Danilo und die Nation

István Eörsi
In einem Interview sprach Danilo Kis über die Massenmorde, denen auch sein Vater beinahe zum Opfer fiel. Im Januar 1942 marschierte die ungarische Armee in der Vojvodina ein, damit den mit Jugoslawien geschlossenen Vertrag über ewige Freundschaft brechend und in der Hoffnung, sich die im Trianoner Frieden abgetrennten ungarischen Gebiete zurückholen zu können. Bei Novi Sad exekutierten die Invasoren Tausende von serbischen und jüdischen Bürgern, und zwar so, daß ein eigens zu diesem Zweck in den Eispanzer der Donau gehauenes Loch dazu diente, ihre Leichen aufzunehmen. Auch der Vater des orthodox getauften, siebenjährigen Danilo, der, anders als der Rest der Familie, als Jude galt und den gelben Stern trug, wurde aus dem Kreis der Familie gerissen und abgeholt. Doch als er an die Reihe gekommen wäre, war das Eisloch von den vielen Leichen bereits verstopft, und, mit den Worten des Schriftstellers gesagt, "dieses technische Problem verzögerte die Exekutionen etwas". "Mein Vater tauchte in den späten Nachmittagsstunden zu Hause auf, ein gebrochener Mann, plötzlich gealtert, das Grauen in den Pupillen. ... Dieser Tag an der Donau und das Warten vor den Kabinen, im Vorhof der Hölle, das Warten darauf, an die Reihe zu kommen (denn es ist unmöglich, daß er nicht die Schüsse, die Todesschreie, das Aufklatschen der Körper im Wasser gehört hat), all das erschütterte seinen an sich schon angegriffenen Gesundheitszustand vollends." Diesmal kam er noch davon, doch man möge nicht an ein familiäres Happy-End glauben! Das "technische Problem" war die Ausnahme, die die Erfüllung der Regel lediglich aufschob. Zweieinhalb Jahre später wurde Danilos Vater aus dem Getto von Zalaegerszeg in Südwestungarn in die Gaskammern von Auschwitz deportiert. Sein Sohn übersiedelte im selben Sommer zusammen mit seiner Schwester und mit seiner Mutter in deren Heimat, nach Cetinje in Montenegro. Dort schrieb er sich schnurstracks in die örtliche Kunstschule ein. Auch ohne besondere Vorstellungskraft vermag man sich leicht auszumalen, welche unauslöschbaren Bilder der damals Neunjährige hinter seiner Stirn barg!

Einmal fragte ich ihn Anfang der 80er Jahre in seiner Pariser Wohnung in der Rue Tesson 3-5, warum er denn nicht nach Belgrad zurückziehe, wo er doch dort so viele Freunde habe und solchen Respekt genieße. Er winkte nur ab und antwortete, daß er jeden Sommer einen Monat in einem Hotel in Dubrovnik verbringe, in der Gesellschaft von Freunden, doch es nach fünf Tagen dort kaum mehr aushalten könne und am liebsten sofort abreisen wolle, egal wohin, selbst in die Hölle. "Warum?" fragte ich verständnislos. "Dubrovnik ist doch wunderbar, ganz Jugoslawien ist herrlich, Tito ist gestorben, große Veränderungen sind zu erwarten..." Danilo schnitt mir das Wort ab: "Verstehe doch, ich kann es nicht aushalten, daß die sich am liebsten gegenseitig umbringen möchten!" - "Wer?" - "Die Serben die Kroaten, die Kroaten die Serben, alle beide die Slowenen, und alle drei die Albaner." - "Was redest Du da?" warf ich ein. "Viele Jahre hindurch verbrachte ich meine Sommer in Jugoslawien, zuerst per Autostopp, dann mit dem eigenen Wagen reiste ich zwischen Subotica, Skopje und Ulcinj auf und ab, und mein glücklichstes Erlebnis war, daß die Völker hier überall friedlich nebeneinander leben. Das ist Titos einziges bleibendes Verdienst, und deshalb sah ich es ihm auch nach, daß in jedem Friseurladen sein fliegendreckübersätes Portrait prangte." - "Du hast das so wahrgenommen", fiel mir Danilo erneut ins Wort, "weil Du keine Ahnung von der Sache hast, absolut keine Ahnung." Er wandte sich von mir ab und wiederholte, durchs geöffnete Fenster auf die Straße hinaus: "Die würden sich gegenseitig umbringen." Daraufhin wechselten wir das Thema, doch später kam er in einem Satz wieder darauf zurück: "Ich bin der letzte jugoslawische Schriftsteller", sagte er wörtlich.

