allerdings schien allen maßgeblichen Akteuren klar zu sein, dass angesichts der Zuwächse im weltweiten Flugverkehr und der zentralen Rolle des Frankfurter Flughafens als interkontinentale Drehscheibe in Deutschland und Europa die Frage nach einem Ausbau des Airports über kurz oder lang wiederum auf der politischen Tagesordnung stehen würde. 1996, also 15 Jahre nach dem Höhepunkt des Startbahn-West-Konflikts, erschien eine Zwischenbilanz der Startbahn-West-Geschichte, die von Hartmut Johnsen, Kirchenjurist und Leiter der Verwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, während des Startbahn-West-Konfliktes verfasst worden war. In diesem Buch werden die damaligen Auseinandersetzungen jeweils aus der Perspektive der unterschiedlichen Kontrahenten dargestellt. Diesem Versuch, eine empathische historische Rekonstruktion vorzunehmen, sind Interviews mit den verschiedenen Akteuren beigefügt. Johnsen erstellte eine historische Zwischenbilanz und erörterte, ob der Startbahn-West-Konflikt sich als ein "politisches Lehrstück" erweisen könne. Mit diesem Fokus bemühte sich er sich darum, persönliche Lernprozesse festzustellen und eine andere Sichtweise des Konfliktes um eine Flughafenerweiterung zu entwickeln: "Die damals im aktuellen Vollzug als völlig unvereinbar gedeuteten Interessengegensätze scheinen sich heute nicht mehr gegenseitig auszuschließen, sondern im gewissen Umfang tatsächlich gleichzeitig erreichbar. Diese Schlussfolgerung gründet sich nicht auf einem oberflächlichem Harmoniebedürfnis, sondern auf der praktischen Erkenntnis, dass mit neuen Methoden und Verhaltensgrundsätzen aus Konfliktgegnern wirkliche ,Konfliktpartner‘ werden könnten" (Johnsen 1996: 10). Konkret schlug Johnsen Mediationsverfahren als Ergänzung zu den herkömmlichen politischen Entscheidungsprozessen vor (Johnsen 1996: 299 ff.). Im gleichen Jahr gab der damalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel einen Band mit dem Titel "Einmischen: Vorschläge zur Wiederbelebung politischer Beteiligung" heraus, an dessen Ende ebenfalls ein Plädoyer für Mediationsverfahren bei umweltrelevanten Großprojekten steht. In diesem Buch lassen sich zwei Hinweise auf die anstehende Flughafenproblematik im Spannungsfeld von Umweltinteressen und den Ansprüchen an die Infrastruktur einer "global city" finden (Eichel 1996: 14; 25).

Diese Texte verbinden historische Rekonstruktion und die Akzeptanz des Frankfurter Flughafens als maßgeblichen regionalen Wirtschaftsfaktor mit der Einführung alternativer politischer Verfahren. In ihnen wird zugunsten eines "kooperativen Konfliktmanagements" (Zilleßen) argumentiert, das einer staatlichen Top-down-Entscheidung und einem Planfeststellungsverfahren vorgeschaltet ist. Damit bildet sich ein Prozess des "Policy-Lernens" (Sabatier) innerhalb etablierter politischer Strukturen ab: Demokratietheoretisch begründeten Forderungen nach einer zunehmenden Beteiligung von Bürger/-innen soll Rechnung getragen und die "Komplexitätsadäquanz" (Zilleßen) politischer Entscheidungen erhöht werden. Diese grundsätzlichen Überlegungen verbinden sich mit taktischen Erwägungen. Vor dem lokal spezifischen historischen Hintergrund ging es immer auch darum, den wahrscheinlichen politischen Streit um die Flughafenerweiterung durch ein Partizipationsverfahren auf der Ebene der sekundären Aspekte des Normensystems der beteiligten Akteure zu verhandeln, das heißt es sollte um Sach- und Verfahrensfragen, aber nicht um politische Kernüberzeugungen gestritten werden. Im Resultat entstehe durch die Einbeziehung aller beteiligten und betroffenen Akteure ein "Positivsummenspiel", in dem alle Konfliktparteien gewinnen würden. Hiermit ist das Leitbild der "Win-win"-Diskursformation umrissen, die mit unterschiedlichen Akzentuierungen von den jeweiligen hessischen Landesregierungen, den Landesverbänden von CDU, FDP und SPD sowie der evangelischen Landeskirche getragen wird und seit einigen Jahren die Auseinandersetzung um die Erweiterung des Frankfurter Flughafens prägt.

