Krieg der Masken, Krieg der Mächtigen

Der liberianische Bürgerkrieg

Jörn Schulz

Liberia hatte lange als afrikanischer Musterstaat gegolten. Inzwischen hat der anhaltende Kriegszustand sämtliche politischen und gesellschaftlichen Strukturen zerstört. War Liberia ursprünglich durch den Gegensatz zwischen Ameriko-Liberianern und der einheimischen Bevölkerung im Hinterland gekennzeichnet, so ist es heute die Beute von Kriegsherren und Banden, die jede Bindung verloren haben. Ein Beispiel dafür, was herauskommt, wenn Kriege sich "ausbluten". Das war ja auch eine für Bosnien empfohlene und bis ins letzte Jahr befolgte Devise.

Als im September 1995 in der nigerianischen Hauptstadt Abuja das dreizehnte Friedensabkommen im liberianischen Bürgerkrieg unterzeichnet wurde, waren die Hoffnungen groß. Der liberianische Warlord Taylor und der nigerianische Militärdiktator Abacha, die beiden Hauptkontrahenten in diesem Konflikt, hatten sich miteinander versöhnt, und es war gelungen, alle wichtigen Bürgerkriegsparteien in eine Übergangsregierung einzubinden. Dennoch hielt das Abkommen nur wenige Monate, im April dieses Jahre eskalierte der Machtkampf in der Übergangsregierung. Gegenwärtig schweigen die Waffen in Monrovia, aber der nächste Konflikt ist vorprogrammiert.

Das ist nicht die Folge unversöhnlicher ethnischer Feindschaft, überhaupt ist der liberianische Bürgerkrieg kein ethnischer Konflikt im üblichen Sinne. Die Bürgerkriegsparteien rekrutieren ihre Truppen meist auf der Grundlage ethnischer Herkunft, weil dies die einzig verbliebene soziale Kategorie nach dem Zerfall fast aller Gemeinschaftsstrukturen ist. Ethnische Gruppen als soziale und politische Einheiten gibt es in Liberia, wo 80 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht sind, nicht mehr. Der Bürgerkrieg hat das Land so gründlich zerstört, daß der Konkurrenzkampf der Warlords zu einem Streit um einen weitgehend entvölkerten Geisterstaat geworden ist.

Die Herrschaft der Ameriko-Liberianer

Der liberianische Bürgerkrieg ist nur verständlich vor dem Hintergrund der Geschichte eines Landes, das bereits 1847 unabhängig wurde und neben Äthiopien der einzige afrikanische Staat ist, der nie unter europäischer Herrschaft stand. Liberia wurde gegründet von den seit 1821 an der Küste angesiedelten freigelassenen Sklaven, die teils aus den USA, teils von den Schiffen der Sklavenhändler stammten, die amerikanische und britische Marine vor der westafrikanischen Küste aufgebracht hatten.

Die ehemalige US-Sklaven, die Ameriko-Liberianer, waren Christen, die sich einer westlichen Lebensweise verbunden fühlten und in der indigenen Bevölkerung barbarische Wilde sahen, die es zu zivilisieren gelte. Auch wirtschaftlich sollte das Hinterland erschlossen werden. So entstand ein Siedlerkolonialismus, der sich allerdings in zwei wesentlichen Punkten vom europäischen Kolonialismus unterschied: dem schwachen liberianischen Staat fehlten die materiellen Ressourcen einer europäischen Kolonialmacht, und es gab für die indigene Bevölkerung einige Möglichkeiten der Integration.

Wer Liberianer werden wollte, mußte sich harten Bedingungen fügen: vollständiger Bruch mit ethnischer Herkunft und traditionellen Sitten, Übernahme des Christentums und einer westlichen Lebensweise. Angehörige der indigenen Führungsschichten konnten so Teil der Elite werden, für alle anderen gab es nur die "apprenticeship", eine abhängige Stellung im Dienste einer ameriko-liberianischen Familie. Sehr attraktiv war das Angebot also nicht, und der Widerstand der indigenen Bevölkerung gegen das Vordringen der Ameriko-Liberianer war für lange Zeit überaus heftig.