Nun bedarf es wohl keiner weiteren Erklärung, warum einer derart bekümmerten Aussage eine andere Bedeutung zukommt, je nachdem, ob sie in einer Pariser Wohnung ausgesprochen wird oder im Belgrader Journalistenklub in der Ulica Franzuski. An letzterem Ort könnte sie vielleicht gar nicht geäußert werden, oder wenn, dann würde sie dort als Frotzelei oder als Provokation aufgenommen werden, als Handgranate, die auf die von Haß triefenden Nationalisten zurückfällt. In der Rue Tesson jedoch wirkte dieser Satz, zumal weil Danilo diesen Schauplatz außerhalb Jugoslawiens freiwillig wählte, schon damals schicksalhaft. Wie? Der letzte jugoslawische Schriftsteller würde am liebsten schon nach fünf Tagen aus seiner Heimat fliehen? Dann war also dieses Individuum der letzte Schriftsteller eines Landes, das, wenn wir's recht bedenken, schon damals gar nicht mehr existiert hat?

Um nichts in der Welt werde ich Danilo Kis die seherische Kraft einer delphischen Orakelpriesterin zuschreiben, noch ihn als moderne Kassandra männlichen Geschlechts darstellen. Sein bitteres Wissen sowie die darin unbezweifelbar vorhandene prophetische Kraft schöpfte er aus dem Brunnen seiner eigenen Vergangenheit. Er wurde in der serbisch-ungarischen Grenzregion geboren. Die ersten Jahres seines Lebens verbrachte er zwischen einer nach Revanche dürstenden, von Territorialansprüchen und revisionistischen Demagogien bis zum Irrsinn aufgedrehten ungarischen Armee und einer in ihrer Bedrohtheit zu jeder Aggression fähigen serbischen Bevölkerung. Als Halbjude ständig zur Flucht gezwungen und in immer elendere Lebensverhältnisse gezwängt, war er gleich doppelt gefährdet. Sein Vater hatte in der Reihe der zur Erschießung bestimmten Serben und Juden vor dem Eisloch gestanden. Als 1945 auf dieselbe irrationale Weise die ungarische Bevölkerung in der Vojvodina massakriert wurde, hielt er sich gerade in Cetinje auf, doch die Nachricht von diesen Ereignissen hat ihn später - auch wenn es lebensgefährlich war, darüber zu sprechen - mit Bestimmtheit erreicht. Danilo wurde sich anders als viele seiner Generationsgenossen jüdischer Abstammung dessen bewußt, daß der Antisemitismus keine ganz besondere Schweinerei ist, sondern ein spezieller - und mitunter extremer - Grenzfall des Nationalismus. Wo Juden leben, ist jeder Nationalismus automatisch auch antisemitisch (mit Ausnahme des israelischen Nationalismus, der anti-arabisch ist); und jeder Antisemitismus ist in Nationalismus eingebettet. Als ihn 1976, quasi am Tag des Erscheinens von Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch, Belgrader Professoren und Schriftsteller mit nationalistischer Wut attackierten, konnte Danilo, wie dies ein Brief von Mirko Kovac aus dem Jahr 1992 bezeugt, "behaupten, daß die gegen ihn gerichteten Angriffe in Belgrad unter anderem einen antisemitischen Charakter hätten. Damals hielt ich das für nicht zutreffend; erst jetzt erkenne ich, daß zwar auch er die Dinge nicht zu durchschauen vermochte, aber als talentierter Mensch instinktiv auf sie stieß."

