Aus der von der Sozialdemokratie
losgetretenen »Kapitalismus-Debatte« spricht vor allem politische Ratlosigkeit,
den Spagat zwischen »Standortpolitik« und »Gerechtigkeitslücke« wahltauglich zu
überbrücken. Aber selbst Ökonomen und Kapitalvertreter stehen der
transnationalen Hegemonie skeptisch gegenüber. Falsch ist eine Kritik, die den
Blick auf den nationalen Rahmen verengt. Muss man vielleicht den Markt gegen
Tendenzen des Kapitalismus verteidigen, die ihn sich gänzlich untertan machen
wollen?
I. Jenseits lustiger Wortspiele, prangender Ironie und
karikierender Bilder: Die Vorstellung, das Kapital sei eine
»Heuschreckenplage«, die wie ein Naturereignis über die wertschöpfende Arbeit,
also die eigentlichen Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums, herfällt,
gehört zu einer langen Traditionskette von, wie man früher einmal sagte,
»vulgärmarxistischen Versuchen«, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse
zu dämonisieren. In die gleiche Kategorie fallen auch die »Nutztiere«, die dem
»raffgierigen« Kapital, scheinbar wohlmeinend und differenzierend,
gegenübergestellt werden. Die Verwendung von Begriffen aus der Insekten- und
Tierwelt, immer im Rückgriff auf apokalyptische, strafende oder
säuberungsbetonte Fantasien, gehört, abgesehen von den verständlichen
frühkapitalistischen bildkräftigen Empörungen, zu den schlechtesten Traditionen
der Klassenkämpfe. Das unheilvolle sprachliche Arsenal ist letztlich auch
unauflöslich mit der realen Auslöschung und Vernichtung von Klassen- und
Volksfeinden verknüpft – bis hin zum Genozid an den europäischen Juden.
Es geht jedoch nicht darum, den Parteivorsitzenden der SPD, Müntefering, in einen unmittelbaren Zusammenhang dieser Geschichte zu stellen und gleichsam zum sprachlichen Nazi hochzustilisieren. Es geht darum, sich das dahinter liegende politische Elend zu vergegenwärtigen, welches in der von Müntefering aufgerufenen Kapitalismuskritik zum Ausdruck kommt.
II. Die Kapitalismus-Frage ist bei Müntefering nicht mit
einer grundsätzlichen Infragestellung des Kapitalismus verbunden. Es geht um
»Auswüchse«. Der Zeitpunkt der Ausrufung hat mit den Landtagswahlen in NRW zu
tun. Die Ausrufung stellte einen verzweifelten Versuch dar, dort die rot-grüne
Regierungsmacht zu erhalten, um auf Bundes- und Bundesratsebene nicht vollends
in der Handlungssackgasse zu landen. Darüber hinaus zielt die Diskussion auf
die schwierige Lage, in die die rot-grüne Regierung mit dem Zurückbleiben der
neuen Bundesländer, mit der Stagnation auf dem Arbeitsmarkt, dem Ausbleiben von
wirtschaftlichem Wachstum und den Begleiterscheinungen der Reformen von Hartz
IV und der Agenda 2010 geraten ist. Offensichtlich ist es die
»Gerechtigkeitslücke«, die sich, nach etlichen Entscheidungen für niedrigere
Gewinnbesteuerung et cetera, nicht nur im Bewusstsein vieler Mitglieder der
sozialdemokratischen Partei, sondern auch bei einem erheblichen Teil der
lohnabhängigen Bevölkerung auftut. Das Spannungsverhältnis zwischen »mehr
Brutalitäten« einerseits und dem Beschwören der Verteidigung des Sozialstaates
anderseits hat längst eine Stimmung der Verunsicherung und Angst erzeugt. Sie
reicht bis weit hinein in die Mittelschichten und die jungen und jüngsten
Altersgruppen.
Der Vorstoß von Müntefering
verdeutlicht, dass die Sozialdemokratie sich in einem Spagat zwischen
»Standortpolitik« und dem Bewusstsein über ein weit verbreitetes soziales
Sicherungsbedürfnis befindet. Dieser Spagat ist keine neue Erscheinung, sondern
prägt den rot-grünen Regierungskurs von Beginn an mit verschiedenen
Richtungsausschlägen. Wurden nach der 1998er-Wahl noch sozialpolitische
Geschenke angekündigt und ausgeteilt, setzte bald darauf, angesichts der
Haushaltslage und der ökonomischen Krise der Sicherungssysteme, ein
finanzpolitischer Kurs des Sparens sowie der Konsolidierung des Haushalts ein,
für den eine Weile der »eiserne Hans«, also Finanzminister Eichel, stand.
