Furchtbare Freunde

Kritik eines Buches zum Krieg auf dem Balkan

Heinz-Günther Stobbe

Bekanntlich verwandeln erst die Massenmedien Geschehnisse in Ereignisse, denn was in ihnen eine Wirkung zeitigt, verschwindet im Schwarzen Loch des Vergessens und allgemeiner Ignoranz. Den Krieg im früheren Jugoslawien allerdings zeichnet gegenüber anderen mörderischen Konflikten der Gegenwart aus, daß - vielleicht mit Ausnahme des Zweiten Golfkriegs - kein anderer neben Tod und Zerstörung eine derartige Fülle von Kommentaren und Analysen erzeugt hat. Mehr noch, von Anfang an bis heute spielt sich dieser Krieg in hohem Maß auf dem Feld der Medien und Literatur ab, und diese Tatsache hat ihrerseits mittlerweile eine heftige Kontroverse sozusagen zweiter Ordnung entfacht. Obgleich der darin erhobene Vorwurf einer antiserbischen Hetzpropaganda in westlichen und besonders deutschen Medien selbst propagandastischen Charakter trägt, bleibt doch einzuräumen, daß der Standpunkt und die Sichtweise der serbischen Kriegspartei nur selten ausführlich und mit positiv gestimmter Einfühlsamkeit dargestellt werden. Insofern weckt das umfangreiche Werk Weltkrieg der Religionen. Der ewige Kreuzzug auf dem Balkan von K. Deschner und M. Petrovic durchaus gespannte Aufmerksamkeit, wenn das Autorengespann einleitend ankündigt, den allenthalben ohne faire Anhörung schuldig gesprochenen Serben mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen zu wollen (vgl. 6; 167). Die Autoren beabsichtigen demnach, wie auch Zeitpunkt und Titel der Publikation bekräftigen, einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten dieses immer noch heißen Konflikts. Indes endet der weit zurückgreifende historische Rückblick, den sie de facto bieten, mit dem Hinweis auf die jugoslawische Verfassungsreform von 1974, die Tito im Nachspiel zur brutalen Niederschlagung der Zagreber November-Unruhen von 1971 veranlaßt hatte, für die Autoren der Vorabend des gegenwärtigen Dramas auf dem Balkan. Um die nachfolgende Entwicklung "einigermaßen unparteiisch" beurteilen zu können, fehle es, so erklären sie, an der nötigen Distanz - eine klug und bescheiden anmutende Zurückhaltung, die sich scheinbar völlig deckt mit dem anfänglichen Versprechen, es gehe ihnen nicht darum, "der einen kämpfenden Partei in Bausch und Bogen recht zu geben und die andere zu verurteilen", sondern darum, die "Sicht der Beteiligten begreiflich zu machen" (5).

Ob es sich hier um einen eklatanten Fall von Selbstbetrug oder um dreiste Lesertäuschung handelt, mag dahingestellt bleiben, Inhalt und Methode des Buches stehen jedenfalls zu solchen Versicherungen in krassem Widerspruch. Sprachlich verschämt als Hypothese verklausuliert, tragen die Autoren am Ende jene Überzeugung vor, die plausibel zu machen ihr gesamtes Werk dient, und sie scheuen dabei mitnichten vor pauschalen Schuldzuweisungen zurück: Es sei "der Westen" gewesen, der 1992 "sein Vernichtungswerk an Jugoslawien" vollendet habe, beziehungsweise etwas genauer: "Die alten expansionistischen Ziele des römischen Katholizismus, der Panislamismus jener asiatischen Staaten, die mit dem Westen starke geopolitische und wirtschaftliche Interessen verbinden, sowie der erzreaktionäre Antikommunismus im wiedervereinigten Deutschland scheinen die Hauptmotive zu sein." (320) Der Westen habe "die archaischen - feudalen und vorfeudalen - Ungeheuer wieder geweckt", die Jugoslawien zerfleischten, und diese Ungeheuer schlummerten keineswegs, wie die manipulierte westliche Öffentlichkeit meint, in Serbien, sondern allein in Kroatien und Bosnien, deren Bevölkerung alle Welt für unschuldige Opfer serbischerEroberungs- und Vertreibungspolitik hält. Entgegen dem Buchtitel dreht es sich genau besehen auf dem Balkan eben gerade nicht um einen Weltkrieg der Religionen, wir beobachten vielmehr die Neuauflage eines uralten gezielten Vernichtungskrieges von Islam und Katholizismus gegen die orthodoxe Christenheit und das mit ihr verbundene Serbentum.