Nach den Schockerfahrungen der Kriegsjahre ließen die Reaktionen auf dieses Buch zum Thema des sowjetischen Gulag-Systems in Danilo die prophetische Einsicht heranreifen, daß der Nationalismus Jugoslawien zerstückeln werde. Es mag tragikomisch erscheinen, daß ihm ausgerechnet eine antistalinistische Novelle einen Konflikt mit der nationalistischen serbischen Intelligenz einbringen sollte - damals war es noch nicht in dem Maße evident wie heute, daß die kommunistischen und die nationalistischen Gefühlswelten sehr gut miteinander auskommen können. Dabei motivierte ihn beim Verfassen des Boris Dawidowitsch ein besonderer moralischer Gerechtigkeitsdrang. Er schämte sich, daß er bislang lediglich dem Nazismus gegeben hatte, was ihm gebührte, und nach den Toten von Auschwitz wollte er auch den Toten von Kolima Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nur daß eben unter den Berufsrevolutionären, mit denen Stalin abrechnete, von Trotzki angefangen bis zu den Namenlosen, viele Menschen jüdischer Herkunft waren. Die Verleumdungskampagne gegen den Autor, die von oberster Stelle gesteuert schien, benutzte außer der absurden Plagiatsanschuldigung das von ihm bekundete Interesse an den jüdischen Opfern als Prügel. Die Kritiker des Buches hätten gerne in bewährter nationalistischer Manier die leidenden Juden aus dem Kreis des leidenden Volkes ausgegrenzt.

Als Danilo in seinem vielleicht genialsten Buch, der Anatomiestunde, zurückschlug, skizzierte er, auf ein noch früheres Interview aus dem Jahr 1973 zurückgreifend, den Nationalisten folgendermaßen: "Der Nationalismus ist vor allem eine Paranoia, eine kollektive und eine individuelle. Als kollektive Paranoia ist er ein Produkt des Neids, der Angst und vor allem des Umstandes, daß das individuelle Bewußtsein verlorengegangen ist; daraus folgt, daß die kollektive Paranoia nichts anderes ist als die bis zum Paroxysmus gesteigerte Summe der individuellen Paranoien." Anschließend läßt Danilo auf insgesamt 20 Seiten die serbischen, kroatischen und ungarischen Beispiele nur so sprudeln, wie die Nationalisten aller Couleurs auf dem Boden der Geschmacklosigkeit schwachsinnigst miteinander wetteifern, in ausgewählt geschmacklosen Themen, um unvorstellbar geschmacklose Medaillen und Lorbeerkränze. Er stellte fest, daß "der Nationalismus die Ideologie der Banalität ist. Der Nationalismus ist also eine totalitäre Ideologie, nicht nur dem etymologischen Sinn nach. Der Nationalismus ist außerdem die letzte Ideologie und Demagogie, die sich ans Volk wendet."

Es bedarf keiner weiteren Zitate, um zu sehen, daß sich Danilo Kis' Nationalismus-Definition ohne Umstände auch auf den Antisemitismus anwenden läßt: beide Phänomene sind kollektiver Natur, beide entspringen Neid- und Angstgefühlen, und beide gedeihen an der Stelle des verlorengegangenen individuellen Bewußtseins und anstelle dieses Bewußtseins. Und schließlich wenden sich beide Paranoien an das Volk, auf das sie sich bei ihren innig herbeigewünschten und in der Wirklichkeit begangenen Massakern berufen. Aus seinen Darlegungen geht auch hervor, daß diese Gleichsetzung bewußt erfolgt: "... um Sartres Standpunkt im Zusammenhang mit dem Antisemitismus zu paraphrasieren: der Nationalismus ist ,eine komplette und freie Wahl, die globale Stellungnahme des Menschen nicht nur gegenüber anderen Nationen, sondern gegenüber dem Menschen überhaupt, in Beziehung zur Geschichte und zur Gesellschaft, eine Leidenschaft, die zugleich auch Weltkonzeption ist.`" Danilo haben also die kriegsbedingten Erschütterungen seiner Kindheit sowie die 30 Jahre später erfahrene literarische Diskriminierung gleichermaßen für die Absurdität des Nationalismus und seiner Abart, des Antisemitismus, sensibilisiert. Nachdem er in einem Staat lebte, der die verschiedenen Nationalismen zusammenzwingen und unter dem Teppich halten wollte, wo im Kraftfeld wechselnder wirtschaftlicher, politischer, militärischer und kultureller Konfliktherde die Spannung ununterbrochen anhielt, wurde es ihm zur existentiellen Gewißheit, daß die Teile dieses Staates früher oder später übereinander herfallen und einander auslöschen würden und daß mit dem Tod Jugoslawiens auch die jugoslawische Literatur sterben würde.