Spätestens mit dem Zusammenbruch der Neuen Ökonomie und einer grundlegenden
Wachstumsschwäche bewegt sich die Bundesrepublik in einer Abschwungsspirale, in
der auch die Politik der »ruhigen Hand« des Kanzlers kollabierte. Das darauf
folgende Umschwenken in der Finanz-, Steuer-, Unternehmens- und Sozialpolitik
stellt weniger ein von innerer Überzeugung geleitetes Einschwenken auf
neoliberale Politik dar, sondern ist eher Ausweis einer aus verschiedenen
Faktoren zusammengesetzten Konfusion und politischer Stocherei. Es ist nicht
ohne Ironie, dass der von Blair und Schröder einmal angedachte »Dritte Weg«
schnell sang- und klanglos begraben wurde, Elemente davon jedoch mit
globalisierungsbegründetem Effet als Metapher für die »Sicherung des
Sozialstaates« mit einseitiger Risikoverlagerung auf die Lohnabhängigen wieder
auftauchten.(1)
Der vorherrschend gewordene Ruf
des »Vorrang für die Ökonomie!«, kombiniert mit »Vorrang für Arbeit« kollidiert
jedoch mit einer ökonomischen Realität, in der zunehmend große Teile des
Kapitals, mithin der gesellschaftlichen Werteproduktion, nicht mehr nur den
einzelbetrieblichen oder konzernstrategischen Markt- und Verwertungsinteressen
gehorchen. In diese Entwicklung fügen sich die horrenden Unternehmens- und
Aktiengewinne, die Debatte und die medialen Schaukämpfe um »Turbokapitalismus«,
»Auswüchse«, »Hedge-Fonds« und überbordende Managergehälter emotionsgeladen
ein.
III. In weiten Teilen der wirtschaftlichen Eliten und
Expertisen herrscht die Annahme vor, dass nur weitere Freiheiten der Kapital-
und Finanzmärkte und die uneingeschränkte Herrschaft des freien Marktes zu mehr
Wachstum führen können. Rahmen setzende Politik gilt als des Teufels, als
Ausgeburt von Strangulierung und Bürokratisierung, der »rheinische
Kapitalismus« als überlebt, die Mitbestimmung als schiere Blockade.(2)
Demgegenüber finden sich auch die fachkundigen Kritiker dieses Kurses in der
Minderheit und in der Defensive. Allerdings ist die Beunruhigung über diese
Entwicklungen auch in die Kreise derjenigen vorgedrungen, die eine
kapitalistische Produktionsweise im Grundsatz für alternativlos halten. Das
zeigte sich auch an den harschen Interventionen von Josef Stiglitz wider ein in
den Gewässern des Neoliberalismus steuerndes internationales Finanzsystem.
Nun setzt sich in einer kleinen
Mahnschrift auch der Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith (geb.
1908) mit einigen Mythen der Wirtschaftswelt auseinander. In Die Ökonomie des
unschuldigen Betruges spricht der ehemalige Berater der US-Präsidenten Kennedy
und Johnson über den Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft.(3) Die Rede von
der freien Marktwirtschaft hält er ebenso für Humbug wie die vorgebliche
Machtlosigkeit der Konzerne im gesellschaftspolitischen Raum. Begriffe wie
Kapitalismus oder Monopolkapitalismus beschrieben durchaus exakt die Realität,
ebenso real sei das Vordringen des militärisch-industriellen Komplexes in die
Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Auch in Sachen Bürokratie räumt Galbraith
mit dem Mythos auf, nur der Staat und andere Großorganisationen seien von
dieser Seuche erfasst. »Der Glaube, dass das Management von Konzernen kein
bürokratischer Apparat sei, ist unsere raffinierteste und in jüngster
Vergangenheit eine unserer offenkundigsten Formen von Betrug.«(4) Statt von
»Firmenbürokratie« spreche man gerne von »Management«. Das ändere jedoch nichts
daran, dass zu »den grundlegenden Merkmalen der Großunternehmen des 21.
Jahrhunderts« ein Leitungssystem gehört, »das unbeschränkte Macht zur
Selbstbereicherung gewährt«. Und: »Eine Gesellschaft, in deren Unternehmen eine
Mentalität des Absahnens und Betrügens grassiert, ist moralisch und ökonomisch
dem Niedergang geweiht«. Deswegen plädiert Galbraith am Ende für die
Machtkontrolle großer Konzerne und der Aktienmärkte, bleibt in seinen
Schlussfolgerungen aber ganz appellativ und unpräzise. Man spürt jedoch, wie
tief die Skepsis des alten Herrn angesichts der Entwicklung des
Weltkapitalismus sitzt – und wie ratlos in Sachen Zähmung er bleibt.
IV. Diese Ratlosigkeit findet sich im verzweifelten
Rudern der Sozialdemokratie wieder. Auch die Mischung aus proklamierter »Standortsicherung«
und Mahnung zu unternehmerischem »Patriotismus« wirkt in erster Linie hilflos,
hat aber parteigeschichtliche Vorläufer.(5) Münteferings »Kapitalismus-Frage«
ist ja direkt verknüpft mit einem nationalstaatlichen Appell, der im Zuge der
offensichtlichen Schwierigkeiten nationaler Politik – nicht nur der
europäischen Einigungsprozesse, sondern der weltweiten ökonomischen
Verkomplizierung wegen – der eigenen Wählermobilisierung zugute kommen sollte.
