Rechtsextremistische Gewalt und rechtliche Maßnahmen

Uwe Günther

Wir hören und lesen manche Äußererungen über Juden, Frauen, Homosexuelle und Fremde, bei denen sich uns der Magen herumdreht. Solche Äußererungen nehme ich so lange als zulässige Meinungsäußerungen hin, wie sie sich beschränken auf das Haben einer Gesinnung und sie sich in ihren Handlungen innerhalb der strafrechtlichen Grenzen bewegen. Die Trennung zwischen Gesinnung und Verhalten markiert die Trennung zwischen Rechtsstaat und Demokratie einerseits, Willkür und Obrigkeitsstaat andererseits. Wer sagt, "Wörter können so verletzen wie körperliche Gewalt", verwischt diese Grenzen wie diejenigen, die die Autoren des Satzes "Kinder statt Inder" mit verantwortlich erklären für rechtsextremistische Gewaltausübung.

Reden wir also nicht über rechtsextremistische Gesinnung, sondern über die Ausübung rechtsextremistischer Gewalt. An sich wissen wir, was zu tun ist. Strafbares Verhalten muss verfolgt werden und zwischen deliktischem Verhalten und der Sanktion sollte aus präventiven Gründen möglichst wenig Zeit liegen. Die Polizei muss Präsenz zeigen gerade an Orten, die von Glatzköpfen als "ausländerfrei" bezeichnet werden, um diese Orte frei von Ängsten betreten zu können. Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit müssen sich auch und gerade um die kümmern, bei denen es Anzeichen gibt, sie könnten eine Affinität zur Gewaltausübung entwickeln. Gesellschaftlich muss eine Atmosphäre erzeugt werden, in der Gewalt weder geduldet noch gutgeheißen wird. Über die skizzierten Ziele gibt es parteiübergreifend ein hohes Maß an Übereinstimmung. Die Schwierigkeiten bestehen eher darin, diese Ziele in Handlungen umzusetzen Dem Richter zu raten, schnell und unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien über rechtsextremistische Täter zu urteilen, mag diesem angesichts großer Aktenberge als Zynismus erscheinen. Örtliche Präsenz der Polizei zu fordern ist möglicherweise ein widersprüchliches Ansinnen angesichts der Bugwelle von Überstunden, den viele Polizeidienststellen vor sich herschieben. Verstärkte Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit für notwendig zu halten ohne gleichzeitig Vorschläge zu machen, aus welchen Bereichen Mittel umgeschichtet werden sollen, ist zwar ein übliches Verfahren, es führt aber aller Voraussicht nach nicht zu Ergebnissen. Zivilcourage in ihrem Wert zu betonen und damit den Anderen zu meinen misst der Zivilcourage möglicherweise lediglich eine sich selbst entlastende Funktion bei.

Also: Um rechtsextremistische Gewalt wirksam zu bekämpfen, müssen Justiz, Polizei, Sozial- und Bildungsbürokratie sowie Politik ihre tradierten Praxen ändern, müssen Interessen neu bewertet und neu austariert werden, und Institutionen tun sich dabei so schwer wie Individuen, weil es letztlich darauf ankommt, Orientierungen im Kopf jedes Einzelnen zu ändern. Es kommt beispielsweise darauf an, dass der Richter vor Ort seine Arbeit neu gewichtet und der Polizeimeister sich entscheidet, trotz Überstunden und ohne Erwartung einer Beförderung ortsnah präsent zu sein. Wir alle müssen unser Alltagsverhalten ändern.

Kann aber die Mühsal des Alltags erleichtert werden durch ein Verbot der NPD oder andere rechtsextremistische Parteien? Das Grundgesetz eröffnet in Artikel 21 die Möglichkeit, eine Partei durch das Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, wenn sie darauf abzielt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Diese Bestimmung zielt nicht auf Gewalttäter. Diese machen sich strafbar unabhängig davon, ob sie einer Partei angehören. Artikel 21 des Grundgesetzes grenzt aus dem aus demokratischen Gründen prinzipiell unendlichen Kreis politischer Auffassungen ein spezifisches Spektrum als illegitim aus. Das Instrument Parteienverbot ist mithin ein Instrument, über dessen Berechtigung in einer demokratischen Gesellschaft Skepsis durchaus angebracht ist. Die 1956 gegen die (rechtsextreme) SRP und gegen die (linksextreme) KPD verhängten Verbote bewirken objektiv eine Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Konservativen und weniger ein Mehr an Demokratie (wie immer dies gemessen werden kann). Die Anfang der Achtzigerjahre von namhaften Rechtswissenschaftlern diskutierte Frage, ob die Grünen verfassungsfeindlich seien, sagt viel über die Ambivalenz dieses Instruments. Unabhängig davon ist die im Grundgesetz normierte Begrifflichkeit – freiheitlich demokratische Grundordnung –, deren Beseitigung oder Beeinträchtigung beabsichtigt sein muss, nicht eben geeignet, mit einfachen Erkenntnismitteln festgestellt zu werden. Bei der Rechtsauslegung gehen vielmehr politische und juristische Bewertungen eine symbiotische Beziehung ein. Deswegen hat die Behauptung, eine Partei handle verfassungswidrig im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes, viel mit Politik und weniger mit Rechtsanwendung zu tun.

