Die Sache mit dem "Euro"

Joscha Schmierer

Irgendwo zwischen der Beschwörung der "1100 Jahre alten Idee der innereuropäischen Versöhnung", wie sie ,von den Enkeln Karls des Großen" 842 ,in den Eiden von Straßburg auf deutsch, französisch und lateinisch formuliert" worden war (Roman Herzog vor dem Europäischen Parlament), dem Kampf um den ,franc fort", der Verteidigung der harten Mark durch Francoforte und der Absicht, beide abzulösen ,durch eine Einheitswährung, die mindestens so stark ist wie die Mark" (Jacques Santer, Spiegel 11/95), irgendwo zwischen der Einlösung der währungspolitischen Vereinbarungen von Maastricht und der Aushandlung der Reformvorhaben von Maastricht II braut sich eine gehörige politische Krise der Europäischen Union zusammen. Ihr ökonomischer Hintergrund ist die auch durch den bescheidenen konjunkturellen Aufschwung kaum gebremste Zunahme der Arbeitslosigkeit in den Mitgliedsländern und die wachsende Finanzkrise der Mitgliedsstaaten. Um zu verstehen, wie sich diese Situation, verknüpft mit dem außenpolitischen Versagen der Europäischen Union im früheren Jugoslawien und im Mittelmeerraum, zu einer institutionellen Krise der Europäischen Union auswachsen kann, muß man auf die Ergebnisse von Maastricht zurückgehen.

Von den dortigen Unionsvorhaben konnte lediglich die Währungsunion fest vereinbart werden, während die Errichtung der anderen ,Säulen" der Union, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Innen- und Rechtspolitik über Absichterklärungen zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Regierungen nicht hinauskam. Die Sozialpolitik schaffte es nicht einmal, in den Rang einer Säule des gemeinsamen Baus erhoben zu werden, so daß er nach dieser Seite hin schon in der Planung ohne Stütze bleibt.

Die Konflikte auf der ersten Regierungskonferenz von Maastricht zwischen den Protagonisten Großbritannien (Beschränkung auf den gemeinsamen Binnenmarkt und intergouvermentale Zusammenarbeit), Bundesrepublik (Politische Union als Voraussetzung einer Wirtschafts- und Währungsunion) und Frankreich (Vorrang der Währungsunion) fanden in diesem unterschiedlichen Planungs- und Bauzustand der drei Säulen ihren Ausdruck. Protagonisten der Auseinandersetzung innerhalb der Europäischen Staaten sind diese Länder nicht nur wegen ihrer Größe und Bedeutung, sondern auch, weil sie die maßgeblichen Positionen in dieser Auseinandersetzung dem Inhalt nach politisch besetzen. Die Währungsunion wurde nach der Seite ihrer Voraussetzungen ("Konvergenzkriterien"), ihrer Verfahren und Institutionen hin sowie in ihrer Terminierung vertraglich fixiert, während die weitere Planung der beiden anderen Säulen und die institutionelle Reform im Hinblick auf die Erweiterung der EU an eine neue Regierungskonferenz in Maastricht verwiesen wurden. Sie wird im nächsten Jahr beginnen.

Da der Europäische Rat inzwischen von einer Verwirklichung der Währungsunion zum frühesten Termin 1997 Abstand genommen hat und nun der als äußerster Zeitpunkt vereinbarte Termin von 1999 für ihre Verwirklichung feststeht, ergibt sich folgendes Kalendarium für das weitere Vorgehen der Europäischen Union:

1996 Maastricht II (über die Dauer dieser Regierungskonferenz gibt es unterschiedliche Vorstellungen);

vor Ende 1997 muß der Europäische Rat an Hand der Konvergenzkriterien über die vorläufigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Währungsunion entscheiden, um dann bis Ende 1998 die technischen Vorbereitungen der Währungsunion voranzutreiben und das Verhältnis zwischen Währungsunion und draußen gebliebenen Mitgliedern der EU zu klären;

ebenfalls 1998 müssen die finanziellen Perspektiven der Gemeinschaft neu ausgehandelt werden, die 1992 auf dem Gipfel von Edinburgh bis Ende 1999 festgelegt worden sind.

Diese Verhandlungen über die Finanzierung der Gemeinschaft mit ihrem prekären Verhältnis zwischen ,Nettozahlern" und ,Nettoempfängern" werden bereits im Vorzeichen der Erweiterung der Europäischen Union um die assoziierten mittelosteuropäischen Staaten stehen. ,Den Deutschen wird es nicht gelingen, eine Erweiterung zu erreichen, ohne gleichzeitig den Preis dafür zu bezahlen", zitiert Le monde (14.9.95) einen französischen Diplomaten, der nicht genannt werden wollte. Der Preis dürfte insbesondere in der Agrarpolitik fällig werden.

Angesichts der Fülle von Problemen und der Schwierigkeiten, sie im einzelnen und erst recht alle zusammen zu lösen, dürften sich in den nächsten Jahren die größten Anstrengungen wie die schärfsten Auseinandersetzungen auf die Aufgabe konzentrieren, deren Lösung im Vertrag von Maastricht im Grundsatz bereits vereinbart ist: die Währungsunion. Ob die EU sich damit auf ihr tatsächlich größtes Problem konzentriert oder sich umgekehrt mit der Aufgabe erst ihr größtes Problem geschaffen hat, aus dem sie sich nicht mehr ungestraft herauswinden kann, ist bereits einer der Streitpunkte der politischen Auseinandersetzung, die die Europäische Union in den nächsten Jahren fesseln und die Öffentlichkeit ihrer Mitgliedsstaaten erregen wird.

Divergenzen um die Währungsunion


Die in Maastricht beschlossene Währungsunion liegt auf der Linie einer ,Vertiefung" der Gemeinschaft, mit der Absicht, sie zu härten, ehe sie erweitert wird. Wie alle Absichten dieser Art stößt sie insbesondere in Großbritannien auf Skepsis bis Ablehnung. Die gegenwärtige Regierung, wie zuvor schon und erst recht die Regierung von Margaret Thatcher, hält den gemeinsamen Binnenmarkt für eine ausreichende und zudem leicht erweiterbare Basis eines locker verfaßten Staatensystems, in dem alle kontinentalen Hegemonialbestrebungen durch gegenläufige Allianzen konterkariert werden können, um mit einem europäischen Gleichgewicht auch den Frieden in Europa zu sichern. Gegen eine solche europäische Philosophie, die natürlich auch in anderen Ländern ihre Anhänger hat und sie neuerdings gerade in der größer gewordenen Bundesrepublik findet, richtete sich Roman Herzog in seiner Straßburger Rede unter Verweis auf den Krieg in Bosnien: "Der anachronistische Rückfall in ,Balance of Power`-Denken, auch unter europäischen Partnern, hat den Krieg nur verlängert und verschlimmert. Europa erwies sich darüber hinaus mangels einmütiger Strategien als handlungsunfähig."