Das Problem dieser Position liegt
darin, dass sie im Grunde allen realen Prozessen des kapitalistischen
Weltmarktes entgegenläuft. Denn die forcierte Durchdringung der
kapitalistischen Produktionsweise in den Kontinenten dieser Welt hat längst ein
Ausmaß angenommen, in dem auch eine wirtschaftliche Großmacht wie Deutschland
nur noch ein Akteur unter anderen ist.(6) Nicht nur bei Kapitalakkumulation und
Produktivitätsraten, Ressourcenpotenzialen und Lohnkosten, Lohnnebenkosten und
Bruttosozialprodukt erwachsen den traditionell führenden Industriestaaten zunehmend
Konkurrenten.
Wir befinden uns mitten in einem
großen Umbruch von der Industrie- zur informationstechnologischen
Gesellschaft,(7) wir erleben das Ende des schon klassisch gewordenen Fordismus
und die Anfänge einer Neuzusammensetzung der produktiven Elemente und Anteile
der kapitalistischen Warenproduktion, der Verwandlung von materiellen in
virtuelle Kapitalien und Märkte. Die Auflösung von lokal oder national
gebundenen Stoff- und Produktionskreisläufen in Kontinente übergreifende
Abläufe ist schon weit vorangeschritten. Die Zerschlagung selbst von mittleren
und größeren Unternehmen, aber auch großer Konzerne und Produktionseinheiten,
die Zerlegung und Neuzusammensetzung von Produktionsprozessen und
Warenaustausch erscheinen im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung der
Finanz- und Aktienmärkte oft nur als Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung zu
Gunsten eines »spekulativen Kapitals«. Im Blick auf diese Exzesse wird häufig
übersehen, dass sie auf dem Hintergrund von realen Verschiebungen in der Werteproduktion
stattfinden. Und in ihnen »gewinnen« längst nicht mehr nur die Großkonzerne des
Westens. Die andere Seite sind zunehmend die neuen und aufstrebenden Staaten
und Großkapitale im System des Weltkapitalismus.
Das alles hat sich schon längst
folgenreich auf die Kernmobilität der einheimischen arbeitsfähigen
Bevölkerungen ausgewirkt. Abgesehen von den vorindustriellen
Wanderungsbewegungen und Bevölkerungsverschiebungen hat der Kapitalismus nie
zuvor eine solche Mobilität der Arbeitskraft hervorgetrieben. Diese Mobilität,
basierend auf der virtuellen Vernetzung der Welt und ausgedehnter
Dienstleistungskreisläufe, bringt kontinuierlich eine weltweite Verschiebung
von potenzieller Arbeitskraft hervor, in der Einschluss und Ausschluss aus den
Arbeitsmärkten einander heftig überschneiden. Sonja Zekri illustriert das in
komprimierter Form sinnfällig:
»185 Millionen Menschen leben nach
Angaben der UN fern der Heimat, um zu arbeiten. Dies sind tektonische
Verschiebungen im Weltmaßstab, gegen die die hiesigen Zahlen verschwindend
wirken. Allein in den Golfstaaten ist die Zahl der Migranten von einer Million
im Jahr 1970 auf fast 9,6 Millionen (2000) angestiegen, davon arbeiten mehr als
fünf Millionen allein in Saudi-Arabien. … In ganz Asien zählte die UN im Jahr
2000 etwa 44 Millionen Migranten, allein innerhalb Chinas schuften nicht nur
122 Millionen Binnenwanderarbeiter … das Reich der Mitte wird zusehends
attraktiv für gebildete Ausländer. Und das sind nur die Männer. Vor dreißig
Jahren waren auf den Philippinen zwölf Prozent der Auswanderer Frauen,
inzwischen sind es 70 Prozent. Frauen machen über die Hälfte der globalen
Migration aus, gebildete Frauen, die in der ersten Welt Frauenarbeiten
übernehmen: Krankenschwestern, Pflegerinnen, Kindermädchen.«
Ihre Schlussfolgerung aus dieser
Entwicklung lautet: »Während die UN hoffnungsfroh vermelden, dass der im
Ausland erwirtschaftete Reichtum die Armut in den Heimatländern der Migranten
spürbar lindere, reagieren die wohlhabenden Staaten ratlos, verängstigt, gelähmt.
Und patriotische Appelle wirken als Sedativ, allerdings nur vorübergehend.