Eine "überzeugende, völlig neue Interpretation des Krieges im Herzen Europas", wie der Umschlagtext lobhudelt? Weder das eine noch das andere. Text und Melodie dieses Klageliedes vom serbischen Unschuldslamm, das von mordlüsternen Finsterlingen fortwährend auf die Schlachtbank gezerrt wird und sich in einsamem Kampf seiner Haut wehren muß, klingen recht vertraut, und überzeugender als sonst wirkt sie auch in der vorliegenden Version leider nicht.

Deren Strickmuster tritt gleich zu Beginn der geschichtlichen Darstellung klar hervor: Das erste Hauptkapitel setzt ein mit einer Schilderung der kroatischen Geschichte vom 8. bis zum 11. Jahrhundert, also einer Phase, deren Deutung den Autoren zufolge vom 14. Jahrhundert an bis zur Gegenwart eine zentrale Rolle für die Legitimation des kroatischen Nationalbewußtseins und seines Herrschaftsanspruchs spielt: "Für die Serben aber, die auf dem kroatischen ,historischen` Boden leben, bedeutet das: Legt man die ,Pacta conventa` ,milder` aus, kann man die Serben als politisch rechtlose Gruppe dulden; legt man sie ,strenger` aus, muß man die Serben vernichten. - Diese zweite Interpretation wurde zwischen 1941 und 1945 praktiziert, und 1990 versuchte die kroatische Führung abermals, die ,strenge` Lesart der ,Pacta conventa` geltend zu machen." (23) Die unausgesprochene Schlußfolgerung dieser Kontinuitätsthese lautet: Die Serben befinden sich seit 1991 in einem Verteidigungskampf auf Leben und Tod, wie er ihnen spätestens seit dem 14. Jahrhundert immer wieder aufgezwungen wurde. Die Hauptschuld daran trägt, mit weitem Abstand, die einzige Institution, die Jahrhunderte überdauert und alle politischen Reiche überlebt hat: die römisch-katholische Kirche. "Diesem flagranten Kriegstreiben lag die uralte scheinreligiöse Aggressivität der Romkirche zugrunde" (140), so heißt es zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, eine mörderische Militanz, die nur wenig später ganz ungehemmt rast und zeigt: "Nicht das Kroatentum als solches oder der kroatische Katholizismus waren jemals im Ersten oder gar Zweiten Weltkrieg in ihren Existenzen bedroht, sondern das Serbentum und die serbische Orthodoxie. Das wird der hier bald zu dokumentierende klerofaschistische Ustascha-Kreuzzug 1941 - 1943 noch erschütternd belegen, worin sich ja nur die jahrhundertelange Verfolgungswut der - wenn sie kann! - alle Gegner vernichtenden römisch- katholischen Kirche fortgesetzt und wahrlich blutig genug ausgetobt hat." (167) Schon der "mörderisch-rassistische Serbenhaß" des Kroaten Ante Starcevic (1823 - 1896), der "an Wahnsinn grenzte, ja diese Grenze zuweilen zu überschreiten schien"(100), besaß "eine römisch-katholische Wurzel" (106), und desgleichen der spätere Ustascha-Staat, der lediglich vollstreckte, was Starcevic vorgedacht hatte, indem er "die Serbenvernichtung zur Grundlage der kroatischen Nationalidee" erhob (114). In ihm "haben die drei Instanzen - Nazi-Deutschland, die Ustaschen und die römisch-katholische Kirchengewalt ... wunderbar zusammengearbeitet bei dem, was ihnen allen gemeinsam am Herzen lag, bei der Vernichtung der Serben und der orthodoxen Kirche. (240) Zwar kam der Islam noch als vierte Kraft hinzu (vgl. 162), denn "Faschismus und Serbenhaß waren... die Brücke, die Katholiken und Moslems verband." (248) Entscheidend jedoch bleibt immer der Katholizismus, er allein bildet "den Wesenskern dieses Mörderregimes" (254), und diese "Wesensidentität von Ustaschatum und römischer Kirche" (255) bringt ans Licht, was das Wesen der "Papstkirche" selbst ausmacht: rücksichtsloser Machiavellismus (vgl. 234; 278), opportunistische Heuchelei (vgl. 65; 160; 162), dogmatistische Arroganz (vgl. 17; 67; 68), Verlogenheit (vgl. 17; 65; 120).