Diese Philosophie schließt die Verteidigung der möglichst uneingeschränkten staatlichen Souveränität in allen zentralen politischen Fragen ein. Ob die Teilnahme an einer Währungsunion bereits an den Kern der Souveränität rührt, hat die britische Regierung in Maastricht offengelassen, indem sie einerseits ihren Vorbehalt festschrieb und andererseits die Vereinbarung nicht verhinderte. Damit gab sie zweierlei zu verstehen:

Nach ihrer Ansicht muß aus der Währungsunion keineswegs eine politische Union oder gar ein Bundesstaat folgen;

eben deshalb kann es eventuell auch für Großbritannien sinnvoll werden, an ihr teilzunehmen, um eine solche Weiterentwicklung auszuschließen.

Für die britische Regierung bleibt die Währungsunion ein beschränktes Spielfeld, dem sie als Zuschauer zunächst fernbleibt, um je nach Spielverlauf frei zu entscheiden, ob sie als Linien-, Schiedsrichter oder Joker doch ins Spiel eingreifen soll.

Angesichts dieser reservierten bis ablehnenden Haltung ist es nicht erstaunlich, daß grundsätzlich kritische Stimmen gegen die Währungsunion vor allem in Großbritannien zu hören sind. Wunderlich ist höchstens, daß die schrillste Stimme einem hohen britischen EU-Beamten gehört, der bis vor kurzem direkt an den Vorbereitungen der Währungsunion beteiligt gewesen ist. Bernard Connolly hat seine Polemik nicht nur in einem dicken Buch (The Rotten Heart of Europe) zu Papier gebracht, sondern wird neuerdings auch gern in Spiegel und Newsweek als Zeuge aus dem Inneren des Wals herbeizitiert.

Auf den beiden Polen der Debatte um die Währungsunion, nimmt er ausdrücklich jene Position ein, wonach der gemeinsame Binnenmarkt nicht nur keine Währungsunion, sondern noch nicht einmal geregelte Wechselkurse braucht. Als seine zentrale These bezeichnet er, ,daß der Europäische Wechselkursmechanismus (ERM) und die Währungsunion nicht nur ineffizient, sondern auch undemokratisch sind: Sie gefährden nicht nur unseren Reichtum, sondern auch unseren Frieden. Die Bösewichte der Geschichte - einige schuldiger als andere - sind Bürokraten und überhebliche Politiker. Der ERM ist ein Mechanismus, der dazu dient, das wirtschaftliche Wohlergehen, die demokratischen Rechte und die nationale Unabhängigkeit der Bürger in den europäischen Ländern dem Willen der politischen und bürokratischen Elite zu unterwerfen, deren Machthunger, Zynismus und Verblendung die Taten jener bestimmen, die einen europäischen Superstaat schaffen wollen." (zit. nach NZZ, 9.9.95).

Seine These müßte Connolly nicht als Verschwörungstheorie vortragen, denn zumindest die Bundesregierung hat ja nie ein Hehl daraus gemacht, daß die Währungsunion für sie ein Vehikel der politischen Union ist, das die ursprünglich als Voraussetzung gedachte bundesstaatliche Verfassung Europas nun als zukünftige Konsequenz mit sich führen soll. Wer diese Konsequenz nicht will, muß also schon gegen Wechselkursmechanismus und Währungsunion angehen, denn ein gemeinsamer Markt von völlig unabhängigen Staaten mit unterschiedlicher oder gar entgegengesetzter Wirtschaftspolitik ist ohne freie Wechselkurse tatsächlich kaum zu denken. Mehr als eine jederzeit widerrufbare Freihandelszone wird dieser Markt dann allerdings nicht sein können. Mehr aber will Connolly auch nicht.

Schon der gemeinsame Binnenmarkt und erst recht dessen angestrebte ,Krönung" durch die Währungsunion führen an die Schnittstelle zwischen zwei gegensätzlichen und nur begrenzt praktisch miteinander vereinbaren politischen Konzeptionen Europas heran, die bisher in der EU koexistieren. Solange Großbritannien und die Bundesrepublik als souveräne Staaten nebeneinander her existieren, brauchen sich diese gegensätzlichen Konzeptionen nicht zu beißen. Sobald sich aber eine der beiden als die bestimmende durchzusetzen beginnt, wird es kompliziert. Die britische Politik ist dabei der beharrende, die bundesrepublikanische Politik der dynamische Faktor.

So verärgert sich britische Politiker über die Umstände ihres Ausscheidens aus dem Europäischen Währungssystem 1993 öffentlich geäußert haben, so genüßlich rieben sie sich die Hände über die Wettbewerbsvorteile, die die Abwertung des Pfunds kurzfristig gewährte. Freier Markt zwischen souveränen Staaten bei freien Wechselkursen ist ja ihre Vorstellung von Europa, weil alles weitere nach ihrer Ansicht nur zu einer durch die EU mühsam verdeckten Vorherrschaft der stärksten Kontinentalmacht, der Bundesrepublik, führen müßte, ohne daß diese dann noch durch unabhängige Staaten unterbunden werden könnte.

Die französische Position


In Hinsicht auf das Ideal des souveränen Staates unterscheiden sich Frankreichs und Englands Konzeptionen nicht, wohl aber in ihren europäischen Ordnungsvorstellungen. Frankreich, das heißt seine politische Elite, sieht nämlich durch den Selbstlauf der ökonomischen Entwicklung bei überlegener Position der Bundesrepublik seine Souveränität bereits untergraben und gefährdet. Die Währungsunion erscheint dort deshalb als Möglichkeit der Teilung der Macht der Bundesbank durch die Übertragung ihrer Funktionen auf eine europäische Zentralbank. An die Stelle nur scheinbar gleichberechtigter Konsultationen und Abstimmungen zwischen den jeweiligen Notenbanken, träten dann die internen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse einer europäischen Zentralbank, in denen französische Interessen von vornherein präsent wären, ein realer Zugewinn von Souveränität also bei formeller Einschränkung derselben.

Seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Machtbereiches und dem Wiedereintritt der mittelosteuropäischen Staaten in die europäische Ökonomie und verstärkt seit der Erweiterung der EU durch die nordischen Staaten und Österreich plagt Frankreich die Vorstellung eines unabhängigen DM-Blocks, auf den es selber keinen Einfluß nehmen kann, um indirekt doch desto mehr von ihm abhängig zu werden. Die Regierung sieht die Gefahr einer Spaltung des Kontinents, bei der Frankreich auf die schwächere Seite geraten würde. Nicht ganz so ressentimenthaft wie in der Abstimmungskampagne für Maastricht, bei der der Vertrag weniger mit Argumenten für Zusammenschluß und Integration als mit der Behauptung verteidigt wurde, nur über die nun mögliche Ausschaltung der Bundesbank könnte die Souveränität überhaupt wieder zurückgewonnen werden, beschwor Alain Jupp‚ diese Gefahr vor dem Nationalrat der RPR im September:
"Wenn wir nicht eine solide Wirtschafts und Währungsunion um ein gemeinsames Geld (monnaie unique) aufbauen, wird Europa sich auflösen. (...) In zwei oder drei, drei oder vier Jahren wird es dann ein Markzone um Deutschland herum geben, mit Benelux und den skandinavischen Ländern, Mitteleuropa (la Mitteleuropa)." (Le monde, 29.9.95)

Von dieser Furcht vor den Folgen eines ökonomischen Selbstlaufes umgetrieben, vertraut Frankreich eben nicht auf den Markt und Gelegenheitsallianzen gegen neue Hegemonialbildungen, sondern setzt politisch auf weitere Vergemeinschaftung mit der französisch-deutschen Union als Klammer. Vorrang hat dabei die ökonomisch-währungspolitische Verknüpfung, die Frankreichs selbständige politische Handlungsfähigkeit stärken und nicht schwächen soll.

Die Diskussion in Frankreich


Frankreich folgt also in Fragen der Währungsunion einem Primat der Politik und nicht in erster Linie inneren und ökonomischen Interessen, obwohl natürlich auch diese eine Rolle spielen - immerhin ist die Bundesrepublik Frankreichs wichtigster Handelspartner und erzielt Frankreich inzwischen in diesem Handel einen leichten Exportüberschuß, was durch den stabilen Wechselkurs entscheidend erleichtert worden sein dürfte. In dem Schlagwort vom ,franc fort", vom starken Franken, schwingt etwas von diesem Primat der Politik mit, das aus der ,harten Mark" nicht herauszuhören ist. Tatsächlich wird die Politik des ,franc fort" in Frankreich immer wieder unter Ausfällen gegen die "pensée unique", also die Idee der Währungsunion und eines einheitlichen Geldes, mit ökonomischen Argumenten angegriffen, so zuletzt nach Chiracs großem Fernsehinterview vom 26. Oktober. Dabei hatte Chirac für den propagierten Sparkurs und die Verschiebung von Steuererleichterungen um zwei Jahre, also bis 1997(!) nicht mit Blick auf Konvergenzkriterien und Währungsunion geworben, sondern damit, daß der von ihm versprochene Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wirksam eben nur so begonnen werden könne, um dann über Zinssenkungen Investitionen zu erleichtern und die Nachfrage nach Arbeit zu fördern. Chirac hat also nicht das Europaargument für den ,franc fort", sondern ein monetaristisches Standardargument direkt ins Feld geführt. Einen unpopulären Schwenk und den Rückzug aus den Wahlversprechen von Steuererleichterungen mit der Währungsunion und den Konvergenzkriterien von Maastricht zu erklären, wäre unter der Würde eines französischen Präsidenten. Sein Hinweis, daß Frankreich die Kriterien selbstverständlich erfüllen werde, darf da nicht mehr sein als eine abwehrende Geste gegen lästige Nachfragen und nicht etwa Begründung der eigenen Politik. Eine gaullistisch geführte Regierung entscheidet an Hand der Interessen der Nation und nicht unter äußerem Druck wie seinerzeit Pierre Mourois, als der 1983 das wirtschaftspolitische Ruder herumwarf und auf den Kurs der Bundesbank einschwenkte. Im übrigen muß man festhalten, daß Chirac die Priorität der Senkung des Staatsdefizits, um Zinssenkungen einzuleiten, selbst im Wahlkampf nicht verhehlt hatte. Wie fast alle europäischen Politiker heutzutage ist Chirac Monetarist aus Überzeugung.

Anders als in der Bundesrepublik steht jedenfalls der Kurs auf die Währungsunion in Frankreich nicht deshalb unter Kritik, weil eine Lockerung der Konvergenzkriterien und ein Abrücken von der Stabilitätspolitik befürchtet wird, sondern weil die Politik des "franc fort" und die "pensée unique" für die hohe Arbeitslosigkeit und die Unfähigkeit der Regierung, sie wirksam zu bekämpfen, verantwortlich gemacht werden.

Dabei lassen sich zwei Varianten der Kritik unterscheiden. Eine Variante lehnt die enge Verknüpfung der Geldpolitiken der Banque de France und der Bundesbank grundsätzlich ab und verwirft unter Berufung auf die internationalen freien Märkte sowohl den Vorrang der Stabilitätspolitik wie die Priorität einer Währungsunion mit ihrer Klammer zwischen Frankreich und der Bundesrepublik. Sie kann sich wie bei Jean-François Hénin, früherem Direktor von Altus Finances, äußern:
,Die Vorstellung der Banque de France ist, daß eine strikte Verknüpfung zwischen Franc und Mark die Inflation vermeiden ließe. Doch dieses Problem existiert nicht mehr, seit die Indizierung der Löhne durch die Preise aufgehoben ist. Die allgemeine Öffnung der Ökonomien für die internationale Konkurrenz führt dazu, daß sich dieses Problem praktisch in keinem entwickelten Land mehr stellt."

In diesem Zusammenhang hebt Hénin hervor, daß Großbritannien wie überhaupt ,die europäischen Länder, die nicht dem kleinen Block, der sich an die Deutsche Mark anlehnt, gefolgt sind, beachtliche Resultate erzielt haben." (Libération, 28.10.) Hier ist also ein englischer Ton in der französischen Debatte zu vernehmen.