Langfristig könnte die Verknüpfung von Vaterlandsliebe und Ökonomie ungewollte
Effekte haben.«(8)
V. Ungewollte Effekte kann die Verknüpfung von
Patriotismus und Kapitalismuskritik leicht schon im Bereich der
rechtsextremistischen Propaganda hervorbringen. Die Vorstellung von der
Auslieferung an weltweit anonyme Finanz- und Wirtschaftsmächte stellt nicht nur
ein erhebliches Verunsicherungspotenzial für die bislang nicht international
mobilen lohnabhängig Beschäftigten dar, sie ist auch eine ausgezeichnete Basis
für eine rechte oder reaktionäre Form der Globalisierungskritik, die die
Erhaltung der nationalen Exklusivität mittels aggressiver Abschottung
propagiert: »Deutschland zuerst«.
Ein Patriotismus, der darauf setzt, das einheimische Kapital entweder zum Verbündeten oder zum Verräter in der Konkurrenz um Märkte zu stilisieren, nährt vor allem gefährliche Illusionen. Zu ihnen gehört zum Beispiel in den wirtschaftspolitischen Expertisen und Forderungen die Annahme, es müssten nur die »richtigen Maßnahmen« getroffen werden, dann könne sich die Bundesrepublik ganz sicher in eine neue Phase ungebremsten Wachstums katapultieren.(9) Es gibt jedoch schon jetzt einige Anzeichen dafür, dass ein forcierter Abbau des Sozialstaates, der Angriff auf Gewerkschafts- und Betriebsverfassungsrechte, die Erosion von Tarifverträgen, die erleichterte Entlassung von Arbeitskräften, die Förderung von Niedriglohnbereichen und überhaupt ein um sich greifender reiner Einschränkungs- Diskurs auf Kosten der Lohnabhängigen (und des wachsenden Anteils der eh schon immobilen Benachteiligten) nur zur Beschleunigung einer depressiven Abwärtsbewegung führen wird. Das Bewusstsein eines »historischen Abstiegs« herrscht mittlerweile vor. Es ist begleitet von einer tief sitzenden Euphorie und Skepsis gegenüber allen Arten von Versprechungen – etwa den Arbeitsmarkt betreffend.
Anders als etwa die hochmobile
Einwanderungsgesellschaft der Vereinigten Staaten, die permanent aufholenden
asiatischen Staaten (einschließlich des boomenden Chinas) und die in großen
Umbrüchen befindlichen ostmitteleuropäischen Beitrittsstaaten erzielen die
traditionellen europäischen kapitalistischen Industrienationen schon seit
längerem meist nur noch relativ niedrige Wachstumsraten, obwohl die
Produktivität der Arbeitskraft in diesen Kernländern nach wie vor weitaus höher
ist als anderswo – höher beispielsweise auch als in den USA, in denen das nur
durch längere Arbeitszeiten und weniger Urlaub zum Teil wettgemacht wird.(10)
Die Vorstellung, eine Anpassung
nach unten (bei Löhnen, Sozialstandards etc.) könne schnell zu einer
Angleichung an die niedrigeren Standards, etwa an diejenigen in Ostmitteleuropa
oder gar an die Verhältnisse in vielen Staaten der ehemaligen Dritten Welt und
damit zu dynamischen Wachstumsraten führen, ist schlicht illusionär – oder sie
zielt eben auf die radikale Zerschlagung der bisherigen Wirtschafts- und
Sozialverhältnisse in den kapitalistischen Kernländern.(11) Deren sozialpolitische
Entwicklungspfade kommen jedoch gewachsenen nationalstaatlichen »Kulturen«
gleich.(12) Wenn solche »Kulturen« auseinander genommen oder »beseitigt« werden
wollen, bedeutet das auch, enorm destruktives Potenzial freizusetzen –
allerdings nicht unbedingt im Sinne der Urheber.(13)
VI. Bei allen nationalen Unterschieden handelt es sich bei
den westeuropäischen Ländern durchwegs um »Gesellschaften der Ähnlichen«. Auf
diesen Umstand weist Robert Castel in seiner Untersuchung Die Stärkung des Sozialen
hin. Der Forschungsdirektor an der Pariser École des Hautes Études en Sciences
Sociales vollzieht in seiner Schrift Leben im neuen Wohlfahrtsstaat noch einmal
die historische Entwicklung von bürgerlicher Sicherheit im Rechtsstaat und
sozialer Sicherheit im Sozialstaat nach.(14) In der »Rückkehr der Unsicherheit«
und in der Entstehung neuer Risikoproblematiken und ihrer Privatisierung sieht
er eine Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. »Entschieden muss
daran erinnert werden, dass das Sozialversicherungssystem nicht nur das Ziel
verfolgt, den Schwächsten Hilfe zu bieten, damit sie nicht völlig vor die Hunde
gehen. Genau betrachtet, ist es für alle die Grundvoraussetzung dafür, dass sie
auch weiterhin zu einer Gesellschaft der Ähnlichen gehören.« Dem Autor, der
unmittelbar in die französische Sozialstaatsdebatte verwickelt ist, geht es
nicht um Gleichheit, sondern um die Stärkung sich ähnelnder Individuen. Doch
diese »›Gesellschaft von Individuen‹ kann nicht existieren – es sei denn, die
Individuen sind voneinander getrennt oder atomisiert –, ohne dass öffentliche
Regulationssysteme im Namen der Solidargemeinschaft dafür Sorge tragen, dass
das Allgemeinwohl Vorrang vor der Konkurrenz privater Interessen hat«.(15)
Dabei gibt sich Robert Castel nicht
der Illusion hin, dass dies noch im Rahmen des jeweiligen Nationalstaates
möglich wäre. Ähnlich wie Ulrich Beck(16) sieht es auch Robert Castel: Die
Stärkung des Sozialen kann letztlich nur in einem internationalen Rahmen und
ihrer Institutionalisierung gelingen. Dafür allerdings sind nationale
Patriotismen geradezu Gift. Sie verschärfen letztlich nur die Konkurrenz
zwischen den je nationalen Lohnabhängigen, anstatt ihnen ein Bewusstsein von
der Notwendigkeit einer transnationalen Vernetzung ohne Abschottung zu geben.