Demgegenüber nun das Serbentum: Nach Nemanjas Kreuzzug gegen die Bogumilen im 11. Jahrhundert, von der "serbische(n) Öffentlichkeit" als "ungerechte Härte" empfunden, "tötete der serbische Staat keine Ketzer mehr" (29/30), und bereits 1349 führte der serbische König Stefan Dusan die Gewaltenteilung ein, als sie dem Westen "noch immer unbekannt" war (42/43). Unter Stefan Lazarevic genossen die Katholiken "volle Religionsfreiheit" (53), sie wurden "in Serbien und Montenegro immer zuvorkommend behandelt" (140) und selbst als "kroatische Hand" im Jahr 1934 "den serbischen König ermordete, rief kein Serbe seine Volksgenossen zum heiligen Krieg gegen die Kroaten auf - was diese indes bloß für Dummheit zu halten schienen. Vielleicht aber war es nicht so sehr das als vielmehr eine Bekundung der religiösen Wahrheit, daß der katholische und der orthodoxe Gott nicht ein und dieselbe Person sind." (158) Und noch die antititoistischen Kommunisten an den serbischen Universitäten und Instituten konnte man dank ihrer Tugendhaftigkeit "schnell erkennen: Bürokraten mit makellosem Privatleben, nicht korrupt, kameradschaftlich und hilfsbereit." (306) Während in Bosnien die "Lippenbekenntnisse zur Rechtgläubigkeit" ein elementarer Bestandteil der "üblichen Mimikry" wurden (37), steht das Serbentum seit alters unverbrüchlich treu zum Glauben der Väter, bereit, sich notfalls getreu dem Kosovo-Mythos heldenhaft zu opfern, diesem "konstituierenden Glauben der serbischen Nation", der uns hilft, "die Zähigkeit der Serben vor dem Feind zu verstehen, freilich zugleich einen Übermut, den sie oft teuer bezahlen." (51) Ihrem Untergang entgingen die Serben jedoch nur durch ihre "meisterhafte Verstellungskunst": "Waren die Osmanen überlegen, täuschten ihnen die Serben maßlose Demut und Ergebenheit vor; fühlten die Serben sich aber stark genug, schlugen sie die Türken gnadenlos, vernichtend - nicht wie normale Feinde im Krieg, sondern wie das Unkraut im Feld." (54) Gedankt hat den Serben das niemand, genutzt hat es ihnen nur wenig, im Gegenteil. Ihre Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander wird ihnen zum Schicksal: Obschon fortwährend in ihrer Geschichte unterdrückt, verfolgt und gemordet, beleidigt (vgl. 288), betrogen (vgl. 141/142) und verraten (vgl. 193; 288), fallen die Serben schließlich auch auf das grandioseste antiserbische Blendwerk herein, den Jugoslawismus. Wieder einmal sind die Serben die Opfer, wenngleich dieses Mal zum Teil Opfer ihrer selbst.