Ausbauforderung und Mediationsverfahren

Im Herbst 1997 intensivierten sich aufgrund von Kapazitätsengpässen die Bestrebungen der Flughafen Frankfurt/Main AG (FAG), der deutschen Lufthansa AG und weiterer Fluggesellschaften, den Airport durch den Bau einer neuen Landebahn zu erweitern. Frankfurt dürfe, so das zentrale Argument der Ausbaubefürworter/-innen, in der Konkurrenz zu anderen europäischen Großflughäfen nicht wegen räumlicher Beschränkungen an Stellenwert im expandierenden globalen Luftverkehr verlieren. Arbeitsplatzsicherung und -schaffung, die regionale Standortqualität und ökonomische Prosperität sowie schließlich die hohen Gewerbesteuerzahlungen an die Gemeinden, all dies waren weitere Argumente, die auf den regionalen Nutzen eines Flughafenausbaus verwiesen. Dieser ist mit etwa 62000 Beschäftigten und 470 Betrieben (jeweils Ende 1998) immerhin die größte Arbeitsstätte der Region (Mediationsgruppe 2000: 74). Das Drohbild dieser Diskursformation ist der "Kapazitäts-Infarkt" (Jürgen Weber, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa, zitiert nach FR, 24.2.99). Dieser würde den Weggang von Airlines ebenso nach sich ziehen wie den Abstieg aus der Weltliga der Flughäfen und die Provinzialisierung der Region.

Vor dem Hintergrund dieser öffentlich vorgebrachten Forderung und in der Konkretion des oben skizzierten ""in-win"-Diskursstranges initiierte die damalige rotgrüne Landesregierung Anfang 1998 das "Mediationsverfahren". Dieses wurde von der Landesregierung finanziert, sollte ergebnisoffen sein, alle wesentlichen Akteure integrieren, eine "gemeinsame Sachverhaltsaufbereitung" beinhalten und nach einem annähernd zweijährigen Diskussionsprozess mit einer konsensuellen Entscheidung enden (vgl. Mediationsgruppe 1999). Das Verfahren wurde von einem ausgewogen besetzten dreiköpfigen Mediatorenteam geleitet. Diese strukturierten in Kooperation mit wissenschaftlichen und methodischen Beratungsinstitutionen sowie einem organisatorischen Projektmanagement die Diskussionen in der Mediationsgruppe. In dieser waren Repräsentanten der Fluggesellschaften, der Flughafenbetreibergesellschaft, der Kommunen, staatlicher Organisationen, einer Bürgerinitiative, der Unternehmensorganisationen und der Gewerkschaften vertreten. Bis zum Juni 2000 hat das Verfahren ca. 6,5 Mio. DM gekostet. Die konstituierende Sitzung der eingesetzten Mediationsgruppe war im August 1998. Ende Januar 2000 legte sie ihr Verhandlungsergebnis vor: Sie empfahl eine Paketlösung, in der  fünf Komponenten untrennbar miteinander verbunden seien: Neben der Optimierung des vorhandenen Systems sollte die Kapazität des Flughafens auch durch einen Ausbau des derzeitigen Bahnensystems erhöht werden, zugleich aber ein Nachtflugverbot von 23-5 Uhr und ein "Anti-Lärm-Paket" mit Schallschutzmaßnahmen, Kontingentierung von Fluglärm, Immobilienmanagement und einem Lärm-Monitoring-System durchgesetzt werden. Zudem wurde die Einrichtung eines "Regionalen Dialogforums" empfohlen, in dem das Mediationsverfahren fortgesetzt, die Details des Nachtflugverbots und des Anti-Lärm-Pakets erarbeitet und die weitere Entwicklung des Flughafens diskutiert werden sollte (vgl. Mediationsgruppe 2000: 178 ff.). Während die Entscheidung der hessischen Landesregierung über eine der möglichen Ausbauvarianten im Rahmen der Mediation wurden als Ausbauvarianten 1. eine Landebahn Nord, Ost, 2. eine Landebahn Nord, West, 3. eine Südbahn, 4. zwei Südbahnen (die "Atlanta-Variante") und 5. die Nutzung des Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim überprüft. zurzeit noch aussteht, sprach sich der hessische Landtag nach einer dreitägigen Anhörung zur Flughafenerweiterung im Mai 2000 einstimmig für ein Nachtflugverbot aus. Die Fraktionen von CDU, FDP und SPD betonten in der vorangegangenen Debatte, dass sie sich an dem Mediationspaket orientieren werden. Im Juni 2000 trat erstmals das "Regionale Dialogforum" zusammen, das als ein "Beratungsgremium mit empfehlendem Charakter" (Hessische Staatskanzlei) gedacht ist, welches die Umsetzung des Mediationspaketes begleitet.

