Gentechnik und (grüne) Politik

Manuel Kiper

Die rotgrüne Koalitionsvereinbarung vom 2. Oktober 1998 sah bei allem Einsatz für "verantwortbare Potenziale der Gentechnik" acht Schwerpunkte zu Fragen von Sicherheit, Ethik, Verbraucherschutz und Schutz vor genetischer Diskriminierung für diese Legislaturperiode vor. Tatsächlich sind in den vergangenen zwei Jahren aus grüner Sicht erfolgreich

— das internationale Biosafety-Protokoll endlich verabschiedet

— von der EU bereits zugelassene genmanipulierte Maissorten mit Antibiotikaresistenzgenen gestoppt

— mit dem BMG-Symposium "Fortpflanzungsmedizin in Deutschland" erfolgreich der Diskurs über Retortenbabys, Eugenik, Abtreibung, Klonen und Genmanipulation und die Erarbeitung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes eingeleitet — ein Bioethik-Beirat im BMG berufen

— eine eigene Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zu den ethischen Problemen der Gentechnik und Biomedizin eingerichtet und  

— die finanziellen Mittel für die Sicherheitsforschung ausgeweitet und Monitoring-Konzepte zur langfristigen Überwachung gentechnischer Freisetzungen erarbeitet worden.

Diese Erfolge grüner Einmischung in Politik und Regierung konnten allerdings mitnichten den Durchmarsch der Genetiker stoppen oder auch nur kaschieren.

Dammbrüche der letzten Zeit wie das Klonen, Entdeckung der Entwicklungsgene und Geweberegeneration, Entschlüsselung des menschlichen und vieler anderer Genome geben den Machern der biologischen Revolution Auftrieb. Viele Firmen der Chemie- und Pharma-Branche sind inzwischen zu Life-Science-Industrien umgebaut worden.

Verbunden mit den technischen und ökonomischen Umbrüchen wurden auch die politischen Rahmenbedingungen verändert. Ab 1. September 1999 können transgene Tiere und Pflanzen sowie menschliche Gene und Zellen in Europa patentiert werden. Keimbahneingriffe finden immer mehr Befürworter und Nachfrager. Nach der spektakulären Konferenz "Engineering the Human Germ Line" in Kalifornien im Frühjahr 1998 melden sich auch hierzulande Türöffner für Keimbahneingriffe. Das Gleiche gilt für die umstrittene Embryonenforschung, die in England wie USA nicht verboten, hierzulande aber unter Strafandrohung geächtet ist.

Die Pläne hinsichtlich Menschenzüchtung sind vermessen. Selbst mit der somatischen Gentherapie ist von den weltweit etwa 3000 gentherapeutisch behandelten Patienten kein Einziger geheilt worden. Da es aber bei der Gentechnik um viel Geld und Firmengründungen geht, wurde auf dem genannten Symposium technischer Optimismus verbreitet. Die eigentliche Frage sei nicht, ob die Technik Eingang finde, sondern wann und wie Keimbahneingriffe kommen würden. Diese Hemdsärmeligkeit ist das Klima, in dem unverantwortliche gentherapeutische Eingriffe gedeihen, wie sie im Herbst letzten Jahres zum Tode von Jesse Gelsinger in den USA führten.

In Deutschland ist die Veränderung menschlicher Keimbahnzellen verboten. Noch unter der Kohl-Regierung hatte allerdings der Technologierat beim Bundeskanzler gefordert, dass mit Rücksicht auf den Forschungsstandort Deutschland in der Gentherapie die "einschlägigen Beschränkungen nicht wesentlich von internationalen Standards abweichen" sollten. Es gibt auch Transplantationsmediziner, die das verbotene Züchten von embryonalen Stammzellen und das Klonieren für den Organersatz für ethisch vertretbar halten. Die Bundesärztekammer hat im Februar dieses Jahres eine Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik veröffentlicht, mit der auch die Embryonenselektion in Deutschland durchsetzbar gemacht werden soll.

Angesichts dieser Herausforderungen sollte sich grüne Gentechnikpolitik konzentrieren auf Betonung und Förderung von Alternativen, Verbesserung der Sicherheit und Prävention, Vertiefung des gesellschaftlichen Diskurses, ein positives Biotechnologieprogramm und für Emanzipation ohne Entfremdung werben.

Karl Marx hat in seinen philosophisch-ökonomischen Manuskripten die Entfremdung als wesentliche Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie wie der Gesellschaftsentwicklung entfaltet. Entfremdung von den natürlichen Lebensgrundlagen ist das Ergebnis des bisherigen Projekts der Moderne, der Emanzipation von der Natur. Entfremdung von seiner eigenen Natürlichkeit ist das Ergebnis von Genesis II, dem gentechnischen Machbarkeits- und Technisierungswahn. Jenseits religiösen Brimboriums bietet sich vor diesem emanzipativen Menschenbild des jungen Marx die Möglichkeit der Prüfung gentechnischer Angebote auf Lebensqualität und erfüllende Menschwerdung.

Entfremdung scheint mir als Metapher und Kategorie geeignet, um die Kritik der Gentechnik wie der modernen Fortpflanzungsmedizin zu untermauern. Entfremdung ergänzt das "Würde"-Konzept des Grundgesetzes. In der grünen Technologiepolitik und insbesondere der Gen- und Biotechnologiepolitik muß auch zukünftig das Unbehagen über die technische Zurichtung der Natur aufgegriffen und gesellschaftsgestaltend produktiv werden. Bündnis 90/Die Grünen sollten sich allerdings nicht als antiemanzipatorische Kraft profilieren. Wir wollen Emanzipation, auch Emanzipation von Naturzwängen. Allerdings stellen wir die Frage nach Lebensqualität und haben eine Vorstellung von Würde – im Übrigen nicht nur des Menschen, sondern aller Lebewesen.

Kritische Prüfung und Hinterfragung neuer Technologien, reflektierte Modernisierung und Emanzipation, Rücknahme der wachsenden Entfremdung zu natürlichen Lebensgrundlagen wie menschlicher Natur, Entfaltung von Natur und Lebensqualität unter systemaren statt punktuellen oder linearen Gesichtspunkten müssten zu Markenzeichen grüner Technik- und Gesellschaftspolitik gemacht werden.

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe August 2000