Zunächst unterstanden nur einige Küstenorte und ein paar Siedlungen im Inland der staatlichen Autorität. Um das Hinterland erobern zu können, mußte die liberianische Regierung amerikanische und britische Hilfe in Anspruch nehmen. Das ohnehin seit seiner Gründung von den USA abhängige Land geriet bereits im 19. Jahrhundert in die Schuldenfalle. 1926 mußte die Regierung dem US-Reifenkonzern Firestone vier Prozent des Staatsgebietes für eine Kautschukplantage überlassen, Firestone übernahm auch gleich die Leitung der Staatsbank. In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Sektoren (Eisenerz, Diamanten, Tropenholz) erschlossen, auch ihre Ausbeutung überließ man westlichen, vor allem US-Konzernen. Die ameriko-liberianische Elite wurde zur Staatsklasse und lebte von den Früchten der Konzessionsökonomie.

Faktisch herrschte ein Einparteiensystem. Einige mächtige Familien kontrollierten die True Whig Party, die wiederum über ein klientelistisches System und ein weitverzweigtes Spitzelnetz die ameriko-liberianische Elite kontrollierte. Wenn das nicht reichte, standen neben Polizei und Armee vier Sicherheitsdienste zur Verfügung. Der Präsident war mit fast vollkommener Machtfülle ausgestattet, jede Ausgabe der Regierung, die 100 Dollar überschritt, mußte von ihm persönlich genehmigt werden. Wählen durfte nur, wer Land besaß und Steuern zahlte. Das schloß die städtischen Unterschichten ebenso aus wie die Bewohner des Hinterlandes, wo individueller Landbesitz die Ausnahme war.

Erst um 1940 kontrollierte die liberianische Regierung auch die entlegenen Regionen ihres Staatsgebiets. Präsident Tubman, der Liberia von 1944-1971 regierte, erkannte die Notwendigkeit einer nationalen Integration, aber das politische System war unfähig zu wirklichen Reformen. Letztlich wurde das Klientelsystem nur auf das Hinterland ausgedehnt.

Man orientierte sich am britischen Vorbild der "indirekten Herrschaft". Die Regierung teilte das Hinterland in Distrikte auf, die einem paramount chief unterstellt wurden.

Die Ethnisierung Liberias und der Verfall der traditionellen Ordnung

Damit wurde die Voraussetzung für die spätere Ethnisierung der Politik geschaffen, denn die paramount chiefdoms stimmten nicht mit den real existierenden politischen Gemeinschaften überein. Viele Stämme, die so zusammengefaßt wurden, hatten sich zuvor selbst nicht als ethnische Gruppe (im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft, die eine politische Einheit begründet) gesehen.(1) Ohnehin war die ethnische Frage einigermaßen komplex. Mit den Geheimgesellschaften gab es bei den meisten ethnischen Gruppen Institutionen von zentraler Bedeutung, die Stämme und Regionen miteinander verbanden, Angehörige eines Stammes aber voneinander trennen konnte. Grundlage der Geheimgesellschaften war der Initiationsritus, die Einführung von Jungen und Mädchen (die Initiation erfolgt nach Geschlechtern getrennt) in die Erwachsenenwelt. Dieser Übergang wird als Abfolge von Tod und Wiedergeburt verstanden, in harten Prüfungen müssen die Jugendlichen beweisen, daß sie den Anforderungen des Erwachsenenlebens gewachsen sind.

Diese Anforderungen waren hoch. Auch in dieser relativ isolierten Regenwaldregion hatte der europäische Überseehandel dazu geführt, daß afrikanische Reiche um die lukrativsten Handelsmöglichkeiten konkurrierten. In dieser Welt der Kriege und Sklavenjagden(2) konnten nur hierarchisch organisierte, zugleich aber solidarische Gesellschaften mit einer kriegerischen Werteordnung bestehen. Poro, die wichtigste Geheimgesellschaft, war ein Instrument der gesellschaftlichen Kontrolle. Sie unterband abweichendes Verhalten, wenn nötig mit Gewalt. Zugleich war sie die Vertretung der "öffentlichen Meinung" gegenüber dem Chief, der nur gemeinsam mit ihr Zwangsgewalt hatte.

In der traditionellen Ordnung wurden Macht und Gewalt kontrolliert und ritualisiert. Durch die "indirekte Herrschaft" fielen die ersten Kontrollen weg. Als "Vermittler" zwischen Staat und Bevölkerung verfügte der Chief über mehr Macht und neue Einnahmequellen. Ihm allein oblag jetzt die Rechtsprechung nach den "tribal customary law", soweit es nicht um Kapitalverbrechen ging. Von der Regierung erhielt er neben einem Gehalt einen Anteil an den in seinem Bezirk eingezogenen Steuern, ausländische Konzerne bezahlten ihn für die Rekrutierung von Arbeitern. Andererseits mußte er jetzt von einer fremden Autorität in seinem Amt bestätigt werden. Er hatte an Macht gewonnen, aber an Würde verloren.