Ende des 17. Jahrhunderts, mit dem Einzug der Freimaurerei in die serbische "Hochpolitik", beginnt für die Autoren "ein äußerst wichtiges Kapitel der serbischen Geistesgeschichte." Denn: "Die serbische Quasi-Religion einer südslawischen Nation ging aus den Logen hervor." (79) Erst im Ersten Weltkrieg allerdings macht der serbische Staat "die selbstmörderische Idee der Vereinigung der Serben mit den Kroaten und Slowenen... zum Ziel seiner Politik." (91) Es irrt darum gewaltig, wer die großserbische Vision mit dem Jugoslawismus verwechselt. Garasanin (1812-1874) etwa, oft für einen Anhänger des Südslawentums gehalten, verfolgte ein genuin großserbisches Programm (vgl. 90/91), Pasic (1845-1926) hingegen, "der Mann, der Jugoslawien schuf", war, obgleich häufig als ",großserbisch` bezeichnet," zum "Unglück Serbiens... vor allem Großjugoslawe. Er glaubte unerschütterlich daran, daß Serben und Kroaten eine Nation seien und deshalb auch in einem Staat leben sollten." (130) Dieser Panslawismus schlug zugleich die Brücke zum Kommunismus, denn "Jugoslawien ist auch eine revolutionäre Utopie, im Wesen cum grano salis nicht sehr verschieden von Lenins bolschewistischer Weltrepublik." (132) So erklärt sich denn zwangslos auch die völlig verkannte Rolle Titos, dessen "Kampf den Lebensinteressen des serbischen Volkes widersprach." (286) Während die Ustaschas die Serben hinmetzelten, brach Tito mit Mihailovic, um den Bürgerkrieg zwischen den Serben anzuheizen. Und mehr noch: "Titos Einsatz gegen die Deutschen sollte dieses Genozid noch intensivieren; seine Guerilla tötete die deutschen Soldaten nur, um Repressalien zu provozieren." (286/287) Doch aus welchem Grund sollte der gegen die deutschen Eroberer kämpfende Partisanenführer dergleichen tun? Antwort: Tito war - vermutlich - ein Doppelagent, der im Auftrag des NKWD und der Nazis zugleich arbeitete, eine fürwahr "ungeheuerliche Mischung des Verrätertums und der Heimtücke." (283) Derart widerwärtig handeln kann nur jemand, hinter dem eine ganz andere Macht steckt: der Vatikan. Hatte nicht Tito bereits im Herbst 1944 den Vatikan aufgesucht, "ein Besuch, dessen Inhalt immer noch ein Geheimnis ist" (288)? Kann es ein Zufall sein, daß er 1945 praktisch die gesamte orthodoxe Priesterschaft Sloweniens samt ihren Metropoliten ermorden ließ und auf diese Weise "den uralten Traum der Romkirche zu verwirklichen" (290) half? Ein Schelm, wer dabei an nichts Böses denkt. Aber vertrat denn nicht Titos Kommunistenorganisation einen "aggressiven Atheismus", kaum geeignet als Grundlage für ein Bündnis mit dem Vatikan? Das schon, nur: in "Wirklichkeit war dieser aggressive Atheismus allein gegen die serbisch-orthodoxe Kirche gerichtet. Den Islam bekämpfte Tito nicht, die Religion Muhammeds blühte sogar unter ihm, und mit der katholischen Kirche arrangierte er sich 1966 völlig." (304) Kurzum, Tito war "für die Serben viel gefährlicher" als selbst der Ustascha-Führer Pavelic, denn dieser "machte aus seinem Klerofaschismus keinen Hehl, während Tito und die Titoisten ihren Faschismus mit dem kommunistischen Nebel verschleierten, so daß sie ihr Werk bis zum Tode Titos und etwas darüber hinaus fortsetzen konnten." (290) Man muß freilich gar nicht die ausdrücklich antiserbischen und antiorthodoxen Untaten Titos bemühen, um deren geistige Herkunft aufzudecken: "Schon die Grundprinzipien des titoistischen politischen Systems, die ,gesellschaftliche Selbstverwaltung` und das ,Gesellschaftseigentum`, waren nichts anderes als Übernahmen der mittelalterlichen Institutionen und Rechtsinstitute, die Papst Pius IX. in seinem am 15. Mai 1931 erlassenen programmatischen Rundschreiben ,Quadragesimo anno` ebenfalls empfohlen hatte. Auch in den klerofaschistischen Staaten galten diese Einrichtungen als Ideallösung der sozialen Frage; am nächsten stand dem System Titos das Experiment Mussolinis, seine ,Repubblica Sociale Italiana`, ,Repubblica di Salo` (1943-1945)." (307)

Aus alledem folgt: "Das Aufblühen der Beziehungen zwischen dem ,liberalen` Tito und der katholischen Kirche aktivierte die Höllenmaschine, die Jugoslawien definitiv zerstören sollte." (315) Zwar war Tito, wie die Autoren feststellen, "nirgends in Jugoslawien ... so verhaßt wie in Kroatien" (315), trotzdem erfreuten sich die "kroatischen Nationalisten und Separatisten" seines Schutzes, da er sich gerne mit dem kroatischen Volk aussöhnen wollte, und diese Protektion erlaubte es ihnen, sich auf dem Wege von "Infiltration und Verschwörung" im jugoslawischen Staat auszubreiten - sehr zur Freude der katholischen Kirche natürlich (vgl. 316). Ende 1971 jedoch sah sich Tito unter dem Druck Moskaus genötigt, binnem kurzem "die Volksbewegung der Kroaten gnadenlos zu vernichten" (318), die er nun als "nationalsozialisch" bezeichnete (vgl. 317), und hernach, im Oktober 1972, schaltete er "die serbischen Liberalen" aus, obwohl sie ihm "unablässig huldigten." (319). Die neue Bundesverfassung von 1974, sein letzter großer Coup, zementierte den neuen Status quo, das heißt, den als Diktatur des Proletariats getarnten "Ständestaat" (307), solange der Diktator lebte, bot aber nach seinem Tod keine tragfähige Basis mehr für einen Fortbestand des Staates. Sein Untergang war nur noch eine Frage der Zeit.