Das Gefälle in der neuen Europäischen Union kann gewiss nicht schnell abgebaut
werden, aber ohne ein transnationales Netzwerk von Sozial- und
Mindeststandards, von Wettbewerbsregelungen könnte sich die neue Union in einen
Sprengsatz nationaler Alleingangs- und Abgrenzungsversuche verwandeln.
VII. Zu einem solchen transnationalen Netzwerk
gehören die Organisationen der Lohnabhängigen, die Gewerkschaften. Deren
Stellung in den jeweiligen Nationalstaaten ist jedoch in den letzten
Jahrzehnten schwächer geworden. Für die Bundesrepublik gilt: Ihre Erfolge bis
in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts hinein sind Legende, seitdem geht
der Organisationsgrad beständig zurück, und mittlerweile befinden sie sich ganz
offensichtlich in einer strukturellen Krise, die durch die neuen Bundesländer
nur noch verstärkt wird. Die Krise besteht jedoch nicht nur darin, dass die
Arbeitgeberorganisationen an einem Korporatismus längst nicht mehr interessiert
sind, also gezielt auf eine durchgreifende Schwächung hinarbeiten. Die Krise
rührt auch aus der Veränderung der Arbeitswelt selbst, aus dem Verschwinden der
Arbeiterkulturen, aus der Flexibilisierung und der Aufweichung traditioneller
Arbeitsbeziehungen, aus Individualisierungsprozessen, aus dem Verlust an identitätsbildender
Kollektivkraft und aus der fatalen Indifferenz gegenüber dem stetig wachsenden
Heer der Arbeitslosen. So haben sich die Gewerkschaften tendenziell in die
Vertreter der »Arbeitsplatzbesitzer« verwandelt, was sie vor allem für die
nachwachsenden Lohnabhängigen, die zunehmend schwerer überhaupt in den
Arbeitsprozess hineinkommen, noch unattraktiver macht.
Oskar Negt hat in Wozu noch
Gewerkschaften? die Stadien ihrer Entwicklung in der Bundesrepublik
zusammengefasst, in der die oben genannten Faktoren – auch die Entwicklung des
Kapitalismus seit den Fünfzigerjahren – eine große Rolle spielen.(17) In seiner
»Streitschrift« konstatiert er eine Krise der Gewerkschaftspolitik. Weil der
Reproduktionsbereich im Leben der Lohnabhängigen eine immer größere Rolle
spiele, plädiert er für eine Kulturalisierung der Gewerkschaftspolitik, für ein
»außerbetriebliches Standbein«, für die »horizontale Erweiterung«. »Nicht die
Verengung des Interessenbegriffs, sondern seine Erweiterung, vor allem durch
soziokulturelle Anreicherungen ist an der Zeit.« Daraus folgt: Stärkung der
Ortskartelle des DGB, forcierte betriebliche und außerbetriebliche
Bildungspolitik, Stadtteilarbeit, Durchdemokratisierung der
Gewerkschaftsorganisation und theoretisch – gegen Hannah Arendt und Karl Marx –
die Erweiterung des Arbeitsbegriffs in den Reproduktionsbereich hinein.
Was Oskar Negt anspricht, sind die
wunden Punkte der Gewerkschaften schon seit den Siebzigerjahren, geschuldet der
Vorherrschaft einer Sozialdemokratie, die keine Gegenmacht mehr sein wollte.
Negt will sie nun stärker politisieren und gesellschaftspolitisch weit links
positionieren. Schon das ist problematisch, weil es keine Mehrheit in der
Mitgliedschaft und auch nicht im gesellschaftlichen Umfeld dafür geben dürfte.