In Bezug auf die NPD gilt: Nach meiner Kenntnis lassen sich die in jüngster Zeit begangenen Straftaten nicht der NPD in juristisch relevanter Weise zuordnen, sei es in Form der Beihilfe, sei es in Form der Anstiftung zu einer Straftat. Kö

nnte eine solche Zuordnung erfolgen, bedürfte es des Rufes nach einem Verbot der NPD nicht, weil sich Mitglieder der NPD strafbar gemacht hätten und deswegen belangt werden könnten. Wenn sich Mitglieder der NPD aber nicht in strafbarer Weise verhalten haben, so ist das Instrument des Parteienverbots nicht dazu da, Beweisschwierigkeiten im Strafverfahren zu überspielen. Man kann nicht sagen, strafbar hat sich die NPD beziehungsweise deren Mitglieder zwar nicht gemacht, aber "irgendwie" habe sie doch etwas mit den Gewalttaten zu tun und müsse deswegen verboten werden. Ein solche Argumentation wäre rechtsstaatswidrig. Die Tatsachen, die man im Strafverfahren nicht beweisen kann, können im Verbotsverfahren nicht als wahr unterstellt werden. Im Übrigen: Vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden Jahre vergehen. Unmittelbare Auswirkungen auf rechtsextremistische Gewalttäter kann daher ein Verbot kurzfristig gar nicht haben. Aus der bloßen Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht sich Wirkung in der Weise zu erhoffen, dass von ihr ein Signal ausgeht, ist hoffnungsloser Optimismus. Selbst wenn die NPD kurzfristig verboten würde: Es ist nicht nachvollziehbar, dass diejenigen, die Strafgesetze missachten, diese künftig beachten, weil die Partei, der sie angehören oder der sie nahe stehen, verboten ist. Einem Verbot die Bedeutung zuzumessen, das gesellschaftliche Klima zu ändern oder dazu beizutragen, aus dem heraus Straftaten entstehen, unterstellt dem Verbot einen kausalen Wirkungszusammenhang, der nicht bewiesen, sondern an den nur geglaubt werden kann.

Nach alledem: Ein Parteiverbot der NPD bringt keinen erkennbaren Gewinn, um rechtsextremistische Gewaltausübung einzudämmen. Es scheint so zu sein: In einer Zeit, in der Medien von der Politik sofortige Lösungen verlangen, solche wegen der Problemlagen jedoch nicht möglich sind, das Eingeständnis, dass dies so ist, aber als Verharmlosung gewertet werden könnte, wird den Medien gegeben, was sie erwarten und Politik tut so, als wenn sie etwas tut, indem ein Verbot der NPD gefordert wird.

Biedenkopf hat ein Gesetz zum Schutz der Bürgerfreiheit, gegen Gewalt und Gewaltandrohung im politischen Wettstreit und gegen jede Art der "politischen Umweltverschmutzung" gefordert. Nach seiner Auffassung muss die Zivilgesellschaft in die Lage versetzt werden, rechtsextreme Gewalt mit den Mitteln des Zivilrechts zu bekämpfen. Bürgerinnen und Bürgern will er Unterlassungsansprüche, Schadensersatzansprüche und Klagerechte geben. Das klingt gut. Soweit allerdings Täter sich strafbar gemacht haben, die Mittel des Strafrechts aber versagen, ist nicht einsichtig, warum die Mittel des Zivilrechts sich bewähren sollen. Soweit die Grenze des Strafrechts nicht erreicht ist, laufen Biedenkopfs Forderungen ins Leere. Würde man einen Unterlassungsanspruch vor "unzumutbaren Belästigungen" zum Schutz der politischen Kultur gesetzlich fixieren, stünde man etwa vor der Frage, wie es zu werten ist, dass tätowierte Glatzköpfe in Springerstiefeln und Bomberjacken in einer Weise durch die Straßen gehen, die bei mir schlimme Erinnerungen erwecken und die von der auf Unterlassung in Anspruch genommenen Person gerechtfertigt werden mit dem Hinweis auf "Mode". Ein sinnvolles Rechtsgespräch ließe sich kaum führen, weil die Entscheidungsgrundlagen des Gerichts sehr subjektiv sein müssten.