Schwerer tun sich jene Kritiker, die eigentlich der Überzeugung sind, daß unterhalb einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion angesichts der internationalen Konkurrenz und Finanzmärkte nicht mehr viel zu steuern und zu regulieren bleibt. Da sie den Vertrag von Maastricht also nicht grundsätzlich in Frage stellen wollen, schlagen sie vor, über die fixierten Konvergenzkriterien hinaus eine ,eine wirkliche europäische Konvergenz zu erreichen, die zugleich wirtschaftlich und sozial wäre". In diesem Sinne schlägt Bernard Cassen in der Le monde diplomatique (dt. Ausgabe Juni 1995) vor:
,Man könnte die Regierungskonferenz für den Versuch benutzen, die Kriterien von Maastricht nicht formell in Frage zu stellen, ihnen aber die beiden Kriterien einer sich kontinuierlich verringernden Arbeitslosenquote und eines Abbaus der gesellschaftlichen Ungleichheit hinzuzufügen. (...) Diese Kriterien wären problemlos quantifizierbar und würden Europa einem tatsächlichen Abbau der gesellschaftlichen Unterschiede näherbringen."

Daß dieser Versuch scheitern muß, das Recht auf Arbeit und die bisher nicht zustandegebrachte Sozialcharta unter die Konvergenzkriterien zu schmuggeln, die ja nur auf die Stabilitätsbedingungen des angestrebten gemeinsamen Geldes zielen, wird dem Verfasser selbst klar sein. Er zeigt, von seiner Plausibilität abgesehen, nur einmal mehr, wie schwierig es ist, in die sektoral erzielten Konsense des Europäischen Rates nachträglich ,sachfremde" Gesichtspunkte einführen zu wollen. Nicht umsonst soll die Währungsunion strikt aus den Verhandlungen von Maastricht II herausgehalten werden, um, wie Jacques Santer sagt, nicht die Büchse der Pandora zu öffnen, das heißt statt des vereinbarten Kompromisses am Ende nichts in Händen zu halten. Das kann zwar immer noch geschehen, dann aber bitte durch die Macht des Faktischen erzwungen und nicht durch das freiwillige Aufschnüren des Kompromißpakets provoziert. Alle Kunst der EU-Diplomatie besteht darin, die Differenz zwischen tatsächlichen Entwicklungen und vereinbarten Kompromissen unter der Hand zu überbrücken, das eine Scheitern nicht zu provozieren und das andere zu unterlaufen. Mehr kann man von einem intergouvermentalen Verständigungsprozeß nicht verlangen. Dessen Kunst war bisher die Erfolgsgarantie der europäischen Integration. Sie dürfte aber eben durch die Fortschritte der Integration an ihre Grenzen gelangt sein. Die Integration berührt inzwischen nicht nur die Kernbereiche staatlicher Politik, sondern auch den alltäglichen Lebensbereich der gesellschaftlichen Individuen in den Mitgliedsländern. Nirgendwo wird das so deutlich wie an der Währungsunion und wie in der Bundesrepublik.

Die Währungsreform 1948 und die Währungsunion 1990 (die ja für die DDR auch eine Währungsreform war) waren die entscheidenden konstitutiven Akte der Bundesrepublik. Mehr als durch alle anderen Formen wird die Bundesrepublik durch die Wertform, letztlich durch das Geldzeichen DM, zusammengehalten. (vgl. Joscha Schmierer, Der konstitutive Defekt der Bundesrepublik, Kommune 4/94)

Die Politiker der Bundesregierung, allen vorneweg der Kanzler, lassen keine Gelegenheit aus, zu versichern, die D-Mark werde durch keine Währung abgelöst, die nicht ,mindestens" ebenso stabil sei wie sie. Kommissionspräsident Santer läßt sich nicht lumpen. Auch er tritt neuerdings verstärkt in der Bundesrepublik auf und versichert das gleiche.

Das deutsche Märchen


Welche Stabilität sprechen sie denn an? Ist es nicht eine Lebenserfahrung in der Bundesrepublik, daß im großen und ganzen alles teurer wird und höchstens die Produkte billiger werden, die erst vor kurzem zum ersten Mal auf den Markt gekommen sind, elektronische Geräte im Wesentlichen, Computer zumal, solche Produkte also, die das Leben ziemlich stark verändert und nicht stabilisiert haben? All das aber, was man kennt und einem seit längerem vertraut ist, ist im großen und ganzen auch immer teurer geworden, zum Glück auch die Arbeitskraft, die man verkauft. Weder was die großen gesellschaftlichen Entwicklungen, noch was die Entwicklung der Preise im besonderen betrifft, ist die prägende Erfahrung der Bundesrepublik Stabilität. Veränderung und Dynamik sind prägend. Auch die Mark ist nichts Stabiles. Man hat sie oder hat sie nicht. Wenn man sie hat, gibt man sie aus und hofft darauf, daß sie wieder zurückkommt, um sie wieder auszugeben. Die Stabilität der Mark, das bedeutet für die Alltagserfahrung nur, daß man mit ihr im Ausland nicht blamiert ist. Sie ist generell eintauschbar - und das nicht schlecht - und dient in immer mehr Ecken der Welt auch ohne Umtausch als Geld. Durch und durch lächerlich ist es aber, einer Gesellschaft, die sich laufend so verändert, daß jede neue Viertelsgeneration nicht mehr weiß, was vor ihrem Auftreten normal war, Stabilität aufschwätzen zu wollen darüber, daß das Geldzeichen immer DM hieß und als Zeichen nie außer Kraft gezetzt wurde. Die D-Mark ihrerseits ist Produkt eines Bruchs und nicht der Kontinuität. Beschwört man die Furcht vor Geldentwertung, bezieht man sich auf die Reichsmark, die durch verlorene Kriege und in den Sand gesetzte Kriegskredite zweimal in den Abgrund sank, auf Erfahrungen also, deren Wiederholung durch die Währungsunion gerade zusätzlich ausgeschlossen werden sollen.