Bürgerinitiativen und Paketlösung

So weit zum aktuellen Stand des Verfahrens und den einzelnen Etappen des Konfliktes. Die Bestandteile der eingangs aufgestellten Formel sind inhaltlich umrissen. Das Fragezeichen steht jedoch noch im Raum. Auschlaggebend für eine demokratietheoretisch aufgeklärte Bewertung von Verhandlungssystemen des "kooperativen Konfliktmanagments" (Zilleßen) – und als solches ist das "Mediationsverfahren" einzuordnen – ist die Frage, ob ihre Legitimation durch die Kongruenz von Entscheidenden und Entscheidungsbetroffenen, die Vetomacht der unterschiedlichen Akteure und die Verbindlichkeit der Beschlüsse gegeben ist (Scharpf 1998). Vor dem Hintergrund dieser Überlegung und der formulierten Ansprüche innerhalb der "Win-win"-Diskursformation lässt sich das Fragezeichen zu drei Fragen ausformulieren, die ich nachfolgend diskutieren werde: Hat das "Mediationsverfahren" alle relevanten Akteure in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen? Konnte der politische Konflikt durch die Initiierung eines Partizipationsverfahrens entschärft werden? Stellt die Paketlösung sich als ein Verhandlungsergebnis dar, bei dem alle gewinnen?

In der bisherigen Beschreibung des Konfliktes um den Frankfurter Flughafen habe ich neben den einzelnen Etappen auch auf zwei Diskursformationen verwiesen, die die Auseinandersetzungen strukturieren: den Diskursstrang der "Internationalen Drehscheibe" und den der "Win-win-Situation". Die Gegner/-innen des Flughafenausbaus sind in diese beiden Stränge nicht eingebunden. Sie, also die Anrainerkommunen, Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände sowie lokale Teilorganisationen von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien, tragen vielmehr einen dritten Diskursstrang, dessen Leitbild ein lebenswertes Wohnumfeld in der Rhein-Main-Region ist. Ein weiterer Ausbau des Flughafens wird aufgrund der Lärm- und Schadstoffbelastungen sowie der damit verbundenen Gesundheitsschädigungen, der Flächenversiegelung und Waldrodung sowie schließlich der Wertminderung von Immobilienbesitz und Gemeindeflächen im Umland des Flughafens abgelehnt. Die Flughafenerweiterung erscheint als Bedrohung der Lebensqualität im Rhein-Main-Gebiet; vereinzelt wird der Flughafen gar als "bösartiges Geschwür" bezeichnet, "das immer weiter wächst und die Gesundheit der Menschen immer weiter schädigt" (Frank Kaufmann, MDL, Bündnis 90/Die Grünen in "Flugbahn-Flugwahn": 1).