Die Einbeziehung in die Geldwirtschaft, der indigenen Bevölkerung durch Besteuerung, Zwangsarbeit und Landnahme aufgezwungen, zersetzte gemeinschaftliche Werte und kooperative Arbeitsformen. Die Einführung in das traditionelle Wertesystem, ursprünglich ein mehrere Jahre andauernder Prozeß, wurde immer kürzer und oberflächlicher. Zugleich blieben diese "bush schools" im Hinterland, wo die Analphabetenrate bei 96 Prozent lag,(3) die einzige Bildungsmöglichkeit.

Die liberianische Geschichte war geprägt vom Aufeinanderprallen von Subsistenzwirtschaft und kapitalistischer Konzessionsökonomie, von traditioneller und westlicher Kultur, von afrikanischer Religion und christlicher Erlösungsmystik. Hier vermischten sich Besitzindividualismus und Konsumkultur nach US-Vorbild mit einer kriegerisch-autoritären, ursprünglich aber gemeinschaftlichen und konsensorientierten indigenen Kultur. Im Bürgerkrieg kam beides entfesselt zum Ausbruch. In den Warlord-Gruppen verbindet sich blanke Raffgier, die sich von den üblichen Grundlagen kapitalistischen Geschäftslebens freigemacht hat, mit einer verzerrten Form traditioneller kriegerischer Symbolik, deren gesellschaftliche Grundlagen längst zerfallen sind.

Zunächst aber schien alles zu funktionieren. Liberia galt als stabil, sogar als demokratisch. Vor allem war das Land für afrikanische Verhältnisse relativ wohlhabend und konnte in den 50er und 60er Jahren hohe Wachstumsraten vorweisen. Aber es war ein Wachstum ohne Entwicklung, westliche Konzerne schufen moderne Enklaven, die unverbunden neben der Subsistenzwirtschaft standen, die trotz aller Bemühungen im Hinterland dominant blieb. Die ameriko-liberianische Elite, zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung, kontrollierte fast zwei Drittel des Bruttosozialprodukts. Als in den 70er Jahren die Preise für liberianische Rohstoffe sanken, war das für ein Regime, dessen Legitimation einzig und allein auf der Verteilung von Wohltaten beruhte, der Anfang vom Ende.

Die indigene Bevölkerung begann, sich zu organisieren. In den 70er Jahren formierten sich Oppositionsgruppen und Gewerkschaften. Als 1979 der Reispreis massiv erhöht wurde, kam es in Monrovia zum Aufstand unter der Parole "rice and rights". Viele Soldaten weigerten sich, auf die Demonstranten zu schießen; Präsident Tolbert sah sich gezwungen, Elitetruppen aus Guinea zur Hilfe zu rufen. Im gleichen Jahr trat mit Amos Sawyer erstmals ein Oppositionskandidat zur Bürgermeisterwahl in Monrovia an. Die ameriko-liberianische Elite verlor die Kontrolle.

Machtkampf der Offiziere

Die zivile Opposition war jedoch zu schwach, um das Regime zu stürzen, es war ein Militärputsch, der 1980 die Herrschaft der ameriko-liberianischen Elite beendete. Gegenwehr gab es kaum, und die Putschisten genossen zunächst breite Unterstützung in der Bevölkerung.

Der Sturz Tolberts hätte die Chance geboten, durch einen Ausgleich zwischen ameriko-liberianischer Elite und einheimischer Bevölkerung, zwischen modernen Enklaven und traditionellem Hinterland, erstmals eine gesellschaftliche Integration herzustellen.

Die Putschisten waren Offiziere der unteren Ränge, geführt von dem erst 28jährigen Samuel Doe. Alle waren indigener Herkunft, viele kamen, wie die Mehrzahl der Soldaten, aus den städtischen Unterschichten, die nur noch wenig traditionelle, aber auch keine modernen Bindungen hatten. Die jungen Offiziere haßten die alte Elite, kamen aber ohne ihr Fachwissen nicht aus. Einige führende Ameriko-Liberianer wurden hingerichtet, die übrigen kehrten schon nach wenigen Monaten in ihre Positionen zurück. Schnell wurde klar, daß die Demokratisierungsversprechen des neuen Regimes nicht ernst gemeint waren. Die zivilen Politiker wurden aus Does "Volkserlösungsrat" entfernt. Dann begann der Machtkampf innerhalb des Regimes.

