Brief aus Österreich

Wiedergänger in der Internet-Gemeinde

Gerhard Fritz

Trottelpostings", beschimpfte Moderator Martin Blumenau in seiner abendlichen Sendung auf FM4, der (halbtags englisch bzw. amerikanisch moderierten) "Jugendschiene" des ORF, in ehrlichem Zorn einige seiner HörerInnen. Im Web-Forum von FM4 ging es, wie in anderen Foren und Chats, auch bei den Grünen (www.gruene.at) oder im Milieu der alternativen Kulturinitiativen (z. B. www.tirolkultur) nach dem 11. September heftig zu.

Nach dem 11. September sei die Welt eine ganz andere geworden? Für manche war sie jetzt wieder in Ordnung, in Gut und Böse aufgeteilt. Das Reich des Bösen: Der amerikanische Imperialismus. Der jetzt endlich für seine Verbrechen büßen musste.

Als ob die Terroraktion die gerechte Strafe für die Anstiftung des Putsches gegen Präsident Allende gewesen wäre, oder Teil des Kampfes gegen den Hunger in der Welt oder gegen die Rassendiskriminierung im Herzland des globalen Kapitalismus. Auch so kann man die von der profil-Redaktion begonnene Diskussion, ob nicht im Zuge zivilisatorischer Fortschritte nach Milosevic auch Herr Kissinger auf der Haager Anklagebank Platz nehmen sollte, abwürgen.

Sicher, vielen – gerade auf der Linken – war mehr als unbehaglich zumute beim heroischen Schulterschluss der Regierungen der "freien Welt" mit dem amerikanischen Präsidenten, und bei den unaufhörlichen Sondersendungen; die Aufrufe zu "Recht statt Vergeltung" sind mehr als berechtigt und dringend nötig; die Frage, warum über sechstausend tote Bürger Anlass für beinahe weltweite Staatstrauer sein mussten, während um die am Hunger verreckten Millionen, die Opfer des Genozids in Ruanda oder die "Kollateralschäden" des Feldzugs gegen Milosevic kein Hund von Staats wegen demonstrativ trauerte, ist berechtigt und wäre eine Diskussion um Strukturen und Eigentumsverhältnisse medialer Konstruktion "öffentlicher Meinung" wert. Aber was nach dem 11.9. hochkochte, war die Neuauflage jenes manichäischen "Anti-Imperialismus", in dem linke und rechte, jedenfalls auch nationale, Ressentiments gegen amerikanische Hegemonie, Globalisierung als McDonaldisierung, Amerikanisierung der Kultur ... zu einem wüsten Brei zusammenfließen.

Im Deutschen Bundestag (der österreichische Nationalrat hatte eine – innenpolitisch – geplante Sondersitzung aus Pietät abgesagt), hatte der PDS-Fraktionsvorsitzende – Beifall sogar der CSU – angemerkt: Als der entsprechende Bericht aus der Internet-taz in einem Diskussionsforum auftauchte, antwortete das viel sagende Pseudonym "Bin nicht Laden": "Wenn die größten Terroristen der Welt einmal eine auf die Hupe kriegen, ist das zwar menschlich verwerflich, aber genauso verständlich. Oder wurden schon einmal Schweigeminuten für die irakischen Zivilopfer des Golfkrieges abgehalten?"

Wenn einer die – eher auch in die Richtung von UN-Aktionen und internationalen Strafgerichtshöfen zielende – gemeinsame Erklärung der Präsidentin des EP, des Kommissionsvorsitzenden Prodi und der Ministerpräsidenten der EU-15 ins Netz stellte, tönte es von "links" zynisch: "Offenbar gelten seit 11.9. andere Voraussetzungen: CIA ist eine Unterorganisation von amnesty international. FBI ist in rechtsstaatliche Strukturen eingebunden. Aufgrund der entsetzlichen Ereignisse wurde die bisher exzessiv angewandte Todesstrafe abgeschafft." Aus dem linksliberalen Milieu wurde moderater ironisiert: "Damit kennt man auch den europa-weiten Sprachgebrauch mit vollkommener Political Correctness, auch wenn viele dieser Sätze zu anderen Zeiten an andere Adressaten genauso Gültigkeit hätten." (Wahr, aber warum war dieser Einwand gerade jetzt wichtig?) Der gleiche Poster hatte zwar vorher schon "Entsetzen und Sprachlosigkeit" gegen furchtbare Witzeleien noch in der Nacht des 11. geltend gemacht, konnte sich aber nicht verkneifen: "Andererseits gibts daneben auch die USA als Staatsmacht, wo die persönliche Betroffenheit nicht gelten kann. Staatsterror der USA gegen missliebige Regierungen ..."

Nochmal "Bin nicht Laden": "Amerika werde alles daransetzen, die Welt vom Bösen zu befreien und auf die Angriffe antworten, versprach der amerikanische Präsident. Wir freuen uns auf Ihren Selbstmord, Herr Präsident." Hat da einer in Worte gefasst, was eine ganze Subkultur denkt?

Auch dieses: Unter dem Pseudonym "no1 here gets out alive", am Abend des 12., in Blockbuchstaben: "VIVA BIN LADEN. VIVA JIHAD. VIVA SADDAM HUSSEIN", und als Begründung: "Entweder Überleben um jeden Preis oder Kampf bis zum Tod (H. Meins). Die Städte Amerikas haben die ersten Flammen der Revolution zu schmecken bekommen (E. Cleaver). Amerika bringt weit mehr Menschen um mit seinen Dollars als mit seinen Bomben (J. Rubin). Palladium der Freiheit: Staatsschutzpissoir (RAF)." Plus ein angebliches Nostradamus-Zitat über den "Sturz von Zwillingen". Kurz darauf meldete sich "Nostradamus" und verwies auf seine Prophezeiung: "Und am Tag danach meldet sich ein Arschloch mit dem Absender ... zu Wort, und dieses Arschloch ist auch noch stolz auf diese Wortmeldung und besäuft sich deshalb bis in die frühen Morgenstunden mit Caipirinha." (12./13.9.) Die Internet-Gemeinde ist ein Dorf, wo jeder jeden kennt und weiß, wo er nach dem Posting säuft. Der Gedanke aber, dass sich da nicht wenige besoffen haben an der klammheimlichen Freude über das einstürzende World Trade Center, jagt einem den kalten Schauer über den Rücken.

Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Der palästinensische Student in Österreich, der bei Stermann & Grissemann dagegen protestierte, dass ihn die Redaktion nicht in den Talk durchschalten wollte, weil er "antisemitische Äußerungen" (sic!) machen oder die staatlich verordnete Betroffenheit stören hätte können, hatte verdammt recht. Die vielen, die  gegen die Organisation des "Heiligen Krieges" der USA gegen Afghanistan oder wen immer mobil machen, haben verdammt Recht. Aber es wird auch im linken und linksliberalen Milieu noch viel Überzeugungsarbeit dafür brauchen, dass jetzt nicht Solidarität für die "Verdammten dieser Erde", sondern politischer Druck für die Ratifikation des Römer Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof und für Solidarität gegen den Terrorismus unter dem Schirm von UN-Institutionen angesagt ist, und dass "wer im Nahen Osten und anderswo ein Ende des Terrors will, den Problemen auf den Grund gehen muss. Nicht nur in Jugoslawien lehren gute Erfahrungen, dass es sich lohnt, demokratische Alternativen in den Krisenregionen zu unterstützen" (Abg. Peter Pilz im Bundesvorstand der österreichischen Grünen). Die "Politik der Gefühle" ist verheerend – ob in den USA oder in der europäischen Linken.