Der 11. September in der Presse Ex-Jugoslawiens

Dunja Melcic

Am Mittwoch Vormittag nach den Anschlägen in New York und Washington wandte sich der kroatische Präsident Stjepan Mesic an die Öffentlichkeit, verurteilte die Verbrechen und jedweden Terrorismus mit klaren und scharfen Worten, an die er strategische Vorsätze knüpfte: "Seit Dienstag gibt es keine Neutralität mehr. Es gibt nur die Wahl: entweder sie oder wir"; in einem zu bildenden weltweiten Bündnis gegen den Terrorismus werde sich Kroatien beteiligen und werde "auf gar keinen Fall seine bilateralen Interessen" mit wem auch immer "dem allgemeinen Interesse der Bekämpfung des Terrorismus vorziehen". In ähnlichem Ton äußerte sich der Regierungschef Ivica Racan. Freitag wurde zum Trauertag erklärt, an Gebäuden hingen Fahnen auf Halbmast, Politiker und zahlreiche Bürger trugen sich in die Kondolenzbücher ein; am Trauergottesdienst in der Zagreber Kathedrale nahmen der amerikanische Botschafter und zahlreiche Politiker teil. In allen Medien gab es "Specials" zur amerikanischen Tragödie. Am besten – ausführlich und schnell - informierte die Boulevardzeitung Vecernji list über die Ereignisse, die früher weitgehend ein Sprachrohr Tudjmans war, sich mittlerweile zur professionellsten Tageszeitung weit und breit entwickelte, was auch für die Internet-Ausgabe gilt. Unter den Opfern im World Trade Center gibt es auch kroatische Bürger bzw. kroatisch-stämmige New Yorker, deren Geschichten die Medien verfolgen ebenso wie jene der Menschen, die durch Zufall der Katastrophe entkommen sind. Befragte Bürger äußerten meistens Entsetzen und großes Mitgefühl, wiesen oft darauf hin, dass sie besonders mit den Opfern fühlen, weil sie ähnliche erschreckende Erfahrung während des Bombenterrors im Krieg durchgemacht haben.

Die linken Intellektuellen stehen in Kroatien ihren westlichen Pendants in nichts nach. Ein Soziologieprofessor aus Split wusste sofort die Armut und Ungerechtigkeit im Nahen und Mittleren Osten als Erklärung für die scheußliche Tat zu nennen und ein Entwicklungsprogramm für die dortigen Länder als Lösung zu empfehlen. In der links-fundamentalistischen Redaktion des Spliter Wochenblatts Feral tribune kalauerte man einen ach so witzigen Titel, dass nicht einmal Noam Chomsky ihn gegenwärtig übernommen hätte: War Trade Center!

Der in Yale lehrende Historiker Ivo Banac fügte seiner regelmäßigen Kolumne in der selben Zeitung einen Absatz hinzu, in dem er einerseits bedauerte, dass die Amerikaner die Entschlossenheit zum militärischen Handeln auch mit den Bodentruppen nicht schon während der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo zeigten und sich andererseits über die Fragilität der liberalen Werte Sorgen machte, die ihm nun in Amerika bedroht erschienen. Die Redaktion titelte dann gleich eindeutig: "Freiheit ade!"

In einem Interview des Fernsehkanals der Zeitung Politika "kommentierte" der serbische Regierungschef die Ereignisse in den Vereinigten Staaten mit den Worten, dass man den "Terrorismus ebenso in Amerika wie in Kosovo" verurteilen müsse, er "erinnerte" daran, dass durch Nato-Bombardierung auch in Jugoslawien Zivilisten ums Leben kamen und äußerte seine Befürchtung, dass die Ereignisse vom 11. September sich sehr nachteilig für die serbische Wirtschaft auswirken könnten: "Ich befürchte, dass man jetzt zur Stärkung der Sicherheitspolitik übergehen wird, was ein Weg ohne Umkehr ist", sagte Djindjic, dem als Lösung vorschwebt: "Investitionen, Entwicklung, Öffnungsperspektive und Integrationen vor allem auf der wirtschaftlichen Ebene."