Doe gehörte zur ethnischen Gruppe der Krahn (etwa 6% der Bevölkerung), in großer Eile baute er ein Klientelsystem auf und plazierte Krahn-Gefolgsleute in wichtige Machtpositionen.

Thomas Quiwonkpa, der zweite starke Mann im Regime, stützte sich auf eine Gefolgschaft aus Dan und Mano. Quiwonkpa verlor den Machtkampf mit Doe und mußte 1983 das Land verlassen, kurze Zeit später folgte ihm sein Berater, ein gewisser Charles Taylor. Taylors Vater war Ameriko-Liberianer, seine Mutter stammte aus Nimba County, der Heimat der Dan und Mano. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler hatte nach dem Putsch die Leitung des staatlichen Materialbeschaffungsamtes übernommen und diese einträgliche Position genutzt, um mehr als eine halbe Million Dollar in seine eigene Tasche zu wirtschaften. Das entsprach durchaus den Gepflogenheiten der alten wie der neuen Elite, bot Doe nun jedoch eine willkommene Handhabe gegen ihn.

1985, Taylor saß gerade in US-Auslieferungshaft, begann Quiwonkpa in Nimba County den bewaffneten Kampf gegen das Doe-Regime. Getragen von der spontanen Unterstützung der Bevölkerung und eines Teiles der Armee gelang es Quiwonkpas Kämpfern, bis nach Monrovia vorzudringen, dort allerdings wurde die gesamte Truppe von Does Eliteeinheiten niedergemetzelt. Doe befahl nun einen Rachefeldzug gegen Nimba County. Das Massaker dauerte mehrere Wochen, mehr als 3.000 Menschen starben. Nimba County stand seitdem in unversöhnlichem Gegensatz zu Doe.

Mit dem Feldzug Quiwonkpas und der blutigen Rache Does hatte der Bürgerkrieg im Grunde bereits begonnen. Alle Warlords haben einst eine wichtige Position unter Doe bekleidet. Was die Führung betrifft, so ist der Bürgerkrieg die Fortsetzung des Kampfes um das Erbe der ameriko-liberianischen Elite. Hatte zuvor der Gegensatz zwischen dieser Elite und der indigenen Bevölkerung die liberianische Politik bestimmt, so wurde die Politik nun ethnisiert. Dies erfolgte von oben nach unten, von der Spitze des Regimes in die Armee und von dort in die Gesellschaft hinein.

Unter der Herrschaft Does wurde die Wirtschaftskrise zur rasanten Talfahrt, das Bruttosozialprodukt sank um durchschnittlich fünf Prozent im Jahr. Brutalität und Unfähigkeit des Regimes begannen geschäftsschädigend zu werden. Wie schon zuvor setzte das Regime einseitig auf ausländische Investoren, doch angesichts der unsicheren politischen Lage und der gewaltigen Korruption blieben neue Investitionen aus. Entwicklungshilfeorganisationen zogen sich zurück, IWF und Weltbank stoppten die Zusammenarbeit, und Ende der 80er Jahre gingen selbst die USA auf Distanz zu Doe, eine Entscheidung, die um so leichter fiel, als Liberia nicht mehr die frühere Bedeutung als Stützpunkt für Propaganda- und Geheimdienstaktivitäten hatte.

Bürgerkrieg und Intervention

Taylor hatte sich den Weg zurück nach Afrika freigekauft, mit Unterstützung Libyens, der Elfenbeinküste und Burkina Fasos baute er nun die NPLF (National Patriotic Front of Liberia) auf, die am 24. Dezember 1989 gegen das Doe-Regime antrat. Taylors Truppe war alles andere als eine mächtige Armee, die NPLF konnte anfangs nur etwa 200 Kämpfer aufbieten. Ein stabileres und beliebteres Regime als das Does wäre mit diesem Angriff leicht fertig geworden, Taylor hatte jedoch unzufriedene Exoffiziere der liberianischen Armee aus Nimba County in seinen Reihen. Dort begann die NPLF ihren Vormarsch und gewann schnell neuen Anhang.

Im Sommer 1990 war die Truppe auf mehrere tausend Mann angewachsen, obwohl sich schon im Februar eine Gruppe um Prince Johnson von der NPLF gelöst und die "Independent National Patriotic Front of Liberia" (INPLF) gegründet hatte. Bei dieser Spaltung ging es, ebenso wie bei allen folgenden Fraktionsbildungen, allein um die Verteilung der Macht. Bis heute hat es keine der Bürgerkriegsparteien für nötig befunden, ein politisches Programm vorzulegen.