Stabiler aber selbst als die D-Mark sind die Institutionen der Bundesrepublik. Bevor die Grünen auf der Bildfläche erschienen, war jede Stimme - wie es hieß - entweder verloren oder brachte immer wieder die gleichen Geschichter ins Parlament. Das kann zu dem Trugschluß verführen, die Mark sei mehr wert als die Stimme, weil mit ihr immer neues, wenn auch immer weniger zu erzielen war. Zum Symbol für Stabilität wird sie deshalb noch lange nicht. Wenn schon Symbol, dann ist sie das des Bruchs mit der kriegerischen, kreditfinanzierten und zweimal fallierten Vergangenheit des Deutschen Reiches und der zivilen Dynamik der Bundesrepublik.

Als die Arbeiter nach langer Hinnahme der "Stabilität", das heißt des Rückgangs ihres Geldeinkommens gegenüber der realen Veränderung ihrer Lebensumstände, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre schließlich zweistellige Lohnerhöhungen erstreikten, mußten sie sich sagen lassen, sie gefährdeten die Stabilität der D-Mark. Das Argument hat gezogen. Dennoch täten die Gewerkschaften nicht gut daran, ihre Lohnpolitik im vorhinein der Geldpolitik der Bundesbank zu unterwerfen.

Wenn etwas in dieser Bundesrepublik stabil ist, dann sind es die Institutionen, einschließlich der Bundesbank, und die einigermaßen geregelten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Diese ,Stabilität" war Ergebnis von Kampf und Veränderung - beileibe nicht vorab gegeben. Diese Kämpfe und Veränderungen haben die Bundesrepublik bis zu einem gewissen Grad über die Währungsreform hinaus nachträglich als Republik konstituiert, haben sie tatsächlich zu einem modernen und beweglichen Staat gemacht. Und jetzt soll dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft, die immer noch keine Gesellschaft von Schatzbildnern und Rentiers ist, versichert werden, daß eine einschneidende Veränderung ihrer Institutionen wenigstens nichts an der Stabilität des Geldes, also eigentlich gar nichts ändere? Jetzt, da die entscheidenden Stabilitätsfaktoren einer rasanten gesellschaftlichen Entwicklung überall gefährdet sind, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, soll sich diese Gesellschaft gegenüber einer geplanten Veränderung, die zu einem neuen Institutionengefüge führen wird, alles an der Stabilität des Geldzeichens messen, hinter der sich seit Jahren die Geldeinkünfte extrem differenzieren und die Erosion entwickelter Gesellschaftlichkeit sich verbirgt? Sie tut es zu Teilen. Sie tut es, weil sie sich eine Stabilität aufschwätzen läßt, die es in der Realität nie gab, in der statt dessen die D-Mark immer nur Vermittler der Veränderung und nie Garant der Stabilität war. Eine große politische Veränderung wie die europäische Währungsunion unter der Flagge der unveränderten Stabilität des Geldzeichens politisch verkaufen zu wollen ist nicht nur Schwindel und dumm, sondern behandelt zudem eine Gesellschaft, deren Zentrum die meist lohnabhängige Arbeit ist und Veränderung braucht, als Haufen von Rentiers und Schatzbildnern, die sich von jeder Veränderung nur Unheil versprechen können.

Tatsächlich wird die Währungsunion angestrebt, um großer Veränderungen in Europa und auf den Weltmärkten Herr zu werden. Zugleich wird so getan, als bliebe alles beim alten und änderte sich höchstens der Namen des Geldzeichens.

Diesem Schwindel zuliebe, Veränderung als Stabilität zu verkaufen, müssen die Straßburger Eide beschworen werden, müssen drohende Abwertungsschlachten und auch schon Kriege im Zentrum Europas an die Wand gemalt werden. Aus dem Off murmelt dann Frau Noelle-Neumann, sie hätte eine Grenze entdeckt, die sich quer durch Europa entlang der ethnisch- sprachlichen Grenze zwischen romanischen und germanischen Völkern ziehe und deren Wirkung die Erweiterung der EU um die skandinavischen Völker und Österreich für die Deutschen zu einer ,Herzensangelegenheit" gemacht habe (FAZ, 27.8.). Die Norweger haben sich darum nicht gekümmert, und die Finnen sind mit dem EU-Beitritt nicht zu Germanen geworden. Die Österreicher verstehen sich eh als etwas ganz Eigenes und Außergewöhnliches.

Nach Frau Noelle-Neuman haben sich die Westdeutschen in der EG wohl immer isoliert und an den Rand gedrückt gefühlt und werden die Bundesrepublikaner nach der unvollendeten germanischen Herzensangelegenheit wahrscheinlich eine slawisch- romanische Einkreisung fürchten, wenn sich die EU in Zukunft um die Visegrad-Staaten erweitert. All dieser Quatsch steckt noch in vielen Köpfen. Er wird aber gehegt und gepflegt von Leuten, die ihn mit höheren Weihen versehen. Das ist ein Indiz für die Veröstlichung der Bundesrepublik, also ein Indiz für die Renaissance antiwestlicher und antislawischer Denkfiguren in einer Bundesrepublik, die eben nicht mehr nur Westdeutschland ist.

Diese Veröstlichung hat ihre Protagonisten in deutschnationalen und rassistischen Intellektuellen, die in Westdeutschland überwintert haben und in Ostdeutschland endlich wieder einen gewissen Ressonanzboden zu finden hoffen.

Plädoyer für ein bißchen europäische Politik


Offensichtlich hat die französische Entscheidung für den ,franc fort" eine politische Komponente. Sie entspricht der Absicht, die Klammer zwischen Frankreich und Deutschland, die sich mit der westdeutschen Bundesrepublik in der ganzen Geschichte der europäischen Integration unter Bedingungen des Eisernen Vorhangs befestigt und bewährt hat, nicht aufzugeben, auch wenn sie ökonomisch und innenpolitisch zu kosten droht. Sie drückt den Willen aus, jene, von Frau Noelle-Neumann sympathetisch erahnte, angebliche Herzensgrenze zwischen ,romanischen" und ,germanischen" Staaten nicht nur offen zu halten, sondern zu überbrücken. Das bedarf im Unterschied zu den 50er, 60er und noch 70er Jahren heute entschiedener politischer Anstrengungen, weil die kulturelle Avantgardefunktion und Attraktionskraft Frankreichs gegenüber der angloamerikanischen Diffusionsfähigkeit geschwunden ist. Über Radio, Fernsehen und Kino nehmen auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze die populären und emotionalen Verbindungen ab. Camus und Sartre waren Gymnasiastenschwärme, danach fängt die Quälerei von Expertenzirkeln an. Die Résistance - und für sie stand noch ein de Gaulle - war ein Beispiel. Warum aber sollten die nouveaux philosophes glaubhafter sein als Lothar Baier? An die Stelle von Trampen und Eisenbahn als Verkehrsmittel ist das eigene Auto und das Flugzeug getreten, so daß die spontanen regionalen Verbindungen an Bedeutung verlieren. Das Englische ist so vorherrschend geworden, daß es zunehmend schwierig wird - außer in den direkt zweisprachigen Grenzgebieten - sich in Französisch oder Deutsch zu unterhalten. Frankreich, das heißt Paris, bleibt ein Anziehungspunkt für osteuropäische Intellektuelle, aber Englisch im Allgemeinen und Deutsch in Osteuropa sind jetzt die interkulturellen Verkehrssprachen - Frankreich aber macht Atombombenversuche.