Seine Quintessenz aber lautet darüber hinaus: »Ich glaube, wir befinden uns
heute mitten in einer jener geschichtlichen Situationen, in der nichts mehr
realistisch ist, was sich nur auf die Erhaltung der bestehenden Verhältnisse
richtet.« Schön gesagt. Was sich jedoch jenseits der Erhaltung der bestehenden
Verhältnisse abspielen soll, diese Antwort bleibt Oskar Negt nicht nur in
Sachen Gewerkschaften schuldig. Diese Leerstelle bezeichnet exakt das
zeitgenössische Dilemma. Es gibt abgesehen von allen Abwehrkämpfen und
-affekten keine Gegenentwürfe zum real existierenden Kapitalismus.(18)
VIII. Oder doch? André Gorz knüpft in seinem Buch Wissen, Wert und
Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie an diese Problemsituation an.(19) Das
Kapital sei dabei, das »lebendige Wissen des Individuums« in
Kapitaleigenschaften zu verwandeln, sich also auf neuer Stufenleiter die
Fähigkeiten der Produzenten anzuverwandeln. Er konstatiert eine Krise des
Wertbegriffs, da die Herausbildung einer immateriellen Produktion, gekennzeichnet
durch Wissensverarbeitung und Dienstleistungstätigkeiten, zunehmend die
materielle Produktionsweise selbst und damit die Messbarkeit von Arbeit und
Wert aufhebt. Er konstatiert und imaginiert den nahenden Zusammenbruch einer
auf dem Tauschwert basierenden Produktion, in der durch das Kapital auch der
klassische Lohnarbeiter aufgelöst werde. An dessen Stelle trete die Produktion
von Konsumenten in der Form einer »antisozialen Sozialisierung«. Der neue
Kapitalismus verwandle auch die immaterielle Welt, die Welt der individuellen
Fähigkeiten und des Wissens, zunehmend in eine Welt von Waren, erzeuge damit
eine noch nicht gekannte Form des Griffes nach dem Unbewussten und erhalte
somit einen zunehmend totalitären Charakter. Ein »neuer Klassenkampf« müsse um
die Kontrolle der Öffentlichkeit, der Alltagskultur und der Gemeingüter
stattfinden. Dieser Kampf könne sich einerseits auf die »Dissidenten des
digitalen Kapitalismus« stützen, die als Hacker oder in Form von attac und
allgemein der Anti-Globalisierungsbewegung die Widerständigkeit in Form des
Netzwerkes organisieren, und müsse andererseits um ein Existenzgeld geführt
werden, das die Menschen vom Sich-selbst-Produzieren, etwa in der Form der
Ich-AGs, befreie.
Die an Marx orientierten und ihn
weiterführen wollenden Analysen von André Gorz haben – bei aller Klugheit im
Detail – allerdings das Problem, dass sie den Referenzrahmen der schon etwas
länger traditionell kapitalistisch grundierten Gesellschaften des Westens nicht
verlassen, sondern deren mittlerweile schon fast insularen Charakter noch
einmal betonen, so als befänden wir uns noch immer in der umhegten Zone des
Kalten Krieges, die uns einen Sonderstatus garantieren könnte. Der Epochenbruch
von 1989, die Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse auf breiter
Front, bleibt, ähnlich wie bei Oskar Negt, auch bei André Gorz ganz
unverarbeitet(20) und die Argumentation an den scheinbar souveränen
Nationalstaat gebunden. Just diese Annahme führt zu einer entscheidenden Frage:
Können alternative Gesellschaftsmodell-Projektionen inselförmig in Angriff
genommen werden, ohne dabei von einem dominanten Produktions- und Lebensumfeld
des Kapitalismus nicht letztlich doch überfremdet zu werden?
IX. Die Entwicklung der Alternativ- und selbst
verwalteten Produktionsbetriebe, eines neuen Genossenschaftswesens, die Tausch-
Börsen-Netzwerke, die Kollektive innerhalb des ökologischen Sektors – hier und
anderswo – haben bis heute bewiesen, dass die Herstellung und Verteidigung von
Parallelzonen oder -gesellschaften durchaus möglich ist. Sie können sich dabei
schon jetzt und mehr noch zukünftig auch auf die neuen »Produktionsmittel« wie
freie Software, den »Computer als Betrieb« (Frithjof Bergmanns konkrete Utopie
einer Ich-Fabrik), Netzwerkstrukturen und so fort stützen. »Eine andere Welt
ist möglich!« Selbstverständlich. Nur wird man in all dem keine Keimformen des
Neuen im Alten, einer neuen Gesellschaft erkennen, sondern eher
Minderheitenprojekte in einer Mehrheitsgesellschaft. Das konkret gelebte
»Andere« wäre praktisch-faktisch auch nicht in der Lage eine gesellschaftliche
Produktion und Versorgung zu organisieren. Zugleich sind sie aber ein Stachel
im Fleische des Kapitalismus, sind notwendig als ein durchaus realer und
Bewusstseinsprozess. Ein theoretisch-utopisches Gegenmodell zu freiem Markt/zum
Kapitalismus stellen sie freilich nicht dar.
