Dialog, Entwicklung, Prävention

Roger Peltzer

Fast alle sind sich darüber einig, dass jenseits kurzfristig notwendiger Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrors politische Antworten gefunden werden müssen, um islamistischer Gewaltbereitschaft langfristig den Nährboden zu entziehen. Allerorten wird von der Notwendigkeit des Dialogs mit den Muslimen gesprochen. Dazu drei Anmerkungen:

1. Es gibt in Deutschland zehntausende von gläubigen jungen Moslems, die vielfach gut ausgebildet sind, gut Deutsch sprechen und sich nicht zuletzt deshalb Gedanken über ihre "Identität" und Zugehörigkeit machen. In ihren Einstellungen gibt es eine große Bandbreite. Die deutliche Ablehnung der sie umgebenden freizügigen, kaum Tabus kennenden Gesellschaft konkurriert mit persönlichen Entwicklungsambitionen, die sich zum Teil nur in und nicht gegen diese Gesellschaft verwirklichen lassen. Neben mehr oder weniger scharfer Abgrenzung gibt es gelassenes Selbstbewusstsein, das die "ungläubigen" FreundInnen zu akzeptieren gelernt hat. Nicht immer sollten allerdings die vielfach zu hörenden Lippenbekenntnisse zur pluralen Gesellschaft für bare Münze genommen werden. In welche Richtungen sich die Überzeugungen junger Moslems weiter entwickeln ist in der Regel offen, für die deutsche Gesellschaft aber elementar wichtig.

Deshalb brauchen wir den Dialog. Der darf sich nicht auf einen Tag der offenen Tür in der örtlichen Moschee beschränken, sondern muss dauerhaft organisiert werden. Wer kümmert sich in Deutschland systematisch um die heranwachsende Elite junger und überzeugter Moslems? Wo sind die christlichen Religionslehrer, die in länger angelegten Projekten systematisch das Gespräch zwischen christlichen Schülern und ihren moslemischen Altersgenossen suchen.

Wo sind die Stiftungen, die – mit nicht wenig Geld für den Dialog gesegnet – systematisch katholische und evangelische Frauenverbände und ihre Schwestern aus den moslemischen Moscheevereinen zusammenbringen? Es gibt da bei den Kirchen erste positive Ansätze, aber diese sind stark ausbaufähig. Nicht wenige würden dann entdecken, dass der "Feminismus" nicht nur bei den katholischen und evangelischen Frauen, sondern auch bei vielen jungen Musliminnen feste Wurzeln geschlagen hat.

2. Noch vor kurzem konnte der Entwicklungshilfeetat von einer rotgrünen Regierung auf Ansätze gekürzt werden, die nominal unter dem lagen, was die letzte Kohl-Regierung bereitgestellt hat. Zunächst die Globalisierungsdiskussion und dann der 11. September haben der Entwicklungspolitik nun zumindest verbal einen ganz neuen Stellenwert gegeben. Von den einen wird sie als die Alternative zu einem militärischen Vorgehen gesehen, die andere Seite betrachtet sie als dringend notwendige Ergänzung.  Dies ist aus der Sicht des Entwicklungspolitikers begrüßenswert,  hatte die Sparpolitik von Eichel doch Dimensionen angenommen, in denen Deutschland teilweise seinen bilateralen und multilateralen vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte.

Dennoch besteht nun die Gefahr, erneut in die "Omnipotenzfalle" zu laufen und mit einem deutlichen Anstieg der Entwicklungshilfe – so wichtig dieser ist – Erwartungen zu verbinden und zu wecken, die Entwicklungszusammenarbeit beim besten Willen nicht einlösen kann. Die substanzielle Verminderung von Elend in dieser Welt braucht engagierte Menschen; die Veränderung externer und interner Strukturen, die Entwicklung behindern und Hunger verursachen; kreative Konzepte; Zeit und natürlich auch Geld. Der monetäre Aspekt steht auch deshalb in meiner Prioritätenliste an letzter Stelle, weil eine andere Reihenfolge Gefahr läuft, mehr Probleme zu schaffen als zu lösen.

Außerdem: Die jetzige Form der hoch bürokratisierten Abwicklung von Entwicklungshilfe "verkraftet" weder auf der Geber- noch auf der Nehmerseite wesentlich mehr Geld. Wer den Entwicklungsländern schnell und unbürokratisch mehr Kaufkraft zukommen lassen will, muss sehen, wie man die Rohstoffpreise für Palmöl, Kautschuk, Kaffee, Baumwolle, Gold und Kupfer erhöhen kann, ohne marktferne Rohstoffabkommen zu installieren, die nicht funktionieren, und wie man die Märkte der Industrieländer stärker öffnet.

3. Wichtiger als alle Hilfsgelder ist Konfliktprävention. Es leuchtet unmittelbar ein, und viele Beispiele aus den letzten Jahren belegen es, dass jede Investition in die wirtschaftliche Zukunft eines Landes in Form von Entwicklungshilfe oder privaten Kapitalzuflüssen  buchstäblich in den Sand gesetzt ist, wenn etwa ethnische Konflikte zu Bürgerkriegen eskalieren.

Deshalb ist es wichtig, dass Deutschland, Europa, die internationale Staatengemeinschaft energisch der Eskalation solcher Konflikte vorbeugen und an ihrer Beilegung mitwirken. Wichtigstes Mittel der Konfliktprävention ist die klassische Diplomatie. Deshalb war es das falsche Signal, dass Deutschland seine diplomatische Präsenz in Afrika in den letzten Jahren abgebaut hat. Und deshalb ist es umso positiver, dass das Sicherheitspaket zur Terrorbekämpfung eben auch zusätzliche DM 200 Millionen für das Auswärtige Amt enthält. Das ist eine wichtige Antwort auf die Implosion staatlicher Ordnungen in Afrika. Gerade in jüngster Zeit gibt es eben auch ermutigende Beispiele, wie europäische und deutsche Diplomatie dazu beigetragen haben, Konfliktsituationen zu entschärfen. Das gilt in Afrika etwa für die Côte d’Ivoire. Das gilt insbesondere aber auch für Mazedonien. Dabei würde sich Diplomatie in ihren Möglichkeiten unnötig einschränken, wenn sie neben wirtschaftlichen nicht gegebenenfalls auch auf Elemente militärischer Absicherung von Friedensprozessen zurückgreifen könnte.

Vor diesem Hintergrund ist es umso unverständlicher, dass sich der Dachverband der Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, VENRO, gegen den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr ausgesprochen hat. Das war und ist Konfliktprävention par excellence und Voraussetzung aller Anstrengungen, das Land auch wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen.