Süwest-Boulevard:

ETA-Terror und Neonazi-Terror

Gerd Held

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Wen mordet die ETA? Drei Beispiele aus den letzten Monaten: José Louis López de la Calle, Kommunist und Mitglied der Comisiones Obreras, während der Franco-Diktatur fünf Jahre zusammen mit ETA-Anhängern im Gefängnis, Anfang der Achtzigerjahre Annäherung an die PSOE, wurde zum Kritiker des baskischen Nationalismus, schrieb zuletzt regelmäßig Kolumnen in den Zeitungen El Diario Vasco und El Mundo. Juan Maria Jauregui, Antifranco-Widerständler in der Kommunistischen Partei, 1970 verhaftet wegen Teilnahme an Demonstrationen gegen den "Burgos-Prozess" gegen ETA-Kämpfer, dann PSOE-Mitglied und "gobernador cicil" in der baskischen Provinz Guipuzcoa. José Maria Korta, Unternehmer, der Baskisch-Nationalen Partei (PNV) nahe stehend, hatte sich öffentlich gegen die Gewalttaten der ETA und gegen deren Finanzierung durch Erpressung ("Revolutionssteuer") ausgesprochen. – El País schrieb aus Anlass des Jauregui-Mords: "Die Botschaft der faschistischen Bande ist klar: Niemand darf sich im Baskenland oder in Spanien sicher fühlen, wenn er nicht dem Umkreis des totalitären Nationalismus angehört oder wenn er nicht zumindest bei ihren Mordtaten wegsieht."

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Im September 1998 taufte sich die der ETA nahe stehende Partei "Herri Batasuna" (HB) in "Euskal Herritarrok" (EH: "Wir baskische Bürger") um, und forderte nun nicht mehr die Autonomie von "Euskadi"; sondern von "Euskal Herria". Dieser Ausdruck bedeutet: "Das Volk, das baskisch spricht", und damit wird die territorialstaatliche Einheit des Baskenlandes auf eine soziale Sprachgruppe verengt. Aber auch die Kenntnis der baskischen Sprache hat dem Unternehmer Korta nicht geholfen. Die jüngsten Mordopfer zeigen, dass die Zugehörigkeit zur "Nation" immer mehr zur willkürlichen Ermessensfrage der Partei beziehungsweise ihres Terrorkerns wird. Nach der Vorstellung von ETA/EH soll aus der "Udalbiltza" (einer zwischen verschiedenen baskisch-nationalistischen Parteien unter Einschluss der PNV beschlossenen Sonderversammlung aller gewählten nationalistischen Kommunalpolitiker) der "Samen der zukünftigen nationalen baskischen Volksvertretung, der neuen nationalen Demokratie" werden (zitiert nach H. D. Köhler, Tranvia, Juni 2000). Im exklusiven, nur durch Willensakte ausgezeichneten Menschenkreis, der den Gründungsakt dieser "nationalen Demokratie" vollziehen soll, ist also schon der Keim für weitere Ausschlüsse angelegt. Mitten in Europa, kaum mehr als 50 Jahre nach dem Ende des deutschen Faschismus, wird hier ganz offiziell und schamlos das Prinzip "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" zum Staatsprojekt erhoben.

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Der heutige baskische antirepublikanische Nationalismus wurzelt in einer merkwürdigen Konstellation der spanischen Republikbildung im 19. Jahrhundert. Es waren liberale Zentralregierungen, die die baskischen Sonderrechte einschränkten. Die Abschaffung der Privilegien (Steuer- und Zollfreiheiten; das Recht, den Militärdienst im Baskenland abzuleisten) geschah also nicht im Namen klerikaler oder monarchistischer "Madrider" Privilegien, sondern bildete Teil eines republikanischen Prozesses der Ausbildung allgemeiner und gleicher Verfassungsnormen in Spanien. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es zu einer starken Industrialisierung mit starker Zuwanderung aus anderen Teilen Spaniens. In dieser Situation entstand eine "kulturnationale Erweckungsbewegung" (W. L. Bernecker in der FAZ, 10.8.00), die auf  die Wiederbelebung einer angeblichen ethnisch-rassischen Einzigartigkeit und einer entsprechend tief verwurzelten Sprachgemeinschaft zielte. Der baskische Nationalismus war also in seinen Wurzeln antimodern und antiurban. "Das Baskenland war vom 19. Jhdt. an das Rückzugsgebiet für die antiliberale und absolutistische Ideologie", sagt Jon Juaristi (Tranvia, Juni 2000). Im heutigen Straßenterror ("kale borroka") der EH-Jugendbanden, die demonstrativ Zivilisten auf Bürgersteigen bedrohen, ihr Zivileigentum und ihre Wohnungen angreifen, tauchen diese Wurzeln in Gestalt einer Art Pop-Fundamentalismus wieder auf.

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1975 waren nur 49 % der baskischen Bevölkerung nicht im Baskenland geboren oder hatten mindestens einen nichtbaskischen Elternteil. 27 % der Bevölkerung können sich in der baskischen Sprache ausdrücken. Bei den spanischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2000 hatte die PNV 30,4 % der Stimmen (1996:25 %), die spanische Regierungspartei PP 28,2 % (1996: 18,3 %), die PSOE (Sozialdemokraten) 23,3 % (1996: 23,7 %), EA (Baskische Union) 7,6 % (1996: 8,2 %), IU (Neo-Kommunisten) 5,5 % (1996: 9,2 %); die EH boykottierte die Wahlen (1996: HB 12,3%).

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In einem Kommuniqué vom 30. April hat ETA erklärt, dass die 14 Monate "Waffenstillstand" zwischen Herbst 1998 bis Dezember 1999 nur "eine Falle gegenüber der spanischen und französischen Regierung" waren (Le Monde, 3.5.00).

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"Aber es war doch einer von uns", erklärten PNV-Sprecher zur Ermordung des Unternehmers Korta. Das ist eine merkwürdige Selektion der Opfer. Wenn es "die Anderen", also die Nicht-Nationalisten, trifft, ist das für das PNV-Weltbild weniger schlimm und eher "erklärbar", als wenn es diejenigen trifft, die man nicht der eigenen Gemeinschaft zurechnet. Die PNV ist von der neovölkischen Staatsdefinition infiziert.

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Die europäische Ausgabe des Wall Street Journal publizierte am 2. August ein Editorial, in dem eine Parallele zwischen den ETA-Anschlägen und dem Neonazi-Terror gezogen wurde. Eine Parallele liegt auf der Hand. Ein totalitärer Separatismus trennt sich von den allgemeinen Normen der Republik und spaltet eine soziale Sondergruppe ab. Diese Sondervolks-Herrschaft folgt aber nicht der Reichslogik (mit einem besonders großen Gebiet), sondern zielt auf ein eher kleines und umso besser dominierbares Gebiet: eine Ortschaft, ein Häuserblock, ein Landstrich. Die Bezugnahme auf ein ganzes Land – ob Deutschland oder Baskenland – ist fiktiv. Das anvisierte "Staatsgebiet" wabert nur hin und her im Takt der täglichen Gewaltakte in kurzer Reichweite. Der Totalitarismus regionalisiert sich. – Wer in Deutschland den Neonazi-Terror bekämpfen will, darf zum ETA-Terror in Spanien nicht schweigen.