... one Nation under God ...

Eike Hennig

Die geeinte Nation unter Gott ist Thema des Treuegelübdes von Schülern in Gottes eigenem Land, den USA. Das Sternenbanner flattert: "O’er the land of the free and the home of the brave!" – Aus diesen Kulturbezügen wird auch der 11. September interpretiert: Biblisch-republikanisch (Bellah) und (wild-)westlich mit einem kräftigen Schuss an der "Frontier."

Am 11. September greifen "Krieger aus dem Nichts"(1) das Pentagon und das World Trade Center (WTC) an, zwei herausragende Symbole einmal der US-Militärpolitik und der Weltordnungsmacht sowie andererseits der in Lower Manhattan verankerten, funktional aber grenzüberschreitend-globalen Finanzströme und kapitalistischen Direktionszentralen werden entweiht oder zerstört. Ein globaler Naturzustand wird wirklich und schafft Raum für eine unfriedliche Weltinnenpolitik: Von nun an wird die Welt auch als Szenario terroristischer Überfälle und nicht minder riskanter Gegenschläge (oder Vorwegmaßnahmen) betrachtet. Diese rohe Weltinnenpolitik ist Teil der Globalisierung: Grenzüberschreitende Verkehrs-, Nachrichten- und Kulturströme (die lokale Identitäten aufweichen), grenzenloser Terror, entgrenzte Gewalt, grenzenlose Kapitalverhältnisse, entgrenzte Militäreinsätze (die die USA "gewohnheitsrechtlich" in Mittel- und Südamerika sowie weltpolizeilich überall durchführen) und aktuell auch die US-Operation "grenzenlose Gerechtigkeit" sind verwobene Module eines globalen Kulturkampfes. Die USA und andererseits islamistisch-fundamentalistische Terroristen sowie nichtpluralistische, nichtlaizistische "Schurkenstaaten" werden als Speerspitzen dieses Kulturkampfs und Streits um Hegemonie bezeichnet. Mit Vorboten, selbst am 26. Februar 1993 im WTC, tritt am 11. September ein globaler, aus einem weltweiten Netz agierender, in der Wahl seiner Mittel und psychischen Ressourcen entschiedener Terrorismus auf den Plan: Globale Ordnungspolitik ist das Medium der Starken, globale Terroraktionen sind Nadelstich, Angstprojektion und Ent-Sicherung der Schwachen, deren Antipolitik ist nun glaubhaft. Entgrenzt und entschieden, unkonkret in der Wahl ihrer Feinde und ihrer absoluten Mittel sind beide Partner dieser naturzuständlichen Weltinnenpolitik. Insofern bedeutet der 11. September keine Zäsur(2), wohl aber eine Ausnahme voller Kränkungen und Traumata für das Morgen- und Abendland. Dieser Angriff auf ein Herz des Staates und ein finanzkapitalistisches Hauptquartier eröffnet eine neue Front für die globale, absolute Feindschaft. Aufklärung und Differenzierung haben es schwer, Zwischentöne dürften ehestens als instrumentelle Beratung, als strategisches Kalkül, als "Rationalisierung zu einer irrationalen Lebensführung" (M. Weber) wirken. Die im Tenor irrationale Stimmung ergibt sich aus den kulturellen Mustern der Genese und Deutung dieser absoluten Gewalt und absoluten Freiheit bei der Wahl der Mittel.

Absolut ist diese Freiheit mindestens für die Terroristen. Der grenzenlose Terrorismus hebt das konkrete, heimatverbundene Irreguläre des Partisanen auf (insofern handelt es sich in Palästina um Partisanen, deren Mittel terroristisch werden) und realisiert am 11. September tatsächlich das Szenario "Weltdorf" gegen "Weltstadt." Aus absoluter Feindschaft ergibt sich eine abstrakte Freiheit zur negativen Tat, die Terroristen werden folglich zu "Täteropfern." Die "Furie des Verschwindens" und der "kälteste platteste Tod, ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhaupts oder ein Schluck Wasser" (Hegel), bestimmt auch die Terroristen selbst.

Eine Ausnahme wird aus dem kulturellen Fundus gedeutet, souverän ist, wer Deutungsmuster entscheidend beeinflusst. Dies gilt auch für westliche Kommunikationsangebote: "Krieg" (eigentlich ist er an Staaten gebunden), "feiger Angriff aus dem Schatten" (der schnell Osama bin Laden und Orten von Afghanistan bis Frankfurt a. M. zugeordnet wird), "Zivilisationsbruch" werden verbreitet verwendet. (Strittig ist, was die "notwendigen Maßnahmen" implizieren.) Als "Bushism" kommt der "monumentale Kampf des Guten gegen das Böse" hinzu, der den Weltpolizisten an die "Frontier", die Grenze gegen den Terrorismus, stellt. Bush mobilisiert damit kulturelles Potenzial; arbeitsteilig neben den strategischen Beratern greift er den "Frontier-Mythos" auf, benutzt ihn zur offensiven Interpretation der terroristischen Ausnahme.

Die "Frontier" trennt Zivilisation und Barbarei beziehungsweise Wildnis, die staatsferne Pioniergemeinschaft wird durch Wilde und Gesetzlose bedroht. Das kulturstiftende Wirken der Pioniere ist an der "Frontier" in Gefahr, wird gleichwohl auch gefordert. Die Grenze ist Gefahr und Aufbruch. Die "Frontier" schweißt zusammen (und schon 1893 vergisst F. Turners klassische Erzählung neben den Frauen auch Indianer, Schwarze und Asiaten). Selbstjustiz gegen Barbaren ist gerechtfertigt, an der "Frontier" geht es – "Wanted: Dead or Alive" – expressiv und zupackend zu.

Die zerbrochenen Türme des WTC eröffnen der gesamten zivilen Welt eine "Urban Frontier" (wovon die US-Stadtsoziologie schon einige Zeit redet). Reaktionen in London und Frankfurt a. M. zeigen, die Zeichen wirken; globale Städte und Flughäfen debattieren über Angst und Sicherheit im terroristischen Spannungsfeld. Als Deutung bemüht Bush den "Frontier-Mythos", der ursprünglich die rechtschaffenen Bürger legitimiert, staatliche Schwäche, die Abwesenheit von Exekutive und Judikative im dünn besiedelten Westen, eigensinnig zu ersetzen. Bush wendet diese bekannte Erzählung auf die Rolle der USA mit ihrer staatlichen, militärischen Macht im globalen Antiterrorismus. Diese Übertragung wirkt innenpolitisch integrierend, weckt gleichzeitig aber Misstrauen bei Verbündeten wie Beratern. Der "Frontier-Mythos" zerbricht alle Vorstellungen einer Konfliktregelung durch Verfahren und nährt damit den Wunsch nach "besonnenen" Reaktionen. Hier eröffnen sich interkulturelle Widersprüche und (kleine) Räume, um sich in die Konstruktion von Deutung einzumischen.

1 Peter Michalzik: FR, 13.9.01, S. 20.

2 Die verbreitete These der Zäsur spaltet im Übrigen die Vorgeschichte des 11. September und damit das Wirken von Pentagon und WTC ab von der Frage, wie sich der Hass gegen diese Symbole aufgebaut hat. Die Genese des Terroranschlags, so die Zäsurthese, wird nicht analysiert, sondern als Schuldzuweisung deklariert.