Es stimmt, wenn sich Europa nicht spalten oder auflösen will, dann bleiben Frankreich und die Bundesrepublik die entscheidende Klammer, weil sich an ihren Grenzen ein Teil der europäischen Integrationsprobleme konzentriert und nur über ihre Klammer das westliche und das östliche Europa zusammengehalten und weiter zusammengeführt werden können. Das gleiche gilt - weniger dramatisch - auch für die italienisch-deutschen Beziehungen. Wenn also eine Währungsunion, dann lieber ein weicheres Geld als härtere Grenzen und lockerere Verbindungen nach Westen.

Obwohl die Währungsunion in der Bundesrepublik neuerdings intensiver diskutiert wird, wird sie ausschließlich geld- und stabilitätspolitisch diskutiert. Wenn die Bundesrepublik aber eine stabile und harte Währung hat, was sollte sie dann veranlassen, sich auf das Risiko einer Währungsunion einzulassen, die bestenfalls gleich stabiles und hartes Geld garantieren wird? Wer mit ,Stabilität" argumentiert, kann bestenfalls sinnlose Geschichten als Argument für die Währungsunion vorbringen. Er kann erzählen, daß jemand der mit dem Fahrrad rund durch die Länder der Europäischen Union fahre, am Ende nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen hundert Mark in der Tasche habe, obwohl er in keinem Land etwas gekauft und nur überall sein Geld in die Landeswährung eingewechselt habe. Mit dem Eurogeld in der Tasche könne er die gleiche unsinnige Reise machen und hätte am Ende noch die gleiche Geldsumme in der Tasche. Aber wen reizt sowas? Kommt es zu der vorhersehbaren Miniwährungsunion, dann wird unser Tölpel bei der gleichen Reise statt 50 Prozent, wohl immer noch 40 oder 30 Prozent Verlust gemacht und nichts erlebt haben.

Dies ist die Standardgeschichte der Werbung für die Währungsunion. Sie täuscht die gleiche, zudem ins extrem Alberne gezogene Urlaubsökonomie vor, mit der schon die deutsch-deutsche Währungsunion in ihren Wirkungen verharmlost wurde. Die andere Standardgeschichte ist, daß sich durch die gemeinsame Währung circa 20 bis 25 Milliarden ECU, beziehungsweise fast doppelt so viel Milliarden Mark an Wechselkosten einsparen ließen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt dazu trocken fest:
"Die Attraktivität dieses Arguments beruht primär auf seiner Anschaulichkeit ... Aus ökonomischer Sicht kommt diesem Argument indessen nur ein geringer Stellenwert zu. Entscheidend ist vielmehr der gesamtwirtschaftliche Nutzen, der sich daraus ergibt, daß Wechselkursrisiken entfallen und der Wirkungsgrad geldpolitischer Maßnahmen erheblich gesteigert werden." (Wochenbericht 29/95)

Das DIW führt dieses Argument aus: "Nur die vollständige Beseitigung von Wechselkursrisiken schafft die Voraussetzung dafür, daß knappe Ressourcen dahin fließen, wo sie am effektivsten gebraucht werden. Noch wichtiger ist, daß wahrscheinlich nur ein großer, weitgehend geschlossener Wirtschaftsraum wie Europa eine Geldpolitik betreiben kann, die sich vorwiegend an binnenwirtschaftlichen Kriterien orientiert. Gerade der zuletzt genannte Aspekt verdient besondere Aufmerksamkeit. Gegenwärtig steht eine fragmentierte Geldpolitik hochintegrierten Finanzmärkten gegenüber. Die Geldpolitik gerät immer wieder in das Spannungsfeld zwischen interner und externer Stabilität. Das läßt sich nur vermeiden, wenn auch die Geldpolitik integriert wird."

So ist zum Beispiel die Banque de France gegenwärtig weniger aus binnenwirtschaftlichen Gründen gezwungen, die Zinsen hoch zu halten - die Inflation ist schon mehrere Jahre niedriger als in der Bundesrepublik -, sondern weil der Franc immer wieder zum Objekt internationaler Spekulationen wird. Andererseits ist die Mark höher bewertet, als ökonomisch und geldpolitisch erklärbar ist.

Die selten ausgesprochenen, weil komplizierten Hauptargumente für die Währungsunion zielen also auf einen kontinuierlicheren und nicht durch mehr oder weniger willkürliche Wechselkursänderungen beeinflußten Warenverkehr und vor allem auf bessere Kalkulierbarkeit von Direktinvestitionen innerhalb der EU sowie auf einen größeren Spielraum der Geldpolitik der EU gegenüber einem rund um den Erdball leicht beweglichen Finanzkapital. Die Währungsunion könnte also dazu beitragen, die Preiskonkurrenz unter Warenanbietern in der Union durchsichtiger zu gestalten, die Entwicklungspotentiale einzelner Regionen durch Kapitalimporte leichter zu mobilisieren und der spekulativen Mobilität des internationalen Finanzkapitals Schranken ziehen.