Unter den bisher zitierten Sätzen ist ein einziger, den auch taktische Erwägungen - genauer: die in allen sozialistisch genannten Ländern gültigen Verbote - geprägt haben dürften. Läßt sich nämlich vom Nationalismus wirklich behaupten, er sei "die letzte Ideologie und Demagogie, die sich ans Volk wendet"? Heute wäre dieser Satz unumschränkt wahr, zumindest in Europa, doch in den Jahren des Poststalinismus tat eine andere banale Ideologie genau dies. Danilo wußte das sehr genau, deshalb stellte er Kolima neben Auschwitz. Dazu möchte ich anmerken, daß sich die beiden Greuel vom Standpunkt der Ermordeten aus in der Tat nicht voneinander unterscheiden; doch ist auch der Umstand signifikant, daß unter den von ihm geschaffenen kommunistischen Gestalten - ich erinnere da nur an den Boris Davidowitsch Nowskij - welche waren, die er in einem Atemzug mit der literarischen Gestalt seines Vaters nannte, die er als Helden betrachtete und für die er echte Liebe aufbrachte; seinen nationalistischen und antisemitischen Figuren blieb eine derartige Karriere verwehrt.

An einem Nachmittag im September 1971 - es regnete in Strömen, der Wind blies - schritten wir über den nach Marx und Engels benannten großen Platz in Belgrad, und Danilo fragte mich, seine Aktentasche über den Kopf haltend, woran ich gerade arbeiten würde. "Ich komme nicht zum Schreiben", antwortete ich, "ich übersetze Lukács' nachgelassene Ontologie." Danilo blieb stehen, wandte sich mir zu, und sein riesiger Adamsapfel blähte sich weit über mir auf. "Wieso vergeudest Du Deine Zeit mit solchem Blödsinn?" fragte er. Damals wußte ich noch nicht, daß er 1959 sehr wohl eine äußerst anerkennende kritische Studie über Lukács verfaßt hatte, und ich begann ihm naiv zu erklären, daß Lukács so oder so betrachtet..., aber er unterbrach mich einfach: "Ach was! Siehst Du nicht, daß das, was die Kommunisten seit 1917 taten, nichts anderes ist als Schlechtigkeit und Torheit?" Erneut hätte ich gerne den Mund aufgemacht, doch er ließ mich nicht so weit kommen. "Sieh Dich doch um! Egal, ob hier oder bei Euch. Was findest Du Gutes? Jeder betrügt, stiehlt, lügt. Nicht einmal die Müllabfuhr vermochten sie zu organisieren."

Wenn ich an Danilo und an die Nation denke und über seine phänomenologischen und analytischen Charakteristika nachsinne, dann sehe ich uns beide im peitschenden Regen, und ich denke daran, daß Danilos Nationalismus-Bestimmungen nicht nur den Antisemiten, sondern auch den Kommunisten einschließen. Auch für den Kommunisten sind kollektive und individuelle Paranoia, die Liquidierung der Persönlichkeit, Banalität, Totalitarismus und der Umstand charakteristisch, daß er seine Schweinereien unter Berufung auf das Volk begeht - Danilo gelang es, eine gemeinsame Formel für die verschiedenen Elendsformen zu finden. In seiner Studie Variationen über mitteleuropäische Themen, geschrieben im Jahr seines Todes und deshalb auch als Vermächtnis zu betrachten, merkt er an, daß "der mitteleuropäische Schriftsteller schon seit langem im Schraubstock der zweifachen Simplifizierung, im Schraubstock des ideologischen und des nationalistischen Reduktionismus zappelt". Beim ideologischen Reduktionismus handelt es sich offensichtlich um die aus Marx und Lenin zusammengeflickte Staatsreligion. Der Reduktionismus kann hier nur so viel bedeuten, als daß die Schriftsteller der Region den ungeheuren Reichtum des Lebens unter dem Zwang der Ideologien und den Ideologien zuliebe auf einige schematische Komponenten verengten. Danilos theoretische Formel ist umfassend und flexibel; zur Ehre seiner schriftstellerischen Energien gereicht es jedoch, daß seine Inspirationen bei der differenzierten Zeichnung nationalistischer und kommunistischer Figuren seine theoretischen Einsichten notfalls nicht besonders respektierten.

