Die Spielregeln der Globalisierung ändern?

Global Governance – zu welchem Zweck?

Christoph Scherrer

Zum Umgang mit der Globalisierung besteht eine Vielfalt von Konzepten. Der Übersichtsartikel unseres Autors in der Juli-Ausgabe der Kommune, "Globalisierung – eine Zwischenbilanz", schloss mit einer sowohl nach Strategie als auch nach Regelungsebene differenzierten Typologie der Reaktionen auf die Globalisierung. Die Strategien waren unterteilt nach Versuchen, Globalisierungstendenzen zu ignorieren, sich ihnen gegenüber abzuschotten, sich ihnen anzupassen und schließlich in Bemühungen, die Rahmenbedingungen zu ändern. Die Regelungsebenen reichten vom Stadtteil bis hin zu globalen Abkommen. In dem vorliegenden Beitrag möchte ich die Konzepte vorstellen, die auf eine Änderung der Rahmenbedingungen der Globalisierung auf globaler Ebene abzielen. Solche Konzepte erfreuen sich seit einigen Jahren unter dem Schlagwort "Global Governance" wachsender Beliebtheit, und zwar sowohl in der Politik als auch in akademischen Kreisen.

Global Governance, auf deutsch "Weltordnungspolitik", "globale Strukturpolitik" oder "komplexes Weltregieren" verspricht die "Politik" gegenüber dem "Terror der Ökonomie" (Forrester) zu stärken. Mittels grenzüberschreitender Netzwerke von staatlichen und privaten Akteuren sollen einerseits der Verlust nationalstaatlicher Steuerung kompensiert und andererseits globale Probleme effizient gelöst werden können. Dabei muss weder zu nationalistischen Positionen zurückgekehrt noch eine utopische und letztlich wohl wenig wünschenswerte Weltregierung angestrebt werden. Als – verbesserungsfähige – Vorbilder dienen die Europäische Union und das internationale Regime zum Schutze der Ozon-Schicht, dessen Kern ein Verbot der Herstellung von FCKW-haltigen Produkten ist. Für Global Governance plädieren vor allem die von den Vereinten Nationen beauftragte Commission on Global Governance (1995), die Gruppe von Lissabon (1997), die Leiter des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) Franz Nuscheler und Dirk Messner (Messner/Nuscheler 1996a) und führende Forscher der internationalen Beziehungen wie Michael Zürn (1998).

Eine ausführliche, grundsätzliche Kritik findet sich in einer gemeinsamen Studie des weltwirtschafts- und entwicklungspolitischen Vereins WEED und der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung: Global Governance: Alternative zur neoliberalen Globalisierung? Die Autoren der Studie, Ulrich Brand, Achim Brunnengräber, Lutz Schrader, Christian Stock und Peter Wahl (2000), kritisieren vor allem zwei Aspekte der Global-Governance-Konzepte: den fehlenden theoretischen Unterbau und die Verleugnung von Machtasymmetrien. Zu Recht weist Nuscheler den Vorwurf der Theorielosigkeit zurück und verweist auf Interdependenz-, Regime- und Netzwerktheorien als das verwendete theoretische Rüstzeug (2000). Doch auch diese Theorien, so meine These, blenden systematisch ungleiche Machtbeziehungen aus, sodass der zweite Vorwurf von Brand und anderen erst recht zutrifft. Nuscheler hält dem zwar entgegen, dass dieser Vorwurf "nur auf einer ... geflissentlichen Fehlwahrnehmung beruhen" kann, denn Dirk Messner und er würden "ständig die Blockade von Global-Governance-Ansätzen durch hegemoniale Interessen ... betonen" (2000: 152). Er fügt hinzu, dass "erzkonservative Republikaner ... diesen Anti-hegemonialen Ansatz von Global Governance besser verstanden zu haben" scheinen, indem sie ihn als "quiet war against American independence" attackieren (ebd. 152 f.). Doch zum einen sind im Schriftwerk der beiden – ganz zu schweigen von anderen Global-Governance-Werken – die Hinweise auf ungleiche Machtverhältnisse sehr spärlich und zum anderen stellt sich die Frage, ob mit der Kennzeichnung der USA als Hegemon die derzeitigen internationalen Machtverhältnisse adäquat erfasst werden. Wohl eher nicht, denn – so meine zweite These – die derzeitige staatliche Stärke der USA wird von einer in der Entstehung befindlichen Hegemonie transnationaler Kapitale überlagert. Ohne eine Analyse dieser komplexen Hegemonie und der Entwicklung einer dieser doppelten Hegemonialstruktur angemessenen politischen Strategie, so lautet meine dritte und letzte These, werden die mit dem formalen Konzept der Global Governance implizit angestrebten inhaltlichen Politikziele unerreichbar bleiben.

