"Interkulturelles Lernen ist der Kernpunkt"

Interview mit Annegret Ehmann, RAA (Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen) Brandenburg

Welche Aufgabe hat die RAA?

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus wahrzunehmen, da, wo sie vorkommen, und darauf einzuwirken durch pädagogische Impulse, die vor allem darauf abzielen, demokratische Erziehung zu fördern.

Stoßen Sie dann immer auf offene Ohren bei Partnern, Schulen, Lehrern, bei den Kommunen?

Nicht unbedingt! Viele Kommunen, die direkt angesprochen werden, weil sie Probleme aufgewiesen haben wie unlängst in Rathenow (wo Asylbewerber nach Anfeindungen und Angriffen verlangt hatten, umziehen zu können) oder in Guben (wo ein algerischer Asylbewerber in den Tod gehetzt worden war), haben sich zum Teil zunächst einmal gesperrt gegen dieses Siegel, das ihnen aufgedrückt wurde, und gegen die damit verbundene Öffentlichkeit, aber durch einen kontinuierlichen, nachhaltigen Prozess der Beratung und Bereitstellung von Hilfen ist es durchaus gelungen, vor Ort Veränderungen zu bewirken. Das ist aber immer alles langfristig zu sehen, man kann nicht kurzfristig Erfolge erzielen. Erziehungsprozesse wirken ungeheuer nachhaltig.

Wenn Sie sagen, das ist ein langfristiger Prozess, kann ich mir vorstellen, dass es schwierig ist, eine solche Gruppe nach ein paar Tagen wieder zu verlassen, da Sie ja so viel nicht erreichen können.

Wichtig sind vor allem die Verbundprojekte, die langfristigen Projekte, die im ganzen Land laufen und die in verschiedenen Niederlassungen gemacht werden, die über Jahre gehen. Das heißt etwa Aufbau von grenzüberschreitenden Schulpartnerschaften im Grundschulalter mit Polen, Erlernen der Sprache, sich gegenseitig kennen lernen. Das Stichwort für alles, was wir tun, dürfte Begegnung sein, lebendige Begegnung, nicht Aufklärungspädagogik mit dem moralischen Zeigefinger, sondern die praktische Erfahrung der Begegnung. In Brandenburg ist das besonders wichtig, weil es so gut wie keine Ausländer gibt. Ich würde auch gar nicht gern von Ausländerfragen sprechen, sondern lieber von Begegnung mit andern Kulturen. Interkulturelles Lernen mit ganz praktischen Erfahrungen, das ist der Kernpunkt, interkulturelles Lernen, das auf Langfristigkeit und Produktorientiertheit der Jugendlichen angelegt ist.

Kommen Sie auch dorthin, wo rechtsorientiertes Denken bei den Jugendlichen entsteht oder weitergetragen wird, also nicht gerade in den Seminaren und Veranstaltungen, die Sie anbieten; so etwas entsteht ja am Abendbrottisch, beim gemeinsamen Fernsehen, in der Disco oder wenn sich Jugendliche abends auf der Straße treffen?

Das ist ein besonderes Problem; um direkt mit diesen Hartkerngruppen zu arbeiten, muss man Zutritt zu ihnen haben. Unsere Arbeit hat sich bisher im Wesentlichen darauf konzentriert, das Umfeld zu bearbeiten. Wir haben aber auch ein spezielles Beratungsteam bereitgestellt, das MBT – Mobiles Beratungsteam –, mit qualifizierten Sozialarbeitern, die Beratung auch in Kommunen durchführen können, und das wird weiter intensiviert. Die Leute dieses Teams kommen an die vom harten Kern ran, aber eigentlich muss dieser Bereich noch sehr verstärkt werden: Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein mit so wenigen Leuten in einem so großen Flächenstaat.

Woher kommt die rechtextreme Orientierung im Osten Deutschlands, speziell in Brandenburg? Nicht selten wird die autoritäre Erziehung in der DDR genannt, nicht selten aber auch die Orientierungslosigkeit nach der Wende.

Es ist ein Bündel von Motiven, die bei einzelnen Jugendlichen und auch in einzelnen Regionen unterschiedlich sein können. Ich denke, wir haben in den letzten Jahren eine Menge Ursachenforschung getrieben, aber es ist zu wenig Transfer geleistet worden. Die Wissenschaftler bleiben in der Statistik stecken und in der Beschreibung von Phänomenen, aber der Sozialabeiter oder die Lehrer stehen allein da: Was mach’ ich denn nun, um das zu verändern? Und genau da müsste mehr einsetzen. Ich plädiere dafür, wenn jetzt Geld bereitgestellt wird, einen Bundesjugendplan für Arbeit gegen rechts aufzulegen. Die neuen Bundesländer machen Anstrengungen, aber sie haben auch sehr viel weniger Mittel und Möglichkeiten und müssen da weiter unterstützt werden. Denn es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und auch nicht nur ein Jugendproblem, es ist ein Problem im Zentrum der Gesellschaft.

