editorial

Politisch und programmatisch gebe es keine Differenzen zwischen ihm und Scharping, betonte Lafontaine nach seinem Sieg über eben denselben. Das stimmt womöglich - oder auch nicht. Der Spiegel vor dem Mannheimer Parteitag hatte Lafontaine so gezeigt:

Lafontaine: Ich habe für einvernehmliche Lösungen bei der Verteilung von Aufgaben in der Führung plädiert.
Spiegel: Einvernehmen schließt eine Kampfkandidatur gegen Scharping aus?
Lafontaine: Einvernehmen ist besser als eine Kampfkandidatur.

Als Synthese von Einvernehmen und Kampfkandidatur haben die Kontrahenten dann in Mannheim die einvernehmliche Kampfkandidatur erfunden. Der Noch-Vorsitzende teilte den Delegierten nicht nur mit, daß er sie dem Noch-Stellvertretenden Vorsitzenden vorgeschlagen, sondern daß er für sie auch sein Einverständnis erhalten habe. Die Partei werde nämlich nicht nur gebraucht, wie er eingangs des Parteitages schon festgestellt habe, sondern sie brauche auch Klarheit. Die schuf und erhielt sie, indem der neue Vorsitzende erklärte, wie schätzenswert der alte sei und wie dringend der arbeitsgeteilte Fraktionschef als Stellvertretender Vorsitzender gebraucht werde. Die Folge war ein Wahlergebnis für den alten Vorsitzenden als neuen stellvertretenden Vorsitzenden wie man es als CDU-Vorsitzender nicht besser erwarten kann, ein SED- Ergebnis also.

Im Schachspiel nennt man das Rochade. Doch den König gibt es noch gar nicht. Die Königswürde in den Parteien ist nur durch die Kanzlerschaft zu erringen. Auch Lafontaine bleibt vorerst nur Prätendent und in der Partei umstritten. Ein neuer Mann ist auf den Schild gehoben, aber unter dem Schild schauen alle, ob für sie etwas dabei herausspringt. Das wäre normal und ist in den USA schlichter demokratischer Brauch. Hierzulande belegen sich dabei die Stimmen. Es geht immer noch um Salbung und Thron. Die Liquidierung eines Kronanspruchs kann Tränen kosten, aber mit Politik und Programmatik soll sie nichts zu tun haben. Lafontaine dixit.

Es gibt natürlich Wichtigeres auf der Welt als einen SPD- Parteitag. Die bundesdeutschen Provinzpossen sind jedoch von ihrem internationalen Kontext nicht zu trennen. In ihm ist zum Beispiel die Abwahl Norbert Gansels aus dem Vorstand der SPD zu sehen. Sein Scheitern hat ausnahmsweise doch politische Gründe. Ihn hatten sozialdemokratische Werte, die ja in puncto Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen und militärischer Aggression allgemein anerkannte Werte der Bundesrepublik sein könnten, dem Tornadoeinsatz zustimmen lassen. In x Fällen passiert solche Übereinstimmung mit der Regierung unter der Hand. Lafontaine zum Beispiel hat sich schon im Vorfeld parlamentarischer Beratung mit Waigel über (einschneidende) Steuerfragen geeinigt. Das hat ihm bei seiner Wahl nicht geschadet, aber Gansel hat seine Zustimmung zu den (symbolischen) Tornadoeinsätzen die Stimmen gekostet. Mag es also zwischen Scharping und Lafontaine nur Differenzen über die Arbeitsteilung im Vorstand und das Auftreten im Fernsehen gegeben haben, Stoff für Streit bleibt in der SPD genug.

Lafontaine will sich das Linksimage billig in der Außenpolitik holen und wird zugleich rechts unter der ,Brücke ins Solarzeitalter" etliche Clochards in Kauf nehmen. Wie die meisten Grünen wird Lafontaine die Linke hochhalten, wo es um Leben anderswo geht, und wie die meisten CDUler wird er rechts sein, wo er für den ,Standort Deutschland" kämpft. Sein Erfolg wird vorerst nur in Umfrageergebnissen gemessen. Mehr als ein Erscheinungsbild ist da nicht nötig. Und das kann in der nächsten Zeit nur besser werden.

Wenn freilich das Problem der Bundesrepublik nicht die Führungslosigkeit eines linken Lagers, sondern die Orientierungslosigkeit einer diffusen Mitte ist, die emotional zwar eher nach links neigt, außenpolitisch eine Vorliebe für Appeasement hegt und innenpolitisch nur passives Gewicht entwickelt, bleibt Lafontaine ein Placebo für die SPD, für die Grünen ein Konkurrent auf deren eigenem Feld und für die CDU höchstens unberechenbar. Lafontaine hat mit Kohl in der Kanzlerfrage auf Anhieb gleichgezogen. Die Bocksprünge einer Volkspartei und der Bonus, den sie ihr bringen, sind nur erklärbar vor einem gesellschaftlichen Hintergrund, der sich eben nicht in feste Lager teilt, und vor dem die einzelnen ihre Vorlieben in Personen suchen, die ihnen so schillernd entgegenkommen, wie sie selber unsicher sind. Nur über solche Personen läßt sich der polarisierende Schaueffekt von Wahlkämpfen erzielen, ohne den Mainstream oder das Justemilieu auch nur einen Augenblick verlassen zu müssen. Die SPD hat nachgerüstet - medial und personal, ohne sich auch nur einen Deut zu ändern. Mit dem ,glänzenden Rhetoriker" an ihrer Spitze zu sprechen: In diesem Sinn, Glück auf!

Joscha Schmierer
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Kommune Dezember 1995