Global Governance mit Global Players?

Der theoretische Bezugspunkt der Global-Governance-Konzepte, die Regimetheorie, wurde in den außenpolitischen Foren international orientierter Kapitalgruppen der USA entwickelt. Diesen ging es um die Sicherung weltwirtschaftlicher Strukturen. Sie befürchteten das Wiederaufkommen eines ökonomischen Nationalismus unter entwickelten Industrieländern im Zuge der wiederholten Dollarkrisen in den Siebzigerjahren. Zugleich sahen sie die Weltwirtschaft durch die Nationalisierungsstrategien rohstoffreicher Entwicklungsländer à la OPEC gefährdet (Gill 1990). Entsprechend stand für die Regimetheorie die Frage im Vordergrund, wie weltpolitische Stabilität auch ohne einen hegemonialen Nationalstaat beziehungsweise ein Machtgleichgewicht unter Großmächten erreicht werden kann. Soweit dabei Machtasymmetrien thematisiert wurden, bezogen sie sich auf den Nationalstaat beziehungsweise nationalistische Kräfte (vgl. Keohane/Nye 1977; Krasner 1982). Die Macht der in den außenpolitischen Foren versammelten "trilateralen" Kapitalgruppen, das heißt aus den USA, Westeuropa und Japan, blieb aus nahe liegenden Gründen unreflektiert. In der neueren Global-Governance-Literatur findet sich diese Leerstelle wieder, insbesondere bei den Berichten der internationalen Kommissionen, aber auch bei den deutschen Protagonisten Messner, Nuscheler und Zürn.

Bei Messner werden beispielsweise Machtstrukturen in Netzwerken als Punkt sieben von zwölf Elementen seiner Definition des Netzwerkphänomens aufgeführt. Dies geschieht allerdings nur sehr allgemein und mit der Einschränkung, dass Größe allein für Macht nicht ausschlaggebend sei (Messner 2000a: 56). Wie bei Nuscheler wird Machtungleichgewicht nur hinsichtlich der USA problematisiert (Messner 2000b: 132), die beide als das zentrale potenzielle Hindernis zur Verwirklichung einer breitgetragenen Global Governance ansehen. Entsprechend werden die "Private Global Players" (eine dem Sport entliehene Metapher für transnationale Konzerne) der "nationalen und globalen Zivilgesellschaft" nicht nur optisch (Messner 1998: 23), sondern häufig auch begrifflich als nichtstaatliche Akteure gleichgesetzt. Aus der affirmativ anerkannten Verlagerung von Machtpotenzialen zugunsten dieser privaten Unternehmen wird die Schlussfolgerung gezogen, dass sie deshalb in die Global--Governance-Architektur einbezogen werden müssten. Diese mächtigen Akteure müssten Verantwortung für die Entwicklung des Gemeinwesens übernehmen (ebd. 1998: 37, 22).