Diese Argumente wiederum ziehen nur, wenn ein Staat oder seine Regierung danach strebt, in die internationale Märkte regionale Strukturen einzuziehen, statt sich ungebunden direkt zu allen Weltmärkten verhalten zu wollen. Ihre Überzeugungskraft hängt also von einer wirtschaftspolitische Grundkonzeption ab, die weder von allen Staaten und Regierungen der Union geteilt wird noch aus der allgemeinen Wirkungsweise der Kapitalakkumulation folgt. Letzten Endes beruht ihre Überzeugungskraft auf der politischen Option für die Integration Europas, die weder aus dem Selbstlauf der Ökonomie noch aus den politischen Traditionen der beteiligten Staaten unmittelbar hervorgeht. Deren Verwirklichung setzt einen gemeinsamen politischen Willen voraus. Nur in seinem Rahmen überzeugen die genannten Argumente unbedingt. Für einen Freihändler, der nur das Kapital im allgemeinen theoretisch im Kopf und praktisch nur den leichten Profit des Einzelkapitals im Sinn hat, wo immer er zu machen ist, zählen sie nicht. Für einen Marxisten, der wegen der Widersprüche der nationalen Kapitale in der EU entweder nur eine zum Scheitern verurteilte idealistische Konstruktion oder die bloße Hülle für imperialistische Bestrebungen der potentiellen Hegemonialmacht sieht, zählen sie genausowenig. Rein ökonomisch gedacht, ist die Währungsunion weder stringent zu begründen noch zu rechtfertigen.

Die politischen Risiken einer Währungsunion


Bleiben die sogenannten Konvergenzkriterien und die voraussichtliche Wirkungsweise der Währungsunion zu prüfen. Da mit der Währungsunion die Möglichkeit entfällt, unterschiedliche Lohnstückkosten durch schwankende Wechselkurse auszugleichen und Waren unterschiedlicher Lohnstückkosten auf dem Binnenmarkt direkt in Preiskonkurrenz treten, gehört eine ähnliche Entwicklung der Lohnstückkosten zu den Voraussetzungen wie den Bedingungen einer funktionierenden Währungsunion, da ansonsten regionale Arbeitslosigkeit oder große Transferkosten drohen. Das Europäische Währungssystem hatte, bevor es zerbrach, bereits eine solche Annäherung der Lohnstückkosten erzwungen, die jetzt wieder gefährdet ist, sich aber in einer Währungsunion als brachialer Zwang durchsetzen würde.

Hier könnten sich soziale mit ethnisch-nationalen Spannugen überlagern, die zugleich die Geldpolitik der Zentralbank wie die Finanzpolitik der EU einer Zerreißprobe aussetzen würden. Eine Währungsunion fördert die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse viel schneller als ihre Gleichheit. Wie sich bei solcher prinzipiellen Vergleichbarkeit dann soziale Ungleichheit in und zwischen Regionen selbst innerhalb einer Nation und eines Staates zu regionalen Ressentiments und Feindschaften hochschaukeln können, hat schon die deutsch-deutsche Währungsunion zu Genüge gezeigt. Ähnliche Entwicklungen hätten in der Europäischen Union wahrscheinlich weniger Basis, aber auch einen weniger haltbaren Rahmen, als es der nationalstaatliche der Bundesrepublik kurz nach der Währungsunion wurde.

Aus den Erfahrungen der deutsch-deutschen Währungsunion schließt das DIW: ,Auch wenn die zu erwartenden Divergenzen (in einer europäischen) Währungsunion weitaus weniger spektakulär sein mögen als in Ostdeutschland, können sie zu einer schweren Belastung eines zwar geld-, aber eben nicht lohnpolitisch integrierten Europas werden." Wie also die Währungsunion praktische Ansätze einer europäischen Gewerkschaftsbewegung fördern könnten, ist auch denkbar, daß in Zukunft jeder regionale, im Rahmen der EU also eben nationale Lohnkampf von den Lohnabhängigen der nichtbeteiligten Regionen mit chauvinistischen Argusaugen beobachtet wird - nach dem Motto: Mit ihren unsinnigen Forderungen machen die doch nur unser Geld kaputt.

Dies ist überhaupt das Hauptproblem einer europäischen Währungsunion ohne starken und gefestigten politischen europäischen Rahmen: Sozialkonflikte in einem Staat könnten gerade in der Masse der Bevölkerung sehr leicht als nationale Konflikte aufgefaßt und durch chauvinistische Demagogie in dieser Richtung geschürt werden. Deshalb ist es nicht nur sinnlos, sondern auch politisch gefährlich, die Währungsunion bürokratisch und pseudotechnisch unter Dach und Fach bringen zu wollen, ohne in einer Diskussion der politischen Ziele die Risiken offen zu legen und damit ihre irrationalen Auswirkungen zu minimieren. Indem man einerseits verspricht, es würde sich praktisch nichts ändern und andererseits damit droht, wenn die Währungsunion nicht zustande komme, stünden im Zentrum Europas in absehbarer Zeit unausweichlich Kriege bevor, fördert man die Sprengkraft, die sich in der Währungsunion aufbauen kann. Eine solche Nichtdiskussion ist insbesondere in der Bundesrepublik gefährlich, weil sich alle für die Währungsunion absehbaren Konflikte leicht als Konflikte zwischen Deutschen und dem Rest abbilden lassen werden. In Deutschland kann also Großmachtchauvinismus gerade auch unter ,kleinen Leuten" Platz greifen, während anderswo alle inneren Schwierigkeiten einer gemeinsamen und womöglich rigiden Geldpolitik als von "den Deutschen" eingebrockt erscheinen können.

Der interessierte Katastrophismus eines Connolly spielt mit einem solchen Szenario:

"Sofern die Europäische Zentralbank (EZB) je entstehen sollte, wird sie mit Sicherheit nie im unabhängigen Interesse der Gemeinschaft handeln, denn es gibt kein Gesamtinteresse der Gemeinschaft. Entweder wird sie im Interesse der Franzosen handeln oder überhaupt nicht. Wenn sie das tut, wird sie Deutschland zerstören und so 50 Jahre des ,europäischen Europa` beenden. Wenn sie das nicht tut, dann könnte sehr wohl Frankreich zugrunde gehen. ... Die Geschichte des Europäischen Wechselkursmechanismus (ERM) ist eine Geschichte, in der die fundamentale Voraussetzung der monetären Union immer wieder verletzt wurde - daß die Bürger in den einzelnen Ländern bereit sein sollen, die wirtschaftliche Lage der Gemeinschaft über die Situation im eigenen Land zu stellen. Kurz: der ERM hat gezeigt, daß Europa keine Nation ist." (The Rotten Heart of Europe, zit. wie zuvor nach NZZ, 9.9.95)