Robert Castel zufolge können
Alternativen weiterhin nur auf der Basis einer Produktionsweise gedacht werden,
die durch den Markt konstituiert ist. »Eine Gesellschaft ohne Markt wäre eine
große Gemeinschaft, das heißt eine Art der gesellschaftlichen Organisation, von
der uns die ältere und jüngere Vergangenheit lehrt, dass sie gemeinhin auf
unbarmherzigen Herrschaftsstrukturen oder auf entwürdigenden paternalistischen Abhängigkeitsbeziehungen
beruhte. Den Markt abschaffen ist eine durch und durch reaktionäre Option, eine
Art rückwärts gewandte Utopie, die bereits Marx verspottete. Moderne ist ohne
Markt nicht denkbar. Die Frage lautet daher, ob die Markthegemonie begrenzt, ob
der Markt eingehegt werden kann.« Muss man also den Markt vielleicht gegen
Tendenzen des Kapitalismus verteidigen, die ihn sich gänzlich untertan machen
wollen?
Auch die schärfste Kritik an den Destruktivkräften des Kapitalismus – an wachsenden Entfremdungsgefühlen, am Konsumismus, an der Ausplünderung der menschlichen und natürlichen Ressourcen –, sollte mit dieser Möglichkeit rechnen. Und sie kommt wohl nicht darum herum, die »Gestaltung der Globalisierung« unter kapitalistischen Rahmenbedingungen als eine Horizontlinie zu betrachten. Denn eine »neue Weltordnung«, im Guten wie im Schlechten, existiert noch nicht. Definition und Ausfüllung sind weiterhin umkämpft. Mit Oskar Negt gesagt, aber gegen ihn gewendet: Ich glaube, wir befinden uns heute mitten in einer jener geschichtlichen Situationen, in der alles unrealistisch ist, was sich gänzlich von der Gestaltung der bestehenden Verhältnisse abwendet.(21)
1
In
einem Gespräch mit Anthony Giddens, dem Vordenker des »Dritten Weges«, kann man
nachvollziehen, mit welcher Reserve, aber auch Ratlosigkeit, er dem
Regierungshandeln der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik gegenübersteht –
siehe: www.oeko-net.de/kommune/
2
Die
Bundesrepublik dürfte in Sachen Infrastruktur (Verkehrswege,
Mobilitätseffizienz, Sachleistungen, Gewerbegebiete) zu den
kapitalfreundlichsten Ländern der Welt gehören. Was Bund, Länder, Städte und
Gemeinden dafür über Steuergelder finanzieren, vornehmlich aufgebracht von der
lohnabhängigen Bevölkerung, wird allerdings nicht bilanziert. Die
Stellungnahmen der Unternehmerverbände klingen jedoch häufig so, als befänden
sie sich in einem »Schwellenland«. Die viel beschworene »Mecker-Kultur« ist
jedenfalls gewiss kein Privileg der Lohnabhängigen.
3
John
Kenneth Galbraith: Die Ökonomie des unschuldigen Betruges. Vom Realitätsverlust
der heutigen Wirtschaft. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt, München
(Siedler Verlag) 2005 (111 S., 14,00 €)
4
Auf
die Unterscheidung von schuldigem und unschuldigem Betrug geht Galbraith in
seinem Buch nicht so recht ein. Welche Formen der Bereicherung der jeweiligen
Kategorie zuzuordnen wären, bleibt auch unklar.
5
Peter
Schyga: »Die neue Bürgergesellschaft als ›Schicksalsgemeinschaft‹«, Kommune
2/05; »Gefährliche Absetzbewegungen vom bundesrepublikanischen Konsens«,
Kommune 6/04; »Historische und aktuelle Wandlungen der Sozialdemokratie«,
Kommune 4/04.
6
Herbert
Hönigsberger hat auf das Missverhältnis zwischen dem Wissen der politischen
Akteure um diese Tatsache und der öffentlichen Verarbeitung dieses Wissens
hingewiesen, das auch wahltaktischen und medialen Turboöffentlichkeiten
geschuldet ist. Siehe: »Außer Atem. Die politische Klasse im Hamsterrad«,
Kommune 5/04.
7
Siehe
Roland Schaeffer: »Die Grünen nach der Systemveränderung«, Kommune 2/05.
8
Sonja
Zekri: »Patriotische Spiele. Gefährliche Mischung: Vaterlandsliebe und
Ökonomie«, SZ, 6.5.05.
9
Siehe
Helmut Wiesenthal: »›Neoliberale‹ Reformen als Katalysator eines neuen
Parteiensystems?«, Kommune 4/04, und: »Ausbruch aus der Zeitschleife? Das Ende
des Modells Deutschland«. – Ich teile in weiten Teilen Helmut Wiesenthals
Kritik an Erscheinungen der Immobilität innerhalb der Sozialsysteme, der
mangelnden Aktivierung auf dem Arbeitsmarkt, auch seine Kritik der
Gewerkschaften bezüglich ihrer Indifferenz gegenüber der Arbeitslosigkeit sowie
der föderalistischen Blockade im Verhältnis von Bundestag und Bundesrat. –
Skeptischer stimmt mich seine Annahme, Vorleistungen, sprich: Abstriche, seien
nur von Seiten der Lohnabhängigen zu erbringen und reine Vorfahrt für die
Ökonomie würde den deutschen Wirtschaftsladen wieder in Schwung bringen.