Die Armee konnte den Vormarsch der NPLF nicht stoppen. Doe verschanzte sich in seinem Regierungspalast, seine Lage wurde hoffnungslos - es sei denn, ausländische Truppen würden zu seiner Unterstützung intervenieren. Auf die USA, die mit der Golfkrise gerade alle Hände voll zu tun hatten, konnte Doe nicht mehr rechnen, nicht einmal die Verbindung Taylors mit Ghaddhafi konnte daran etwas ändern.(4) In Westafrika aber hatte Doe noch mächtige Freunde, besonders unter den nigerianischen Militärs.

Anfang August beschloß ein Komitee der ECOWAS (Economic Community of West African States) unter nigerianischem Druck, eine multinationale Interventionstruppe, die ECOMOG (Ecowas Monitoring Group), zu entsenden. Nigeria hatte bedeutende wirtschaftliche Interessen in Liberia, Doe hatte diese Interessen gewahrt, und das sollte auch so bleiben. Allgemein war man an stabilen Verhältnissen - und das hieß für die herrschenden Militärs immer Erhaltung des Status quo - interessiert. Ähnliches galt für andere westafrikanische Staaten, so schlossen sich den nigerianischen Truppen, die das Hauptkontingent der ECOMOG stellten, kleinere Einheiten aus Ghana, Guinea, Gambia und Sierra Leone an.

Die Intervention war aber auch ein Mittel, Nigerias Position als Regionalmacht zu stärken, deshalb blieben die meisten westafrikanischen Regierungen der ECOMOG fern. Andere, wie Houphouët-Boigny, der Präsident der Elfenbeinküste, waren mit Doe verfeindet und unterstützten weiterhin Taylor. Von einer allgemeinen westafrikanischen Truppe konnte also keine Rede sein, vielmehr wurde der liberianische Bürgerkrieg nun zu einem Terrain, auf dem westafrikanische Regime ihre Konkurrenzkämpfe austrugen.

Taylor fühlte sich von der ECOMOG um den zum Greifen nahen Sieg betrogen, die NPLF konnte jedoch nicht verhindern, daß 3000 ECOMOG-Soldaten noch im August große Teile Monrovias einnahmen. Does Regime, das hatte die ECOMOG schnell einsehen müssen, war nicht mehr zu retten. So unternahm man nichts, als Johnsons Truppen Doe gefangennahmen und öffentlich zu Tode folterten. "Ich habe den alten Präsidenten zum Teufel geschickt", kommentierte Johnson, "aber ich will nicht Präsident werden. Ich bin ein wahrer Demokrat. Deshalb bewundere ich mich selbst am meisten."

Es gab sicherlich gute Gründe, Männer wie ihn und Taylor vom Präsidentenamt auszuschließen, wie es die ECOMOG beschlossen hatte. Da aber Johnsons INPLF und die Reste von Does Armee sich unter den Schutz der ECOMOG begeben hatten, Taylors Truppen dagegen 90 Prozent des Landes beherrschten, war es nicht schwer zu erraten, gegen wen sich diese Vorgabe richtete. Von Anfang an bezog die ECOMOG Position gegen Taylor. Taylor dagegen war der Ansicht, daß ihm aufgrund seiner militärischen Erfolge die ganze Staatsmacht gebühre: "Natürlich habe ich nicht all die Jahre gekämpft, um jemand anderen in den Präsidentensessel zu heben", verkündete er. Auf Formalitäten und Titel lege er jedoch keinen Wert: "Wer mich tief liebt, soll ruhig ,Starker Mann` zu mir sagen."

No Taylor, no peace

Die ECOMOG organisierte eine Übergangsregierung und ein provisorisches Parlament mit Amos Sawyer als Präsidenten. Sawyer genoß großes Ansehen und war vermutlich weit beliebter als Taylor, der durch die Brutalität und Raubgier seiner Truppen die meisten Sympathien schon wieder verloren hatte. Der Übergangsregierung fehlte jedoch eine politische Basis, sie konnte sich nur auf die ECOMOG-Soldaten stützen. Nun versuchte die ECOMOG, eine militärische Lösung zu erzwingen. Die Truppenstärke wuchs auf 10.000, zeitweise sogar auf 16.000 Mann. Gegen das NPLF-Gebiet wurde eine Totalblockade verhängt, nigerianische Kampfflugzeuge bombardierten dort zivile Ziele, gelegentlich auch Konvois von Hilfsorganisationen und Grenzorte in der Elfenbeinküste. Die Bevölkerung hungerte, aber Taylor blieb halsstarrig.