Es spricht zwar theoretisch nichts dafür, daß eine Währungsunion prinzipiell schon deshalb scheitern müßte, weil sie per definitionem Nationen oder zumindest Staaten überschreitet und sie zugleich mit einem Geldzeichen durchdringt. Da aber letzten Endes nur Staaten über ihre Steuerhoheit und Finanzpolitik die Geldzeichen garantieren und für die Geldpolitik geradestehen können, wird eine EZB letzten Endes eine höhere Form von europäischer Staatlichkeit nach sich ziehen müssen, als sie die EU gegenwärtig hat. Die Übertragung von Hoheitsfunktionen auf die EU ist eine Frage der politischen Willensbildung. Sie kann durch die Errichtung der Währungsunion und die EZB erheblich gefördert werden. Sie kann durch sie aber auch gestört und zerstört werden. Die Spaltung Europas bleibt auch mit Währungsunion eine Gefahr. Eine Unumkehrbarkeit der europäischen Einigung, die Kohl immer wieder beschwört, weder zu erwarten noch zu wünschen ist. Sie ist kein physiologischer Prozeß und das gemeinsame Geld stellt keinen Blutkreislauf in einem Körper her, dessen Herz in Francoforte schlägt.

Die Risiken aussprechen


Wenn die Bundesregierung die weitere politische Vereinigung tatsächlich will, dann sollte sie sich in erster Linie um die Sicherung der Unabhängigkeit der Zentralbank von den Regierungen der Einzelstaaten kümmern, statt auf den Konvergenzkriterien, die ja im Vertrag festgelegt sind, aber auch interpretierbar bleiben, immer neu herumzureiten, um sie allein definieren zu können. Durch diese Schulmeisterei untergräbt sie nur ihre Position für die Entscheidungen im Europäischen Rat, wenn es dann 1997/1998 darum geht, über die ursprünglichen Teilnehmerländer der Währungsunion zu entscheiden. Sie sollte weniger danach trachten, den Kern der Teilnehmerländer möglichst eng zu halten, als herauszustellen, daß die Währungsunion für die Europäische Union nur Sinn macht, wenn alle Mitgliedsländer möglichst zügig an die Währungsunion herangezogen und in sie einbezogen werden, daß die Konvergenzkriterien keine Meßlatte für Selektion, sondern Richtschnur zu engerem Zusammenschluß aller Beteiligten sind. Die Politische Union sollte sie nicht durch die Hintertür über Hegemonie in der Währungsunion anstreben, sondern den Zeitplan der Europäischen Union, in der nun die Regierungskonferenz (Maastricht II) deutlich vor der Entscheidung über die Teilnahme an der Währungsunion liegt, nutzen, um von der Bereitschaft zu Fortschritten der politischen Vereinigung ihre Auslegung der Konvergenzkriterien abhängig zu machen. Und vor allem sollten die Bundesregierung, alle Parteien des Bundestages, aber auch die politische Publizistik davon Abstand nehmen, die innen- und die außenpolitische Seite der Diskussion um die europäische Integration demagogisch auseinanderhalten zu wollen. Wo jedes halbe Prozent Zinsveränderung der Bundesbank, europäische und internationale Auswirkungen bis zum Broteinkauf haben kann, können die Politiker und die Bundesbanker nicht so tun, als bildeten sie ihre Vorstellungen im Kaffeekränzchen. Dann würden sich die peinlichen Auswirkungen solcher ,Indiskretionen" wie die Veröffentlichung von Waigels Äußerungen über Italien im Finanzausschuß des Bundestages vermeiden lassen und könnte auf die innenpolitisch wie außenpolitisch gegenaufklärerische Diskrepanz einer Beschwörung künftiger Kriegsgefahr bei Scheitern der Währungsunion verzichtet werden. Dasselbe gilt für die gleichzeitige Behauptung, mit der Währungsunion würde sich für die Bundesbürger gar nichts ändern, weil Kohl und Waigel das verhindern würden. Weder ist die positive Erfahrung und die institutionelle Verankerung der europäischen Integration der letzten vierzig Jahre so brüchig noch die vereinbarte Währungsunion so risikos, um solches Geschwätz zu rechtfertigen.

Entweder läßt man sich auf dieses Risiko ein, indem man es ausspricht, oder man scheut es, weil man die Risiken der Beharrung für geringer hält. Das eine macht die französische Regierung, das andere die britische. Die Regierung der Bundesrepublik versucht vorzutäuschen, ihre Bürgerinnen und Büger hätten keine Wahl. Auf der einen Seite macht ihnen Waigel das Bett, auf der anderen lauert der Krieg. Was gibt es da noch zu überlegen?

Tatsächlich besteht eine Wahl. Entweder läßt man sich auf gemeinsame Formen gefährlicher Verständigungsprozesse ein oder man hält die Interessengegensätze für so groß, daß gemeinsame Formen der Verständigung zur eigentlichen Gefahr werden. Nach dieser Alternative sollte Frau Noelle-Neumann mal fragen lassen.

Die Bundesregierung neigt zur zweiten Wahl, weil sie zur ersten keinen Mut hat, vor allem keinen Mut dazu hat, offenzulegen was man mit der Währungsunion wählt. Die SPD hat diese Schwachstelle der Regierung erkannt und greift, wie selbstverständlich, die Regierung von rechts an. Beide Parteien rechnen mit der Stunde der Demagogen, auf die sie in Jahrzehnten der Bürokratie die Uhr gestellt haben. Nutzen wollen sie diese Stunde selbst. Die einen drohen mit Krieg, wenn nein, die anderen mit sozialer Katastrophe, wenn ja. Keine der Gefahren ist real, aber beide müßten eben sie, wenn die eine oder andere Drohung dennoch einträte, verantworten. Die Garantie dafür, daß es nicht so kommt, sind nicht die guten Absichten, sondern die Notwendigkeiten der Konsensbildung in der EU und der aufgeweckte Verstand der Leute. Die Furcht vor der Stunde der Demagogen ist nur Ausdruck der schlechten Angewohnheit, den Leuten nicht die Wahrheit zu sagen. Die sind bekanntlich immer mißtrauischer und streitsüchtiger geworden. Zu jeder Antwort fällt ihnen meistens eine neue Frage ein. Vielleicht werden sie europäische Bürgerinnen und Bürger...? Den Paß haben sie schon. Vielleicht nehmen sie ihn als Ausweis ihrer Rechte?


Konvergenzkriterien (js.)

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Kommune Dezember 1995