Aus dem Ungarischen von Gregor Mayer

István Eörsi

Danilo,

die Literatur ist beschissen, mehr noch die Politik,
die serbischen Nationalisten, die kroatischen Nationalisten, die ungarischen Provinznationalisten,
die Antisemiten, Kommunisten jeder Art und jeden Rangs,
nur die Frauen nicht, die Frauen nicht, man muß vor ihnen auf die Knie fallen
(im Belgrader Journalistenklub, wo wir uns vor mehr als zwanzig Jahren kennenlernten, liefst du immer wieder weg vom Tisch, ich fand dich jedesmal vor einem andern Fauteuil kniend, die Hand ans Herz gedrückt),
(in der Bar des Budapester Astoria strahltest du oben am Tisch, und neun Huren tranken deinen Kognak jungfräulich),
die Frauen, die wir versäumt, winken bis ans Lebensende aus unserm Blick,
bis ans Lebensende, ans Lebensende, die schlanke Vase der Sanftheit, Mira,
deine erste Frau, ein festes Maß, im goldenen Rahmen der Jugend,
stets sah ich sie hinter deiner Schulter, wo immer du lebtest, mit wem du auch lebtest,
ich seh sie noch jetzt, wie ihr Bilderbuch, Füllfeder, Taschentuch aus der Hand fallen,
es kamen andere Frauen, andere Lieben, sodann viel duftender und stinkiger Kram, Leben genannt,
es kam der Weltruf, du aber bist davongerannt,
hast deine halbe Lunge vorausgeschickt, mit ihren Fetzen hat der unbegabte Gott den vollgespuckten, kippenübersäten Gang gewischt,
wieso hast du dich dahin aufgemacht, sollte auch das Leben selbst beschissen sein?,
willst du mit dem neuen Absatz die Enzyklopädie der Toten erweitern?,
nach der Operation hast du jahrelang nur an diesem einen Absatz gefeilt,
wenn wir uns trafen, hast du meinen ehemaligen Zellengenossen, den zu zehn Jahren verurteilten Malermeister István Taska zitiert,
"Auch die Scheiße ist beschissen", in der kleinen serbischen Kneipe neben dem Atelier 212 und in den engen Gassen um die Place de la Bastille,
dein gigantischer Adamsapfel wölbte sich hoch über mir,
in Sachen Adamsapfel und Talent hast du eine dreifache Portion abbekommen,
wieso warst du nicht sparsamer, wieso hast du nicht aus den
Lichtern von Paris einen silbernen Helm für deinen Schädel gelötet,
in Paris ein Serbe zu sein ist besser als in Belgrad ein Franzose,
bekanntlich kann ein Ady oder Krleza in Paris nicht gedeihen,
du hast dich geteilt und in beiden Hälften Europas ausgebreitet,
fandest natürlich beide beschissen und beide dein,
und als sich keine Räume mehr auftaten, wuchs dein Übereifer
ins Innere, wucherte in geheimen Kavernen,
deine unterirdischen Seen verschlammten,
du hast dich aus dir selber verdrängt,
es kamen Nachrichten, es ginge dir besser, du reistest schon,
mit dünner, sich überschlagender Stimme - eines deiner Stimmbänder
war nun gelähmt - schriest du in den Hörer,
anscheinend sei ein Wunder geschehen, du seist davongekommen -
heute half dir der Zauberer aus dem Sternenmantel,
darunter ein Torso, mit Fliegen, mit Ratten,
pfui, welche Schande, vielleicht klebt noch warmer
Schweiß in deinem dichten schwarzen Haar,
als auch schon "Danilo ist tot" aus dem Telefon tönte,
aus dem Radio klang, schreib über ihn, hieß es,
im nächsten Heft, hieß es, egal wie lang, hieß es,
vielleicht liegst du noch in der rue Tesson 3-5,
oder bist gerade Objekt eines Seziermessers,
ich aber sitze an der Schreibmaschine, und glaub nicht, das wäre nicht beschissen,
auch ich bin es, erst recht, du aber nicht, nie mehr,
ich kann's getrost behaupten, alles andere ist bloß Literatur.
17. Oktober 1989

Aus dem Ungarischen von Ilma Rakusa