Mit Unterstützung der ECOMOG reorganisierten sich die Reste von Does Machtapparat in verschiedenen Fraktionen: AFL (Armed Forces of Liberia, die offizielle Bezeichnung der Armee), LPC (Liberian Peace Council) und ULIMO (United Liberation Movement of Liberia for Democracy, die Organisation spaltete sich später in eine Krahn- und eine Mandingo-Fraktion). Sie alle griffen das NPLF-Gebiet an, oft gemeinsam mit der ECOMOG. "Die Zusammenarbeit zwischen ECOMOG und AFL/ULIMO hat die Dynamik des Krieges verändert", stellte die Menschenrechtsorganisation Africa Watch 1993 fest, "AFL und ULIMO bilden oft die Frontlinie der Angriffe, während ECOMOG ihnen mit schweren Waffen folgt."(5) Zweimal verlor Taylor sein Hauptquartier an feindliche Truppen, zweimal eroberte er es zurück. Niemand in diesem Konflikt war stark genug für einen Sieg.

Taylor vereitelte eine politische Lösung durch seine mangelnde Bereitschaft, die Macht zu teilen, die nigerianischen Militärs torpedierten jede Chance auf eine Einigung durch ihre einseitige Parteinahme gegen die NPLF, die, wie ihre Zusammenarbeit mit anderen Warlord-Gruppen bewies, keineswegs moralische Gründe hatte. Niemand konnte ernstlich erwarten, daß die NPLF ihre Waffen der ECOMOG übergab, während zugleich von der ECOMOG unterstützte Gruppen NPLF-Stützpunkte überfielen. So zogen sich die Verhandlungen hin.

Taylor ließ seine Leute T-Shirts mit der Aufschrift "No Taylor, no peace" tragen. Schließlich hörte das nigerianische Regime auf diese Botschaft, im Juni 1995 wurde Taylor von Staatschef Abacha empfangen. Es kam, wie Taylor es treffend ausdrückte, zur Versöhnung zwischen "einem großen und einem kleinen Bruder". Nigeria hatte sich damit abfinden müssen, daß Taylor als stärkster liberianischer Warlord nicht übergangen werden konnte, und Taylor war sich mittlerweile klar darüber, daß sein Weg zur Macht nur über ein Arrangement mit den nigerianischen Interessen führen konnte.

Damit war der Weg frei für das dreizehnte Friedensabkommen. In der neuen Übergangsregierung waren die wichtigsten Fraktionen vertreten, allerdings in sehr ungleicher Weise. Im entscheidenden Gremium, dem Staatsrat, saßen nur Taylor, Kromah für die ULIMO-Mandingo und George Boley, Führer des LPC. Es war nicht festgelegt, wie der Staatsrat seine Macht ausüben sollte. Taylor und Kromah, die sich nun im Besitz legitimer Staatsmacht sahen, stellten Anfang April einen Haftbefehl gegen Landwirtschaftsminister Roosevelt Johnson aus, den Führer der ULIMO-Krahn. Nun solidarisierten sich alle bewaffneten Krahn-Fraktionen, einschließlich des LPC, mit Johnson. In Monrovia wurde heftig gekämpft, anschließend intensiv geplündert. Wie üblich kam es zu keiner militärischen Entscheidung. Die US-Marine hatte eine medienwirksame Evakuierungsaktion durchgeführt, sich aber gehütet, in die Kämpfe einzugreifen. Auch die ECOMOG hielt sich zurück.

Über die Motive kann spekuliert werden. Möglicherweise ist das nigerianische Regime jetzt vor allem an einer Aufrechterhaltung seiner ECOMOG-Mission interessiert. Die nigerianischen ECOMOG-Einheiten sind vom Waffenembargo ausgenommen, und in Liberia kann Abacha allein dadurch dringend benötigte diplomatische Pluspunkte sammeln, daß er sich einer so undankbaren Aufgabe annimmt. Die Aprilkämpfe erregten weltweit großes Aufsehen, und obwohl die ECOMOG sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerte, wurden sie allgemein als Beweis für die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Intervention gewertet.