Während sich eine Reihe von Anrainerkommunen entschied, trotz ihrer ablehnenden Haltung zur Flughafenerweiterung am "Mediationsverfahren" teilzunehmen, gelang es – mit einer Ausnahme. Die Ausnahme war die "Offenbacher Vereinigung gegen den Fluglärm e.V.". Wenn in der Folge von Umweltschutzverbänden die Rede ist, so sind damit der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) gemeint. Bei den Bürgerinitiativen beziehe ich mich auf diejenigen, die im Bündnis "Gegen Flughafenausbau, für ein Nachtflugverbot" vernetzt sind. – nicht, die Naturschutzverbände und die Bürgerinitiativen als eine wesentliche Konfliktpartei in das Verfahren einzubeziehen. Diese lehnten eine Teilnahme ab, da aus ihrer Sicht das Verhandlungsergebnis, der Flughafenausbau, bereits vorab festgeschrieben und die Mediationsgruppe nicht ausgewogen besetzt sei. Des Weiteren werde das Verfahren nicht durch neutrale Dritte, sondern durch konkurrierende Interessenvertreter geleitet und es sei nicht absehbar, inwieweit das Mediationsergebnis bindenden Charakter habe (vgl. BI-Info 9/1999: 2 f., BUND 29.6.1998). Letztlich diene das Instrument der Bürgerbeteiligung dazu, "Widerstand ins Leere laufen zu lassen und Bürgerprotest zu verhindern" (BI-Info 9/1999: 2). Mit dieser Ablehnung des Partizipationsverfahrens war zugleich eine grundsätzliche Absage an die Philosophie des "Mediationsverfahrens" verbunden. Ein Vertreter der Bürgerinitiativen pointierte diese Haltung in einem Interview wie folgt: "Es gibt keine win-win-Situation. Aus dem einfachen Grunde, diejenigen, die den Vorteil haben, sind die FAG und ihre Anteilseigner. Und die Leute, die drunter leiden, sind eine halbe Million Menschen."

Durch die Nicht-Teilnahme der Naturschutzverbände und der Bürgerinitiativen war es nicht gelungen, alle relevanten Akteure der Flughafenerweiterung in das Verfahren einzubeziehen. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Protestmobilisierung gegen den Flughafenausbau in der Rhein-Main-Region kaum eingeschränkt wurde: Seit 1998 erlebte das Bündnis "Gegen den Flughafenausbau, für ein Nachtflugverbot" ein rapides Wachstum. Die Anzahl der vernetzten Bürgerinitiativen erhöhte sich bereits zwischen Oktober und Dezember 1998 von 5 auf 25 und wuchs bis in den Sommer 2000 auf 49 Initiativen an. Die Resonanz auf die Informations- und Protestveranstaltungen war zum Teil erheblich: Bei Demonstrationen in Frankfurt und Rüsselsheim im Frühjahr 2000 waren mehrere tausend Menschen anwesend, bei einer Informationsveranstaltung in Neu-Isenburg etwa 1000 Personen. Eine Telefonumfrage des Hessischen Rundfunks am 20.4.00 brachte bei 15966 Anrufen gar eine Ablehnung des Flughafenausbaus von 83 Prozent. Diese statistisch nicht repräsentativen Hinweise legen den Befund nahe, dass die Mobilisierung gegen den Flughafenausbau durch die Initiierung des sogenannten "Mediationsverfahrens" kaum beeinträchtigt wurde. Gleichwohl scheint sie lokal begrenzt. Der Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf brachte im Mai 2000 im Hessischen Rundfunk die Problematik der Protestmobilisierung auf den Punkt: "20 km vom Flughafen weg denkt niemand mehr an die Belastungen, sondern nur noch an die Wohlfahrtswirkungen." Neben dieser territorialen Begrenzung ist auch auf die wahrnehmbaren Schwierigkeiten der Ausbaugegner/innen zu verweisen, sich zwischen einem "agitatorischen Kommunikationsstil" (van den Daele/Neidhardt 1996: 21) einerseits und andererseits einer Kooperationsbereitschaft zu positionieren, die die Legitimität der Anliegen erhöhen soll. So zeigt sich anhand der Teilnahme der Naturschutzverbände und zweier Bürgerinitiativen an dem "Regionalen Dialogforum", dass das Angebot politischer Beteiligung trotz der selbst formulierten Kritik attraktiv zu sein scheint.