10
Siehe
Tony Judt: »Europa gegen Amerika. Entsteht die neue Supermacht in der Alten
Welt?«, Merkur 5/05. –Tony Judt kämmt die Annahme, das wirtschaftliche und
soziale System der USA sei jener der europäischen Wirtschaftsnationen
überlegen, etwas gegen den Strich.
11
Gerne
wird hier auf das Beispiel Großbritannien verwiesen. Die »Thatcher-Revolution«
beruht jedoch auf einem industriegesellschaftlichen Sonderfall. Großbritannien
ist nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber seinen westeuropäischen Konkurrenten
infrastrukturell und industriepolitisch zurückgeblieben. Heute kann man es noch
an dem Niedergang ihrer Automobilindustrie ablesen. – Das lag eben nicht nur an
der »Closed-Shop-Mentalität« oder der großen Macht der britischen
Gewerkschaften.
12
Siehe
hierzu: Elmar Rieger/Stephan Leibfried: Kultur versus Globalisierung.
Sozialpolitische Theologie in Konfuzianismus und Christentum, Frankfurt am Main
(edition suhrkamp) 2004 (262 S., 11,00 €). – Die Autoren untersuchen Phasen und
Dynamik der Sozialpolitik in den westlichen Industriegesellschaften im
Kontext/Kontrast von Religionen und Sozialpolitik in Ostasien. Sie konstatieren
für die hiesigen Gesellschaften die christliche Einfärbung der Sozialpolitik
und ihre tiefe kulturelle Verankerung. – Innerhalb des Globalisierungsprozesses
sehen sie, nach den Exzessen des Neoliberalismus z. B. beim IWF, schon wieder
mehr eine Tendenz hin zu Demokratie und sozialer Regulierung, weil das
»globalisierte Kapital« durchaus Interesse an berechenbaren, stabilen
Verhältnissen habe.
13
Otto
Singer hat auf die »Pfadabhängigkeit« der verschiedenen Kapitalismen
hingewiesen: »Eine Welt – ein Kapitalismus?«, Kommune 5/00.
14
Robert
Castel: Die Stärkung des Sozialen. Leben im neuen Wohlfahrtsstaat. Aus dem
Französischen von Michael Tillmann, Hamburg (Hamburger Edition) 2005 (136 S.,
12,00 €)
15
Siehe
Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der
sozialen
Gerechtigkeit, München (Droemer Verlag) 2005 (208 S., 12,90 €).
16
Siehe:
Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue politische
Ökonomie, Frankfurt am Main (edition suhrkamp) 2002 (478 S., 20,00 €); ders.:
»Europäische Lebenslügen. Gegen die nationalen Autonomie-Träume«, SZ, 3.5.05.
17
Oskar
Negt: Wozu noch Gewerkschaften? Eine Streitschrift, Göttingen (Steidl Verlag)
2004 (175 S., 14,00 €).
18
Siehe
Werner Bätzing: »Der fundamentale Wandel. Persönliche Verhaltensweisen im
Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft«, Kommune 1/05. –
In dem gerade erscheinenden Buch (gemeinsam mit Evelyn Hanzig-Bätzing)
Entgrenzte Welten. Zur Verdrängung des Menschen durch Globalisierung von
Fortschritt und Freiheit wird eine Strategie der Verweigerung gegenüber der
sich beschleunigenden Entwicklung der Entfremdung entworfen.
19
André
Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Aus dem
Französischen übersetzt von Jadja Wolf, Zürich (Rotpunktverlag) 2004 (133,
14,80 €).
20
Es
ist mehr als ärgerlich, dass sich eine Linke, die nach Alternativen zum
Kapitalismus sucht, nicht grundsätzlich mit den Faktoren des gescheiterten
Sozialismus beschäftigt: mit Menschenbild, Avantgarde- und Klassenbegriff,
Autoritarismus, Feindbildproduktion, Gleichheitsphantasien und Vorstellungen
von einer Ökonomie, die mit ihrem »Raubbau an Mensch und Natur« die
kapitalistischen Produktionsverhältnisse weit übertroffen hat. Das
voluntaristische Überspringen dieses Scheiterns in Form besonders heftiger
Kritik an der »Globalisierung« verdeutlicht nur die Krise des utopischen
Denkens.
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In
Kultur versus Globalisierung schreiben Elmar Rieger/Stephan Leibfried: »Es sind
paradoxerweise die Fortschritte der Globalisierung der Marktwirtschaft, die das
Interesse an der Demokratie erneuert haben – nicht zuletzt deshalb, weil die
institutionellen Bedingungen dieser Globalisierung immer noch einen politischen
Willen und massendemokratischen Segen, also Politik benötigen.« (Seite 224)
Siehe Fußnote 12.