SÜDWEST-BOULEVARD ZUM THEMA EUROPA

Das Geld als Verfassungsgebot


Ein Angebot von ´Verfassungsrang` hat Ralf Dahrendorf 1990 die Aufnahme der Noch-DDR in das Währungsgebiet der Bundesrepublik genannt (Merkur 497). Nach dem Sturz der Mauer und der Durchsetzung der persönlichen Mobilität durch Demonstration und Fluchtbewegung war die D-Mark so etwas wie ein Fahrschein für erweiterte Transaktionen. Es konnten Werte - das Automobil, die Arbeitskraft, die Immobilie, und die Reihe ist noch nicht historisch abgeschlossen - ausgetauscht werden. Die freie Konvertibilität der D-Mark öffnete einen internationalen Raum, ihre relative Stabilität eröffnete einen anderen Zeithorizont. Dies alles konnte nun geschehen - und darin besteht der besondere Verfassungsrang des Geldes - ohne daß jede Transaktion erst noch durch Devisenpolitik besonders reguliert werden mußte. Das gemeinsame Geld befreit von politischer Willkür, und zwar nicht, weil es individualisiert, sondern weil es eine elementare bürgerliche Kohärenz verbürgt. Oder mit den Worten von Dahrendorf: `Noch vor allen Fragen des Kapitalismus und der Wirtschaftsethik gibt es ein Ordnungsproblem, auf das die D-Mark eine Antwort gibt.`

Der gegenwärtigen Debatte über die europäische Währungsunion sind solche institutionellen Uberlegungen fremd. Hier hat sich das Nützlichkeitsdenken durchgesetzt. Die Aufregung um Schröder, Lafontaine, Scharping kaschiert ja, daß diese Leute schon einen halben Sieg errungen haben: Es ist ihnen gelungen, die Währungsdebatte auf eine Debatte um ,Geldpolitik` herunterzubringen. Was fordern nämlich die Kritiker? Zusätzliche Stabilitätsvereinbarungen und zusätzliche Sozial- und Regionalfonds. Wie antworten die Verteidiger? Mit Hinweisen auf den Eindruck bei den Nachbarn und die Freundschaft einer Politikergeneration. Und schon sind wir in einem politisierenden Ambiente von Absichten, Beschlüssen und Sitzungen mit einer Halbwertszeit von Wahlperioden, wo ,Geldpolitik` sich mit ,Außenpolitik`, ,Industriepolitik` oder ,Sozialpolitik` reimt. Die Legitimierung einer Währung mit ,blühenden Landschaften` durch die CDU/CSU ist noch ebenso frisch in Erinnerung wie die SPD-Losung ,Lieber ein Prozent Inflation als ein Prozent Arbeitslosigkeit`. So werden Institutionen durch Nützlichkeitserwägungen ersetzt.

Die Leistung der Juso-Troika besteht darin, diese Erwägungen auf bisher unerreichte Höhen getrieben zu haben. Sie wünschen sich zugleich mehr Stabilitätsgarantien, mehr sozialstaatliche Sicherungen und einen größeren Mindestteilnehmerkreis. Nach diesem Maßstab hätte das Europäische Währungssystem (EWS) 1978 bei extremen Inflationsdisparitäten zwischen Frankreich und Deutschland als gräßliches Abenteuer abgelehnt werden müssen. Auf diesem Anspruchsniveau ließe sich heute nicht mal die Stabilität einer nationalen Währung begründen. Wer die Juso-Troika als ,D-Mark-Nationalisten` bezeichnet, tut ihnen daher zuviel der Ehre an. Sie nehmen eher einen regionalen Standpunkt ein. Sie bewegen sich im Ambiente von ,Projekten`, deren Gewicht in keiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung überprüft wird, und deren Zeitlinie weniger mit der Stabilität des Geldmediums als mit anderen Medien zu tun hat. Das ,Europa der Regionen` war für sie ja auch eher ein Lebensstil, und für die Selbstverwirklichung reichen Wechselkurse immer. Jetzt wird das ,Europa` gestrichen, und es bleiben die ,Regionen`. Das Neue an der provinzkrämerischen Währungsdebatte ist, daß die Generation der Erlebnis- Sozialdemokraten nun dazu übergeht, die großen Zusammenhänge zu kündigen. Die linke Opposition findet ihren Platz in der Endmoräne der Wohlstandsgesellschaft.