Möglicherweise sehen sich einige Ausbaugegner/-innen durch die vorgestellte Paketlösung auch Argumentationsnöten ausgesetzt. Denn auf den ersten Blick stellt sich das "Mediationsverfahren" zur Flughafenerweiterung Frankfurt/ Main insofern als erfolgreich dar, als in einem "package deal" unterschiedliche Interessen balanciert wurden und ein Geben und Nehmen der Kontrahenten stattgefunden hat. Im Zuge einer "negativen Koordination" (Scharpf) wurde, wenn auch in modifizierter Form, mit dem Nachtflugverbot eine der zentralen Forderungen der Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände in den Maßnahmenkatalog aufgenommen. Damit haben, so hat es den Augenschein, auch die gewonnen, die an der "Mediation" nicht beteiligt waren. Dennoch stellt sich die Empfehlung der Mediationsgruppe letztlich nicht als konsensuales Ergebnis des installierten Verhandlungssystems dar: Während sich die Anrainerkommunen des Flughafens gegen jede Form der Erweiterung aussprachen, votierten die FAG und die Luftfahrtgesellschaften gegen ein Nachtflugverbot. Diese öffentlichen Stellungnahmen gegen die Paketlösung ließen sich interpretieren als die typische Unzufriedenheit von Akteuren nach Kompromisslösungen. Sie lassen sich auch als Versuch von Repräsentanten deuten, die interne Willensbildung in ihren jeweiligen Organisationen und Gebietskörperschaften zu berücksichtigen. Letztlich aber bleibt die Paketlösung trotz der scheinbaren Akzeptanz auf der politischen Ebene instabil und wird misstrauisch beäugt; nicht zuletzt auch auf Grund der unterschiedlichen Eigenschaften ihrer Bestandteile: Während, so ein zentrales Argument der Ausbaugegner/innen, eine Piste irreversibel in Beton gegossen wird, ist ein Nachtflugverbot eine Regelung, die immer auch Ausnahmen zulässt und gegen eine allmähliche Aushöhlung nicht geschützt ist.

Resümee

Das "Mediationsverfahren" wurde in der Öffentlichkeit teilweise massiv kritisiert. Hier ging es einerseits um den "Etikettenschwindel" (Kessen 1999) des Verfahrens, da dieses den Kriterien einer eigentlichen Mediation nicht genüge. Es sei vielmehr – wie es in einer Stellungnahme der AG-Recht des Fördervereins Umweltmediation vom 22.2.00 heißt – als "Anschauungsobjekt für Mediation, wie man sie nicht macht, [geeignet]". Wesentliche Kritikpunkte, die als Abweichungen von der Verfahrensform der Mediation (vgl. Besemer 1997) genannt werden, waren die fehlende Neutralität und die Dominanz der Mediatoren, die fehlende Inklusion aller betroffenen Konfliktparteien und die mangelnde Ergebnisoffenheit des Verfahrens. Andererseits wurde – im Rahmen einer immanenten Verfahrenskritik – darauf verwiesen, dass es trotz einer ambitionierten Praxis der Vergabe und Qualitätsprüfung von Gutachten nicht gelungen ist, eine hinreichende Informationsgrundlage für die Paketlösung zu erarbeiten. Gutachten zur rechtlichen Umsetzung eines Nachtflugverbots würden ebenso ausstehen wie zur Gesundheitschädigung im Umland des Flughafens. Andere Expertisen wiederum seien, so die Kritiker/-innen aus den Bürgerinitiativen, aufgrund ihrer ungenügenden Datengrundlage nicht aussagekräftig. Die offenkundigen Lücken der Informationsbasis wurden zum Teil auch von den Mediatoren und ihren Berater/-innen anerkannt (vgl. z.B. Mediationsgruppe 2000: 67).