Sowohl die UNO, die seit 1992 mit Beobachtern in Liberia vertreten ist, als auch die USA und die anderen westlichen Staaten haben die ECOMOG-Politik immer abgesegnet. Abgesehen von der zeitweise überaus brutalen Kriegführung und der Unterstützung von Warlord-Gruppen bleibt es jedoch schwer nachvollziehbar, wie ein Regime, das den gewählten Präsidenten seines eigenen Landes ins Gefängnis wirft, in Liberia beim Aufbau demokratischer Institutionen helfen soll.

Immerhin ist es gelungen, in den wichtigsten Küstenstädten eine gewisse Sicherheit und minimale Versorgung zu gewährleisten. Die ECOMOG ("Everything that Could Move is Gone") ist nicht gerade berühmt für ihren Respekt vor liberianischem Eigentum, aber ihre Soldaten töten nicht wegen eines falschen Wortes oder ein paar Schuhen. Das ist dem Leben unter der Herrschaft der Warlords sicher vorzuziehen. Alle Vermittlungsbemühungen der ECOMOG sind jedoch ebenso gescheitert wie der Versuch, eine militärische Lösung zu erzwingen.

Die Geister des Krieges

Die Zahl der Bewaffneten wird heute auf 60.000 geschätzt, und das Warlord-System scheint sich zu verfestigen. Taylor hat sich mittlerweile eine Flagge zugelegt, die neben der liberianischen über den NPLF-Stützpunkten weht. Die NPLF kontrolliert immer noch den größten Teil des Landes, Taylor verfügt aus dem Verkauf der natürlichen Ressourcen (Diamanten, Tropenholz, Gummi und Gold) über ein geschätztes Einkommen von 75 Millionen Dollar im Jahr.(6) Die Einnahmen aus der regen Geschäftstätigkeit seiner Tarnfirmen in den USA und Spenden reicher Exilliberianer hinzugerechnet, dürfte er auf knapp 100 Millionen kommen. Das reicht, um den Krieg weiterzuführen. Wenn Taylor nicht die Menschen ausgehen.

Etwa vierzig Prozent der Bevölkerung sind ins Ausland geflohen, weitere vierzig Prozent drängen sich in Monrovia und den anderen Küstenstädten.(7) Die auch für Bürgerkriegsstaaten beispiellose gesellschaftliche Zerrüttung macht die Beendigung des Konflikts besonders schwierig. Es gab in Monrovia immer wieder wütende Demonstrationen gegen die Warlords, Selbsthilfe- und Friedensgruppen entstanden. Aber der Zerfall der Gemeinschaftsstrukturen erschwert jede Organisierung, und nur durch den Aufbau neuer politischer und sozialer Strukturen kann die Macht der Warlords gebrochen werden.

Der Wiederaufbau wird massiver ausländischer Hilfe bedürfen, die politischen Voraussetzungen können jedoch nur in Liberia selbst geschaffen werden. Jede Initiative wird sich dabei sowohl mit den modernen kapitalistischen Ursachen als auch mit der spirituell-moralischen Dimension des Konfliktes befassen müssen. Es mag paradox klingen, aber der Weg zu einer liberianischen Gesellschaft wird wohl über die Wiederherstellung einer kulturellen Ethnizität führen müssen; jedenfalls ist kein anderer Weg in Sicht, die soziale und kulturelle Bindungslosigkeit zu überwinden.

Wohl in keinem afrikanischen Land spielen traditionelle Religionen eine so große Rolle im Alltagsleben wie in Liberia.(8) Die alten Symbole und Rituale tauchen überall im Bürgerkrieg wieder auf, aber benutzt von berauschten Kindersoldaten sind sie nur noch eine blutige Karikatur. Gemäß den traditionellen Vorstellungen gewinnt ein Mann, der die Maske eines Geistes trägt, nicht nur spirituelle Macht. Solange er die Maske trägt, ist er dieser Geist. Für alles, was er in dieser Zeit tut, ist nicht er, sondern der Geist verantwortlich.

Viele Kämpfer verkleiden sich mit Masken, die durch die Verwendung moderner Materialien wie Badekappen oder Perücken zu bizarren Kostümierungen werden. Sie betrachten sich als Besessene, die für ihre Gewalttaten keine persönliche Verantwortung tragen. Die meisten haben keine gesellschaftlichen Bindungen, sie sind daher alles andere als Stammeskrieger. Von den Schranken, die in der traditionellen Ordnung die Ausübung von Gewalt begrenzten, wissen sie nicht einmal mehr. Die Geister laufen sozusagen Amok. Dies hat - verbunden mit der Tatsache, daß die liberianischen Kämpfer sich ihren Lebensunterhalt fast immer mit dem Gewehr beschaffen, weil kaum einer von ihnen Sold erhält - die Lebensbedingungen in den Warlord-Territorien unerträglich gemacht.