Statt dessen wäre eine liberale Opposition denkbar, die in die Rolle gerät, gerade die großen Zusammenhänge weiter voranzutreiben - auch risikobereiter, als es der bundesdeutsche Konsens will.

Es gibt die vernünftigen Kriterien für die Währungsunion. Es ist falsch, nach weiteren Garantien für eine europäischen Währung in Richtung auf die Tätigkeit von Wahlkörperschaften zu suchen. Im Verhältnis zur notwendigen Dauerhaftigkeit der Währungsinstitution, die Generationen übergreifen muß, sind solche Körperschaften strukturell zu kurzatmig. Auch die Unabhängigkeit einer Zentralbank reicht nicht, wenn man sie nur technisch-monetaristisch als Geldmengen- Begrenzer faßt. Es muß ein allgemeines Interesse an einer stabilen Geldform gegeben sein, auf das sich die Unabhängigkeit gründen kann. Dafür reicht das einfache Konsumenteninteresse nicht aus. Das ,Publikum` muß Akkumulationsinteressen haben, die es langfristig an die Geldform binden. Und diese müssen eine kritische Masse erreichen, die in einem bestimmten Verhältnis zum Geltungsbereich der Währung steht, damit ihre Wirkung nicht verpufft. Das kann man die ,territoriale Garantie` einer Währung nennen, und es wäre eine Untersuchung wert, den historischen Punkt einer Nation zu finden, an dem diese notwendige Relation zwischen Akkumulation und Territorium für eine Währung ohne Golddeckung erfüllt war.

Die europäische Währungsunion bedeutet einen territorialen Geltungsbereich, den es bisher in Europa noch nicht gegeben hat. Bisher war der Ausschluß der anderen Nationen Stabilitätsgarantie des nationalen Geldes. Ebenso die Brachlegung bestimmter ,schwieriger` Territorien im Inneren. Jetzt muß eine Einschlußbewegung bewältigt werden, die mindestens Deutschland und Frankreich umfaßt. Die republikanische Breite des Geldes bringt es mit sich, daß die Verhältnisse der einen Nation vors Publikum der anderen geraten. Das gilt auch für den Umgang mit ,La France profonde` und den neuen Bundesländern. Man darf nämlich bezweifeln, daß jene dichte Unternehmenslandschaft in dem (von Fall zu Fall verbreiterten) Korridor von Südengland über die Rheinschiene bis nach Oberitalien genug gemeinsame Akkumulationsmasse bildet, um die Währung zu tragen und weitere Länder langsam heranzuziehen. Die Herausforderung wird noch größer angesichts der Tatsache, daß der ,europäische Kern` große Bataillone konsumptiver Mittelschichten mit langfristigen Versorgungsansprüchen mit sich führt. Der Bundesbankpräsident Tietmeyer wies kürzlich darauf hin, daß in der BRD der private und öffentliche Verbrauch 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt, während die Vergleichszahl für Schwellenländer bei weniger als 50 liegt.

Das europäische Währungsprojekt könnte also an den Tag bringen, daß das europäische Publikum ein Akkumulationsproblem hat, und daß die europäische Geldform deshalb zu groß ist und Schulden in Inflation oder Hochzinsen übersetzt. Aber bis zu diesem Punkt muß die Angelegenheit erstmal getrieben werden, damit es wirklich an den Tag kommt. Erst dann kann sich das Publikum wirklich europäisch weiter bilden. Für dies Hineintreiben in größere Zusammenhänge plädiert der ,Süd-West-Boulevard`.

Gerd Held


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Kommune Dezember 1995