Der Belgrader Autor Petar Lukovic, dessen Texte so unübersetzbar sind wie jene des amerikanischen Rappers Eminem, äußert sich mit seiner Einzelposition ganz anders: "Wäre Milosevic unglücklicherweise noch immer an der Macht [... ], würden wir jetzt wahrscheinlich eine ‚rationale serbische Erklärung’ der Ereignisse in Amerika bekommen, bei denen es sich eigentlich um den Anfang vom Ende des Imperiums des Bösen handeln würde, und die uns erklärte, dass es schließlich doch so etwas wie ‚kosmische Gerechtigkeit’ gebe". Man hätte im Fernsehen jene große Freude zu sehen bekommen, wie man sie "an den Straßen der arabischen Städte" filmte, wo "die Bevölkerung in Ekstase im Rhythmus des amerikanischen Blutes tanzte". Es ist allerdings anzunehmen, dass die serbischen Medien erheblich mehr Material aus den Gebieten brachten, wo es Freudentänze über das Massaker in New York und Pentagon gab, als unsere Medien. Seine erste Erfahrung am Dienstag Abend nach dem Schock der Nachricht aus Amerika war die Begegnung mit dem frohlockenden Taxifahrer, dessen Wagen er gleich verließ. Ein Befragter im Fernsehen zeigte sich über die Terroristenanschläge so überglücklich, "als hätte er im Lotto gewonnen". Der Autor fragt sich mit ihm: "ja, was nun haben die uns vor zwei Jahren getan? Kann jenes Bombardieren, zu dem es als Folge einer irrsinnigen Nazi-Politik und nicht aus der persönlichen Rache von Wesley Clark kam" wirklich als Grund gelten, dass heute unzählige "Serben sich ergötzen vor den Tausenden von Toten in New York und mit dem Satz ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ frohlocken". Er fährt fort: "Es ist eine Lüge, dass Serbien je mit dem Terrorismus zu tun hatte; nie sind Bomben auf öffentlichen Orten explodiert und es gab auch keine Massaker"; "von Bekannten, aus dem Radio und im Bus höre ich laute solche Kommentare wie: nun sei es bewiesen, dass Amerika nicht unbesiegbar ist, dass sie verwundbar ist – alles vollkommen ohne jegliche Pietät, als würde Serbien gerade jetzt bombardiert, Belgrad in Schutt und Asche gelegt, Milosevic gänzlich unschuldig und unser Volk vollkommen im Recht, so dass es begründeterweise das Epitheton ‚himmlisch’ trägt, außer wenn es unter die Erde steigen würde – in die Massengräber, von denen es natürlich nichts wissen will!". Lukovic spielt damit auf die Entdeckung und Ausgrabung der Massengräber mit albanischen Leichen an, die gerade in Serbien durchgeführt werden.

Es sei ihm klar geworden, dass Serben nicht mehr fähig seien, Mitleid mit irgend jemand anderem zu haben, angesichts der enormen Opferzahl mitzufühlen und zu erkennen, dass es sich um "ein Grauen handelt, das keiner von uns Serben je erfahren hat, auch während der Bombardierung." Er habe die Nato-Bombardierung in Belgrad miterlebt und keinen Moment Angst vor einem Luftschlag in seine Wohnung im Zentrum der Stadt haben müssen. Die Regierung spreche von einem Terrorismus, der gleich "in New York und Bujanovac" sei, als "wäre in Bujanovac ein albanisches Flugzeug in das höchste Gebäude des Ortes von drei Stockwerken reingeflogen und ausschließlich Serben umgebracht". Warum der Autor zu solchem Sarkasmus greift, könnte der Tenor anderer Kommentare erklären. So schreibt die Redakteurin Ljiljana Smajlovic in Politika in getragenem Ton: "Am vorigen Dienstag teilten die Amerikaner mit uns Serben eine entsetzliche Lebenserfahrung". Ihre Pointe – gedanklich nicht leicht nachvollziehbar – drückt sie so aus: "sie wurden zum Kollateralschaden", wobei sie meint, dass die "Menschen [sic!] normale Bürger grausam wegen der Politik ihrer Regierung bestraft haben." Der amerikanische Bürger interessiere sich für die Politik seiner Regierung nicht, noch fühle er sich verantwortlich für sie, obwohl sie in seinem Namen geschehe, und obwohl seine Regierung seit Jahren in Irak regelmäßig "wie Briefträger" Raketen abwirft, "seine Marschflugkörper im armen Sudan eine von zwei Arzneifabriken" zerstörten, die "mit seinen Steuerdollars bezahlten Waffen die palästinensischen Flüchtlinge terrorisieren" und "die Serben in seinem Namen drei Monate lang fanatisch bombardiert wurden." Der amerikanische Bürger habe ebenso nichts daran ändern können, wie "der durchschnittliche Einwohner Serbiens" keine Chancen gehabt habe, "den Missbrauch der polizeilichen Gewalt gegenüber den Albanern in Kosovo zu unterbinden". Das alles unter dem Titel: "Alle sind wir heute Amerikaner"!