Nehmen aber Privatunternehmen in ihrem Selbstverständnis nicht schon längst Verantwortung für das Gemeinwesen wahr? Im liberalen Gesellschaftsverständnis trägt nicht zuletzt das bornierte Verfolgen privater Interessen zum Gemeinwohl bei, beispielsweise indem aus Profitgier Güter billiger hergestellt und verkauft werden (Hirschman 1977). Für weiter gehende Anforderungen an private Akteure im Sinne des Gemeinwohls bedarf es eines anderen Demokratieverständnisses. Aus der Perspektive beispielsweise eines emphatischen, auf möglichst umfassende Partizipation gerichteten Demokratieverständnisses stünde die Forderung an prominenter Stelle, politische Institutionen zu schaffen, die es der Bevölkerung erlauben, diese privaten Organisationen für ihr Handeln zur Verantwortung zu ziehen. Zur Frage, wie diese Organisationen zur Rechenschaft gezogen werden können (etwa durch Mitsprachemöglichkeiten für Beschäftigte), findet sich in der Global-Governance-Literatur wenig. Wenn Globalisierung unter machtpolitischen Aspekten als eine Verlagerung von Macht weg von territorial definierten, politischen Körperschaften (deren Mitglieder über Mitspracherechte verfügen) hin zu territorial weitgehend ungebundenen wirtschaftlichen Körperschaften (die bis auf wenige Ausnahmen ihre Mitglieder als Befehlsempfänger behandeln) aufgefasst werden kann (vgl. Holloway 1995), dann läuft die Forderung von Messner, die "Global Players" an der Global Governance zu beteiligen, auf eine Entdemokratisierung transnationalen Regierens hinaus. Für Messner ist freilich Partizipation nicht in allererster Linie ein Wert an sich, "sondern vor allem Mittel effektiver und effizienter Problemlösung" (Messner 1998: 25).

Global Governance gleich "gutes Regieren"?

Wenn die Notwendigkeit für Global Governance mit deren angeblichen Kapazitäten zur Problemlösung begründet wird, dann stellt sich die Frage nach den Kriterien, anhand derer Effektivität gemessen werden kann. Implizit messen die meisten Global-Governance-Protagonisten die Effektivität an dem Potenzial dieser Regime, spezifische inhaltliche Resultate erzielen zu können. Ansonsten wäre ihre Klage über unzureichende Global Governance nicht zu verstehen. Denn, wie Zürn ausführlich dokumentiert, bestehen zu fast allen erdenklichen Politikbereichen bereits internationale Verhandlungsforen, sprich: Regime (Zürn 1998: 201-224; siehe auch Messner/Nuscheler 1996b). Dass die CO2-Emissionen noch nicht in dem von den meisten Global-Governance-Befürwortern gewünschten Umfang gesenkt wurden, ist kein Beweis dafür, dass es für dieses Thema noch keine Global Governance gäbe. Allerdings bezweifeln zentrale Akteure auf den Klimakonferenzen die unterstellte Kausalkette zwischen Emissionen und Weltklima und sehen dementsprechend keinen dringlichen Handlungsbedarf (Missbach 2000). Falls letztere Recht hätten, wäre die von den Protagonisten der Global Governance geforderte international koordinierte drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes eine überhastete Reaktion und kein Beispiel für "gutes Regieren". Auch auf den Gebieten, wo häufig Defizite internationaler Regulierung festgestellt werden, Wohlfahrtspolitik und Kapitalverkehr, bestehen gleichfalls bereits internationale Regime (mit Organisationen wie IWF, IAO, Bank für internationalen Zahlungsausgleich als Kern).

Mithin fließen in die Kriterien für eine effektive Governance-konkrete Vorstellungen über die zu treffende politische Maßnahme ein. Ein solches Vorgehen lässt sich nur rechtfertigen, wenn die anvisierte Maßnahme als objektiv notwendig angesehen werden kann. Andernfalls bleibt ihre Notwendigkeit eine Frage des politischen Standpunktes. In der Tat scheinen die meisten Global-Governance-Protagonisten implizit davon ausgehen, dass die von ihnen identifizierten Probleme – globale öffentliche Güter, grenzüberschreitende Probleme, globale Krisen-Phänomene, globale Interdependenzprobleme, Systemwettbewerb etc. (Messner 1998: 29) – auch allgemein als solche angesehen werden und entsprechend Handlungsbedarf besteht. Ob eine solche Annahme gerechtfertigt ist, wird nicht diskutiert. Wie das obige CO2-Beispiel und die Auseinandersetzungen um eine Sozialklausel in der WTO zeigen (Scherrer/Greven 2000), widerspricht das Verhalten einzelner Akteure in bestimmten Regimen dieser Annahme.

