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In dieser Ausgabe

 

Wir Europäer – wann wird uns das von den Lippen gehen wie »wir Deutsche«? Da gibt es nun den historischen Schritt der europäischen Verfassung; aber hat nicht der Berg gekreißt und eine Maus geboren, wie manche Kritiker behaupten? Heike Litzinger meint hingegen, der Konvententwurf für eine Verfassung sei besser als sein Ruf. Europäische Identität, so es sie gibt, besteht sie vielleicht vor allem im ewigen Ja-Aber und Zweifeln? Martin Altmeyer, der den Stand der von Habermas ausgelösten Debatte zusammenfasst, knüpft letztlich an der Verfassung an. Den möglichen Kern einer europäischen Identität sieht er in Werten, die darin festgeschrieben sind: »... das praktische Bekenntnis zu individueller Freiheit, sozialer Gerechtigkeit, weltanschaulichem Pluralismus und politischer Demokratie, zu dem sich Europa aufgrund besonders schmerzlicher historischer Erfahrungen schließlich durchgerungen hat.« Keinesfalls aber in der Abwendung von den USA, wie das bei Habermas durchklingt, wenn er die Protestdemonstrationen vom 15. Februar als Akt europäischer Erneuerung nachreichen möchte.

Kommt die Reformdebatte in die Gänge? An Positionen fehlt es wahrlich nicht. Nach dem Wiesenthal-Essay im letzten Heft über das Ende des Modells Deutschland legt Paul Nolte zehn Thesen für neue Wege in der Sozialpolitik vor, während Wolfgang von Nostitz ein grundlegend anderes Denken und Konsumieren einfordert. Für Wilhelm Pauli hingegen hängt das ganze gesellschaftspolitisch enthemmte Reformgerede »in den Seilen des Christiansen-Kosmos«.

Zwiespältig und unsicher sind aber die Blicke nicht nur auf die Zukunft gerichtet. Auch der deutsche Erinnerungsdiskurs über den Nationalsozialismus ist immer noch ein Minenfeld. Die öffentliche Debatte läuft hoch ritualisiert und politisch instrumentalisiert ab. Die Annahme einer deutschen Kollektivschuld, so Dagmar Barnouw, hat die Aufarbeitung eigener Extremerfahrungen weitgehend verhindert – exemplarisch sei die Kontroverse um Grassens Vertriebenennovelle genannt. Es wäre an der Zeit für eine umsichtige Historisierung der Nazi-Periode, um mythifizierten Geschichtsbildern entgegen zu arbeiten.


 

THEMA

EUROPA UND USA

 

Ende Mai haben in einer konzertierten Aktion namhafte Intellektuelle für eine »Erneuerung Europas« (J. Habermas) plädiert. Kann Europa sich – etwa wie die USA – sich durch eine Gründungsakte in Form einer Verfassung identifizieren? Teilweise massiv kam die Abgrenzung gegenüber der USA zum Ausdruck (Habermas, Vattimo). Martin Altmeyer fasst die Debatte zusammen und spitzt sie auf die Frage einer europäischen Identität zu. Heike Litzinger bezieht Stellung zum Verfassungsentwurf.

Wir Europäer. Zwischenbilanz einer Debatte über Identität und Abgrenzung. Martin Altmeyer
Seite 6

 

»Nicht vollkommen, aber unerhofft«. Der Entwurf für eine Verfassung der EU. Heike Litzinger

Seite 11

 

Ausstellung: »Idee Europa – Entwürfe zum ›ewigen Frieden‹«. (ma)
Seite 12

 

FORUM SOZIALSTAAT

 

Sozialstaat, Gesundheit und Gerechtigkeit. Plädoyer für eine neue Sozialpolitik in veränderter Welt. Paul Nolte
Seite 16

Ausbruch aus dem Christiansen-Kosmos. Wilhelm Pauli
Seite 20

Konsum in Zeiten der Armut. Wider den Umsatz um jeden Preis. Wolfgang von Nostitz
Seite 22

 

ZUR ZEIT

 

Gestohlenes Leben, wortloser Hass. Der goldene Käfig und andere iranische Notizen. Marko Martin
Seite 26

Handschlag über den Himalaya. Verbesserung der sino-indischen Beziehungen bahnt sich an. Helmut Forster-Latsch
Seite 34

Kaste kein Hindernis? Die indischen Dalits suchen nach Wegen, der scharfen Diskriminierung zu entgehen. Brigitte Voykowitsch
Seite 38

Die Asymmetrie der Gerechtigkeit. Der internationale Strafgerichtshof und die »Parallelisierung der Schuld«. Dunja Melcic
Seite 44

 

SOZIALPOLITIK

 

Gescheiterte Politikmodelle. Krise der IG Metall. Anton Mlynczak
Seite 49

Das Verschwinden der Vergangenheit. Zur Ökonomisierung des Sozialen. Günter Franzen
Seite 53

Privatisierung – Anatomie einer profitablen Täuschung. Fallbeispiele aus Sachsen. Werner Rügemer
Seite 57