Das vorliegende Werk stellt zweifellos eine höchst aufschlußreiche Lektüre dar, die tatsächlich besser verstehen hilft, was seit nunmehr vier Jahren im früheren Jugoslawien geschieht. Allerdings nicht aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualität, sondern als Dokument jener Weltsicht, die zur Rechtfertigung der serbischen Kriegspolitik dient. Statt unvoreingenommener Analyse bietet es eine ideologische Mixtur, in der sich die charakteristische serbische Paranoia mit dem obsessiven Antikatholizismus Deschners auf kongeniale Weise verbindet. Soweit es die historischen Fakten betrifft, enthält es, dem etwas penetranten Enthüllungspathos zum Trotz, im Grunde nur Altbekanntes. Die Darbietungsform jedoch darf als durchaus originell gelten: Die Autoren verknüpfen geschickt gelegentliche Detailverliebtheit mit einer großflächigen Geschichtskonstruktion, die ganze Bereiche ausblendet oder in anderen Bereichen mit Einzelheiten geradezu geizt. Ein gutes Beispiel für diese Methode bietet etwa die Interpretation des kroatischen Bischofs Josef Stroßmayer, der westlichen Kirchengeschichtsschreibung vor allem bekannt als entschiedener Gegner der Dogmatisierung von Primat und Unfehlbarkeit des Papstes während des Ersten Vatikanischen Konzils. Die Autoren sehen in ihm richtig einen der bedeutendsten Vertreter des panslawischen Idee und des Konzepts einer römisch-katholisch/orthodoxen Kirchenunion, doch war in ihren Augen sein Panslawismus "nichts anderes... als eine Spielart des römisch-germanischen ,Drangs nach Osten`", der ihn zu einem geistigen Wegbereiter der totalitären Diktatur Titos machte (vgl. 98), und das Ziel der angestrebten Kirchenunion bestand, selbstverständlich, in der "Unterjochung der Orthodoxen unter den Vatikan sowie der Serben unter die Habsburger Krone" (95). Bereits 1858 habe die serbische Regierung - glaubt man den Autoren, offenbar zu Recht - vor den "Agenten" Stroßmayers gewarnt und ihn selber beschuldigt, von Österreich bestochen zu sein (vgl. 98). All das paßt sicherlich wunderbar zur Wahnvorstellung einer uralten, von langer Hand und zentral gesteuerten katholischen Verschwörung gegen die Serben und die Orthodoxie, die konsequent in den Ustascha-Staat und dessen Wiederbelebung durch das unabhängige Kroatien - soll heißen: in den gegenwärtigen "Religionskrieg" - mündete. Nur mit der historischen Wirklichkeit verträgt sich diese Darstellung schlecht. Die Autoren verschweigen nämlich nicht nur die Rolle Stroßmayers als Wortführer eines liberalen, reformgewillten Katholizismus in Kroatien und in der katholischen Weltkirche, sie übergehen nicht nur seine tiefe Überzeugung von der dogmatischen Einheit von Katholizismus und Orthodoxie sowie sein leidenschaftlichen Eintretens für die Zulassung der altslawischen Liturgie, sie verheimlichen nicht nur seine heftige Kritik an der Kirchenpolitik des Österreichischen Kaisers, sie unterschlagen vor allem, daß Stroßmayer mit sämtlichen seiner Anliegen am Widerstand des Vatikans scheiterte, der sich 1882 ausgerechnet vom österreichischen Außenminister Kalnoky zu einem Verbot der altslawischen Liturgiesprache bewegen ließ, welcher dieses Verbot seinerseits unter dem Einfluß des protestantischen Grafen Tisza betrieb. Sollte also Österreich den Vatikan gegen seinen eigenen Gewährsmann in Kroatien aufgehetzt haben? Oder erhielt Stroßmayer seinen österreichischen Sold, um gegen den Vatikan die Rolle des liberalen Katholiken zu spielen? Oder stimmt gar beides und beweist ein teuflisches Komplott Österreichs gegen die gesamte katholische Kirche? Nichts von alledem. Was die Tatsachen in Wahrheit beweisen, ist schlicht und ergreifend die Unsinnigkeit des von den Autoren gezeichneten Bildes einer vatikanisch-kroatisch- österreichisch-germanisch-katholischen Einheitsfront gegen Serbien und die orthodoxen Kirchen.