Explizit setzt sich allein Zürn (1998) mit der Frage auseinander, was unter "gutem" Regieren zu verstehen sei. Für ihn sind im historischen Prozess vier Ziele des Regierens zum nicht hintergehbaren Allgemeingut geworden: Sicherheit, Identität, Legitimation und Wohlfahrt. Diese vier Ziele seien in den Sechziger- und Siebzigerjahren innerhalb der Mitgliedsländer der OECD erreicht worden, sodass der damalige Standard als Folie genutzt werden könne, um heutige Defizite des Regierens aufzuspüren (1998: 35-63). Diese Vorgehensweise, jenes als allgemein gültig zu erklären, was faktisch durch die Praxis nahezu allgemein anerkannt wird ("nahezu" ist eine ausreichende Bedingung, denn im Zustand der hundertprozentigen Übereinstimmung bestünde kein Diskussionsbedarf mehr; vgl. Laclau 1992), finde ich überzeugend. Allerdings setzt sich Zürn mit seiner Einschränkung des "guten" Regierens auf die OECD-Länder dem Vorwurf eines "OECD-Zentrismus" aus. Seine vier Ziele können, wenn es um das globale Regieren geht, deshalb nicht als allgemein gültig gelten. Aber auch sein Anspruch auf Gültigkeit dieser Ziele für die OECD steht auf unsicherem Fundament. Zu der damaligen Zeit wurde sein heute gefälltes, positives Urteil ganz gewiss nicht von nahezu der gesamten OECD-Bevölkerung geteilt. Gerade sein Paradebeispiel für "gutes" Regieren, die Wohlfahrtspolitik, war bereits damals in den USA höchst umstritten. Die Forderung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, auch die schwarze Bevölkerung in den Wohlfahrtsstaat aufzunehmen, führte zu heftigen Verwerfungen des politischen Systems (Horowitz 1997: 261-308). Im Bereich der Sicherheitspolitik kam es fast in der gesamten OECD-Welt zu Protesten gegen die Blockkonfrontation und vor allem gegen den Vietnamkrieg. Mithin bleibt es trotz Zürns ernsthafter Bemühungen problematisch, von einem allseits geteilten Standard für "gutes" Regieren auszugehen. Die Effektivitätsbeurteilung bleibt Standpunkt-gebunden. Wer für Global Governance eintritt, muss sowohl die angestrebten inhaltlichen Ziele begründen als auch aufzeigen, dass diese Ziele mit Global Governance erreicht werden. Es gibt keine wertneutrale, objektive Global Governance, die bloß technokratisch umgesetzt werden müsste.

Der Konstitutionalismus: Die neoliberale Version der Global Governance

Die anvisierten Bündnispartner der sozial-ökologischen Global Governance, die "Private Global Players", hegen durchaus ihre eigenen Vorstellungen von Global Governance. Seit Beginn der Achtzigerjahre treten die politischen Organe der transnationalen Konzerne, wie beispielsweise die Trilaterale Kommission (Gill 1990), für eine globale Marktwirtschaft ein, in der privates Eigentum vor staatlichen Eingriffen und Auflagen geschützt ist. Der Schutz des privaten Eigentums soll weltweit nationalen Gesetzen vorgehen, soll zum Kernbestand einer sich entwickelnden globalen Verfassung (Konstitution) gehören.