Die Arbeitssucht greift um sich. Eva Tenzer

60

Wolfsburger Arbeitsprofis. Gespräch Stadtrat Klaus Mohr. Axel Bosse
Seite 62

»Glückliche Arbeitslose«. Wilhelm Pauli
Seite 63

 

FOTOREPORTAGEN

 

Eindrücke aus dem Iran. Markus Kirchgeßner
Seite 25

Müllkinder in Delhi. Cristian Baitg
Seite 42

 

SCHWERPUNKT

ERINNERUNGSDISKURS

 

Minenfeld deutsche Geschichte: Die Ära des Nationalsozialismus als deutsche Kollektivschuld, die Erinnerung als hochritualisiertes Gedenken. War jeder Soldat ein kleiner Hitler? War jeder Vertriebener ein kleiner Nazi? Dagmar Barnouw hält eine Entmythifizierung des Geschichtsbildes für notwendig. Die Frage etwa nach den Kriegserfahrungen »der Deutschen« sollte nach 60 Jahren gestellt werden können ohne »mit totalem Ausschluss aus der Gemeinde der Richtig-Gesinnten bestraft« zu werden. – So versuchen auch, in Berlin ausgestellt, junge israelische Künstler gegen herkömmliche Rituale neue Wege zur Shoah zu finden.

Vom Nutzen und Nachteil der Erinnerung. Eine Modernisierung des deutschen Geschichtsdiskurses ist notwendig. Dagmar Barnouw
Seite 69

Dialog mit den Deutschen – gesucht, nicht gefunden. Ernst Köhler
Seite 72

Israel/Berlin: »Wonderyears« – Junge Rebellen gegen Rituale. Michael Ackermann
Seite 75

Andere Wege zur Shoah. Gespräch mit dem israelischen Künstler Roee Rosen. Tsafrir Cohen
Seite 77

Vielstimmiges Reden: Amos Oz ringt mit dem Vergehen der Dinge. Renate Wiggershaus
Seite 80

Buch: Moshe Zuckermann im Gespräch. (ma.)
Seite 81

 

FEUILLETON

 

Das Foto auf dem Weg von Weimar nach Bonn. 30 Jahre Bildästhetik als Indikator gesellschaftlichen Unterbewusstseins. Helmut Veil
Seite 82

Etiketten-Träger. Vom Generationen-Wahn. Michael Ackermann
Seite 89

Die improvisierte Ewigkeit. Eine Reise in das Innere Rumäniens. Richard Wagner
Seite 90

Land im Unglück. Literatur aus El Salvador – Horacio Castellanos Moya. Erich Hackl
Seite 92

Die Suche nach der Einheit. Totalitarismus, Terror, Größenwahn. Siegfried Knittel
Seite 94

 

BÜCHERWELT

 

Bücherfenster: Warum Europa? / »Operation Freiheit«. Joscha Schmierer
Seite 104

 

BÜCHERMARKT: Alexandre Adler über die Welt vor und nach dem 11. September 2001 / Empor ins Reich der Edelmenschen / Anonyma – eine von unzähligen Frauen von 1945 / William Gaddis‘ Grummeln am Grab / Sehnsucht nach Verhören / Erinnerungen des Philosophen Hans Jonas
Seite 106

 

KOMMENTARE & KOLUMNEN

 

Editorial. Balduin Winter

Seite 3

Recht: Die EU-Verfassung. Uwe Günther
Seite 9

Ereignisse & Meinungen: Übertriebene Demokratie? Balduin Winter
Seite 14

Kongo: Mitten ins Herz der Finsternis? Ernst Köhler
Seite 31

Brief aus Südostasien: Sex’n Crime im Tempel. Doris Klein
Seite 33

Italien: Annemarie Nikolaus
Seite 36

Kommentar Nord-Süd: Gesucht: Ein neuer marktwirtschaftlicher Konsens. Uschi Eid
Seite 40

»Road Map« – Sackgasse ins Reservat? Ludwig Watzal
Seite 46

Republikanische Randnotizen (4). Wilfried Maier
Seite 52

Nachgezählt: »Liebe und andere Katastrophen«. Peter Lohauß
Seite 56

Umweltpolitik: Wenn der Rauch sich aufhellt. Sascha Müller-Kraenner
Seite 64

Brief aus den Niederlanden: Diversity Marketing. Frank Eckardt
Seite 66

Glosse: Albrecht von Lucke
Seite 67

Brief aus Österreich: Heißer Sommer, Frau Wallström. Gerhard Fritz
Seite 68

Aus dem Beitrittsgebiet: Faltenfrei im Florenaland. Wilhelm Pauli
Seite 96

Film-Schnitte: Mörderinnen unter sich. Marcus Welsch
Seite 98

Untaten & Orte: Globales Hamburg. Michael Schweizer
Seite 100

Kommentar: Tabu Kultur. Ernst Köhler
Seite 101

Aufgelesene Töne: Tango-Politik. Christoph Wagner
Seite 102

Echo,

AutorInnen & Impressum
Seite 111