Daß den Autoren nicht sonderlich an einer differenzierten und wirklich unparteiischen historischen Analyse gelegen ist, läßt sich noch von einer anderen Seite her beleuchten. Sie beharren, wie gezeigt, energisch und mit Recht auf dem Unterschied zwischen dem Großserbentum und dem Jugoslawismus, den sie als Trojanisches Pferd kroatischer Nationalisten begreifen, dank dessen "Jugoslawien, als freimaurerisches Königreich wie als pseudokummunistische totalitäre Diktatur, zum Friedhof der serbischen Nation geworden ist." (99) Doch in bezug auf die großserbischen Träume und ihre Folgen verhalten sie sich auffallend wortkarg. Kein Wort etwa über das von St. Moljevic, einem Berater von General Mihajlovic, 1941 verfaßte Memorandum "Einheitliches Serbien", das sich vehement gegen die Grenzen Serbiens von 1918 richtet und in dem minutiös aufgelistet wird, welche Gebiete, Städte und Gemeinden von Rechts wegen an Serbien angeschlossen werden sollten. Ein Vergleich dieses Planes zu einer umfassenden Grenzrevision mit der serbischen Kriegsführung seit 1991 hätte sich gewiß gelohnt, unterbleibt aber. Desgleichen belassen es die Autoren bei ihrem verschämten Hinweis auf Garasanin, ohne die naheliegende Frage nach der Kontinuität großserbischer Ambitionen zu verfolgen. Sie verlieren kein Wort über N. Stojanovic, der den Kroaten bereits 1902 prophezeite, das Kroatentum werde im tödlichen Kampf mit den progressiven serbischen Idealen untergehen, weil es nichts anderes repräsentiere als die Interessen ausländischer Cliquen. Weshalb diese Zurückhaltung angesichts und trotz der erklärten Absicht, die serbische Sicht der Dinge darzustellen? Haben diese und andere Vorstellungen nichts zu tun mit der Vorgeschichte des aktuellen Konflikts? Das könnte durchaus sein, wäre aber eigens zu begründen. Doch das geschieht nicht, und zwar aus einem einfachen Grund: Der serbische Standpunkt bildet für die Autoren nicht den Gegenstand der Betrachtung, sondern die Brille, durch die sie die Geschichte betrachten. Es liegt ihnen überhaupt nicht daran, ihn beschreibend vorzustellen, um Einseitigkeiten und Vereinfachungen im westlichen Serbienbild zu korrigieren, sie propagieren ihn vielmehr, wenig überzeugend, dafür um so überzeugter. Welcher halsbrecherischen Winkelzüge sie sich dabei bedienen, darauf wirft ein besonders grelles Licht ihre Beurteilung Titos.

Man erinnere sich: Tito, dieser perfideste aller Serbenfresser, der sich zeitlebens als Kommunist maskierte, um seinen faschistischen Charakter zu verheimlichen (vgl. 290), der die deutsche Minderheit in Jugoslawien beseitigte, um - "ungeachtet der traditionellen serbischen Deutschfreundlichkeit" (292) - die "serbische(n) Rachsucht von den Kroaten und Moslems" abzulenken (vgl. ebda.), und schließlich Tausende von Ustaschas ermorden (vgl. 290) und später, wie erwähnt, die kroatische Nationalbewegung liquidieren ließ, um antifaschistische und antinationalistische Ziele vorzutäuschen, dieser Tito also war, wie gleichfalls schon vermeldet, den Autoren zufolge ein Doppelagent im Dienste der Gestapo und des NKWD. - Nun dürfte es dem unbefangenen Leser bereits einigermaßen schwer fallen, sich Tito als NKWD-Mann vorzustellen, ihn aber von dessen Gestapo-Tätigkeit zu überzeugen, scheint schier unmöglich. Die Autoren verwenden denn auch einige Mühe auf diese Aufgabe, und sie entblöden sich wahrhaftig nicht, dazu auf eine der schaurigsten Episoden in der Geschichte des Nachkriegskommunismus zurückzugreifen, den Rajk-Prozeß in Ungarn (1949), den ersten in einer langen Reihe von Schauprozessen in den europäischen Satellitenstaaten, mittels derer Stalin vor allem die aus dem Exil zurückgekehrten Altkommunisten ausschaltete und mit dem er eine umfangreiche Hetzkampagne gegen Tito eröffnete. Wie die absurden Anklagen und die ebenso absurden Geständnisse in diesem Prozeß zustande kamen, hat Bela Szasz, einer der Mitangeklagten und wenigen Überlebenden dieses grotesken Spektakels, in seinem Buch Freiwillige für den Galgen (Die Andere Bibliothek, Nördlingen 1986) ausführlich berichtet. Aus seiner Schilderung geht hervor, daß der Prozeß in allen Einzelheiten vom sowjetischen Geheimdienst diktiert und vom ungarischen Geheimdienst inszeniert worden war. Die Entscheidung für Rajk als Hauptangeklagten wurde in Moskau getroffen, nachdem man dort lange erörtert hatte, ob nicht besser Imre Nagy oder Janos Kadar der Prozeß gemacht werden sollte. Der ungarische Verteidigungsminister M. Farkas erteilte daraufhin auf einem Zettel dem Chef des ungarischen Geheimdienstes G. Peter die Weisung, Rajk als "imperialistischen Agenten" zu ,entlarven`. M. Rakosi, Generalsekretär der ungarischen KP und einer der wichtigsten Akteure in dem erbärmlichen Schmierentheater, das dann folgte, räumte im März 1956, brav der neuen Moskauer Linie folgend, öffentlich ein, der gesamte Prozeß habe auf einer "Provokation" beruht und schob alle Verantwortung Berija und Peter in die Schuhe, obschon er vorher das Verdienst, die Machenschaften der "Rajk-Bande" aufgedeckt zu haben, allein für sich reklamiert hatte.

