Faschistische Killerkommandos, antiimperialistische Partisanen – alles "Terrorismus"?

Richard Herding

Der Autor plädiert: Auch nichtstaatliche Gewaltanwendung muss sich nach Dschungel- oder humanen Regeln fragen lassen. Werden barbarische Willkür und angemessene Notwehr nicht unterschieden, können Horrortäter nicht isoliert werden.

Genau hinsehen

Keine Abenteuer, kein Krieg der Kulturen – oder: Grenzen dichtmachen, Geheimdienste verstärken? Mentale Militarisierung als Konsequenz aus den grauenhaften Luftangriffen vom 11. September 2001 in Manhattan musste in der Öffentlichkeit von den zivil Denkenden abgewiesen werden. Die andere Konsequenz: Freude, nicht nur "klammheimlich", bei palästinensischen und anderen Gegnern der USA als imperialistischer  Macht, die "endlich" in den allerheiligsten Zentren von Kapital und Militär verwundet wurde. Als wäre die Parole "Den Krieg in die Metropolen tragen" aus dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg wahr geworden – und nicht das Gegenteil: Massaker in der Zivilbevölkerung, nur diesmal gegen die Satten.

"Terrorbekämpfung" ohne politische Moral begünstigt unermessliche weitere Eskalationen der Gewalt. "Nie wieder Krieg", "Soldaten sind Mörder": Berechtigte Anklagen, aber etwa beim Krieg gegen Nazi-Deutschland waren fast alle einig, dass weiterreichende Ziele zurückzustehen hatten gegenüber dem Nahziel, "nur" Angriffskriege und Kriegsverbrechen zu ächten.

Die Parole "Schluss mit dem Terror" ist hilflos, irreführend: Sie setzt etwa den überwiegend defensiven Widerstand gegen die Besetzung palästinensischen Gebiets im Prinzip gleich mit aggressivem Massenmord aufgrund pauschaler exterminatorischer Kriegserklärungen. Ging der Angriff von Al Qaida aus, bin Ladens fanatischem Netzwerk, so beruhte er auf einer Fatwa, die alle AmerikanerInnen jederzeit und überall mit dem Tode bedroht. Das unterscheidet sich allenfalls durch religiöse statt biologische Markierung von den Liquidierungs-Drohungen der Nazis gegen angeblich Minderwertige; die massenhafte Nichtanerkennung von anderen als Menschen ist vollkommen gleich. Und ebenso "Terror" soll es sein, wenn jemand Steine wirft gegen Besatzungs-Panzer?! Ein pauschaler Begriff von Terrorismus wird dem Ziel einer Delegitimierung und Reduzierung von Gewaltaktionen nur schaden.

"Islamfaschismus": wie Kreuz und Hakenkreuz im Christentum

Wer alle politische Gewalt, die nicht vom staatlichen Monopol gedeckt ist, mit Terrorismus gleichsetzt, stärkt sie. Anzustreben ist das Gewaltmonopol des Rechtsstaats, nicht "des Staates". In deutschen Länderverfassungen findet sich die Bürgerpflicht zum Widerstand gegen staatliches Unrecht, so wie bürgerlicher Ungehorsam in den USA unbestritten ist. Politische Gewalt unterhalb der Staatsebene wird nur durch Differenzierung vermindert. Die Mehrheit der palästinensischen, arabischen, muslimischen Antworten auf das Verbrechen von Manhattan grenzt sich gegen eine barbarische "Lizenz zum Morden" nicht nur taktisch-rhetorisch, sondern auch durch die bisherige Praxis ab. Jetzt muss der applaudierenden Minderheit (staatlicher Beifall kam einzig von Saddam Husseins Irak) gezeigt werden, wie tödlich der Beitrag des "Islamfaschismus" für die palästinensische Sache ist. (Es gab ja auch Kombinationen von Kreuz und Hakenkreuz, Klerikalfaschismus, reichsbischöflichen Nationalsozialismus. Scholl-Latour, der landläufige Islam-Unkenntnis zur Verleumdung als dauerhaft kriegerische Religion nutzt, hat mit seiner Freude über das "Ende der Spaßgesellschaft" kundgetan, wozu er die toleranten, dem Christentum seiner Zeit überlegenen, die "andalusischen" Seiten des Islam ausblendet: dass alles feldgrau werde.) Die innerislamische Kontroverse ist nur möglich, wenn bewaffneter Widerstand zum Beispiel gegen Isolationshaft oder Fremdherrschaft nicht einfach als Terrorismus gebrandmarkt wird, nur weil die staatliche Legitimation hier ja fehlen muss. Nelson Mandela wurde geehrt, weil er die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Erkennbarkeit der Ziele im antirassistischen Widerstand Südafrikas betonte. Befehl und Gehorsam, die arbeitsteilige, anonyme Ausschaltung des Gewissens, sind die Wurzeln von Kriegsverbrechen und von Terrorismus, von verselbstständigten Banden jenseits humaner Notwehr. Auch der Rechtsstaat kann nicht die Gewissen der Einzelnen "entlasten", das dürfte nirgends klarer sein als in Deutschland nach Auschwitz.

Geiselnahme ächten: ein erster Schritt

Selbstverständlich gibt es Querverbindungen und Grauzonen im Alltag unterschiedlichster Formen der Gewalt. Während Mahler und NPD Manhattan bejubeln, sich Palästinensertücher umbinden, antisemitisch vom Sieg gegen den "Mammonismus" reden, stehen andere Nazis an der Seite des weißen Kriegsführers Bush, bedrohen "dreckige" Araber. Faszination von Hightech: Wenn der gespenstische Vergleich erlaubt ist – der Todesrausch des Flugzeug-Crashs gegen den Wolkenkratzer gleicht nicht dem "biederen" ingenieuralen Mord per Gaskammer-Schalter-Umlegung. Die Bilder der brennenden Hochhaus-"Kunstwerke", wie von Stockhausen treffsicher pervers ausgedrückt, übersteigen Jüngers "Stahlgewitter". Soldatische Zwangssolidarität mit den "Kumpels" wird zweite Natur der KämpferInnen, etwa wenn deutsche Linke nach einer Flugzeugentführung gehorsam israelische Passagiere "selektieren". Und "gerechte" Kriege regulärer Armeen haben Kriegsverbrechen in großer Zahl auf ihrem Konto. Alle Vermischungen dürfen nicht hindern, die so genannten terroristischen Aktionen ebenso differenziert zu betrachten wie den staatlich sanktionierten Krieg.

Krieg gegen den Terrorismus, der nur Demütigung und weitere Eskalation produziert, wird ein Fehlschlag, wie Krieg gegen die Drogen. Unvorstellbar, wenn aufständische Unterdrückte einer Blackbox von Banditen-Gewalt überlassen blieben. Nur ein Beispiel: Gelänge es, die Geiselnahme von Unbeteiligten in jeder Guerilla zu ächten, so wäre erst einmal mehr gewonnen als mit Contra-Manhattans – gegen die Hungrigen.