Ein Buch - zwei Meinungen

George L. Mosses "Das Bild des Mannes - zur Konstruktion der modernen Männlichkeit "

Warum ist der Mann wie er ist?
Das Bild vom tollen Kerl, vom dominanten Macker und coolen Draufgänger scheint obsolet. Spätestens im Zeitalter der "Fortsetzungsehen und Wahlverwandtschaften" mit seinen neuen Solidaritäts-, Loyalitäts- und Gleichheitsansprüchen gerät auch die Normalität des Mannes in die Krise. Die "erlittene Emanzipation der Männer" (Beck/Beck-Gernsheim), die Männer zu passiven Zuschauern der sozialen Veränderungen zwischen den Geschlechtern degradiert, scheint die Verunsicherung der Männlichkeit nach sich zu ziehen. Eine Krise, die junge und alte Männer orientierungslos nach einer männlichen Sinngebung, besser: nach der eigenen Männlichkeit, suchen läßt. Der Mann transformiert sich dabei vom einstigen Täter der frühen Frauenforschung zum Fokus und Objekt einer neu entstandenen Männerforschung. Die Männerbücher der letzten Jahre, aber auch Filme über den verunsicherten neuen Mann belegen den Versuch einer Krisen-Intervention in Sachen Männlichkeit. Der neue Männlichkeits-Diskurs ist nicht nur in den USA en vogue; verschiedene Ansätze - vom promaskulinen bis hin zum antisexistischen Diskurs über Männlichkeit - stehen sich auch in der BRD scheinbar unversöhnlich gegenüber. Und in diesen Diskurs reiht sich auch das neue Werk von George L. Mosse, Das Bild des Mannes, ein.

Der Erkenntnis einer kulturellen Formierung des biologischen Geschlechtes kann sich spätestens seit der Beauvoirschen These, man wird nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht, niemand mehr verweigern. Eine Konstruktion von Geschlecht macht selbstverständlich nicht vor Männern halt. Hat feministische Wissenschaft die Konstruktion von Weiblichkeit in ihren konstitutiven Bedingungen weitgehend analysieren können, so blieb die Konstruktion von herrschender Männlichkeit, will sie sich nicht nur auf den schmalen Blick der Psychoanalyse verlassen, überwiegend im dunkeln. Was mag das Ideal von Maskulinität füllen? Wie konstruiert sich moderne Männlichkeit? Was ist eigentlich ein Mann? Und - wann ist der Mann überhaupt ein Mann?

An Versuchen, darauf Antworten zu finden, mangelte es bislang nicht unbedingt. Doch gelangten diese Antworten - zumindest aus Frauenperspektive - nicht zu befriedigendem Erkenntnisgewinn. Wird dieses Defizit durch das neue Buch von Mosse behoben? Mitnichten! Mosse, Historiker und bis zu seiner Emeritierung Professor in Madison und Jerusalem, verspricht zwar in der Einführung eine fundierte Reflexion der modernen Männlichkeit, doch statt dessen erlebt die Leserin das Schwelgen in antiken körperlichen männlichen Schönheitsidolen, die chronologische Deskription der Normierung männlicher Schönheit und Tugenden bis hin zur Verklärung derselben als "Inkarnation menschlicher Schönheit [...], die eine Verheißung Utopias" stilisiert. Sein selektiver Spaziergang durch die Geschichte auf der Suche nach männlicher Schönheit und Idealen, die zur Moral transformiert werden, stützt sich in bester androzentrischer Manier auf Rousseau, Schiller, Carlyle, von Humboldt und andere, also auf männliche Denk-Tradition, ohne die sozialen Bedingungen der jeweiligen Epoche auf ihre Bedeutung für die Konstruktion dialektisch verbundener Geschlechter-Stereotypen tiefer zu reflektieren. Soziale und psychische Konditionierungen bleiben weiterhin im dunkel, die äußere männliche Schönheit wird zentral und wirkungsmächtig gesetzt. Mosse meidet mit seiner selektiven Analyse und Geschichtsschreibung die Klippen einer Geschlechter-Hierarchie, die bereits vor etwa 2000 Jahren etabliert war, sich in historischen Zeugnissen präsentiert und heute immer noch - wie wir sehen können - Autoren gefangenhält. Das mit Spannung zur Hand genommene Buch wird zur Enttäuschung.

Mosse bemüht zwar den Anti-Typus des "maskulinen Stereotyps" - den Juden, Homosexuellen, Zigeuner, die Frau, ergo die Außenseiter der Gesellschaft -, um den Prozeß der Normierung und Durchsetzung der "modernen Männlichkeit" in seiner Konstruktion, Popularität und Durchsetzungsfähigkeit darzustellen, doch wird Mosse diesem dialektischen Ansatz nicht gerecht.