Soweit unilaterales Handeln seitens der US-Regierung allerdings für die Durchsetzung eines solchen globalen Konstitutionalismus förderlich ist, findet es auch unter den transnationalen Konzernen Anhänger. So stieß der von der Reagan-Regierung zu Beginn der Achtzigerjahre propagierte Kurs des Unilateralismus, das heißt wirtschaftspolitische Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Verbündeten zu treffen, auch im Kreis der Trilateralisten auf Zustimmung. Mit diesem Kurs verband sich die Hoffnung, durch die restriktiven Auswirkungen der Hochzinspolitik die anderen Länder ebenso zu einer Politik des Abbaus wirtschaftlicher und wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen bewegen zu können (Nau 1985). Diese Erwartungen wurden weitgehend erfüllt. Beispielsweise konnte die durch die US-Hochzinspolitik ausgelöste Schuldenkrise Lateinamerikas in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente in den betroffenen Ländern genutzt werden (Smith 1993). Gegenüber den verbündeten Industrieländern konnte eine weitere Folge der Hochzins-Hochdollar-Politik der ersten Reagan-Jahre genutzt werden, nämlich die rasant ansteigenden Handelsbilanzdefizite der USA. Diese Länder waren nicht zuletzt aufgrund dieser Defizite stärker vom Zugang zum US-amerikanischen Markt abhängig als umgekehrt die US-Wirtschaft vom Zugang zu ihren Märkten. Die US-Regierung konnte daher als Rammbock gegenüber den nationalen Egoismen der transnationalen Konzerne anderer Länder fungieren. Mit der vereinzelt auch umgesetzten Drohung, Handelssanktionen zu verhängen, konnte nicht nur in Japan der Abbau nichttarifärer Handelsbarrieren und die Deregulierung der Wirtschaft erzwungen werden, sondern auch in Westeuropa. In beiden Regionen wurden die US-amerikanischen Forderungen von inländischen Interessengruppen und Teilen der Ministerialbürokratien aufgegriffen (Schoppa 1997; CEO 1997).

Die unilateralen Maßnahmen erwiesen sich auch für den Abschluss von bilateralen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen sowie für die Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) als hilfreich. Zur Entscheidung der kanadischen Regierung, ihren Mitte der Achtzigerjahre vollzogenen neoliberalen Kurswechsel in eine Freihandelszone mit den USA münden zu lassen, trug nicht zuletzt die wachsende Furcht vor der Zunahme protektionistischer Maßnahmen seitens der USA bei (Winham 1988: 46). Ähnliche Motive ließen auch die mexikanische Regierung das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) anstreben (Cooper 1996). Das Motiv, das Gespenst eines eigenständigen lateinamerikanischen Weges vertraglich auszutreiben, kam in vielfältiger Weise in den Verlautbarungen der NAFTA-Befürworter zum Ausdruck. In sechs von zehn Leitartikeln der New York Times zum NAFTA wurde das vertragliche Festschreiben der neoliberalen Reformen (to lock-in the reforms) in Mexiko als einer der besonderen Vorzüge des Abkommens erwähnt (Herman 1995: 37).

Zudem zielten bereits die Verhandlungen über eine Freihandelszone mit Kanada auf eine Beeinflussung der GATT-Runde ab, da die erstmalige Aufnahme der Dienstleistungen in ein Freihandelsabkommen Vorbild für GATT-Regeln werden sollte (Proff 1993: 35). Der im NAFTA vorgesehene Investitions- und Urheberrechtsschutz sollte wiederum als Grundlage für multilaterale Vereinbarungen mit den Entwicklungs- und Schwellenländern dienen (Hufbauer/Schott 1992: 10).