Eine Zwischenbilanz der bisherigen Auseinandersetzung um den Flughafenausbau Frankfurt/Main, die die eingangs aufgestellte Formel diskutiert, verbleibt notwendigerweise auf der Ebene der Verfahrenskritik und der Paketlösung, da eine Entscheidung für eine spezifische Variante zurzeit noch aussteht. Unter Beachtung dieser Einschränkung lassen sich eine Reihe von einzelnen Kritikpunkten an dem "Mediationsverfahren" nennen. Unter diesen ragen aus meiner Sicht die Mängel der Gutachtenpraxis und Informationsgrundlage ebenso hervor wie ein fehlender stabiler Konsens hinsichtlich der Paketlösung. Trotz dieser Mängel lässt sich festhalten, dass die bisherige Auseinandersetzung um den Flughafen vor allem auf der Landesebene als "Positivsummenspiel" wahrgenommen worden ist, während eine Diskussion der Flughafenerweiterung als "Entweder-oder-Entscheidung" lokal begrenzt bleibt.

Diese ebenenspezifische Unterscheidung bleibt auch dann aufrechterhalten, wenn der Aspekt der "Win-win-Situation" mit Sicht auf die einzelnen Akteure diskutiert wird: So zeigt sich, dass zunächst vor allem die hessische Landesregierung gewonnen hat. Mit der Initiierung des "Mediationsverfahrens" wählte die ehemalige rotgrüne hessische Landesregierung unter Hans Eichel 1998 eine grundsätzlich andere Strategie als die Börner-Administration zu Beginn der Achtzigerjahre, die sich in dem damaligen Konflikt als selbstreferenzielle, konfrontationsorientierte Konfliktpartei erwies. Statt auf der Seite der Ausbaubefürworter hat sie sich zunächst in einer Mittlerrolle positioniert. Von dieser anfänglichen Zurückhaltung der rotgrünen Landesregierung hat auch die seit 1999 amtierende und einen deutlich dezisionistischeren Politikstil verfolgende CDU-FDP-Regierung profitiert. Das Beteiligungsverfahren hat auch für sie eine entlastende und legitimierende Funktion. Jede Entscheidung für eine Ausbauvariante kann nun mit dem Verweis auf die Paketlösung und den umfassenden vorhergehenden Diskussionsprozess begründet und abgefedert werden. Zu den Gewinner/-innen des Beteiligungsverfahrens zählen sicherlich auch die FAG und die Luftfahrtgesellschaften, da ihr zentrales profitorientiertes Interesse an einer Erweiterung anerkannt und ein Votum für einen Ausbau festgeschrieben ist. Damit wird die jeweilige Konkurrenzposition im internationalen Flugverkehr gestärkt.

