Kommentar:

Die letzten Gutmenschen – vom Scheitern einer Politik gegen rechts

Daniel Dettling

Ein deutscher Sommer. Was unterscheidet Kampfhunde von Rechtsextremen? – "Kampfhunde" sollte das Thema des Sommerlochs 2000 werden. Der Bombenanschlag in Düsseldorf, bei dem neun Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion verletzt wurden (noch ist kein Täter gefasst), und die "üblichen Zwischenfälle" haben die politische Wetterlage  in Deutschland einmal wieder radikal verändert. Hundekorb für Rechtsextreme?

Während die Regierung Kohl Exzesse und Übergriffe gegen Ausländer als "Einzeltaten von Verrückten" aus der Landschaft schaffen wollte, bemüht Rot-Grün eine Mischung aus Pädagogik und Polizei. Was man in der grünen Opposition noch bis in die Achtzigerjahre in Frage stellte, gilt plötzlich als Wunderwaffe im Green-Card-Deutschland: das Gewaltmonopol des Staates.

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem definitiven Ende der Nachkriegszeit geht es um mehr als "Gemeinsam gegen rechts", es geht um drei Lebenslügen der Deutschen Ost und West: Antifaschismus, Antirassismus und Antinationalismus.

Das Ende der westlichen Reedukation oder die Antifa wird Schickeria: Der zivile Konsens der Republik befinde sich in Auflösung, befürchtet die Zeit ("Der Zerfall des Zivilen", Nr. 32). Seit 1968 legitimieren sich Generationen von Politikern, Pädagogen und ("kritischen") Polizisten über den Kampf des Guten gegen das Böse. Die Zahl der Kommissionen und Sondereinheiten und -programme "gegen rechts" bleibt ebenso groß wie ihre Wirkungslosigkeit.

"Der Staat kann weder ein Zuchtverbot für Rechtsradikale verhängen noch besonders aggressive Exemplare einschläfern lassen" (Bundesinnenminister Otto Schily im Spiegel, 7.8.): Dafür kann er Green-Cards und Gutmenschen-Tickets austeilen. Beide unterscheiden zwischen Blut und Boden weniger als zwischen Gesinnung und Gesicht. Intelligenz- statt Geburtsrassismus? Günther Jauch, Veronica Ferres und Doris Schröder-Köpf sollen im Bündnis der Bundesregierung gegen rechts "Gesichter zeigen". Außer Gewaltmonopol und Gesichtern im Schröderland nichts Neues?

Innenminister Otto Schily will die Bundeszentrale für politische Bildung umorganisieren. Viele Rechtsextreme wissen besser über Auschwitz Bescheid als mancher Geschichtsstudent. Der alt-neue Rechtsextremismus stellt eine abgeschottete Gegenwelt (Richard Herzinger) dar, zu der es keinen Zugang gibt.

Gegen das Böse hilft nur das weniger Böse: Gegen die Hasskultur versagen die zivilgesellschaftlichen Errungenschaften der Moderne, Aufklärung und Antifaschismus. Eine Gesellschaft, die für alles offen und ansonsten nur gut sein will, ist nicht mehr ganz dicht. Die Gleichung der Gutmenschen "Wenn gute Menschen über das Gute reden, entsteht dabei auch Gutes" ist längst widerlegt. Zivilcourage erfährt und erlebt man zu Hause und dort, wo man sie oft nicht vermutet: In Institutionen legalen Sonderrechts (der Bundeswehr) und freiwilligen Zwangs (des Zivildienstes).

Es fällt auf, wie wenig in der Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht die Rede ist von einem neuen Verhältnis zwischen Staat als Organisation des Allgemeinen und dem einzelnen Individuum als sich selbst erlebendes Subjekt. Wer, wie vor allem der Mainstream bei den grünen und blauen Gelben, "Zwangsdienste" abschaffen will, wird sich eines Tages die Frage gefallen lassen müssen, warum man noch zwanghaft Steuern zahlen und Sozialhilfeempfänger "aushalten" soll.

Nerven und Muskeln einer Gesellschaft zu trainieren, erfordert eine neue Politik, die in der Familie beginnt (warum braucht man für Kampfhunde eine Erlaubnis, während Kinder "Privatsache" bleiben?) und in der Schule (wozu eigentlich noch bei einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent in Brandenburg) längst nicht aufhört. Die Ironie des Schily-Zitates geht genau in diese Richtung: Man würde ja gerne Zuchtverbote erlassen und sie (die Kampfhunde, Skinheads) einschläfern.

Die jüngsten Übergriffe auf Ausländer kann man auch so lesen: Was ist das für eine Gesellschaft, die zu allen möglichen Spitzenleistungen fähig ist, in der aber Eltern keine Zeit mehr haben müssen für ihre Kinder? Und was passiert in der Gesellschaft unendlicher Möglichkeiten mit denen, die selber nicht (mehr) gewählt werden auf all den Beziehungs- und Arbeitsmärkten? Zucht- und Arbeitsverbot für alle Glatzen?

Was kommt nach Reeducation und politischer Bildung?: In Zeiten zunehmender Unsicherheiten wird die politische Kommunikation über Politik, Pädagogik und Polizei nicht mehr genügen. Die Grundregeln des Zusammenlebens müssen in Zukunft jenseits der alten Institutionen und früher erlernt und erfahren werden.

Zehn Jahre nach der Einheit müssen sich die Deutschen fragen (lassen), wer sie eigentlich sind, welche Ziele sie verfolgen und wen sie künftig unter sich haben wollen. Mehr als 90 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen haben keinen Kontakt zu ausländischen Bürgern. Mobilität bedeutet nicht nur mehr Chancen auf den Arbeitsmärkten, sondern auch auf den Beziehungsmärkten. Bald fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist weniger die deutsche Annäherung an ihre europäischen Nachbarn das Problem, sondern eine gemeinsame Sprache. Kids: Go East and West!