Gleichsam als unveränderlicher roter Faden durch alle Jahrhunderte hebt Mosse das "Ideal der Maskulinität" in seiner kaum veränderten Ausgestaltung immer wieder hervor. "Dramatische Veränderungen gab es nicht, auch wenn sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts das Tempo des Wandels beschleunigt hat." Wenn diese männlichen Attribute in ihrer Ausgestaltung durch alle Jahrhunderte bis heute in die Fitneß-Studios des Body-building hinein gleichblieben, so verlangte diese deskriptive Ebene notwendigerweise eine intensivere Analyse, die die sozialen Bedingungen nicht zugunsten der ästhetischen Körperlichkeit marginalisiert und das immerfort Gleiche in seinen genuinen Bedingungen hervorhebt. Wer die Konstruktion dieser Maskulinität zu entziffern verspricht, muß sich der Komplexität "der Sache" stellen. Mosses Interpretation der Geschichte von Maskulinität und seine Geschichtsschreibung der Männlichkeit bleiben möglicherweise deshalb so langatmig, einseitig und langweilig, weil er zwar chronologisch die verschiedenen Zeitalter - von den antinapoleonischen Kriegen, dem Fin de siècle bis hin zum Faschismus - mit ihren Intensitäten und Abschwächungen des männlichen Stereotyps betrachtet, Krisen und Verstetigungen beschreibt, aber dennoch immer und überall die gleiche Maskulinität, lediglich in neuen Einkleidungen, ausmalt. Mosse bemüht Humboldts Ansicht, "im männlichen Körper das Maß aller Dinge" zu sehen, für einst und heute. Von Humboldt, wie er explizit betont, sei er immerhin jeglicher Gefahr, des Chauvinismus bezichtigt zu werden, enthoben. Nun ja.

Für heutige Zeiten kann nach Mosse "die Frage [...] also nicht lauten, ob das männliche Stereotyp von der Bildfläche verschwinden wird, sondern wie es um seine Aushöhlung bestellt ist" und weitergehend, ob "das maskuline Stereotyp den Niedergang des Patriarchats überleben" wird, und zwar trotz größerer Gleichberechtigung. Spricht hier die Angst des Autors, der die "moderne Männlichkeit" als "Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft" ansieht, vor dem Untergang des maskulinen Stereotyps? Ist Mosses Buch im Sinne der vielzitierten Aussage des Fürsten Don Fabrizio aus Tomasi di Lampedusas Werk, daß alles sich ändern müsse, damit es bleibt wie es ist, zu deuten?

Christa Oppenheimer


Keine neue Männlichkeit

Dieses Buch handelt vom männlichen Stereotyp und von seinen politischen Konsequenzen; es beschäftigt sich mit einem normativen und weitverbreiteten männlichen Ideal." Mit diesen Eingangszeilen umreißt George L. Mosse die Thematik seiner Monographie über das sich wandelnde Bild des Mannes vom Beginn der Moderne bis heute. Zentraler Bezugspunkt ist Deutschland. Mosses Blick wandert aber auch immer wieder über die Grenzen hinaus nach Frankreich, Italien, England und in die USA.

Der Autor, der 1933 im Alter von 15 Jahren aus seiner Heimatstadt Berlin emigrieren mußte, der dann in den USA Geschichte studierte und später lehrte, war aufgrund seiner früheren historischen Publikationen geradezu prädestiniert, eine Abhandlung über die Wirkungsmacht des maskulinen Ideals zu schreiben. Denn dessen Geschichte ist aufs engste verknüpft mit Themen wie "Nationalismus und Sexualität", "Geschichte des Rassismus in Europa" oder dem "nationalsozialistischen Alltag" - Themen, zu denen Mosse grundlegende Studien beisteuerte.