Elternarbeit muss intensiviert werden, die Erwachsenenwelt muss einbezogen werden, es muss auch antirassistische Fortbildung in Behörden stattfinden. Die Art und Weise, wie bei uns Asylbewerber, Ausländer, Flüchtlinge teilweise auch in Behörden behandelt werden, schreit manchmal zum Himmel. Das ist ja geradezu ein Vorbild für Jugendliche, sich gegen Menschen, die so behandelt werden, einzustellen.

Wenn etwa ein Schüler mit einem Hakenkreuz auf der Jacke zur Schule kommt, was sagen die Lehrer, was sagen die Passanten, was sagen die Mitschüler? Fördert man nicht solches Verhalten, wenn man nichts dagegen tut?

Ja, leider wird noch viel zu viel weggeguckt, man muss in dieser Hinsicht ganz konsequent handeln und, was kriminell und verboten ist, auch als solches behandeln und nicht immer nur sagen, es handele sich dabei nur um eine politische Verirrung. Vielfach ist kein konsistentes politisches Weltbild dahinter, sondern die Erwartung, das Wissen, dass man mit diesen Symbolen die Gesellschaft auf die Palme bringen kann. Dennoch muss auf einer anderen Ebene auch darüber aufgeklärt werden, was diese Symbole bedeuten. Aber, weil ich viele Jahre auf dem Gebiet gearbeitet habe, sage ich auch: Zu meinen, man brauche nur einen KZ-Besuch verordnen oder Gedenkstätten besuchen, setzt nicht an der richtigen Stelle an. Aber gerade bei diesen Jugendlichen ist das überhaupt keine Präventivmaßnahme. Die haben ein Problem mit ihrem Selbstwert, ein Problem mit einer Einordnung in eine Welt. Sie sind geprägt durch eine Hasspropaganda, und man muss ihnen das Wasser abgraben, damit ihnen nicht mehr Leute zulaufen, aber gleichzeitig muss man etwas tun, um den demokratischen Gedanken in der Gesamtgesellschaft mehr zu stützen und zu einem Nonplusultra zu erheben.

Ein Streitpunkt ist die so genannte akzeptierende Jugendarbeit, der Versuch, die rechten Jugendlichen erst einmal so zu akzeptieren, wie sie sind, ihnen Räume zur Verfügung zu stellen und dann froh zu sein, dass sie erst einmal unter sich bleiben und nicht draußen herumvagabundieren. Kritiker meinen, so schafft man erst Nestwärme und regelrechte Zonen für Rechte, in die andere nicht eindringen können, und an die Ideologie kommt man erst recht nicht heran. Was meinen Sie?

Auch das muss man differenziert betrachten. Es gibt Projekte wie etwa das eines sehr verdienstvollen Sozialarbeiters, der in Milmersdorf (bei Templin) in der Uckermark arbeitet und mit rechten Jugendlichen einen Jugendtreff aufgebaut hat. Kennzeichnend für ihn und sein Projekt ist, dass er nicht wischiwaschi akzeptiert, sondern knallhart die Grenze zieht, Ordnungsregeln einhält und durchsetzt und langfristig viel erreicht hat. Das ist eine Frage der Konsequenz und auch der Qualifikation derjenigen, die so etwas machen. Das setzt hohe Fachkompetenz voraus, die oft nicht vorhanden ist, weil nur kurzfristig ABM- und ähnliche Kräfte eingesetzt werden, denn man meint, das Problem durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beheben zu können, dass die Jugendlichen beschäftigt und betreut werden, aber das ist eben keine wirkliche Bildungsarbeit.

Ein konkretes Beispiel für Bildungsarbeit, das Sie in Angriff genommen haben, das Projekt Weltoffenheit – "native speakers wanted" – das Anfang August zu Ende gegangen ist: Sie suchen Jugendliche aus englischsprachigen Ländern, die für vier Wochen im Sommer nach Brandenburg kommen und in einem Dorf, einem Ort zusammen mit den Brandenburgern leben, in die Schule gehen, in den Kindergarten, den Jugendklub. Dieses Projekt gibt es seit 1994, wie hat es in diesem Jahr funktioniert?

Es hat in sieben Orten stattgefunden, die sehr klein sind, nämlich unter 1000 Einwohner, so dass ein intensiver Austausch stattfindet. Durchweg alle Jugendlichen, die daran beteiligt waren, haben das als wunderbare Erfahrung beschrieben, sie haben Freundschaften geschlossen. Im Allgemeinen ist es zwar so, dass Ausländer, die aus Amerika oder England kommen, weit weniger im Visier von Animositäten sind, aber in Brandenburg ist es schon so, dass man auch als Berliner als "fremd" wahrgenommen wird. Insgesamt ist es wunderbar gelaufen, der Schlüssel des Erfolges liegt unter anderem in der Aufenthaltsdauer von vier Wochen, der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und der Einbeziehung der Erwachsenenwelt, was ganz wesentlich dabei ist, und die ständige Kommunikation, die tagtäglich stattfindet.

Dokumentation: Auszüge eines Interviews im Berliner Sender "Inforadio", im August 2000.