Ein Ende der liberianischen Tragödie ist nicht abzusehen, vielmehr besteht die Gefahr, daß der Bürgerkrieg - der ja von Anfang an ein internationaler Konflikt war - die Region weiter destabilisiert. Bereits im März 1991 waren NPLF-Truppen nach Sierra Leone vorgedrungen, diese relativ begrenzte Invasion löste einen weiteren Bürgerkrieg aus, der sich schnell verselbständigte und bis heute andauert.(9) Sowohl in diesem Land als auch in Gambia hat der liberianische Bürgerkrieg maßgeblich zur Machtübernahme des Militärs beigetragen.

Die materiellen Ursachen des liberianischen Bürgerkriegs finden sich auch anderswo in Afrika: Monopolisierung der Macht durch eine schmale Elite, verbunden mit einem Klientelsystem auf der Grundlage ethnischer Herkunft, politische und wirtschaftliche Marginalisierung der Bevölkerungsmehrheit, Ausbeutung des Landes durch die Stadt, Zerfall traditioneller Solidarsysteme und Abhängigkeit von einem kapitalistischen Weltmarkt, in dem Afrika kaum eine Entwicklungschance hat. Liberia war deshalb besonders anfällig für den Zerfall, weil es so etwas wie eine liberianische Gesellschaft eigentlich nie gegeben hat. Aber auch anderswo in Afrika steht die nationale Integration auf schwachen Füßen.

Um das zu ändern, bedarf es neben politischen und sozialen Maßnahmen auch einer Kulturpolitik, die Tradition und Moderne miteinander verbindet. Ohne in eine Romantisierung der vorkolonialen Verhältnisse zu verfallen, die nicht nur in Liberia alles andere als idyllisch waren, müssen die positiven Elemente der afrikanischen Tradition für die Entwicklung fruchtbar gemacht werden. Kontrolle der Mächtigen, soziale Solidarität, kooperative Arbeitsformen, gemeinschaftliche Beratung und Dezentralisierung der Macht sind hier die entscheidenden Stichworte. Nur so lassen sich die Geister des Krieges bannen.

1

Die Dan beispielsweise sahen sich als Sprachgemeinschaft, hatten jedoch keine gemeinsamen Institutionen und wiesen den Gedanken einer gemeinsamen Abstammung weit von sich. Krahn war ursprünglich die Regierungsbezeichnung für einen Teil der We-Stammeskonföderation, die von der betroffenen Gruppe später übernommen wurde. In Liberia gibt es, abhängig von der Einteilung, etwa fünfzehn ethnische Gruppen, keine von ihnen ist dominierend.

2

Es wird geschätzt, daß aus dem Gebiet des heutigen Liberia eine Million Menschen (fast 40% der heutigen Bevölkerungszahl) in die Sklaverei verschleppt wurden.

3

Nur in den Städten gab es Ansätze eines modernen Bildungssystems, aber auch dort besuchten nur etwa 20% der Kinder eine Schule.

4

Eine eindeutige Präferenz der USA für eine der Bürgerkriegsparteien scheint es nicht zu geben. Aufgrund der offensichtlichen Ideologielosigkeit Taylors maßen sie der Verbindung zu Ghaddhafi wohl wenig Bedeutung zu. Ghaddhafi ließ sich die günstige Gelegenheit, mit relativ wenig Geld im Hinterhof der USA Unruhe zu stiften, natürlich nicht entgehen.

5

Zitiert nach New African, November 1993.

6

Ergebnisse einer Anhörung des US-Kongresses (West Africa, No. 4107, 8.-14. Juli 1996)

7

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk versorgt 750.000 liberianische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Guinea, Sierra Leone und Elfenbeinküste. Die Zahl der Kriegstoten wird seit Jahren mit 150.000 angegeben, hier handelt es sich allenfalls um eine grobe Schätzung.

8

Zu ihnen bekennen sich 67% der Bevölkerung, einige zentrale spirituelle Vorstellungen beeinflussen auch Christen (8%) und Muslime (25%).

9

Foday Sankoh, der Führer der "Rebellenarmee Revolutionary United Front" (RUF), absolvierte ein gemeinsames Militärtraining mit Taylor in Libyen und kämpfte in der NPLF, die auch Oppositionelle aus Guinea, Gambia und Senegal in ihren Reihen hatte.