Die Anfänge moderner Maskulinität, die sich durch Willenskraft, Ehrgefühl und Mut sowie einen kraftvollen, schönen Körper auszeichnete, datiert Mosse in die zweite Hälfte des 18. bzw. den Beginn des 19. Jahrhunderts, in eine Zeit also, in der ein grundlegender Wandel der Gesellschaft stattfand. Das Erstarken des Bürgertums und das Zurückdrängen der durch den Adel favorisierten Wertehierarchien gingen Hand in Hand. Die in der französischen Revolution von 1789 proklamierten Freiheiten kamen jedoch nur den Männern zugute. Frauen, die im öffentlichen Leben einen nicht unerheblichen Einfluß ausgeübt und eine aktive Rolle im Kampf um Gleichheit und Gerechtigkeit gespielt hatten, wurden durch den Code Napoléon fast aller Rechte beraubt; sie wurden - so Mosse - "zu Leibeigenen ihrer Ehemänner". Der Mann verkörperte die gesamte Menschheit, die Frau wurde als Mutter und Erzieherin ihrer Kinder ins Haus verbannt. Zwischen den Geschlechtern wurde eine scharfe Trennung gezogen, die für die Konstruktion der modernen Maskulinität überaus wichtig werden sollte. Zum Kennzeichen wahrer Männlichkeit wurden das Gute und das Schöne. "Was ist gut?" fragte Nietzsche. "Alles, was den Willen zur Macht, die Macht im Manne selbst stärkt." Und Schönheit manifestierte sich in den von dem Archäologen und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann wiederentdeckten griechischen Skulpturen geschmeidiger Athleten. Dies zum Typus geronnene Männerideal stand in feindlichem Gegensatz zu allen möglichen Gegenbildern.

Zu den Anti-Typen des maskulinen Stereotyps gehörten vor allem Minoritäten wie Juden, Schwarze, Zigeuner, Homosexuelle, die angeblich nicht zur Gemeinschaft anständiger Leute paßten. Ihnen wurden alle jene Attribute angedichtet, die das Gegenteil des hehren Männlichkeitsideals waren: sie wurden als mißgestaltet, unmoralisch, servil, schwach, als dekadent oder degeneriert hingestellt. Mosse schildert die unterschiedlichen Reaktionen der verschiedenen Gruppen auf diese Feindseligkeiten. So bekannten sich etwa Homosexuelle, wie Oscar Wilde in England oder Robert de Montesquiou und Jean Lorrain in Frankreich, selbstbewußt zu ihrem Außenseitertum: Wilde verteidigte 1895 die Liebe unter Männern vor Gericht; Lorrain und Montesquiou zelebrierten ihren dekadent homosexuellen Lebensstil vor den Augen der Öffentlichkeit. Juden versuchten, der Stigmatisierung als entartete Menschen durch Assimilation und Anpassung an das normative Männlichkeitsideal zu entgehen. So rieten Juden Juden, das Kaffeehaus zu meiden, Sport zu treiben und markige Maskulinität zu demonstrieren. Diese Übernahme des herrschenden Männlichkeitsideals bewirkte, daß viele Juden als stolze Patrioten in den Ersten Weltkrieg zogen, den Mosse als "maskulines Ereignis par excellence" charakterisiert.

Diverse soziale und ästhetische Strömungen, wie die Jugendbewegung oder der italienische Futurismus, ein verlogener Kult um die zu Märtyrern stilisierten Kriegstoten und Ideologien wie die, der Körper des Mannes gehöre dem Volk, die Frau sei dazu da, dem Führer Kinder zu schenken, sowie Nationalismus und Rassismus entbanden in ihrem Zusammenspiel extreme Vernichtungsenergien. "Der Faschismus", so Mosse, "überhöhte die kriegerischen Elemente der Maskulinität; der Rassismus brutalisierte sie und verwandelte Theorie und Rhetorik in schreckliche Realität."

Die Überschrift des neunten und letzten Kapitels dieser Phänomenologie des maskulinen Stereotyps ist als Frage formuliert: "Auf dem Weg zu einer neuen Männlichkeit?" Diese Frage impliziert andere Fragen: Inwieweit stehen harte Burschen wie John Wayne oder Marlon Brando oder die sehnig sportlichen Männer der Werbung mit ihren markanten Gesichtern oder die militant auftretenden Skinheads in der Tradition des alten Stereotyps? Welche Wirkungen haben Emanzipationsbewegungen, wie die der Frauen, der Homosexuellen oder der Bürgerrechtler? Welche Bedeutung hat das Auftreten der Beatles, Hippies, Punks?

Eine neue Männlichkeit, so Mosses überzeugende Ansicht, zeichnet sich nicht ab. Feststellbar ist aber eine Aushöhlung des in der Moderne zur Vorherrschaft gelangten Männlichkeitsideals. Doch gerade in die Krise geraten, kann es weiterhin schlimme Folgen haben. Eine solche Entwicklung nüchtern zu sehen hilft Mosses Buch.

Renate Wiggershaus

George L. Mosse, Das Bild des Mannes - Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit. Aus dem Amerikanischen von Tatjana Kruse, Frankfurt/M. (S. Fischer Verlag) 1997 (284 S., 44,00 DM)