Die durch Schuldenkrisen, NAFTA und die WTO erreichten Einschränkungen staatlicher "Willkür" – insbesondere gegenüber ausländischen Investoren – sollten 1998 durch ein Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) noch weiter vorangetrieben und irreversibel zunächst für die Mitgliedsländer der OECD festgeschrieben werden. Dieses Abkommen sollte internationalen Investoren Schutz vor Enteignungen und vor Diskriminierung gegenüber einheimischen Firmen garantieren. Die Investoren sollten sogar das Recht erhalten, eine Regierung bei einem internationalen Gericht verklagen zu können. Der damalige Generaldirektor der WTO, Renato Ruggiero, hat die Tragweite dieses Abkommens treffend gekennzeichnet: "Wir schreiben die Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft" (zitiert in Wallach 1998). An der Haltung Frankreichs und der entschiedenen Mobilisierung vor allem durch die amerikanische Konsumentenorganisation Public Citizen scheiterte vorerst die Unterzeichnung von MAI. Von diesem Misserfolg ließen sich aber die verschiedensten nationalen und internationalen Vereinigungen der Großkonzerne (u. a. Business Investment Network, Transatlantic Business Dialog, European Roundtable und auch die Trilaterale Kommission) nicht entmutigen. Zusammen mit den Finanz- und Wirtschaftsministerien der meisten Industriestaaten nutzen sie zur Verwirklichung dieser bill of rights des Kapitalismus vor allem bilaterale Verträge, die ihre staatliche Speerspitze, sprich: die Regierung der USA, mit anderen Ländern abschließt (de Brie 1999; Zoellick 1999).

Zu welchem Zwecke Global Governance?

Mithin existieren konkurrierende Versionen von Global Governance. Die "rot-grüne" Version zielt darauf ab, den Spielraum für politische Gestaltung zu erhöhen, und zwar insbesondere zur Bewältigung von globalen und grenzüberschreitenden Problemen wie Klimaveränderungen, Arbeitsmigration und Unterbietungswettläufe, denen sie eine besondere Dringlichkeit beimisst. Die neoliberale Version gibt der Sicherung von privaten Eigentumsrechten Vorrang. Politische Gestaltung soll, soweit möglich, auf die klassischen Themen des liberalen "Nachtwächterstaats" begrenzt bleiben: Sicherung von Recht und Ordnung. Gemeinsam ist beiden Versionen, dass die Spielräume für nationale Egoismen durch internationale Regeln drastisch eingeschränkt werden und dass nichtstaatliche Akteure stärker in die internationalen Aushandlungs- und Implementierungsprozesse eingebunden werden beziehungsweise für einzelne Regelungsbereiche selbst Verantwortung übernehmen sollen. Beide Versionen stehen mithin in Opposition zu nationalistischen Kräften.

Da aus ihrer Sicht die mächtigste Nation, die USA, hegemonial ist, scheinen insbesondere die Vertreter des Instituts für Entwicklung und Frieden (Messner und Nuscheler) aus dieser Gemeinsamkeit die Hoffnung auf ein antihegemoniales Bündnis zu schöpfen. Ist diese Hoffnung aber berechtigt? Wenn es nur um die Regierungsform, die Global Governance, ginge, dann bestünde Anlass zu dieser Hoffnung, schließlich sind diese neoliberalen Vertreter selbst hegemonial. Gleichwohl sollte die beschriebene Bereitschaft der neoliberalen Global-Governance-Befürworter, US-amerikanische Alleingänge zu unterstützen, zu denken geben.

Wenn allerdings mit Global Governance die Ziele soziale Gerechtigkeit, Schutz der Umwelt und demokratische Partizipation primär verfolgt werden sollen, dann ist deren Verwirklichung kaum im Bündnis mit den transnationalen Konzernen vorstellbar. Deren Ziel, privates Eigentum vor staatlichen Eingriffen und Auflagen zu schützen, steht konträr zu den Forderungen sozialer Bewegungen, die die Verfügungsgewalt über Privateigentum zugunsten der Beschäftigten, der Umwelt und der Beseitigung gesellschaftlicher Diskriminierungen eingeschränkt sehen wollen. Gerade weil Globalisierung politisch gesehen vor allem eine Verlagerung der Macht von politischen Körperschaften, deren Mitglieder über Mitspracherechte verfügen, hin zu wirtschaftlichen Körperschaften, deren Mitglieder kündbare Lohnempfänger sind, bedeutet, hieße es, durch ein Bündnis mit diesen privaten Körperschaften den Bock zum Gärtner machen zu wollen.

Literatur

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