In mazedonischen Medien scheint auch ein besonders starker nationaler Autismus zu grassieren. Die Terrorangriffe in New York und Washington wurden von den mazedonisch-sprachigen Medien als Anlaß genommen, terroristische Verbindungen zwischen den albanischen Guerilla-Kämpfer und Usama bin Ladin an die Wand zu malen. Die mazedonischen Zeitungen brachten ein Photo von einer Gruppe orientalisch aussehenden bärtigen Männern, von dem sie behaupteten, dass es in dem Ort Aracinovo gemacht wurde, wo der umstrittene Abzug der bewaffneten Albaner unter der Aufsicht der Nato- und anderen internationalen Beobachter stattfand, als Beweiß dafür, dass "Terroristen bin Ladins mit den Terroristen der UCK in Makedonien aktiv sind" (Dnevnik, 17.09.). Mark Laity, der Nato-Sprecher in Mazedonien und früherer Korrespondent der BBC aus Brüssel, scheint oft seine Presse-Konferenzen in Skopje mit Berichtigungen der Falschmeldungen zu verbringen: ". Wenn Photographie von einer herumstehenden Runde Männer mit Bärten beweist, dass jemand Mujaheddin ist, dann haben wir dort hinten einen Herrn, der sofort verhaftet werden müsste." Dann schloß er kategorisch aus, dass es Mujaheddins in Aracinovo gab. Zur behaupteten Verbindung zwischen UCK und Usama bin Laden sagt er: " we have zero evidence that these allegations are true." Trotzdem beteuerte die Tageszeitung Dnevnik am nächsten Tag unter Berufung auf ungenannte Quelle im Westen die Anschuldigungen.

In Sarajevo sorgte ein langer Kommentar des islamischen Theologen und früheren Kultusministers in der Kriegsregierung Alia Izetbegovics Enes Karic für Aufsehen (Oslobodjenje, 16.09.). Sein Thema ist die "ungeheuerliche anti-islamische Kampagne des Westens", "antimoslemische Hysterie der Medien", die er in den Berichterstattungen der CNN und BBC ausgemacht hat, und angebliche Bereitschaft der westlichen Öffentlichkeit, "a priori die terroristische Tat den islamischen und moslemischen Kräften zuzuschreiben". Die Wochenzeitschrift Dani bringt in ihrer Ausgabe vom 14. September eine Fülle interessanter Artikel zum Thema: Berichte aus erster Hand aus New York und aus Washington, von wo sich der bosnische Schriftsteller Semezdin Mehmedinovic meldete, der die ganzen über drei Jahre Belagerung in Sarajevo mit seiner Familie verbrachte und danach nach den Staaten aussiedelte. Kriegsgeprüft und mitfühlend: "Ein Stock unter uns wohnt eine Frau, die im Pentagon arbeitet. Spät nachts, wenn ich für gewöhnlich schreibe und Geräusche heller werden, pflege ich aus der Rücksicht auf ihren Schlaf ganz vorsichtig auf Zehspitzen auf dem Parkettboden vom Schreibtisch zur Küche zu schleichen; das hat mich, zugegeben, manchmal genervt. Aber heute Nacht zeugen die heruntergelassenen Rolläden davon, dass sie nicht zu Hause ist, so dass ich jetzt Angst um sie habe." Das hat mit den vielen bosnischen Kriegsflüchtlingen und kriegsbedingten Aussiedlern in den Vereinigten Staaten zu tun. Ein bekannter bosnischer Journalist, der während des Krieges Korrespondent in Amerika war und jetzt aus Wien berichtet, schreibt: "Als mich am Dienstag Abend mein Sohn aus Washington anrief, fragte er als erstes ‚Hast Du gesehen, was sie aus unserem New York gemacht haben?’ Die Trauer in seinem Tonfall erinnerte an seine Reaktion 1992, als im Frühjahr das erste Kind in unserer Nachbarschaft durch einen Granatensplitter getötet wurde und er sich entschließ, einer Einheit sich anzuschließen und Sarajevo zu verteidigen."

Ffm., 19. 09.

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