Eine "Win-win-Situation" für das gesamte Verhandlungssystem um das "glokale" Projekt Flughafenausbau würde es nun auszeichnen, dass auch die Bevölkerung in der Rhein-Main-Region, insbesondere im Umland des Flughafens, einen merklichen Gewinn des "Mediationsverfahrens" verbuchen könnte. Schließlich liegt das klassische Problem des Ausbaus in der lokalen Konzentrierung der Umweltbelastungen, während der Nutzen translokal verteilt ist (vgl. Strubelt/Adam 1993: 135 f.). Da der vorgesehene Ausbau des Flughafens mit Sicherheit die Erhöhung der Lärm- und Schadstoffemissionen nach sich ziehen wird, verschlechtert sich die lokale Situation für die betroffene Bevölkerung erst einmal. Lediglich eine Verringerung oder ein Verbot des Nachtflugverkehrs, wie es in der Paketlösung vorgesehen ist, könnte die Erhöhung der Emissionen am Tag aufwiegen und unter Umständen in der Summe zu einer spürbaren Entlastung für die Bevölkerung im Umland führen. Diese ließe sich dann als lokaler "Gewinn" diskutieren. Allerdings handelt es sich bei dem Nachtflugverbot um den schwächsten Punkt der Paketlösung: Einerseits erscheint die rechtliche Umsetzung des Nachtflugverbots bisher weitgehend ungeklärt. Andererseits unterliegen Regelungen einer wesentlich größeren Variabilität als Bauwerke und Pisten. In diesem Zusammenhang beantwortet sich die derzeit offene Frage nach dem lokalen Gewinn möglicherweise über einen Umweg. Wenn politische Verhandlungssysteme, gerade auch solche, die halb-öffentliche und private Akteure wie die FAG und die Luftfahrtgesellschaften integrieren, als Kristallisation gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse verstanden werden, dann hängt die Durchsetzung der Paketlösung möglicherweise von den konfrontativen Strategien und der Protestmobilisierung gegen den Flughafenausbau ab. Insgesamt ist aber zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls geklärt, ob die lokale Ebene Nutznießerin der Paketlösung wird.

Literatur

Bora, Alfons/Epp, Astrid: Die imaginäre Einheit der Diskurse. Zur Funktion von "Verfahrensgerechtigkeit". In: KZSS 3/2000, S. 1-35

Daele, Wolfgang van den/Neidhardt, Friedhelm (1996): "Regierung durch Diskussion" - Über Versuche, mit Argumenten Politik zu machen. In: Dies. (Hg.): Kommunikation und Entscheidung. Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren. WZB-Jahrbuch 1996, S. 9- 50

Johnsen, Hartmut (1996): Der Startbahn-West Konflikt. Ein politisches Lehrstück? Zeitzeugen ziehen Zwischenbilanz, Frankfurt am Main

Kessen, Stefan (1999): Umweltmediation zwischen Chance und Etikettenschwindel; in: Forschungsjournal NSB, Jg. 12, Heft 3, S. 83- 90

Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt/Main (1999): Zwischenbericht über den Sachstand des Mediationsverfahrens Flughafen Frankfurt/Main, Frankfurt am Main, 22.Januar 1999

Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt/Main (2000): Abschlussbericht des Mediationsverfahrens Flughafen Frankfurt/Main, Frankfurt am Main, 2.Februar 2000

Ronneberger, Klaus/Keil, Roger 1995: Ausser Atem – Frankfurt in der Postmoderne; in: Hitz, Hansruedi u.a. (Hg.): Capitales Fatales. Urbanisierung und Politik in den Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich, Zürich 1995, S. 286-353

Rucht, Dieter (Hg.): Flughafenprojekte als Politikum. Die Konflikte in Stuttgart, München und Frankfurt, Frankfurt/New York 1984

Sabatier, Paul A. (1993): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik; in: Héritier, Adrienne (Hg.): Policy-Analyse. Kritik und Neuorientierung, Opladen, S. 116- 148

Scharpf, Fritz W. (1998): Demokratie in der transnationalen Politik; in: Beck, Ulrich (Hg.): Politik der Globalisierung, Frankfurt/Main

Strubelt, Wendelin/Adam, Brigitte (1993): Entscheidungsprozesse um Flughafenplanungen – am Beispiel des Flughafenausbaus in Bremen; in: Zilleßen, Horst/Dienel, Peter C./Strubelt, Wendelin (Hg.): Die Modernisierung der Demokratie. Internationale Ansätze, Opladen, S. 135- 155

Zilleßen, Horst (1998): Mediation. Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, Opladen

 

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe August 2000