Die Autoren Deschner und Petrovic lassen sich durch derlei unappetitliche Details in keiner Weise irritieren oder gar anfechten, sondern nehmen Rajks Geständnisse einfach für bare Münze. Sie berufen sich dabei zusätzlich auf einem Hinweis von M. Djilas, Rajk habe enge Kontake zu Rankovic gepflegt. Bei Djilas, der nach seinem Bruch mit Tito keinerlei Grund hatte, diesen zu schonen, steht allerdings bei aller Kritik an Titos Politik und Verhalten nichts davon zu lesen, daß dieser oder Rankovic verkappte Faschisten gewesen sein könnten, und darum beweist seine Bemerkung allenfalls das, worauf sie sich direkt bezieht, nämlich Kontakte zwischen Rajk und den Titoisten. Als verdammungswürdige Verbrechen galten solche Kontakte lediglich in den Augen Stalins, und es ist denn auch eine Publikation der Kominform von 1947, der die Autoren das Urteil entnehmen, Titos Regime sei in Wahrheit faschistischer Natur (vgl. 284/295). Über den Wert solcher Verdikte mag man geteilter Meinung sein, Tatsache ist jedenfalls, daß der Vorwurf des Faschismus gegenüber Tito im Rajk-Prozeß überhaupt keine Rolle spielte. Während Rajks Untersuchungshaft taucht in der kommunistischen Propaganda zwar der Vorwurf auf, er habe für das Horty-Regime als Informant gearbeitet, wohingegen Rajk seinerseits lediglich zugab, während seiner Internierung in Frankreich für das Petain-Regime als Spitzel gearbeitet zu haben. Die Autoren bezeichnen es als "Rätsel", wie Rajk ohne Hilfe der Gestapo aus der französischen Haft habe nach Ungarn zurückkehren können, wundern sich aber besonders kräftig darüber, weshalb ihn Hitler nicht "wie andere wahre Kommunisten... umbringen ließ (284), ohne zu merken, daß sie sich mit diesem suggestiven Verdacht die infame Logik Stalins zu eigen machen, derzufolge jeder, der den Faschismus überlebte, selber ein Faschist sein mußte - eine Schlußfolgerung, aufgrund der Stalin bekanntlich Abertausende sowjetischer Kriegsgefangener hinrichten oder nach Sibirien verschwinden ließ. Rajk wiederum hatte allerdings das Geheimnis, das die Autoren quält, längst gelüftet, indem er in seinem ,Geständnis` angab, von der Gestapo nach Ungarn zurückgebracht worden zu sein. Dummerweise wußte freilich selbst er nicht recht zu erklären, weshalb er trotz Gestapo-Beistand in Ungarn eingesperrt blieb und beim Rückzug der deutschen Truppen nach Deutschland verschleppt wurde, so daß er erst nach dem Sieg der Alliierten frei kam. - Die Hauptanklage gegen Rajk hatte indes mit all diesen seltsamen Umständen nur wenig zu tun. Im Zuge der Verhöre richtete sich das Augenmerk der Untersucher vornehmlich auf Rajks Trotzkismus, seine Übereinstimmung mit der titoistischen Irrlehre und seine Zugehörigkeit zu imperialistischen Nachrichtendiensten. Weshalb der Trotzkismusvorwurf, den die Verhörspezialisten eifrig zu erhärten suchten, dennoch in der Eröffnungsrede des Anklagevertreters nicht mehr auftauchte, ließ Staatsanwalt Alapi keineswegs im dunkeln. Er unterstrich nämlich mit Nachdruck die internationale Bedeutung des Prozesses, der sich eigentlich gegen "die jugoslawischen Verräter", die "Verbrecherbande Tito, Rankovic, Kardelj und Djilas" richte. Unmißverständlicher ließ sich kaum verdeutlichen, daß Rajks Person und seine angeblichen Vergehen in Wahrheit vollkommen belanglos waren.

