Brief aus Indonesien

Amerikas heiliger Krieg

Doris Klein

Der empörende Anschlag auf die Finanz- und Verteidigungszentren der USA, bei dem Tausende ihr Leben verloren haben, hat der ganzen Welt vorgeführt, dass die Weltordnung und deren Sicherheit höchst fragile Einrichtungen sind. Selbst Tonnen von hochtechnisiertem Spionage-, Abwehr- und Verteidigungsgerät helfen nichts, wenn eine Hand voll Irrer sich nicht mehr an die Spielregeln hält und das tut, was zwar nicht für unmöglich, zumindest gemeinhin aber für unwahrscheinlich gehalten wurde. Seit dem 11. September ist alles möglich; der Zerstörung und der Maßlosigkeit scheinen keine Grenzen mehr gesetzt. Zumindest in diesem Teil der Welt, denn weiter im Osten wirft das US-Militär seit Jahren und zuletzt Anfang September Bomben auf den Irak, um damit dessen schlechtes Betragen zu sanktionieren. Aber die Fernsehbilder vom ausgebombten Bagdad sind, falls sie überhaupt ihren Weg in amerikanische oder europäische Wohnzimmer finden, stets undeutlicher und kleiner, die Sprachen der klagenden Frauen über Tote und Verletzte unverständlicher. Und wirkt nicht auch der Rauch, der aus verbrannten arabischen Städten aufsteigt, irgendwie läppischer? Hatte die Zivilbevölkerung im Irak sich am Ende schuldiger gemacht als jene Menschen, die jetzt in den gekaperten Flugzeugen, in Hochhäusern, dem Pentagon und auf der Straße gestorben sind? Wohl kaum. Aber auch nach der Stunde Null des internationalen Terrorismus ist der amerikanische Glaube ungebrochen, die westlichen Bomben träfen schon immer die Schuldigen und seien an sich schon richtiger, reiner, heiliger und gerechter als die aus dem Osten.

Die Menschen in Malaysia und Indonesien waren nicht weniger schockiert über die Ereignisse als anderswo in der Welt. In den Straßen von Jakarta, Singapur und Kuala Lumpur entzündeten sie Kerzen für die Ermordeten, es gab bestürzte Leserbriefe in den Tageszeitungen, Betreiber von Websites haben ihre Eingangsseiten zu Traueranzeigen umfunktioniert.

Was viele Muslime aber beinahe ebenso entrüstet wie der Anschlag selbst, ist die verzerrende Darstellung des Islam durch die US-Regierung und die Medien. Durch die stets wiederholte und unzulässige Verknüpfung von Terror und Moslems hat man sich viele Sympathien bei der hiesigen Bevölkerung und den Regierungen der Pazifikstaaten verdorben. Wo zunächst Anteilnahme und Trauer vorherrschten, wurden schon wenige Tage danach vor der amerikanischen Botschaft in Jakarta Sternenbanner verbrannt, demonstrierten aufgebrachte Moslems gegen die amerikanische Kriegstreiberei und die undifferenzierte Berichterstattung. Was man verlangt, ist nicht Nachsicht mit den Tätern, sondern sorgfältige Aufklärung der Verbrechen und Besonnenheit im Umgang mit dem zerbrechlich gewordenen Weltfrieden.

Der Premierminister Malaysias, Mahathir ibn Mohammed, hat in einem Zeitungsinterview vom 18. September den Westen dazu aufgefordert, einmal die vorgefertigten Fernsehbilder abzuschalten und sich stattdessen in einem Straßencafé in Kuala Lumpur die muslimische Realität zu betrachten. Die stereotype Sicht vieler westlicher Menschen auf den Islam, so Mohammed, werde schon nach einer Tasse Kaffee nicht länger aufrechtzuerhalten sein.

Die Regierung Malaysias hat die Anschläge scharf verurteilt und sich vehement gegen jede Art von Terror ausgesprochen. Den USA wurde zwar umfassende Unterstützung bei der Suche nach den Tätern zugesichert. Allerdings, so der Premierminister, werde man an der malaysischen Politik der Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder festhalten.

Dennoch werden Regierung und Medien in den USA nicht müde, sich selbst und der Weltöffentlichkeit die Ereignisse in einem Sinn zu deuten, der einem die Sprache kaum weniger verschlägt als das Geschehene selbst. Indem George W. Bush den Anschlag als Angriff auf die zivilisierte Welt, auf die Idee von Zivilisation und Freiheit schlechthin erklärt, ihn quasi globalisiert, unterstreicht er die amerikanische Wirklichkeitsferne und outet sich selbst als plumper Polarisierer, nach dem Prinzip: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Der Feind sei nicht der Islam, sondern der Terror, beeilt man sich unterdessen zu verkünden. Kein Zweifel aber scheint die US-Regierung wie die amerikanische Öffentlichkeit darüber befallen zu haben, dass es sich im Grunde doch um eine Variante des ewig Gleichen handelt. Hier die Guten, dort die Bösen. So ist die Welt bestenfalls in steinalten John-Wayne-Filmen beschaffen. Machen wir uns nichts vor: Das war ein Anschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Und es war eine Reaktion auf amerikanische Politik, amerikanische Attitüde und amerikanische Ideologie. Gestorben sind, wie so oft, Unbeteiligte.

Hastig versucht man nun ein Land nach dem anderen in die große Koalition mit der Weltpolizei entweder zu locken oder zu zwingen. Der indonesischen Präsidentin Megawati Soekarnoputri, die sich am 13. September mit George W. Bush in Washington getroffen hatte, wurde die Kooperationsbereitschaft mit den USA denn auch großzügig gedankt. Neben einem Investitionsabkommen in Höhe von 400 Millionen US-Dollar kommt Frau Megawati mit einem – für den Anfang – 130-Millionen-US-Dollar-Hilfspaket nach Jakarta zurück. Dass ihr Besuch nicht unumstritten war, liegt auf der Hand, fühlen sich doch viele indonesische Moslems von der Präsidentin und deren als übereilt empfundene Zugeständnisse an den Westen betrogen. Denn keinesfalls will es sich der indonesische Klerus mit anderen moslemischen Ländern verderben; ein unüberlegter militärischer Gegenschlag der Amerikaner ins arabisch-moslemische Blaue könnte auch hier die Fortsetzung der stets schwelenden Unruhen zwischen Christen und Moslems zur Folge haben.

Die Erklärungen der Regierungen sind aber nur die eine Seite der Medaille. In Malaysia wie in Indonesien gibt es radikale und militante Gruppen, die sich sowohl der politischen wie auch der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen. Amöbengleich verschwimmen ihre Ränder, verändern sie die Form, schließen sie sich, je nach aktuellen Interessen mal mit diesen, mal mit jenen Splittergruppen zusammen. Aufrufe zum Jihad(1) werden ebenso täglich laut wie solche, die zur Besonnenheit aufrufen. Wie die Jihad-Fraktionen sich verhalten werden, wenn die USA und deren Verbündete etwa Afghanistan oder ein anderes moslemisches Land angriffen und wieder unbeteiligte Zivilisten zu Tausenden "für Freiheit und Zivilisation" in den Tod trieben, kann niemand voraussagen.

1 Jihad bedeutet eigentlich nur "Bemühung um den Glauben"; wurde aber radikalen Moslems als "heiliger Krieg" gegen Nicht-Moslems umgedeutet.