INDONESIEN:

Der Hunger wartet nicht

Doris Klein

Das neu gegründete Forum Komunikasi Masyarakat Anti Swiping Orang Asing, das Kommunikationszentrum der Gesellschaft zum Schutz von Ausländern, liegt in einer kleinen Gasse im Stadtteil Kebon Sirih im Zentrum Jakartas, einer seit vielen Jahren beliebten Adresse für Rucksackreisende aus aller Welt. Die Bewohner der Straße, Hotel- und Restaurantpächter, Inhaber und Angestellte der kleinen Läden und Imbissbuden, haben sich inmitten der fortdauernden antiamerikanischen Demonstrationen und der vereinzelten Drohungen militanter Verbände, etwa der radikalen Islam Defenders Front (FPI), Amerikaner und andere westliche Ausländer aus dem Land zu treiben, zusammengeschlossen, um die Wogen wenigstens in ihrem Viertel ein wenig zu glätten. Verstärkter Sicherheitsdienst und verdoppelte Wachtposten sollen die Sicherheit der immer weniger werdenden Touristen gewährleisten.

Bei aller Wertschätzung für eine derart couragierte Maßnahme kann nicht übersehen werden, dass es in erster Linie ökonomische Interessen sind, die die Initiatoren des Forums treiben. Unmittelbar betroffen vom Ausbleiben oder der Ausreise verunsicherter Ausländer sind die Betreiber der zahllosen Bars, Restaurants, Hotels und Internetcafés in der Hauptstadt, deren Umsätze in den vergangenen drei Wochen teilweise drastisch gesunken sind. Viele halten sich nur noch mühsam über Wasser, nicht wenige haben bereits ihre Geschäfte geschlossen.

"Der Hunger wartet nicht", sagt Max Wekan, der Sprecher des Forums. "Wir haben keine Zeit für Politik". Was ihn allerdings ärgert, sind neben den Agitatoren im eigenen Land, die das Image verdürben und die Kunden vertrieben, die oberflächliche Berichterstattung der westlichen Medien. Man fühle sich als Moslem durch die Medien verunglimpft, sagt ein Hotelbetreiber; weder seien sie Hinterwäldler, die sich der restlichen Welt verschließen, noch seien sie alle Terroristen oder Fremdenhasser. Einig sind sie sich darin, dass die amerikanischen Angriffe auf Afghanistan und deren Zivilbevölkerung nicht recht seien – Terror hin, Terror her. Dass dieser Krieg nur das Taliban-Regime treffe, glaubt keiner. Aber: "Wir haben andere Sorgen, wir müssen unsere Familien ernähren."

Was die Proteste im eigenen Land angeht, scheint die Bevölkerung gespalten. Einerseits will man sich das Recht, seinem Unmut über die Art und Weise der amerikanischen Konfliktlösung Ausdruck zu verleihen, nicht nehmen lassen, andererseits fürchtet man dadurch nachhaltige Imagebeschädigung und in der Folge Schaden für die ohnehin kränkelnde Wirtschaft. NIKE, einer der größten ausländischen Arbeitgeber im Land, hat bereits gedroht, sich aus Indonesien zurückzuziehen. Die Schuhindustrie, deren Produktion zu über 50 Prozent fürs Ausland bestimmt ist, liegt ebenso danieder wie die exportorientierte Möbelindustrie. Sollte sich die Lage nicht grundlegend und schnell normalisieren oder würde man gar den Forderungen der radikalen Moslems nach Abbruch der Beziehungen zu den USA nachkommen, wären mehr als drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet.

Ganz andere Bedenken sind seitens der gemäßigten Moslemverbände zu hören. Dort nämlich glaubt man, die Amerikaner könnten die Demonstrationen zum Vorwand nehmen, Indonesien – oder ein anderes moslemisches Land – eines Tages selbst zur Zielscheibe vermeintlicher Terrorbekämpfung zu machen. In der überzogenen Bewertung der Hand voll lokaler Antikriegs- und antiamerikanischer Protestler und deren Stilisierung zu Extremisten durch die Medien und George W. Bush selbst, sieht man diese Befürchtungen bestätigt.

Das Dilemma, in dem sich die indonesische Bevölkerung augenblicklich befindet, scheint wie im Vergrößerungsspiegel in der Regierung wider. Megawati hat sich durch die Annahme der amerikanischen Geldgeschenke vom September und die dafür gewährten Zugeständnisse schwer in die Bredouille gebracht. Sie befindet sich im Ringen zwischen Ökonomie und Glauben. Das Wirtschaftslager, dem sie selbst zuzurechnen ist, verlangt von ihr die Schaffung beziehungsweise Wiederherstellung eines investitionsfreundlichen Klimas im Land. Dazu gehört die Sicherstellung von Recht und Ordnung und die Unterdrückung der antiamerikanischen beziehungsweise antiwestlichen Strömungen und Zurückhaltung bei der Kritik der aktuellen Ereignisse. Auf der anderen Seite fordern die Führer der großen Moslemvereinigungen, wiewohl sie Megawati im so genannten Kampf gegen den Terrorismus unterstützen, ein klares Statement von ihr, das die Bombardierung Afghanistans verurteilt. Nach tagelangem Schweigen hat sie in einer sehr diplomatischen Erklärung indirekt die amerikanischen Angriffe kritisiert, indem sie sich gegen "jegliche Angriffe ... unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ... auf welches Volk oder Land auch immer" aussprach. Das bringt ihr das Misstrauen der Amerikaner, aber auch eine Feuerpause im eigenen Land und das Lob der Nachbarländer ein, etwa der Philippinen, die sich wünschten, ihre Präsidentin hätte sich zu einer so mutigen Haltung durchringen können, anstatt sich in Devotismus gegenüber den Amerikanern zu üben.

Während die gefürchtete Hexenjagd auf Fremde in Indonesien bislang ausgeblieben ist, gehen die Bedenken anderenorts in der Region in eine ganz andere Richtung: Der malaysische Präsident Mahathir Mohamad hat seinen Landsleuten unterdessen untersagt, in den Westen zu reisen, weil er ihnen die Vorurteile, die ihnen dort als "potenzielle Terroristen" entgegenschlagen könnten, ersparen möchte.