Die Moral dieser kleinen Geschichte liegt auf der Hand: Obwohl die Autoren mehrfach die substantielle Identität von Faschismus und Sozialismus hervorheben (vgl. etwa 285), sind sie sich nicht zu schade, ein Paradestück des stalinistischen Propagandakrieges gegen Tito heranzuziehen, um ihn als heimlichen Faschisten zu diffamieren, und zwar einzig und allein deshalb, um Titos heimtückische Serbenfeindlichkeit plausibel zu machen. Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Denn ähnlich verfahren sie an vielen Stellen ihres Buches. Von da her gewinnt auch ihre bedeutsamste Auslassung ihr methodisches Gewicht, das heißt, die mit fadenscheinigen Argumenten begründete Entscheidung, die unmittelbare Vorgeschichte des gegenwärtigen Krieges nicht zu behandeln. Wer den Anspruch erhebt, die Hintergründe dieses Krieges, der 1991 begann, historisch aufzuhellen, und zu diesem Zweck 1995 ein dickleibiges Werk veröffentlicht, das im Grunde bereits mit dem Jahr 1971 abschließt, und damit den Eindruck erweckt, die fehlenden zwanzig Jahre ließen sich ohne Not verschmerzen, der weiß entweder nicht, wovon er redet, oder aber er weiß es nur zu gut und riskiert deshalb eine waghalsige Flucht nach vorne durch eine entschiedene Rückwendung nach hinten. Dieses Manöver macht es möglich, eine erstaunliche Fülle von Vorgängen und Fakten elegant zu umgehen: Kein Satz über die Ereignisse im Kosovo seit der Mitte der achtziger Jahre, kein Wort über das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften von 1986 und die Amselfeld-Rede Milosevic' von 1989, keine Silbe über sozio-ökonomische Konflikte in Jugoslawien, über die Machtstrukturen in Bürokratie und Armee, über die finanziellen Räubereien der Belgrader Zentrale, ihre Aufkündigung des Autonomiestatus des Kosovo und der Vojvodina, ihre Verweigerungshaltung auf der Ebene der Bundespolitik, ihre Wirtschaftsblockade gegen Slowenien et cetera. Statt dessen ein Frontalangriff gegen die katholische Kirche, den Vatikan und seine ebenso zahlreichen wie buntgescheckten Helfershelfer: Österreicher und Deutsche; Ustaschas, Stalinisten und Titoisten; Freimauer und Muslime; der Westen überhaupt; Hitler, Pavelic, Churchill, Stalin, Tito. (Wer Lust hat, darf gewiß mit gütiger Erlaubnis der Autoren noch ergänzen: Kohl und Genscher.) Dieser krude Antikatholizismus mag gewissen Tendenzen in Serbien entsprechen und gewissen Neigungen in der deutschen Öffentlichkeit entgegenkommen, aufklärerisch wirkt er trotzdem oder gerade deswegen nicht. Im Gegenteil: Indem die Autoren die Mär vom ewigen Religionskrieg und Völkerhaß eifrig weiterspinnen, anstatt historische Aufklärung als Entmythologisierung der Geschichte zu betreiben, tragen sie ihren Teil dazu bei, jene Tragödie von Betrug und Verrat am serbischen Volk fortzuschreiben, von der sie in ihrem Werk erzählen, und die wahren Motive derer zu verschleiern, die am Krieg in Exjugoslawien in jeder Hinsicht profitieren, während sie eine ganze Region, Serbien eingeschlossen, ins Elend stürzen. Das serbische Volk hat in der Vergangenheit gelernt, sich vor seinen Feinden zu hüten. Es wird sich in Zukunft der schmerzlichen Einsicht stellen müssen, daß auch manche seiner Freunde wahrlich zum Fürchten sind.

Karlheinz Deschner/Milan Petrovic, Weltkrieg der Religionen. Der ewige Kreuzzug auf dem Balkan, Stuttgart und Wien (Verlag Weitbrecht) 1995 (38,00 DM)


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Kommune Dezember 1995